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ZOOLOGIE/849: Fledermäuse verlassen sich auf ihre Ohren (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 2. November 2010

Fledermäuse verlassen sich auf ihre Ohren

Für das Ortungssystem von Fledermäusen hören sich alle glatten, horizontalen Flächen wie Wasser an - selbst wenn diese anders aussehen und riechen


Fledermäuse interpretieren glatte, horizontale Flächen als Wasser. Sie lassen sich davon auch nicht abbringen, wenn ihnen Augen, Geruch oder Berührung signalisieren, dass es sich um Metall, Plastik oder Holz handelt. Fledermäuse vertrauen ihren Ohren also mehr als allen anderen Sinnesorganen. Das liegt daran, wie glatte Flächen die Ultraschalllaute der Fledermäuse reflektieren: Sie wirken wie ein Spiegel. Da es in der Natur keine anderen ausgedehnten, glatten Flächen gibt, stellen diese Spiegeleigenschaften für Fledermäuse ein sehr gutes Erkennungsmerkmal für Wasser dar. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen haben in ihrer Studie insgesamt 15 Arten aus drei großen Fledermausfamilien untersucht, die alle versucht haben, von den glatten Flächen zu trinken. Dabei haben sie auch festgestellt, dass die akustische Wahrnehmung von Wasser angeboren ist. (Nature Communications, 2. November 2010)

'Großes Mausohr' (Myotis myotis), das dicht über eine Wasseroberfläche fliegend trinkt. - Bild: © Dietmar Nill, MPI f. Ornithologie

Trinkendes Großes Mausohr (Myotis myotis).
Bild: © Dietmar Nill, MPI f. Ornithologie

Wasser ist für alle Fledermäuse wichtig, denn sie müssen trinken. Viele Arten nutzen Flüsse, Teiche oder Seen aber auch zum Beutefang, denn Wasserinsekten sind weich und gut zu verdauen. Außerdem sind sie durch Ultraschalllaute gut wahrzunehmen, denn die Wasseroberfläche funktioniert wie ein Spiegel, der die Laute fast komplett wegreflektiert. Befindet sich aber ein Beutetier auf der Fläche, kommt von ihm ein Echo zurück.

Stefan Greif und Björn Siemers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie haben in ihrer Studie Wasserflächen simuliert und den Fledermäusen in einem großen Flugraum je eine glatte und eine strukturierte Platte aus Metall, Holz oder Plastik angeboten. Unter schwacher Rotlichtbeleuchtung beobachteten die Forscher, ob die Fledermäuse auf die Täuschung hereinfallen und versuchen würden, von der glatten Platte zu trinken. Sie trauten dann kaum ihren Augen: "Die Langflügelfledermaus hat beispielsweise in zehn Minuten bis zu 100 Mal versucht, von der glatten Fläche zu trinken", sagt Stefan Greif. Auch bei drei weitere Arten, dem Großen Mausohr, der Großen Hufeisennase und dem Wasserspezialisten Wasserfledermaus erzielten die Wissenschaftler ähnliche Ergebnisse bei allen drei verwendeten Materialen. Nur bei Holz unternahmen die Tiere unwesentlich weniger Trinkversuche. Um zu testen, wie weit verbreitet dieses Verhalten ist, haben die Wissenschaftler aus Seewiesen anschließend je ein Tier von 11 weiteren Arten aus drei Fledermausfamilien getestet - ebenfalls mit positivem Ergebnis. Zumindest unter den insektenfressenden Fledermäusen ist dieses Verhalten also weit verbreitet.

Zur Verblüffung der Wissenschaftler lernen die Tiere nicht, dass dieser akustische Spiegel kein Wasser ist. Es gab sogar Tiere, die zufällig auf der glatten Fläche landeten, wieder aufflogen, und nach einigen Flugrunden einen neuen Trinkversuch starteten. Selbst als die Wissenschaftler die Platten auf einen Gartentisch legten, flogen die Tiere teilweise erst unten durch und versuchten dann oben zu trinken, obwohl das keiner natürlichen Situation entspricht.

Eine Langflügelfledermaus (Miniopterus schreibersii) versucht, von einer Metallplatte zu trinken. - Bild: © Stefan Greif, MPI f. Ornithologie

Eine Langflügelfledermaus (Miniopterus schreibersii)
versucht, von einer Metallplatte zu trinken.
Bild: © Stefan Greif, MPI f. Ornithologie


Echoortung überstimmt andere Sinne

Die Information, dass eine glatte, horizontale Fläche Wasser bedeutet, scheint folglich im Fledermausgehirn fest verdrahtet zu sein. Doch wie werden die widersprüchlichen Sinneseindrücke dort verarbeitet? Die Metallplatte sieht ja nur in der Welt der Echoortung wie eine Wasserfläche aus, andere Sinnessysteme wie Sehsinn, Geruchsinn und Tastsinn vermitteln der Fledermaus ganz klar andere Informationen Die Wissenschaftler wiederholten ihre Versuche im Dunkeln, der Sehsinn war also dieses Mal nicht verfügbar. Das Ergebnis: Die Anzahl der Trinkversuche stieg von 100 auf 160 Mal in zehn Minuten. "Die Fledermäuse scheinen also die Sinnesinformationen zu verrechnen und gegeneinander abzuwägen, wobei die Echoortung alle anderen dominiert", erklärt Stefan Greif.

Zuletzt wollten die Wissenschaftler wissen, ob die akustische Information von Wasser den Tieren bereits in den Genen steckt. Dazu wiederholten sie die Versuche an Jungtieren, die noch nie mit einem See oder Fluss in Berührung gekommen waren. Flugunfähige Jungtiere wurden in einer Höhle mit ihren Müttern gefangen und von diesen in einem geschützten Raum weiter aufgezogen, bis sie fliegen konnten. Auch diese Tiere versuchten gleich beim ersten Kontakt von einer glatten Fläche zu trinken. Das Verhalten ist also nicht erlernt, sondern angeboren.

Nun mögen in der Natur alle glatten, horizontalen Flächen Wasserkörper sein, was aber ist mit den unzähligen menschgemachten glatten Flächen wie Dachfenster, Autodächer oder Wintergärten? Wenn die Fledermäuse so ausdauernd horizontale Spiegel für Wasser halten, versuchen sie dann auch, von diesen Flächen bis zur Entkräftung zu trinken? Diese Frage bleibt noch unbeantwortet. "Wir denken, dass die Fledermäuse draußen andere Möglichkeiten haben. Sie sind sehr ortstreu und haben vermutlich ihre etablierten Wasserflächen. Vielleicht probieren sie mal eine neue Fläche aus, ziehen dann aber weiter", spekuliert Stefan Greif. Künftige Studien sind aber nötig, um das Vorkommen, das Ausmaß und die potenzielle ökologische Konsequenz eines solchen Szenarios abzuschätzen.
[SP]


Originalveröffentlichung:
Stefan Greif & Björn Siemers
Innate recognition of water bodies in echolocating bats
Nature Communications, veröffentlicht online am 02.11.2010

Weitere Informationen erhalten Sie von:
Stefan Greif
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen
E-Mail: greif@orn.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation B / 2010 (246), 2. November 2010
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2010