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FORSCHUNG/824: Was Larven hungrig macht (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 07.02.2012

Was Larven hungrig macht


Viele Insektenlarven fressen Pflanzen und richten so in der Landwirtschaft Schaden an. Wie wird das Fressverhalten der Larven gesteuert, welche Hormone sind daran beteiligt? Das untersuchen Wissenschaftler vom Biozentrum der Universität Würzburg. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert ihr Projekt.

Ob ein Mensch Hunger spürt oder sich satt fühlt, wird durch ein komplexes Signalnetzwerk in seinem Organismus bestimmt. Daran beteiligt sind Nervensystem, Magen-Darm-Trakt, Bauchspeicheldrüse und Fettzellen, wobei diese Akteure über so genannte Neuropeptide wie Orexin und über Peptidhormone wie Insulin oder Leptin miteinander kommunizieren. Peptide von diesem Typus spielen im Nervensystem von Insekten ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch dort steuern sie das Nahrungssuch- und das Fressverhalten, die Verdauung und den Stoffwechsel.

Wie beim Menschen werden Peptidhormone bei den Insekten nicht nur im Nervensystem gebildet, sondern auch im Darm. Welche Funktion sie dort erfüllen, ist bislang allerdings weitgehend unklar. Spielen sie eine ähnliche Rolle wie beim Menschen? Dienen sie der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn? Signalisieren sie dem Insekt Hunger, Sättigung und noch andere Dinge?


Interessant für die Schädlingsbekämpfung

Diese Fragen will Professor Christian Wegener vom Lehrstuhl für Genetik und Neurobiologie der Uni Würzburg mit seiner Doktorandin Wencke Reiher klären. Die Wissenschaftler interessieren sich dabei vorrangig für grundsätzliche hormonelle Regulationsvorgänge bei Insekten. Ihre Arbeit kann aber auch neue Wege für die Schädlingsbekämpfung aufzeigen. Denkbar ist es zum Beispiel, dass die Forscher bei den Larven Angriffspunkte entdecken, über die sich das Hungergefühl blockieren lässt - so dass die Tiere mit dem Fressen aufhören und verhungern.

Bislang haben die Würzburger Biologen im Darm der Taufliege Drosophila 24 verschiedene Peptide chemisch identifiziert. Sie werden in spezialisierten Zellen des Darms gebildet und lassen sich zu mehreren Familien gruppieren. Zwei dieser Peptidfamilien sollen nun genauer analysiert werden. Sie kommen auch bei anderen Fliegen vor, etwa bei der Kleinen Kohlfliege (Delia radicum), einem Pflanzenschädling. "Wir nehmen darum an, dass beide Peptidfamilien bei der Steuerung des Fressverhaltens und der Verdauung eine generelle Rolle spielen", so Wegener.


Kleine Kohlfliege frisst auch Rapswurzeln

Die Kleine Kohlfliege lebt in den gemäßigten Klimazonen von Nordamerika, Europa und Asien. Landwirte sehen sie nicht gern, denn ihre Larven fressen die Wurzeln von Kohlrabi, Brokkoli und anderen Kohlgewächsen. Auch die Wurzeln von Raps verschmäht sie nicht. Das vergrößert ihr Schadpotenzial erheblich, denn Raps wird wegen seiner ölhaltigen Samen weltweit in großen Mengen angebaut.

Bekämpfen lässt sich die Kleine Kohlfliege nur schwer: "Die Larven sind im Boden mit Insektiziden schwer zu erreichen", so Wegener. Hinzu kommt, dass in nur einer Vegetationsperiode zwei bis drei Fliegengenerationen auftreten können. So müssen die Landwirte diesen Schädling praktisch das ganze Jahr hindurch in Schach halten.


Wie Darmpeptide erforscht werden

Mit verschiedenen Methoden wollen die Würzburger Biologen nun herausfinden, welche Signale die Abgabe der Peptide im Darm von Drosophila auslösen und welche Wirkung die Peptide entfalten. Eine ihrer Vermutungen: Biogene Amine, Botenstoffe des Gehirns, sorgen für den Einstrom von Kalzium in die Darmzellen, in denen die Peptide gebildet werden. Als Reaktion darauf setzen die Zellen Peptide frei. Der experimentelle Beweis dieser Theorie wird laut Professor Wegener nicht einfach sein - unter anderem, weil nur kleinste Botenstoffmengen im Spiel sind und der Larvendarm mit nur etwa acht Millimetern Länge recht winzig ist.

Wencke Reiher wird demnächst drei Monate an der Universität Cambridge in England forschen: Dort hat sie die Möglichkeit, mit der Methode der RNA-Interferenz die Menge einzelner Darmpeptide von Drosophila zu manipulieren. "Ich will die Ausscheidungen des Insekts dann auf verschiedene Parameter wie Quantität, pH-Wert oder Wassergehalt hin analysieren und mit Ausscheidungen von Kontrolltieren vergleichen", sagt die Doktorandin. Treten dabei Unterschiede auf, können sie Hinweise auf die Funktion des ausgeschalteten Peptids liefern.


Evolution von Hormonsystemen besser verstehen

Am Ende hoffen die Wissenschaftler auf neue Erkenntnisse zur grundlegenden Frage, wie bei Insekten das Fressverhalten und die Verdauung gesteuert werden. Sie erwarten auch neue Einblicke in die Evolution hormoneller Regelkreise bei Tieren. Denn viele Peptidhormone der Insekten ähneln denen der Wirbeltiere - "ein Hinweis darauf, dass sich diese Signalsysteme in der Evolution kaum verändert haben", so Christian Wegener.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution99


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Gunnar Bartsch, 07.02.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2012