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FORSCHUNG/159: Wie nehmen Pflanzen das Licht wahr? (idw)


Justus-Liebig-Universität Gießen - 01.09.2008

Wie nehmen Pflanzen das Licht wahr?

Publikation der Gießener Pflanzenphysiologen und Marburger Strukturbiologen in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS)


Eine Arbeitsgruppe aus Pflanzenphysiologen und Strukturbiologen der Universitäten Gießen und Marburg ist einen wichtigen Schritt weitergekommen bei der Erforschung der Funktionsweise von so genannten Phytochromen. Dies zeigt eine Publikation in der renommierten US-amerikanischen Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America" (PNAS) unter dem Titel "The structure of a complete phytochrome sensory module in the Pr ground state", die in diesen Tagen erscheint.

Phytochrome sind Moleküle in Pflanzenzellen - und auch bei gewissen Bakterien -, die für die Wahrnehmung von Licht zuständig sind. Phytochrome sind sehr wichtig im Leben der Pflanzen, da sie die Keimung, das Wachstum der Sprosse, den Aufbau des Photosynthese-Apparats, die Reaktionen auf Schatten sowie die Einleitung der Blühphase steuern. Bis 1996 dachte man, dass Phytochrome ausschließlich bei Pflanzen vorkämen, aber damals - bereits als Postdoc an der Freien Universität Berlin - entdeckte Jon Hughes, heute Professor für Pflanzenphysiologie an der Universität Gießen, zusammen mit Kollegen das erste prokaryotische Phytochrom bei einer Art photosynthetischem Bakterium, und zwar in der Blaualge Synechocystis. Diese Arbeit wurde damals in der renommierten Wissenschaftszeitschrift "Nature" veröffentlich und hatte weitreichende Auswirkungen in diesem Forschungsgebiet.

Seitdem hat sich die Arbeitsgruppe von Prof. Hughes - wie auch andere Arbeitsgruppen weltweit - sehr intensiv mit diesem "Cph1" (cyanobacterial phytochrome) beschäftigt, da es besondere Vorteile für biochemische Studien mit sich bringt. Vor drei Jahren haben die Gießener Forscher gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Prof. Lars-Oliver Essen in Marburg Versuche gestartet, um Cph1-Kristalle zu bilden. Ziel dabei war es, die dreidimensionale Struktur des Moleküls mit Hilfe der Röntgen-Kristallographie zu klären. Dies ist den Forschern auch rasch gelungen, so dass man jetzt genau weiß, wie fast alle Atome in dem Molekül angeordnet sind. Somit beginnt man auch besser zu verstehen, wie dieses Molekül funktioniert. Das bedeutet: man weiß mehr darüber, wie die Aufnahme von Licht (also eines Photons) einen Umbau des Moleküls bewirkt, der dann auch die Biochemie der Zelle und schließlich die Physiologie der Pflanze fundamental verändert. Das Molekül (siehe Abbildung) besteht zunächst aus zwei ungleichen Kugeln, die durch einen langen spiralförmigen Stab verbunden sind - etwa wie bei einer Hantel. In einer der Kugeln befindet sich der Chlorophyll-ähnliche Farbstoff, womit das Licht aufgenommen wird. Die zweite Kugel trägt eine eigenartige "Zunge", die den Kontakt mit der anderen Kugel herstellt. Die Forschergruppe vermutet, dass diese Zunge als empfindlicher Sensor für die licht-getriebenen Veränderungen im Molekül dient. Was genau dann passiert, weiß man allerdings noch nicht. Interessant ist jedoch, dass die Struktur von Cph1 sehr auffällige Ähnlichkeiten mit zwei Gruppen von Enzymen zeigt, die eine wichtige Rolle bei der Signalleitung in tierischen und bakteriellen Zellen spielen. Eines dieser Enzyme ist übrigens das Zielmolekül des Potenzmittels "Viagra". Es könnte also sein, dass Phytochrome an ähnlich geartete Signalsysteme gekoppelt sind. So oder so bringt die Arbeit, die mit einer Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde, neue Einblicke in die Funktion des Phytochromsystems und neue Antworten auf die Frage, womit Pflanzen das Licht wahrnehmen und darauf reagieren.

Lars-Oliver Essen, Jo Mailliet, Jon Hughes:
Structure of a complete phytochrome sensory module in the Pr ground state,
Proceedings of the National Academy of Sciences USA, September 2008

Abbildung des Moleküls:

Die Cph1-"Hantel" besteht aus einer oberen Kugel (hier: grün, blau und gold), worin der kleine Farbstoff-Kofaktor (türkis) zu sehen ist, und einer kleineren Kugel unten (rot). Die Kugeln sind durch einen langen, spiralförmigen Stab verbunden (gold-rot, rechts), während eine einzigartige "Zunge" (rot, links-mittig) den Kontakt der unteren Kugel zur oberen herstellt. Die Forscher vermuten, dass die Zunge als empfindlicher Sensor für die Lichtaufnahme des Farbstoffs dient.

Abbildung der Kristalle:

Mit Hilfe von Robotern und langwierigen "screenings" am Infrarotmikroskop konnten die Forscher aus tausenden Ansätzen Bedingungen finden,unter denen Cph1-Kristalle gebildet werden. Da der Cph1-Photorezeptor Rotlicht absorbiert, erscheinen uns die Kristalle türkis-blau. In solchen Kristallen sind die Moleküle symmetrisch angeordnet, so dass sie Röntgenstrahlung streuen. Die Streuung wiederum gibt Auskunft über die atomare Struktur des Moleküls selbst. Im Röntgenstrahl der Grenobler und Hamburger Synchrotronen und nach aufwendigen mathematischen Verfahren konnte die 3D-Struktur des Cph1-Moleküls gelöst werden.

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:

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Das Molekül (siehe Bildunterschrift am Ende des Textes)

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Die Kristalle (siehe Bildunterschrift am Ende des Textes)

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Justus-Liebig-Universität Gießen, Christel Lauterbach, 01.09.2008
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2008