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ZOOLOGIE/872: Trauern Schimpansen um ihre toten Kinder? (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 1. Februar 2011

Trauern Schimpansen um ihre toten Kinder?

Schimpansen-Müttern fällt es schwer, sich von gestorbenen Jungtieren zu lösen


Der Tod eines Jungtieres löst bei Schimpansen offenbar starke Verunsicherung und Verstörung aus. Diese Interpretation legen Filmaufnahmen von Forschern des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande, nahe. Die Beobachtungen von Katherine Cronin und ihrem Team liefern einzigartige Einblicke, wie Schimpansen, wie eine Schimpansen-Mutter auf den Tod ihres Kindes reagiert. Sie zeigt dabei Verhaltensweisen, die für den Umgang mit lebenden Kindern untypisch sind. So berührte es mit seinen Fingern den Hals des toten Jungen und legte dessen Körper auf den Boden einer Lichtung, um ihn aus einiger Entfernung zu betrachten.

Schimpansen-Mutter mit 1-Monat-altem Jungen. - © Katherine Cronin, Max-Planck-Institut für Phycholinguistik

Schimpansen-Mutter mit 1-Monat-altem Jungen.
© Katherine Cronin, Max-Planck-Institut für Phycholinguistik

Schimpansenmütter leben normalerweise mehrere Jahre lang in engem Kontakt mit ihren Nachkommen. Bis zum Alter von zwei Jahren tragen sie die Jungtiere ständig bei sich und versorgen sie mit Muttermilch, bis sie vier bis sechs Jahre alt sind. Die enge Mutter-Kind-Bindung bleibt auch nach der Entwöhnung noch mehrere Jahre lang bestehen und gehört zu den engsten Beziehungen im Leben eines Schimpansen.

Die Forscher machten ihre Beobachtungen im "Chimfunshi Wildlife Orphanage Trust", einem Reservat in Sambia. Hier leben in der Wildnis geborene Schimpansen, die aus illegalem Handel befreit wurden, in weiträumigen Gehegen zusammen. An der Studie waren neben Katherine Cronin und Edwin Van Leeuwen vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik auch Innocent Chitalu Mulenga von Chimfunshi-Reservat und Mark Bodamer von der Gonzana University in Washington State beteiligt. "Chimfunshi bietet einzigartige Möglichkeiten für Verhaltensbeobachtungen an Schimpansen unterschiedlichen Alters, die in großen sozialen Gruppen und unter natürlichen Bedingungen zusammenleben. Das Reservat verfügt über die größten Gehege weltweit und ermöglicht somit Beobachtungen, die denjenigen im Freiland sehr nahekommen", sagt Mark Bodamer von der Gonzaga University. Ein früher Tod

Cronin und ihre Kollegen beobachteten das Verhalten einer Schimpansin gegenüber ihrem 16 Monate alten Jungen, das kürzlich gestorben war. Nachdem sie das tote Jungtier mehr als einen Tag lang mit sich herumgetragen hatte, legte sie es auf einer Lichtung auf den Boden. Daraufhin näherte sie sich immer wieder und legte ihre Finger jeweils für mehrere Sekunden auf Gesicht und Hals des toten Jungen. Fast eine Stunde lang blieb sie in der Nähe des Leichnams, dann trug sie ihn zu einer Gruppe von Artgenossen und beobachtete, wie diese den Körper inspizierten. Am darauffolgenden Tag verließ sie ihr Junges.

Darüber, wie Menschenaffen auf den Tod eines nahen Verwandten reagieren, wie sie den Tod erfahren und ob sie trauern, ist bisher fast nichts bekannt. Die Max-Planck-Forscher glauben daher, Zeugen einer einzigartigen Übergangsphase geworden zu sein, in der die Mutter den Tod ihres Kindes begreifen lernt - ein Prozess, der bis dahin noch nie im Detail beschrieben worden war. Die Wissenschaftler vermeiden möglicherweise irreführende Interpretationen und stellen stattdessen ausführliche Videoaufnahmen bereit, die es dem Betrachter ermöglichen, sich selbst ein Bild davon zu machen, wie Schimpansen den Tod erfahren.

"Die Videos sind sehr wertvoll, denn sie zwingen den Zuschauer innezuhalten und darüber nachzudenken, was im Kopf unserer nächsten Verwandten vorgeht", sagt Cronin. Ob der Betrachter letztlich zu dem Schluss kommt, dass die Schimpansen-Mutter trauert oder den Leichnam einfach nur neugierig betrachtet, ist nicht annähernd so wichtig wie die Tatsache, dass die Leute sich einen Moment Zeit nehmen, um über die Möglichkeiten nachzudenken."


Enge Mutter-Kind-Bindung

Frühere Berichte dokumentieren, dass Schimpansen-Mütter ihre Jungen nach deren Tod noch Tage oder Wochen mit sich tragen. Dies zeigt, dass es für Schimpansen ausgesprochen schwierig ist, die Mutter-Kind-Bindung zu lösen. Die aktuellen Forschungsberichte ergänzen diese Beobachtungen und werfen ein neues Licht darauf, wie Schimpansen den Tod erleben. "Wir hoffen, dass wir mit genügend Beobachtungsmaterial eines Tages beurteilen können, wie nicht-menschliche Primaten den Tod begreifen und wie sie damit umgehen", sagt Cronin.
EM/HR


Originalveröffentlichung
Katherine A. Cronin, Edwin J.C. van Leeuwen, Innocent Chitalu Mulenga, Mark D. Bodamerm
Behavioral response of a chimpanzee mother toward her dead infant
American Journal of Primatology, online-Veröffentlichung 21. Januar 2011, DOI: 10.1002/ajp.20927

Ansprechpartner

Dr. Katherine Cronin
Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, Nijmegen
E-Mail: Katherine.Cronin@mpi.nl

Edwin van Leeuwen
Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, Nijmegen
E-Mail: Edwin.vanLeeuwen@mpi.nl


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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 1. Februar 2011
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2011