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ORNITHOLOGIE/132: Die Farben der Vögel - Teil 2 (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2009

Sehen und gesehen werden - Farbsehen der Vögel

Von Friederike Woog


Die Fülle an farbgebenden Pigmenten und Strukturen, die wir im Januarheft vorgestellt haben, wäre schwerlich zu verstehen, wenn Vögel Farben nicht auch wahrnehmen könnten. Tatsächlich bestätigen anatomische, physiologische und nicht zuletzt Verhaltensbeobachtungen: Von ein paar Ausnahmen abgesehen haben Vögel ein ganz hervorragendes Farbsehvermögen. Doch wie genau nehmen Vögel Farben wahr?


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Um das Farbsehvermögen verstehen zu können, unternehmen wir zunächst einen Ausflug in die mikroskopische Welt der Netzhaut - diese befindet sich im hinteren Teil des Augapfels und enthält zahlreiche Sinneszellen, die sogenannten Sehzellen. Es gibt dünnere, stäbchenförmige und dickere, zapfenförmige; daher werden sie auch Stäbchen und Zapfen genannt. Die Stäbchen sind für das Schwarz-Weiß-Sehen zuständig und sehr viel lichtempfindlicher als die Zapfen. Die Zapfen sind wesentlich für das Sehen von Farben. Bei den Zapfen unterscheidet man verschiedene Typen, je nachdem, welches Sehpigment sie enthalten. Die Sehpigmente sind in stark gefaltete Membranen der Sehzellen eingelagert und ändern bei Kontakt mit Licht einer bestimmten Wellenlänge ihre Molekülstruktur. Durch diese photochemische Reaktion wird ein elektrischer Impuls erzeugt, der nach einer komplizierten Verrechnung in der Netzhaut über den Sehnerv an das Gehirn geschickt wird. Erst hier entsteht der Farbeindruck. Der Mensch hat drei verschiedene Zapfentypen, die jeweils maximal für rotes, grünes oder blaues Licht empfindlich sind (diese "RGB"-Farben sind auch die Primärfarben der additiven Lichtmischung; nach diesem Prinzip funktionieren Fernseher und Computer). Der Farbeindruck bei uns Menschen entsteht aus der Mischung der Reize dieser drei Zapfentypen (trichromatisches Sehen), und je nach Reizstärke entsteht der Farbeindruck einer reinen Primärfarbe (z. B. Rot) oder bei gemischter oder schwächerer Reizung alle anderen Farben. Der Eindruck "Weiß" entsteht, wenn alle drei Zapfentypen ähnlich stark erregt werden.


Superfarbensehen

Bei über 35 Vogelarten aus neun Ordnungen haben Forscher nun einen vierten Zapfentyp gefunden (tetrachromatisches Sehen), der maximal im kurzwelligen, ultravioletten Bereich empfindlich ist. Nachgewiesen wurde er unter anderem für Sturmtaucher, Tauben, Fasane, Falken, Kolibris, Enten, Eisvögel, Papageien und verschiedene Singvögel wie Finken, Drosseln, Meisen, Rabenvögel, Schwalben, Timalien, Spottdrosseln, Webervögel, Prachtfinken, Ammern und Stare. Wegen dieses "weit gestreuten" systematischen Vorkommens ist anzunehmen, dass wohl alle Vögel ultraviolettes Licht wahrnehmen, ausgenommen nachtaktive Arten wie Eulen.

Die für uns unsichtbare "UV-Farbe" kann man sich als neue Farbqualität vorstellen, von der es verschiedene Abstufungen gibt, ähnlich wie wir verschiedene Rot-, Blau- oder Grüntöne wahrnehmen können. Folglich kommt der Farbeindruck beim Vogel durch eine Mischung der Reize der rot-, blau-, grün- und UV-empfindlichen Zapfen zustande. Der Eindruck "Weiß" entsteht nun, wenn alle vier Zapfentypen ähnlich stark erregt werden. Wie damit die Welt für Vögel aussieht, können wir uns also nicht vorstellen, da wir ja kein UV-Licht sehen können. Aber eines ist sicher: Was uns weiß erscheint, sehen Vögel unter Umständen ganz anders.


Feinabstimmung durch Öltröpfchen

Anders als bei Säugetieren enthält beim Vogel jeder Zapfen ein farbiges Öltröpfchen, das seine optische Empfindlichkeit erheblich verändert. Man nimmt an, dass diese Einschlüsse als Filter dienen und dadurch die Wahrnehmung von Licht bestimmter Wellenlängen verbessern. Diese Öltröpfchen sind je nach Zapfentyp charakteristisch, und auch zwischen den Arten gibt es Unterschiede.


Viele ältere Forschungsergebnisse falsch

Obwohl die Fähigkeit der Vögel, UV-Licht zu sehen, schon Anfang der 1970er Jahre bei Kolibris und Tauben nachgewiesen wurde, machte sich lange kaum jemand Gedanken darüber, wie sich das auf die Biologie der Tiere auswirken könnte. Verhaltensstudien, v. a. im Bereich der Partnerwahl, untersuchten lediglich die vom Menschen wahrgenommenen Farben. Erst in den 1990er Jahren wurde begonnen, viele der herkömmlichen Studien zu hinterfragen. Ergebnisse aus früheren Studien, in denen mit dem menschlichen Auge "gemessen" wurde, sind besonders kritisch zu bewerten. Die moderne Forschung bedient sich deshalb einer objektiven Messmethode mittels so genannter Spektrophotometer. Die Ergebnisse dieser Messungen geben Auskunft über die Wellenlänge der Lichtstrahlen, die von einer bestimmten Körperpartie des Vogels in Abhängigkeit von der Stärke des einfallenden Lichtes reflektiert werden. Als Ergebnis erhält man Reflexions- bzw. Absorptionsspektren, deren Kurvenverläufe verglichen werden.


Wie wichtig sind Farben für Vögel?

Die meisten Vogelarten können Farben also sehr gut und sogar besser als wir Menschen wahrnehmen. Es ist daher davon auszugehen, dass Farben auch eine wichtige Bedeutung für sie haben: Sie dienen der Kommunikation und wirken als Signale an Artgenossen. Dies wird Hauptthema des dritten Beitrages in der Serie über die Farben der Vögel sein. Weniger bekannt ist, dass die Farbwahrnehmung für Vögel auch sehr wichtig für die Nahrungsaufnahme ist.


Ultraviolette Urinspuren, Larven und Beeren

Die UV-Sehtüchtigkeit der Vögel hilft ihnen Nahrung aufzuspüren, die ein besonderes Reflektions- oder Absorptionsverhalten im UV-Bereich zeigt. Ultraviolettes Licht lässt Blaumeisen ihre Beute - die Larven verschiedener Mottenarten - schneller finden: Manche Raupen, die das Blattgrün imitieren, reflektieren UV-Licht anders als die Blätter, auf denen sie sitzen, und sind so nicht optimal getarnt. Viele Beeren mit glänzender Oberfläche reflektieren UV-Licht und sind so für Vögel besser sichtbar. Das ist vor allem in schattigen Lebensräumen von Vorteil: Das UV-reflektierende Futter bildet einen Kontrast gegen den UV-verschluckenden Hintergrund. Und Turmfalken schließlich nutzen das UV-Sehen beim Mäusefang: Mäuse hinterlassen UV-reflektierende Urinspuren im Gras. Dieses für unser Auge verborgene Labyrinth sehen die Falken ganz hervorragend und können es bei der Mäusejagd gezielt patroullieren.


Rot ist gesund - die Rachenfärbung von Vogelküken

Schaut man im Frühjahr vorsichtig in ein Vogelnest, recken sich einem weit geöffnete Schnäbel entgegen. Die kleinen Vögel scheinen fast nur aus Rachen zu bestehen. Dessen gelbe bis rote Färbung signalisiert den Eltern, wo sie das mühsam zusammengesammelte Futter abladen sollen. Experimente mit Rauchschwalbenküken zeigten, dass die Eltern bevorzugt Küken mit röteren Schnäbeln füttern. Diese Reaktion konnte auch künstlich durch Einträufeln von Lebensmittelfarben ausgelöst werden. Aber warum füttern Vogeleltern Küken mit röteren Rachen mehr? Die rote Färbung des Rachens wird durch Carotinoide hervorgerufen, die auch für das Immunsystem wichtig sind. Im Experiment infizierte Küken hatten tatsächlich weniger rote Rachen als vorher. Um der Infektion zu begegnen, verlagerten sich im Rachen eingelagerte Carotinoide zur Stützung des Immunsystems ins Blut. Schwalbeneltern können also an der Rachenfarbe den Gesundheitszustand ihres Nachwuchses ablesen. Da gesunde Küken bessere Überlebenschancen haben und so die Gene ihrer Eltern voraussichtlich erfolgreicher an die nächste Generation weitergeben können, werden sie beim Füttern bevorzugt.


Zielscheiben in dunklen Höhlen

Bei der bereits vorgestellten Studie der roten Rachenfärbung von Rauchschwalbenküken wurde die Farbe subjektiv, mit dem menschlichen Auge gemessen. Misst man die für uns rot erscheinenden Rachen der Küken mit dem Spektrophotometer, ergibt sich neben dem für uns sichtbaren Bereich ein deutliches Maximum im kurzwelligen UV-Bereich. Messungen der Rachenfärbung von acht unterschiedlichen Singvogelarten ergaben, dass die Rachen der Küken von in Höhlen nistenden Arten intensiver UV-Strahlen reflektieren als solche in offenen Nestern. Vor allem die Schnabelwinkel reflektieren viel UV-Licht. Gegenüber einem dunklen Nesthintergrund bilden die Schnabelränder durch diesen Kontrast hervorragende "Zielscheiben" für die fütternden Vogeleltern.

Im nächsten und letzten Beitrag unserer Serie stellen wir vor, welche Rolle Farben bei der Partnerwahl und im sozialen Umfeld der Vögel spielen, und wie Farben Stärke und Dominanz signalisieren können. Unter anderem werden wir hinterfragen, wie "ehrlich" Farbsignale sind und klären, was unter "Ultraviolettmeisen" zu verstehen ist.


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Literatur zum Thema:

Hill, G. E. & K. J. McGraw (Hrsg., 2006): Bird Coloration. Vol. 1:
Mechanisms and Measurements; Vol. 2: Function and Evolution.
Harvard University Press. Harvard.

Woog, F. (2004): Farben der Natur, Sehen und gesehen werden.
Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde, Serie C, 56: 1-71.
Bestellung beim Naturkundemuseum Stuttgart, Frau Dehner,
dehner.smns@naturkundemuseum-bw.de


Der Spinnennetzeffekt schont Glasscheiben und Vögel
Warum verfangen sich Vögel eigentlich nie in den großen Netzen der Radnetzspinnen? Die Spinnfäden reflektieren UV-Licht und sind daher für Vögel gegen einen UV-absorbierenden Hintergrund bestens sichtbar. Zudem wäre es für Spinnen mühsam und zeitaufwendig, ihre Netze dauernd neu spinnen zu müssen. Mit solchen Spinnennetzeffekten können auch große Glasflächen versehen werden, an denen allein in Europa täglich um die 240000 Vögel verenden. Sie werden vielen Vögeln zum Verhängnis, da sich die Umgebung bei bestimmtem Lichteinfall sehr realistisch in der Glasscheibe spiegelt. Versieht man die Scheiben mit für unsere Augen unsichtbaren Mustern, die aber UV-Licht absorbieren, wird dieser Kontrast für Vögel sichtbar, da der übrige Teil des Glases UV-Licht leicht reflektiert. Eine andere Methode wäre auch, die Fenster nicht zu putzen. Staub und Pollen absorbieren nämlich ebenfalls ultraviolettes Licht. Die Fensterscheiben würden so für Vögel sichtbar und wir hätten weniger Arbeit mit dem Putzen!


Die von der Autorin entwickelte Wanderausstellung "Viva Color - Farben der Natur" ist ab Herbst 2009 verfügbar. Auf Anfrage wird gerne ein Exposé zugeschickt.
Weitere Informationen: woog.smns@naturkundemuseum-bw.de


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2009
56. Jahrgang, Mai 2009, S. 182-185
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2009