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ZOOLOGIE/1346: Höhlenbär - Unflexible Ernährung führte zum Verschwinden des Großsäugers (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 23.08.2016

Höhlenbär: Ausgestorbener Veganer - Unflexible Ernährung führte zum Verschwinden des Großsäugers


Tübingen, den 23.08.2016. Senckenberg-Wissenschaftler haben die Ernährung des ausgestorbenen Höhlenbären untersucht. Anhand von Isotopenzusammensetzungen im Kollagen der Bären-Knochen zeigen sie, dass sich die großen Säugetiere rein vegan ernährten. Das internationale Team vermutet in seiner kürzlich im Fachjournal "Journal of Quaternary Science" erschienenen Studie, dass diese unflexible Ernährungsweise zum Aussterben der Höhlenbären vor etwa 25.000 Jahren führte.


Foto: © RBINS

Ausgewachsener Höhlenbär mit Jungtier aus den Höhlen von Goyet in Belgien.
Foto: © RBINS

Heutige Braunbären sind Allesfresser: Je nach Jahreszeit vertilgen sie Pflanzen, Pilze, Beeren, kleine und größere Säugetiere aber auch Fische und Insekten. "Ganz anders war das beim Höhlenbären", berichtet Prof. Dr. Hervé Bocherens vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen und fährt fort: "Nach unseren neusten Erkenntnissen waren diese ausgestorbenen Verwandten des Braunbären reine Veganer."

Höhlenbären (Ursus spelaeus) lebten in der letzten Kaltzeit vor etwa 400.000 Jahren in Europa, bis sie vor circa 25.000 Jahren ausstarben. Mit 3,50 Meter Länge und 1,7 Meter Schulterhöhe waren diese von Nordspanien bis in den Ural verbreiteten Bären deutlich größer als ihre heutigen Verwandten. Trotz ihres Namens lebten sie nicht in Höhlen, sondern hielten dort nur ihre Winterruhe. Dennoch kam es im Laufe von zehntausenden von Jahren durch den gelegentlichen Tod von Tieren in verschiedenen europäischen Höhlen zu enormen Ansammlungen von Knochen und Zähnen der großen Pelzträger.

Einige dieser Knochen aus den "Höhlen von Goyet" in Belgien hat das internationale Team rund um Bocherens nun hinsichtlich der Ernährungsweise der Höhlenbären untersucht. "Uns hat besonders interessiert, was die Bären gefressen haben und ob es Zusammenhänge zwischen ihrer Ernährungsweise und ihrem Aussterben gab", erläutert der Tübinger Biogeologe. Hierzu haben die Wissenschaftler aus Japan, Kanada, Belgien und Deutschland Isotopenuntersuchungen am Knochen-Kollagen der Bären durchgeführt. Kollagen ist ein wesentlicher organischer Bestandteil des Bindegewebes in Knochen, Zähnen, Knorpeln, Sehnen, Bändern und der Haut. Die Untersuchungen der Isotopenzusammensetzung einzelner Aminosäuren des Kollagens zeigen, dass sich die Bären rein vegan ernährten. "Ähnlich wie der heutige Pandabär waren die Höhlenbären demnach sehr unflexibel was ihre Nahrung betrifft", ergänzt Bocherens und fährt fort: "Wir gehen davon aus, dass diese einseitige Ernährungsweise in Kombination mit dem geringeren Pflanzenangebot während der letzten Eiszeit letztlich zum Aussterben der Höhlenbären führte."

Bisher wurde viel spekuliert, warum die großen Bären verschwanden: War es die zunehmende Bejagung durch den Menschen? Die Änderung der Temperatur oder die fehlende Nahrung? "Wir denken, dass die Bindung an eine rein vegane Lebensweise der ausschlaggebende Punkt für das Aussterben der Höhlenbären war", erklärt Bocherens.

Während der Untersuchungen ergab sich ein weiterer interessanter Aspekt: Auch das Kollagen von zwei Höhlenbär-Jungtieren deutet auf eine vegetarische Ernährungsweise hin - obwohl diese noch vom Muttertier gesäugt wurden. Die Wissenschaftler deuten dies als Spiegel der Ernährung der stillenden Höhlenbärmutter.

"Wir möchten nun weitere Höhlenbären-Knochen von verschiedenen europäischen Fundorten mit der neuen Methode untersuchen sowie kontrollierte Ernährungsexperimente mit heutigen Bären durchführen, um unsere These weiter zu festigen", gibt Bocherens einen Ausblick.


Publikation
Naito, Y.I., Germonpré, M., Chikaraishi, Y., Ohkouchi, N., Drucker, D.G., Hobson, K.A., Edwards, M.A., Wißing, C., Bocherens, H., accepted for publication. Evidence for herbivorous cave bears (Ursus spelaeus) in Goyet Cave, Belgium: Implications for paleodietary reconstruction of fossil bears using amino acid δ 15N approaches. Journal of Quaternary Science. DOI: 10.1002/jqs.2883


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Judith Jördens, 23.08.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2016

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