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ORNITHOLOGIE/238: Elster - Schwarz-weiß und clever (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2011

Schwarz-weiß und clever: Elster

Von Anita Schäffer


In Europa waren Elstern in früheren Jahrhunderten als Götterboten, Diebe und Galgenvögel verschrien. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sie extrem verfolgt. Auch heutzutage sind Elstern vielerorts nicht gerne gesehen, haftet ihnen doch der zweifelhafte Ruf als Schmuckdieb und Nesträuber an. Schnell wird die Forderung nach Bejagung laut. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich Elstern jedoch als standorttreue Vögel mit ausgeprägtem Sozialverhalten, deren aufmerksamere Beobachtung sich lohnt.

Eine 'normale' Elster mit hellblauem Augenfleck aus Bayern. - Foto: © H.-J. Fünfstück, Küps, Oberfranken, 22.8.2010

Eine "normale" Elster mit hellblauem Augenfleck aus Bayern.
Foto: © H.-J. Fünfstück, Küps, Oberfranken, 22.8.2010

Durch Größe und kontrastreiches Schwarz und Weiß des Gefieders sind Elstern unverkennbar. Der lange Schwanz ist ein weiteres typisches Merkmal dieser Rabenvogelart. Im hellen Sonnenlicht erkennt man die Schönheit der Vögel, deren dunkle Federpartien je nach Lichteinfall in blauem, grünem und violettem Glanz schillern. Als wenig wohlklingend wird der Ruf der Elster vernommen, ein heiseres Krächzen wie "chäck-chäck-chäck", das man als "Schackern" oder "Schäckern" bezeichnet. Neben diesem Warnruf lassen Elstern häufig zur Revierabgrenzung "kjää" oder "kik" hören, das von hohen Sitzwarten wie Baumspitzen oder Schornsteinen aus vorgetragen wird. Weniger bekannt ist, dass die Elster, die wie alle Rabenvögel zu den Singvögeln zählt, auch über einen leise faselnden Gesang aus feinen, wimmernden und zwitschernden Lauten verfügt und gelegentlich sogar andere Vogelstimmen imitiert.

Der von Elstern bevorzugte Lebensraum zeichnet sich durch ausreichend Deckung sowie niedrig bewachsene oder vegetationsfreie Flächen aus. In diese Kategorie fallen lichte buschreiche Wälder, Hecken und Feldgehölze in offenen Landschaften mit ausgesprochenem Steppencharakter und - erst seit wenigen Jahrzehnten - auch städtische Bereiche. Besonders beliebt sind Neubausiedlungen mit neu angelegten Rasenflächen, Parks, Friedhöfe und große Gärten. Die Nähe des Menschen scheint die Vögel nicht zu stören, sodass man mittlerweile schon von Stadtelstern spricht. Europaweit brüten geschätzte 50 % der Elstern in oder nahe bebautem Gebiet.



Elsternburgen

Elstern bleiben mit ihren Partnern lebenslang zusammen. Die Brutreviere können über mehrere Jahre bestehen und werden zur Brutzeit vehement verteidigt. Die meisten Nester liegen möglichst hoch und weithin sichtbar in Bäumen. In der Regel bauen Elsternpaare in der Zeit von Mitte Februar bis Mitte April jedes Jahr ein neues Nest, seltener werden auch Vorjahresnester "renoviert". Häufig nutzen Waldohreulen, Baum- oder Turmfalken verlassene Elsternnester als Nachmieter.

Elsternnester sind Kunstwerke aus mehreren Schichten, meist mit einem Dach und hoch oben weithin sichtbar in Bäumen. - Foto: © H.-J. Fünfstück, Oberpfalz, 24.4.2008

Elsternnester sind Kunstwerke aus mehreren Schichten, meist mit einem Dach und hoch
oben weithin sichtbar in Bäumen.
Foto: © H.-J. Fünfstück, Oberpfalz, 24.4.2008

Elsternnester sind kunstvolle Hochsicherheitstrakte aus mehreren Schichten. Das Außennest besteht aus groben, ineinander gesteckten Zweigen. In die Mitte dieses Außennestes bauen die Elstern eine bis zu 3dicke Lehmmulde, die mit kleinen Zweigen und Wurzeln verstärkt ist. Anschließend errichten die Partner das typische Dach, häufig aus dornigen Ästen. Nun wird das Innennest konstruiert, das wiederum aus zwei Schichten gebildet ist. Direkt an der Lehmwand liegt ein Nest aus kleinen Ästchen, Wurzeln oder Gräsern, das ebenfalls mit sehr feinen Wurzeln und Haaren weich ausgepolstert wird. Über ein oder zwei Einschlupflöcher zwischen Außennest und Dach gelangen die Vögel hinein.

Ab Mitte März legt das Weibchen fünf bis acht blassblaue, grünliche Eier mit braungrauen Sprenkeln. Während der Eiablage wird es vom Männchen streng bewacht. Beide Eltern bebrüten die Eier abwechselnd etwa zweieinhalb Wochen lang und kümmern sich gemeinsam weitere drei bis vier Wochen um die geschlüpften Jungen, die ausschließlich mit tierischer Kost ernährt werden.

Nach dem Ausfliegen schließen sich die Jungelstern zum Teil mit Nichtbrütern zusammen und gehen gemeinschaftlich auf Nahrungssuche. Neben solchen Nahrungssuchgemeinschaften werden außerhalb der Brutzeit auch Schlafgemeinschaften aus einem bis zu mehreren Dutzend Elstern gebildet, deren Schlafplätze meist gut geschützt auf schwer zugänglichen Bäumen liegen.



Allesfresser Elster

Im Nahrungsspektrum der Elster finden sich tierische ebenso wie pflanzliche Bestandteile und Aas - Elstern sind Allesfresser. Je nach Jahreszeit werden Insekten und deren Larven, Würmer, Spinnen, Schnecken und andere Wirbellose, kleine Wirbeltiere, z. B. Mäuse, Amphibien oder Vogelküken, ebenso verzehrt wie Früchte, Sämereien und Pilze. Häufig können Elstern dabei beobachtet werden, wie sie am Straßenrand oder Bahndamm tote Tiere "verräumen" und so einen wichtigen Beitrag als Gesundheitspolizei im Naturhaushalt leisten. Stadtelstern sind bekannt dafür, in Komposthaufen und Abfällen nach Fressbarem zu suchen, womit sie etwa die Hälfte ihres Nahrungsbedarfes decken.

Typischerweise suchen Elstern ihre Nahrung vom Boden aus, wobei sie kurze Strecken laufen, stehenbleiben um Beute auszumachen und dann gezielt darauf zu laufen. Insekten werden auch von höheren Pflanzen gepickt und Würmer aus dem Boden gezerrt sowie unter Laub oder kleinen Steinen nach Nahrung gesucht. Früchte fressen Elstern häufig direkt vom Baum.

Wie Eichelhäher legen auch Elstern Nahrungsverstecke an, allerdings das ganze Jahr über mit jeglicher Art von Vorrat. Dabei gehen sie sehr heimlich vor, um plündernde Krähen nicht darauf aufmerksam zu machen. Im Gegensatz zu Eichelhähern finden Elstern jedes ihrer Verstecke wieder, von denen die meisten bereits innerhalb weniger Tage wieder ausgeräumt werden.

Dass Elstern Gelege oder Jungvögel von anderen Vögeln fressen, lässt sich nicht leugnen - schließlich haben sie selber eine Brut zu versorgen. Eine Dezimierung der Bestände von Singvögeln durch die Rabenvögel konnte in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen jedoch nicht bestätigt werden.



Bestandstrend, Gefährdung, Gefährdungsursachen

Vierzehn Unterarten der Elster sind bekannt, die weit über den Erdball verstreut sind. In Mitteleuropa kommt die Nominatform Pica pica vor, die sich entlang einer Nord-Südlinie an der Grenze von Deutschland zu Frankreich sowie weiter nördlich und südlich mit der in Frankreich und Italien vorkommenden Unterart Pica pica galliae überschneidet. Auf der Iberischen Halbinsel findet sich die Unterart Pica pica melanotos. Die Unterarten lassen sich nur schwer an Kriterien wie Größe, Gewicht, Zeichnung und Färbung unterscheiden. Insgesamt leben in Europa 7,5 bis 19 Millionen Elsternbrutpaare, 280000 bis 360000 davon in Deutschland. Die Art ist nicht gefährdet.

Nachdem die extreme Verfolgung von Elstern bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts größtenteils eingestellt worden war, erholten sich die Bestände zunehmend. Besonders auffällige Bestandszunahmen im städtischen Gebiet erklären sich jedoch eher durch Lebensraumverschiebungen. Während hier die Trends nach wie vor positiv sind, werden in ländlichen Gegenden zum Teil Bestandsrückgänge beobachtet. Die hohe Anpassungsfähigkeit der Art, vor allem auch aufgrund des breiten Nahrungsspektrums, ermöglicht den Elstern die Verlagerung ihrer Reviere vom ländlichen Raum in bebautes Gebiet. Hier werden dann auch schnell Forderungen nach Dezimierungsmaßnahmen laut. Eine Bejagung ist jedoch weder naturschutzfachlich sinnvoll noch tierschutzrechtlich vertretbar.


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Informationen zum Thema:

Bauer H-G, Berthold P, 1996: Die Brutvögel Mitteleuropas. Bestand und Gefährdung, Aula-Verlag, Wiesbaden

Fünfstück H-J, Ebert A, Weiß I, 2010: Taschenlexikon der Vögel Deutschlands, Quelle und Meyer, Wiebelsheim

Kooiker G, Buckow CV, 1999: Die Elster - Ein Rabenvogel im Visier, Aula-Verlag, Wiebelsheim

Schäffer A, Schäffer N, 2006: Gartenvögel - Naturbeobachtungen vor der eigenen Haustür, Aula-Verlag, Wiebelsheim

www.nabu.de
www.dda-web.de



Beobachtungstipps zur Elster

Auffälligstes Merkmal: weiße Schultern, Flanken und Bauch, restlicher Körper schwarz mit metallischem Glanz, v. a. an den Flügelrändern. Sehr langer Schwanz

Wann: ganzjährig

Wo: offene Landschaft mit Büschen und Bäumen, Ortsrandlagen, Stadtgebiet mit Parks, Friedhöfen und großen Gärten

Was: Paarbindung, Nestbau, Revierverteidigung, Nahrungssuche, Schwärme zur Nahrungssuche, Gemeinschaftsschlafplätze im Herbst und Winter, Neugierverhalten

Die Brutbestände der Elster haben in den Städten und Dörfern zwar zugenommen, doch verschwindet die Art - besonders im Nordwesten Deutschlands - zusehends aus dem Agrarland, sodass ihr heutiger Gesamtbestand sogar tendenziell rückläufig ist.



Diebische Elster?

Eine der herausragenden Charaktereigenschaften von Elstern ist Neugier. Alles, was den Vögeln interessant erscheint, wird untersucht, herumgedreht und manchmal auch weggetragen, vor allem, wenn die Vögel gestört werden. Durch solche Beobachtungen entstand wahrscheinlich der Mythos der diebischen Elster, die gezielt Schmuck und andere glitzernde Kleinode in ihr Nest trägt. Wissenschaftler haben jedoch bei ihren Untersuchungen an Elstern bisher niemals Schmuck oder Metallgegenstände in Elsternnestern gefunden. Es kommt vor, dass Elstern einen Gegenstand ähnlich wie Nahrung verstecken, selbst wenn er nicht fressbar ist. Um einen versteckten Gegenstand wieder zu finden, müssen die Vögel erkennen, dass der Gegenstand auch dann noch vorhanden ist, wenn man ihn nicht mehr sehen kann. Diese Fähigkeit zur sogenannten Objektpermanenz ist bei Elstern sehr ausgeprägt, muss jedoch von den jungen Elstern erlernt werden. Zusammen mit dem sehr komplexen Sozialverhalten deutet Objektpermanenz auf eine relativ hohe Intelligenz dieser Vögel hin - kein Wunder, denn unter den Singvögeln ist das Gehirn der Elstern am höchsten entwickelt.



Afrikaner in Oberfranken?

Die Unterart Pica pica mauritanica, auch Blauohrelster genannt, lebt in einem sehr kleinen Verbreitungsgebiet im westlichen Nordafrika. Kennzeichnend sind ein hellblauer nackter Hautfleck in der Ohrregion und unter dem Auge, auffallend kurze Flügel und ein etwas längerer Schwanz als der der mitteleuropäischen Nominatform. Urlauber in Marokko oder Tunesien sollten sich also hier die Elstern etwas genauer betrachten. Interessanterweise wurden auch in Oberfranken Elstern mit hellblauem Augenfleck entdeckt, die jedoch mit Sicherheit Pica pica zuzurechnen sind. Das Beispiel zeigt, dass es sich nicht nur in Urlaubsregionen, sondern auch vor der Haustür lohnt, genauer hinzusehen.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2011
58. Jahrgang, Juni 2011, S. 209-212
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2011