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ZOOLOGIE/825: Primaten - Schmutzige Geschäfte im Dschungel (lookit - KIT)


lookit - Ausgabe 1/2010
Das Magazin für Forschung, Lehre und Innovation
KIT - Karlsruher Institut für Technologie

Forschung im Urwald: Schmutzige Geschäfte im Dschungel

Biologin Alexandra Wenz untersucht die Gefahr menschlicher Darmparasiten auf frei lebende Primaten

Von Michael Rauhe


Bedrohen menschliche Siedlungen im Lebensraum der Primaten deren Gesundheit oder gar ihr Leben? Dabei steht nicht der Parasit Mensch im Visier der Wissenschaftler, sondern seine krankmachenden parasitären Darmuntermieter, die über Abfälle und Kot auch Affen infizieren können. Um diese Frage zu klären, hat Alexandra Wenz vom Zoologischen Institut 1, Abteilung Ökologie/Parasitologie, des KIT im peruanischen Dschungel zwei Mantelaffen-Arten beobachtet, die in der Nähe des Menschen leben.


Reiseziel der Forscherin ist eine windoffene Holzhütte mitten im Dschungel. Die nächste große Stadt Iquitos liegt etwa 70 Kilometer davon entfernt. Nach einer strapaziösen zweitägigen Bootsfahrt auf verschlungenen Nebenflüssen des Amazonas erreichen die Biologin und ihr peruanischer Assistent endlich die Forschungsstation. Im Projekt "Gastrointestinal parasites in populations of wild primates - the influence of human settlements", das DAAD und Landesgraduiertenförderung unterstützen, erforschen die beiden das Miteinander zwischen Affe und Mensch. Das Forschungsduo ist auf sich gestellt, umzingelt von urigem, 40 Meter hohen Primärwald und unzähligen blutdürstigen Moskitos. Für den Notfall gibt es ein Satellitentelefon. Ansonsten herrscht Funkstille. Das Dorf Diamante liegt einige Kilometer abseits des Dschungelcamps. Gegen fünf Uhr Morgens geht es los. "Man muss vor Ort sein, wenn die Affen aktiv sind", erzählt Alexandra Wenz, "denn sie starten von ihren Schlafbäumen gleich nach dem Aufwachen durch, um Nahrung zu suchen. Kommt man zu spät, ist die Affenbande weg."

Die kleinen, nur 500 Gramm schweren Tamarine gehören systematisch zur Gruppe der Krallenaffen. Einige Arten davon zählen zu den am stärksten bedrohten Neuweltaffen und leben ausschließlich im Amazonasbecken. Als tagaktive Waldbewohner verbringen sie den Großteil ihres Lebens in Bäumen. Sie leben in gemischtgeschlechtlichen Gruppen von drei bis zehn Tieren, die sich hauptsächlich von Früchten, Insekten, aber auch kleinen Vögeln ernähren. Alexandra Wenz hat ihre Forschungsobjekte an drei Standorten untersucht: am Dorf, rund um die Forschungsstation und tief im Urwald.

Die Biologin hetzt den Affen den ganzen Tag mit dem Fernglas hinterher. Zehn Stunden sind sie am Tag aktiv. Gewöhnlich klettern die Affen dicht unter den Baumwipfeln und kommen nur selten auf den Boden, es sei denn, ein fetter Grashüpfer lockt als leckeres Appetithäppchen. "Ich warte, bis sie ihr Geschäft verrichten, um dann ihren Kot als Probe zu sammeln", erläutert die Forscherin. Nach einigen Wochen Feldarbeit kennt sie jedes Tier und weiß, von welchem Affen welche Probe stammt. Damit sich die Biologin auf ihren Touren nicht verirrt, wird sie immer von einem Dorfbewohner begleitet. Der kennt außerdem alle giftigen lokalen Schlangenarten, vor allem weiß er, wo sie einem auflauern könnten.

Alexandra Wenz nimmt nicht nur Kotproben der Tamarine, sondern auch der Menschen und ihrer Haustiere im Dorf. Nur so kann sie herausfinden, ob es eine Übertragung von Affen auf Menschen oder umgekehrt gibt. Zuvor musste die Affenexpertin die Einheimischen erst einmal davon überzeugen, der Ausländerin ihre Stuhlproben zu überlassen. Als Gegenleistung erhalten sie eine kostenlose medizinische Untersuchung und - falls notwendig - die entsprechenden Medikamente.

Die Proben wurden inzwischen in Deutschland mikroskopisch ausgewertet. Die Analyse lässt keinen Zweifel: Eine direkte Übertragung von Wurmparasiten des Menschen auf die Tamarine ist nicht feststellbar. Im Affenkot finden sich Kratzwürmer (Acanthocephala), Bandwürmer (Cestoda) und bestimmte Fadenwurmarten (Nematoda). Bei den Menschen sind es andere Parasiten: die Fadenwürmer Ascaris, Trichuris, Strongyloides und Necator/Ancylostoma. Diese Unterschiede erklären sich vermutlich dadurch, dass die Äffchen als Baumbewohner nur wenige Möglichkeiten haben, direkt mit den Erregern der Menschen in Kontakt zu kommen. Auch das nicht so enge Verwandtschaftsverhältnis zwischen Mensch und Tamarin könnte ein Grund dafür sein.

Interessant ist ein anderes Ergebnis, weil es zeigt, dass die Anwesenheit des Menschen aus parasitologischer Sicht eine Bedrohung für die Affen darstellt: Die Parasitenspektren der einzelnen Tamarin-Gruppen ohne Kontakt zu menschlichen Siedlungen unterscheiden sich von denen, die im direkten Umfeld des Menschen leben. Nur in letzteren Tamarinen tummeln sich Kratzwürmer der Art Prostenorchis elegans. Dieser Parasit wird von Kakerlaken übertragen, die nachweislich vermehrt in der Nähe des Menschen auftreten.

Traurige Berühmtheit erlangte der Quälgeist Prostenorchis in den 1970er Jahren, als er unter Zooaffen viele Todesfälle auslöste. Die hohe Sterblichkeitsrate dieser Affen ging eindeutig auf die vom Darm aus in die Leibeshöhle vordringenden Parasiten zurück. Schaben waren damals in den Zoos allgegenwärtig, jedoch noch nicht als Überträger dieser gefährlichen Kratzwürmer bekannt. Die Dorf-Tamarine von Diamante infizieren sich wahrscheinlich nahe der Müllhalden der Menschen, wo sie die Schaben erbeuten, die den Larven des Parasiten als Wirt dienen.


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Quelle:
lookit - Ausgabe 1/2010, S. 28-30
Das Magazin für Forschung, Lehre und Innovation
Herausgegeben vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2010