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KOMMENTAR/095: Metabolomics (1) Über "omics" zu eß-nics! - Der Mensch, ein stoffwechselgesteuerter Roboter (SB)


Metabolomics & More, 1. Teil

Über "Omics" zu eß-nics!
Der Mensch, ein stoffwechselgesteuerter Roboter


Die anglifizierten Zuordnungsbegriffe, mit denen Biowissenschaftler heute ihre einzelnen Spezialbereiche gegeneinander abgrenzen, erinnern den Laien an das kleine, von Albert Uderzo und René Goscinny erdachte Comic-Reich der Gallier, in dem schon das Suff"ix" am Ende des Namens die Verwandschaft zu einem fröhlichen, unbeugsamen und schlagkräftigen Völkchen kennzeichnet. Doch anders als bei Asterix und Co. sollte dem Interessierten an den sogenannten Omics-Wissenschaften (wie Genomics, Transcriptomics, Proteomics) und ihren Sonderfällen (wie Epigenomics, Nutrigenomics) das Lachen eher vergehen.

"Omics" steht für den umfassenden Zugriff durch vollständige Darstellung (z.B. die Gesamtheit aller Gene, aller transkribierten RNA, aller Proteine), der in der Praxis aufgrund technischer oder analytischer Einschränkungen nie tatsächlich in dem versprochenen Ausmaß noch mit den damit verbundenen funktionalen Anwendungen umgesetzt werden konnte.

Vom 10. bis 12. März 2010 stellte sich nun erstmals in Deutschland auf einem internationalen Wissenschafts-Symposium mit dem Titel "Metabolomics & More - The Impact of Metabolomics on the Life Sciences" (deutsch: "Der starke Einfluß von Metabolomics auf die Biowissenschaften") an der Technischen Universität München (TUM) eine weitere neue Biowissenschaft vor, die einen umfassenden Überblick und einen besseren, detailgenauen Zugriff auf den Stoffwechsel und darüber hinaus seine Kontrollfunktionen verspricht. So legte Prof. Hannelore Daniel in ihrer Einführung besonderen Wert auf den Leitsatz des bekannten Wissenschaftlers George F. Cahill:

"One can talk of the genome, the transcriptome, and the proteome, but the control is in the metabolome, the basis of metabolic homeostasis"
(George F. Cahill, Jr. Annu Rev Nutr. 2006; 26:1-22)

© Prof. Dr. Hannelore Daniel, TU München

© Prof. Dr. Hannelore Daniel, TU München

In diesem Bereich fühlt sich eigentlich jedermann zu Hause, weil wir von Kindesbeinen an lernen, daß wir mit möglichst gesunder Ernährung und dem richtigen Verhalten (neudeutsch "Lifestyle") Einfluß auf das Körpergeschehen und Wohlbefinden nehmen können. Auf einer Webseite des TUM werden Interessenten zum Thema "The Human Metabolome (HuMet) Study" u.a. mit folgendem Zitat auf den breiten Bereich der Anwendungsmöglichkeiten menschlicher Metabolomstudien hingewiesen:

Research Scope

Nutrients, non-nutrient components or xenobiotics are environmental factors that occur with a huge variability in dose and time in the daily diet. They hit a rather static genome, thereby affecting the function of a large number of proteins that are expressed in a certain cell, organ or organism. Alterations of mRNA and protein levels are critical parameters in controlling the flux of a nutrient or metabolite through a biochemical pathway.

Nutrients and non-nutrient components of foods, diets and lifestyle can affect essentially every step in the flow of genetic information from gene expression to protein synthesis, protein degradation and allosteric control of enzyme activity. Consequently, nutrients alter metabolic functions in the most complex ways.

[Übersetzung und Anmerkungen in Klammern Schattenblick-Red.:
Forschungsumfang

Nährstoffe, nicht als Nährstoff dienende Begleitstoffe oder Xenobiotika (körperfremde Stoffe u.a. Umweltschadstoffe) sind Umweltfaktoren, die in unterschiedlicher Dosierung und zu verschiedenen Zeiten in der täglichen Nahrung vorkommen können. Sie treffen auf ein eher statisches Genom und können deshalb die Funktion einer großen Anzahl von Proteinen beeinflussen, die in bestimmten Zellen, Organen oder Organismen exprimiert werden. Veränderungen in der mRNA sowie den Proteinspiegeln sind kritische Parameter, mit denen der Fluß der Nährstoffe und Metabolite auf den Wegen des Stoffwechsels kontrolliert werden kann.

Nährstoffe und andere Komponenten aus Lebensmitteln, Nahrung und Lifestyle (Verhaltensweisen, z.B. Rauchen/Nichtrauchen) können im Grunde jeden einzelnen Schritt der genetischen Informationsvermittlung beeinflussen, von der Genexpression über die Proteinsynthese, den Proteinabbau und der allosterischen Kontrolle der Enzymaktivität. Deshalb können Nährstoffe auf höchst komplexe Weise auf Stoffwechselfunktionen einwirken.]
(siehe auch: www.wzw.tum.de/nutrition)

Die subjektiven Größen, für jeden körperlich nachvollziehbar, sollen nun endlich mit der sich geradezu aufdrängenden Konsequenz wissenschaftlich belegt werden können, daß nur noch eindeutig im Stoffwechsel nachgewiesenes Wohlgefühl anerkannt und als gesund betrachtet werden kann. So könnte selbst die lebensbejahende These "Lachen sei gesund" (und demzufolge auch die Lektüre von Comics als Beitrag zum vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens, sprich Gesundheit laut WHO) demnächst wissenschaftlich angezweifelt werden, wenn sich dafür keine eindeutige Stoffwechselantwort (beispielsweise ein wünschenswerter Sauerstoffumsatz) finden läßt ...

Allerdings ist ein revolutionäres Umdenken wohl kaum zu erwarten. Was sollte denn bei statistischen Verfahren und numerischen Bewertungskriterien anderes herauskommen, als die Bestätigung und Festschreibung von jenen Thesen, die ohnehin schon lange bevorzugt werden und in ihrer weiteren Konsequenz zumeist die Verantwortung für den eigenen Gesundheitszustand an die Betroffenen zurückgeben? Daß Rauchen schädlich ist, zuviel Essen dick macht und beide Verhaltensweisen Schuld an den modernen Zivilisationskrankheiten (Herzkreislauferkrankungen, Adipositas, Diabetes) haben, wären wohl die wichtigsten Bezichtungsargumente in der gesundheitspolitischen Diskussion, die aber bisher auch ohne eigene, gebietsübergreifende Disziplin zur Analyse des Metabolom ausgekommen ist.

Die Frage, warum Biochemie als Wissenschaft nicht mehr ausreicht, warum ständig neue untergeordnete und gleichzeitig übergreifende Gebiete definiert werden müssen, bleibt ebenfalls unbeantwortet im Raum stehen. Dabei drängt sich schon, wenn man die Themenkreise des Münchner Symposiums und die Forschungsfelder seiner Initiatoren betrachtet, eine naheliegende und essentielle Antwort geradezu auf, zumal auch die Omics-Disziplinen alle unter dem Dach der sogenannten im neudeutschen Fachjargon "Life-Science" (= Lebens-Wissenschaften bzw. früher Biowissenschaften, (Bio = griech. Leben)) stattfinden. Schließlich wird Leben biologisch nicht anders als durch stattfindenden Stoffwechsel definiert und der setzt neben Sauerstoff vor allem Nahrung bzw. Nährstoffe voraus. Letztere sind allerdings im großen Rahmen des allgemeinen Nahrungsmittelmangels nicht mehr selbstverständlich und für alle Menschen gleichmäßig verfügbar. Und auch Sauerstoff ist eine begrenzte, wenn auch noch nicht gefährdete Ressource.

In seiner Ansprache machte Prof. Dr. Thomas Hofmann, Vizepräsident der Technischen Universität München, Inhaber des Lehrstuhls für Lebensmittelchemie und Molekulare Sensorik und Leiter der Abteilung Bioanalytik des Z I E L (Zentralinstitut für Ernährungs- und Lebensmittelforschung) schon auf die eigentliche Stoßrichtung der Veranstaltung aufmerksam:

Im Bereich der Lebensmittel- und Ernährungsforschung muss es uns gelingen, die Auswirkungen funktioneller Lebensmittelinhaltsstoffe auf das menschliche Stoffwechselgeschehen quantitativ zu erfassen. Mit moderner Analytik werden wir in die Lage versetzt, mit hoher Auflösung die Dynamik unseres Stoffwechsels und die interindividuellen Unterschiede als einzigartigen Fingerabdruck des Menschen zu charakterisieren. Das ist heute noch die Avantgarde in der Forschung, ist jedoch nötig, um die Fragen von Morgen zu beantworten.
(idw, 11. März 2010)

"Ernährungs- und Lebensmittelforschung für die Zukunft gestalten" ist auch das Leitthema des ehrgeizigen Reformprojekts Z I E L an der Technischen Universität München, das sich als Schnittstelle für Lebensmittel-, Ernährungs- und Gesundheitswissenschaften versteht. Was aber sind die "Fragen von Morgen" vor dem Hintergrund schwindender Nahrungsressourcen?

Ein Stichwort wird in dem Zitat von Prof. Hofman schon genannt: funktionelle Lebensmittelinhaltsstoffe und somit funktionelle Lebensmittel. Hinter positiv besetzten, futuristischen Begriffen wie Novel food, Functional Food oder Nutraceuticals, d.h. mit vermeintlich gesundheitsfördernden Zusätzen versehene, deutsch: funktionelle bis pharmazeutisch wirksame Lebensmittel, könnte sich u.U. der hilflose Versuch verbergen, den Menschen langsam an eine zunehmend synthetische oder zumindest gentechnisch veränderte Nahrung zu gewöhnen. Der Eingriff der Lebensmitteltechnologie für Functional Foods reicht von Nahrungsergänzungsstoffen wie Vitaminen über sogenannte genmanipulierte Produkte wie bestimmte enzymbildende, kariesverhindernde Äpfel, "goldener" (Vitamin-A-haltiger) Reis bis hin zu fettreduzierten oder mit unverdaulichen Surrogaten versehenen Diätprodukten gegen Adipositas, Diabetes und dergleichen.

Der junge Wissenschaftsbereich Metabolomics verspricht nun mittels neuer Analysemethoden und einem detailgenauen Überblick über die Gesamtheit aller Stoffwechselprodukte, an dem sich leicht erfaßbare Veränderungen durch Umwelteinflüsse schnell erkennen lassen sollen, u.a.:

a) eine durchaus schnellere toxikologische Überprüfung von ergiebigeren, genmanipulierten Nutzpflanzen, um die langfristigen Zulassungsverfahren und Unbedenklichkeitsnachweise erheblich abzukürzen.

b) eine Bestimmung sämtlicher Nährstoffe in der Nahrung, die sich mittels Kohortenstudien als schädlich für die Gesundheit erweisen, und deren dann damit begründete, mögliche Reduktion in den Lebensmitteln.

c) eine schnellere und leichtere toxikologische bzw. gesundheitsrelevante Überprüfung von Lebensmittelzusätzen (künstliche Aromen, Stabilisatoren, Konservierungsmitteln) bzw. Lebensmittelergänzungsmitteln (Vitamine u. dgl.)

Diese an sich schon fragwürdigen, aber allgemein noch im Sinne einer besseren Gesundheitsgewährleistung interpretierten, beispielhaften Ansätze, rufen in ihrer letzten Konsequenz eine Science Fiction Vision auf den Plan, die schon teilweise in dem Filmklassiker Soilent Green zur Sprache kam: Verwertung um jeden Preis und Konzeption einer Minimalnahrung, die jeden Menschen gesund und leistungsfähig halten soll, anders gesagt: wissenschaftlich fundiertes, zweckmäßiges und vom Probanden akzeptiertes Hungern.

Die Möglichkeit solcher Lösungen und Konzepte soll nun offenbar entgegen der allgemein schlechten öffentlichen Akzeptanz von genmanipulierter Nahrung und Lebensmittelsurrogaten (wie den unlängst in den Mittelpunkt der Medien gerückten Analogkäse) über die Einführung von breitangelegten Metabolomics-Studien gesellschaftsfähig gemacht werden. Denn was mit einer Riesenmenge erhobener Biodaten am Ende als "gesunde und richtige" Ernährungsweisen gewissermaßen zum Naturgesetz erhoben wird, kann kein Normalsterblicher mehr durchschauen.

Auch die komplexen Wissenschaftszentren in München benötigen hierfür vor allem Biostatistiker und Bioinformatiker, welche die Arbeit des Computernetzwerks aus zahllosen Rechnern und die richtige Auswertung überwachen. Wenn sich dabei unter welchen Vorgaben auch immer herausstellen sollte, "Lachen sei doch nicht so gesund, wie gemeinhin angenommen..." kann man das nur noch glauben.

Eins ist sicher, was immer an menschlichen Verhaltensweisen den Unmut der vorherrschenden Interessen erregen sollte, weil sie den Betroffenen möglicherweise weniger paßförmig für die gesellschaftlichen Normen werden lassen (wie der Konsum subversiver Lektüre wie Comics, um bei diesem Beispiel zu bleiben) - hier wäre tatsächlich ein möglicher Ansatzpunkt gegeben, über die nachweisliche Gesundheitsgefährdung oder ausbleibende metabolome Bestätigung des Wohlergehens die Einschränkung solchen Verhaltens zumindest aus gesundheitlichen Gründen nahezulegen.

Selbst die heute noch undenkbar scheinende, aber bereits in SF- Visionen nahegelegte und vorgedachte Lösung des zunehmenden Welternährungsproblems, nämlich nutzlose Mitglieder der Gesellschaft schlicht zu eliminieren und aufzuessen, würde mithilfe dieser neuen Techniken über "Gender"forschung und "Geriatrics"- gestütze Ernährungsvorstellungen und entsprechend in Alterskategorien eingeteilte Lebensmittel ebenfalls ganz subtil und unbemerkt durchführbar. Wird nicht schon heute älteren Menschen "ganz vernünftig" eine Umstellung der Nahrung angeraten? "Alte", so heißt es ganz offiziell, brauchen nicht mehr so viel Nahrung wie "Junge" und vor allem Nahrung mit anderer Zusammensetzung. Viel Wasser und Vitamine sind wichtig, Fett, Eiweiß und Kohlehydrate sind für sie viel zu ungesund ...

So abwegig diese Vision auch scheinen mag, laut Broschüre des Z I E L widmet sich die Abteilung Biochemie unter der Leitung von Prof. Dr. Hannelore Daniel neben anderen Themen durchaus der Rolle von "Ernährung/Nahrungsfaktoren bei Alterungsprozessen" [1]. Unter den auf seiner Webseite aufgeführten Originalarbeiten des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin (EKFZ), dessen Leiter, Prof. Dr. med. Hans Hauner auch für die Abteilung Ernährungsmedizin am Z I E L zuständig ist, findet sich darüber hinaus der Hinweis auf eine Studie, die sich explizit mit der "ausdehnbaren Unterdrückung des Hungergefühls älterer Menschen" unter bestimmten Bedingungen [2] beschäftigt. Die technischen Voraussetzungen, solche Denkansätze konsequent weiter zu verfolgen, wären rein theoretisch durch großangelegte Kohorten-Metabolomic-Studien oder Metabolomic-Studien gegeben, die gebietsübergreifend für alle Stoffwechsel und gesundheitsrelevanten Themen in den Bereichen Biochemie, Biofunktionalität, Klinische Ernährungsmedizin, Molekulare Ernährungsmedizin, Mikrobiologie und Physiologie u.a. die wissenschaftliche Dokumentation faktisch unterstützen sollen.

Was man sich angesichts derart zugegebenermaßen drastischer, aber doch vorstellbarer Zukunftsaussichten und der weltweit schon über eine Milliarde Hungernder nun tatsächlich von dem jüngsten Zweig der Omics-Wissenschaften verspricht, der, wie "impact" im Symposiumstitel impliziert, wie eine "Bombe in die Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften einschlagen soll", war für den Schattenblick Grund genug, das Thema und einige spezielle Bereiche, die unter den Oberbegriff Metabolomics fallen, genauer zu beleuchten. Immerhin geben, wie Prof. Hannelore Daniel sagt, dafür zahllose "Wissenschaftler und Kollegen ihr Herzblut", noch viel mehr Menschen aber zu Studienzwecken real Blut und Biodaten ...

Fortsetzung...

Anmerkungen:
[1] Broschüre der Technischen Universität München, Z I E L Zentralinstitut für Ernährung- und Lebensmittelforschung, "Wissenschafltiche Exzellenz - Ernährung, Gesundheit Lebensmittel", Seite 8

[2] Bauer JM, Haack A, Winning K, Wirth R, Fischer B, Uter W, Erdmann J, Schusdziarra V, Sieber CC. Impaired Postprandial Response of Active Ghrelin and Prolonged Suppression of Hunger Sensation in the Elderly. J Gerontol A Biol Sci Med Sci, 2009;

© Helmholtz Zentrum München

© Helmholtz Zentrum München In diesen Life-Science Zentren ...


©  ZIEL / TU München

© ZIEL / TU München ... werden die "Fragen von Morgen" beantwortet

14. April 2010