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ORNITHOLOGIE/302: Wasseramsel - Tauchgefieder und Mooskugeln (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2013

Vögel an Gewässern
Tauchgefieder und Mooskugeln: Wasseramsel

Von Anita Schäffer



Als einzige Singvogelart hat sich die Wasseramsel das Wasser unter der Oberfläche von Bächen und Flüssen für die Nahrungssuche erschlossen. Sie stellt jedoch recht hohe Ansprüche an den Lebensraum, denn nur in sauberen, sauerstoffreichen Fließgewässern gibt es genügend Kleintiere, die für die Wasseramsel als Beute infrage kommen. Reißendes Wasser und Strömungen machen dem kleinen Räuber nichts aus, ganz im Gegenteil, denn die Wasseramsel baut ihre kugeligen Nester als Schutz vor Beutegreifern immer in Wassernähe und ihre Jungen können schon schwimmen und tauchen, bevor sie richtig fliegen können.

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Mit einer Amsel hat die Wasseramsel höchstens das dunkle Federkleid gemein, das jedoch gar nicht schwarz ist, sondern von dunkelbraun an Kopf und Rücken in rauchbraun am Schwanz übergeht. Die auffällige weiße Kehle ist mehr oder weniger kastanienbraun gesäumt. Jungvögel sind grau gefärbt, ohne reinweißen Latz. Bei genauem Hinsehen erkennt man die dunkelbraune Iris und weiße Lidränder. Der Schwanz ist kurz, ebenso die gerundeten Flügel. Männchen und Weibchen unterscheiden sich nicht. Selbst der zwitschernde langsame Gesang ist hier keine Hilfe, denn er wird von beiden Geschlechtern nahezu das ganze Jahr vorgetragen. Wasseramseln sind strikte Einzelgänger, die ihre Reviere verteidigen. Ihr Lebensraum sind langsam fließende, sauerstoffreiche Gewässer mit kiesigem Untergrund, die ganzjährig Wasser führen. Strukturen im Bachbett, wie zum Beispiel Steine oder Felsen, sind als Ansitzwarte wichtig. Zudem muss eine gewisse Deckung durch Ufervegetation gegeben sein. Wie lang die Gewässerabschnitte einzelner Vögel sind, hängt vom Nahrungsangebot ab. Häufig wird der Gesang vom Rauschen des Gewässers übertönt. Daher bedienen sich Wasseramseln optischer Signale, allen voran das "Knicksen" genannte Schwanzwippen, das bei Erregung schneller wird, sowie Flügelzucken. Möglicherweise spielen auch die weißen Lidränder als optisches Signal eine Rolle, da hierdurch das Blinzeln der Vögel besser zu sehen ist. Wasseramseln rufen durchdringend kurz "ziitt", beispielsweise wenn sie dicht über der Wasseroberfläche entlang des Wasserlaufes fliegen.

Als einzige Singvogelart Europas sucht die Wasseramsel ihre Nahrung am Gewässergrund, an oder unter Steinen. Als Beute kommen im Wasser lebende Kleintiere wie Würmer, Gliederfüßer, Weichtiere, kleine Fische und Amphibien infrage, besonders häufig werden die Larven und Nymphen von Köcher-, Eintags- und Steinfliegen, Bachflohkrebse, Wasserkäfer, kleine Schnecken und Strudelwürmer erbeutet. Die meisten dieser Kleintiere kommen nur in klaren, sauberen Bächen vor, verschlammte Gewässer meidet die Wasseramsel. Die Vögel suchen jedoch bei erschwerten Bedingungen im Wasser, beispielsweise nach Starkregen, auch am Ufer nach geeigneter Nahrung. Ihre kurzen Tauchgänge startet die Wasseramsel häufig von Steinen inmitten der Strömung aus.

Partner nur geduldet

Die Wasseramsel ist ein regelmäßiger Brutvogel der deutschen Mittelgebirgs- und Gebirgsregionen und kommt bis in Höhen über 2000 Meter vor. Sofern die Anforderungen an Ufervegetation, Struktur des Gewässergrundes, Fließgeschwindigkeit, Wasserqualität, Nahrungsangebot und Schutz vor Feinden gegeben sind, kommt die Art gelegentlich auch in städtischen Gebieten vor. Im Winter bleiben die sehr kältefesten Vögel in ihrem Revier, zum Teil jagen sie dann sogar unter der Eisdecke, wenn sich durch absinkenden Wasserstand Luftpolster gebildet haben. Wird die Nahrungssuche zu schwierig, weichen die Tiere in günstigere Flächen aus. Stellenweise lassen sich im Winter auch Wasseramseln im Norddeutschen Tiefland beobachten, wo sich Gastvögel aus Nordeuropa zur Überwinterung einfinden. Bei der nordischen Wasseramsel ist der Bauch schwarzbraun statt rotbraun.

Als Paare finden sich Wasseramseln nur zur Brutzeit zusammen, wobei die Weibchen in die Reviere der Männchen kommen. Über gemeinsames Schwimmen und Tauchen sowie Verfolgungsflüge gewöhnen sich die Partner aneinander. Aufgrund ihrer Reviertreue bilden sich häufig auch die Paare der Vorjahre wieder.

Bereits ab Februar baut das Männchen auf einer festen Unterlage ein kugelförmiges Nest mit etwa 20 cm Durchmesser oder bessert ein bereits vorhandenes Nest aus. Sobald sich ein Weibchen eingefunden hat, bringt das Männchen nur noch Nistmaterial, das seine Partnerin dann verbaut. Die äußere Hülle besteht aus Moos, das von Steinen und am Ufer gesammelt wird, innen ist das Nest mit feinem Gras und Blättern weich ausgekleidet. Über einen röhrenartigen Eingang gelangen die Vögel in das Kugelnest, das immer dicht am Wasser, aber vor Hochwasser geschützt liegt. Felsen, Felsspalten und Erdabbrüche dienen genauso als Neststandort wie Vorsprünge und Nischen an Bauwerken wie Brücken. Ab März legt das Weibchen vier bis sechs weiße Eier, die es alleine bebrütet. Das Männchen bleibt jedoch in der Nähe und bringt seiner Partnerin Nahrung. Nach 16 bis 17 Tagen schlüpfen die Jungen. Sie werden von beiden Eltern etwas über drei Wochen im Nest gefüttert und nach dem Ausfliegen noch zwei Wochen weiter betreut. Nach etwa sechs weiteren Wochen suchen sie sich geeignete Quartiere zur Mauser. Zwei Jahresbruten sind die Regel. Neben ausreichend geeigneter Nahrung scheinen auch sichere Brutplätze ein begrenzender Faktor für das Vorkommen von Wasseramseln zu sein. Um das Risiko durch Beutegreifer zu minimieren, liegen die Nester häufig über oder an rauschendem Wasser, sogar in Felsen hinter Wasserfällen. Junge Wasseramseln können bereits tauchen und schwimmen, bevor sie fliegen können.

Bestand und Gefährdungen

Die in Deutschland vorkommende Eurasische Wasseramsel ist von Europa über Asien bis Westchina und in Nordafrika lückenhaft verbreitet. In Deutschland brüten 10 bis 19 der insgesamt für Europa geschätzten 170000 bis 330000 Brutpaare. Die Verbreitung beschränkt sich mit wenigen Ausnahmen auf weite Bereiche der Mittelgebirge, des Alpenvorlandes und der Alpen. Die Bestandsentwicklung unterlag vielfachen Einflüssen: Es wird angenommen, dass Vorkommen und Verbreitung der Wasseramsel in früheren Jahrhunderten durch den Bau von Mühlenwehren und Brücken gefördert wurden, weil dadurch das Brutplatzangebot stieg. Ab Ende des 19. Jahrhunderts, spätestens ab Anfang der 1950er Jahre, wurden viele Vorkommen durch Gewässerausbau und -verschmutzung jedoch stark beeinträchtigt. Stellenweise kam es sogar zum Erlöschen von Vorkommen, wobei der Tiefstand der Entwicklung in den 1960er Jahren erreicht worden sein dürfte. Durch das Ausbringen von Nisthilfen, vor allem aber durch die Verbesserung der Wasserqualität und durch Maßnahmen zur Renaturierung verbauter Fließgewässer, erholte sich der Bestand in Westdeutschland ab Anfang der 1970er Jahre vielerorts in kurzer Zeit. Seitdem scheint er auf dem erreichten Niveau zu verharren. In einigen Regionen Nordrhein-Westfalens wird allerdings seit Mitte der 1990er Jahre eine leichte Bestandsabnahme verzeichnet. In den Mittelgebirgen Ostdeutschlands setzte die Bestandserholung und Arealausweitung erst in den 1990er Jahren ein und hält offenbar bis heute an, sodass bundesweit von einem derzeit stabilen oder leicht zunehmenden Bestand ausgegangen werden kann. Die Art gilt deshalb heute als nicht gefährdet, auch größere Verluste in strengen Wintern werden relativ schnell ausgeglichen.

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Singvogel unter Wasser

Die Wasseramsel ist bestens an ihren Lebensraum in kalten Gebirgsbächen angepasst. Größte Wichtigkeit hat ein wasserdichtes, warmes Gefieder, das vor Unterkühlung schützt. Wie die meisten Vögel pflegt auch die Wasseramsel ihre Federn mit Fett aus der Bürzeldrüse. Diese ist jedoch bis zu zehnmal größer als bei anderen Singvögeln mit gleicher Körpergröße. Das Federkleid ist so gut vor eindringendem Wasser geschützt, dass bei auftauchenden Wasseramseln Tropfen wie Perlen auf dem Gefieder glänzen. Unter den Konturfedern tragen die Vögel einen feinen Federpelz, der ihre Körper gut isoliert. Um sich auch in rauschendem Wasser am Boden halten zu können, schwimmen die Vögel leicht schräg zur Strömung, mit geducktem Kopf und aufgestelltem Schwanz, sodass sie die Kraft der Strömung nutzen und leicht untergedrückt werden. Hierbei hilft auch, dass ihre Knochen im Gegensatz zu denen anderer Singvögel weniger Luft enthalten. Mit kräftigen Beine und Zehen können die Vögel am Bachgrund laufen und sich festhalten, während sie Steine umdrehen und nach Nahrung absuchen. Wasseramseln können auch gut klettern. Die kurzen, gerundeten Flügel benutzt die Wasseramsel bei der Fortbewegung unter Wasser wie Ruder. Beim Fliegen in der Luft sind die Flügel aufgrund ihrer Form ebenso wie der kurze Schwanz für wendige Manöver nicht geeignet. Die Augen der kleinen Vögel sind so ausgebildet, dass sie über Wasser ebenso gut sehen können wie darunter, sofern das Wasser ungetrübt ist. Tauchen Wasseramseln, verschließen sich über einen Reflex die Nasenlöcher und Ohren.


Beobachtungstipps zur Wasseramsel

Auffälligstes Merkmal: dunkelbraun mit weißer Kehle und Brust, gedrungene Form, kurzer Schwanz
Wann: ganzjährig
Wo: langsam fließende, sauerstoffreiche Gewässer in Mittelgebirgs- und Gebirgslagen
Was: Knicksen, Tauchen, Flugruf, Nestbau, Jungvögel


Informationen zum Thema:

Bauer H-G, Berthold P 1996: Die Brutvögel Mitteleuropas - Bestand und Gefährdung. Aula-Verlag, Wiesbaden.

Fünfstück H-J, Ebert A, Weiß I 2010: Taschenlexikon der Vögel Deutschlands. Quelle und Meyer Verlag, Wiebelsheim.

Gedeon K u.(in Druck): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten. Hohenstein-Ernstthal und Münster.

www.dda-web.de
www.bfn.de
www.bund-naturschutz.de
www.ritter-neuwied.de/natur/wasseramsel

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2013
60. Jahrgang, Dezember 2013, S. 481-483
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
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Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2014