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KOMMENTAR/096: Metabolomics (2) Gesundheitskontrolle als Vorsorge verschleiert (SB)


Metabolomics & More, 2. Teil

Gesundheitskontrolle als Vorsorge verschleiert
Wie man aus Biodaten Zukunft macht


"Also die Metabolomik", erläuterte Prof. Dr. Hannelore Daniel gegenüber dem Deutschlandradio, "beschreibt eigentlich die ganzen Methoden, die wir heute nutzen können, um die kleinen Moleküle, die in einer Körperzelle sind, und die im Blut des Menschen zirkulieren, umfassend abzubilden." Anders gesagt: Der Begriff "analytische Methodik" (Daniels selbst nennt es auch die "methodische Plattform") umschreibt das Thema durchaus umfassend und würde normalerweise jedem Experten reichen, wenn es sich nur um die Erfassung von Luft-, Wasser-, Umweltdaten, um eine Aufstellung aller unerwünschter Begleitstoffe in chemischen Produktionsstätten, um Emissionswerte oder um die chemische Zählung und Identifizierung irgend einer anderen Art von Müll handeln würde.

Doch in diesem Falle geht es um Biodaten, die über individuelle Stoffwechselprozesse und möglicherweise auch über unterschiedliche Verhaltensweisen Aufschluß geben sollen. Bei der Erfassung und molekularen Aufschlüsselung humaner Neben- und Abfallprodukte geraten Forscher unverhältnismäßig ins Schwärmen. Und das hat möglicherweise einen ganz profanen Grund: Um diese Abfallprodukte aufzufangen, brauchen sie Menschen oder besser gesagt: Menschenmaterial wie Blut- und Urinproben. Um den potentiellen menschlichen Probenspender dazu zu bringen, "freiwillig" einer "guten Sache" zu dienen, können Ziele wie "das menschliche Metabolom grundlegend zu charakterisieren", "Krankheiten frühzeitig zu erkennen", gar nicht groß genug sein. Doch läßt sich "krank" von "gesund" im Molekülemuster humaner Stoffwechselumsetzungs- bzw. Abfallprodukte so einfach unterscheiden?

"Wenn Sie so wollen, können wir mit den neuen Methoden, insbesondere auch der Massenspektrometrie, ein Bild generieren mit hoher Auflösung wie mit einer Digitalkamera für alle diese kleinen Moleküle, die in Zellen synthetisiert werden, die aus der Nahrung stammen zum Teil und zum Teil eben auch als Stoffwechselendprodukte ausgeschieden werden."
(Deutschlandradio, 10. März 2010, 14:24 Uhr Prof. Dr. Hannelore Daniel im Gespräch mit Jens Mickler)

Dieses Bild sagt dem Laien eigentlich nichts, zumal ganz wörtlich ein in viele quadratische Pixel aufgerastertes, vergröbertes, virtuelles Photo nicht unbedingt einen tieferen Einblick in die Zusammensetzung der abgelichteten Objekte liefert, schon gar nicht bei Stoffwechselprodukten. Auch dem Interviewpartner von Prof. Daniel drängte sich spontan die Frage auf: "Für was ist das nützlich?"

Das konnte die Expertin nicht direkt beantworten, denn tatsächlich ist die Metabolomik (die Analytik zur Abbildung des gesamten Stoffwechselgeschehens) zu diesem Zeitpunkt außerhalb der Grundlagenforschung nicht praktisch anwendbar, und somit nicht oder nur sehr bedingt praktisch "nützlich", auch wenn die Münchner Forscher u.a. mit einer eigenen Initiative "MuFuMet" (Munic Functional Metabolomics Inititative) schon jetzt vehement die Werbetrommel für diesen neuen Wissenschaftszweig rühren.

"MuFuMet" ist ein Zusammenschluß unterschiedlicher Wissenschaftler aus Akademie und Industrie, die sich die koordinierte Erforschung der Metabolomik zum Ziel gesetzt haben. Die Gruppe besteht naheliegenderweise aus Experten der Analytik, strukturellen Biologie, Biochemie, Lebensmittelchemie, Humanernährung und Ökotoxikologie, die sich von einer breitangelegten Erhebung von Biodaten für ihren Aufgabenbereich viel versprechen und deshalb einen Beitrag zum gemeinsamen Ziel leisten wollen, der dann weitere (Nachfolge-) Projekte ermöglicht. Anders gesagt, wollen sie die Nützlichkeit (das gesamte menschliche Stoffwechselgeschehen abzubilden) durch interaktive Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen nachweisen, um damit also das Sammeln von noch mehr Blut bzw. Biodaten und anderen medizinisch relevanten Fakten zu rechtfertigen. Die vom reinen Forschungsdrang legitimierte Sammelwut scheint zum Selbstzweck zu entufern.

© Helmholtz Zentrum München

© Helmholtz Zentrum München Metabolomics braucht ...

© Helmholtz Zentrum München

© Helmholtz Zentrum München ... viel Blut


Metabolomics - eine soziale Blase?

Dabei befinden sich die Metabolomiker in guter Gesellschaft. Bisher geht es ihnen mit dem Metabolom ähnlich wie seinerzeit der Humangenomforschung, als die vollständige Auflistung der Gene etwa so umschrieben werden mußte, man habe zwar die Buchstaben eines Buchs, aber die Semantik und Grammatik, um Worte und Sätze daraus zu bilden und ihren Sinn zu verstehen, fehle vollkommen. Mithilfe von Assoziationsstudien und modernen Computerauswertungsverfahren sollten die Interpretationen dieses Buchstabensatzes zwar in ungeahntem Tempo vorangetrieben werden, bezogen sich jedoch vor allem auf einzelne "Buchstabenabschnitte". Letztlich stammen die wenigen Einsichten von einzelnen Wissenschaftlern, die spezielle Gene in allen Details untersuchten.

D.h. von der Entzifferung oder Decodierung des Gesamt-Genoms zu sprechen, war nicht nur sprachlich ein Mißgriff, sondern dieser Vorgang hat im Sinne des Wortes nie richtig stattgefunden.

Auch die großen Versprechen des mit beispiellosen Geldmitteln geförderten Großprojekts wie u.a. neue, auf das Individuum und den Bedarfsfall zugeschnittene Medikamente zu entwickeln, konnten bisher nicht im Ansatz erfüllt werden. Kritiker, die den Aufwand im Vergleich zum Ergebnis bemängeln, gibt es inzwischen viele. So zitiert Robert Czepel in einem Beitrag vom 24. März 2010 (science.ORF) die Schweizer Historikerin Monika Gisler und ihre beiden Kollegen von der ETH Zürich, Didier Sornette und Ryan Woodard, die in einer kürzlich veröffentlichten Studie bezüglich des Humangenomprojekts von einer "sozialen Blase" sprechen: "Ihre These: Die Entzifferung des menschlichen Genoms wurde von einer Welle kollektiver Euphorie begleitet - der Nutzen des Projekts habe sich indes als bescheiden erwiesen."

Vor dem Hintergrund der Hypothese sozialer Blasen kann man derlei Sprachver(w)irrungen auch als Werbemaßnahmen betrachten, dem Motto folgend: "Besser dick als dünn auftragen". Das soll wohl Finanziers überzeugen und die Öffentlichkeit gewogen machen, sofern staatliche Gelder verwendet wurden. [1]

Und diese Strategie scheint man nun auch auf andere Großprojekte der "Omics"-Wissenschaften zu übertragen. Laut Czepel wäre das "Human Proteome Project" ein möglicher Kandidat, der HGP-Nachfolger auf Proteinebene. Dem schließt sich dann auf der Stoffwechselebene Metabolomik mit "HuMet" (neudeutsch: The Human Metabolome (HuMet) Study) an, welche die Grundcharakterisierung des menschlichen "Metaboloms" unter definierter Ernährungsintervention zum Ziel hat. Dafür sind die Labore des Helmholtz-Zentrums mit Analysegeräten ausgerüstet, mit der eine Vielzahl von niedermolekularen Stoffen in biologischen Systemen gleichzeitig erfaßt werden können. Für die den Genomics nachfolgenden Proteomics faßte die Kritikerin ihre Prognose wie folgt zusammen:

Gibt es auch hier eine Inflation der Hoffnungen? Monika Gisler: "Sagen wir es so: Der Enthusiasmus der Beteiligten weist zumindest auf eine Blase hin." [1]

Von mitreißendem Enthusiasmus ist auch die jüngste Omics-Wissenschaft getragen, wie Hannelore Daniel wohlwollend in einem kleinen Film der TU München über die Gemeinschaftsstudie HuMet bestätigte:

Daniel: "Und das betrifft mittlerweile 7 Partner. Die alle machen an dieser Studie [HuMet] mit, aus purer Freude an der Wissenschaft. Und das ist ein ganz tolles Erlebnis: So viele begeisterte Kollegen zu haben, die mit Herzblut an einer solchen gemeinsamen Aktivität partizipieren." [8]

Nicht nur die Folgerung, viel Lärm um nichts zu sein, ist statthaft. Auch die Grenzen der Nachweismöglichkeiten sind ganz offensichtlich. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Moleküle läßt sich bisher weder eine vollständige Analyse garantieren, noch kann man über die geklärten Stoffwechselprodukte charakteristische Aussagen treffen. Und so wird es auch bei der vermeintlich grundlegenden Charakterisierung des Gesamtgenoms bei einem Stückwerk aus individuellen Einzelaussagen zu bestimmten Stoffwechselsituationen, z.B. Diabetes, bleiben, die dann in allen Details untersucht werden. Dazu schrieb unlängst Stephanie Lahrtz in der Neuen Zürcher Zeitung online:

Im Gegensatz zu ihren Genomics-Kollegen stehen die Metabolomics-Forscher noch vor deutlich grösseren technischen Schwierigkeiten. Denn da sich Stoffwechselprodukte chemisch sehr stark voneinander unterscheiden, existiert bis heute keine Methode, mit der sich alle Metaboliten aus einer Zelle oder einer Körperflüssigkeit in nur einem Arbeitsgang isolieren lassen. Auch die im Anschluss an die Isolation der Metaboliten verwendeten Analysemethoden, meist Kernspinanalysen oder spezielle massenspektrometrische Verfahren, können nie alle Metaboliten erfassen.
(Neue Zürcher Zeitung online, 20. Januar 2010)

Statt dessen werden viele Analysen mit unterschiedlichen Bedingungen durchgeführt, die aber nur als Teilaussagen gewertet werden können. In einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung der Technischen Universität München, einen Monat nach dieser Veranstaltung, heißt es speziell hierzu:

"Die HuMet-Studie war eigentlich die Initialzündung für das ganze Gebiet", freut sich TUM-Lebensmittelchemiker Thomas Hofmann. "Bei der Munich Functional Metabolomics Initiative haben sich alle mit uns zusammengetan, die im Großraum München Interesse an einer Fortentwicklung der Metabolomik haben, etwa die Kollegen vom Helmholtz Zentrum München." Jeder teilnehmende Forscher bekam von allen Plasma- und Urinproben einen Teil ab und wertet diesen jetzt mit seinen speziellen Messmethoden aus.
(idw, 9. April 2010)

Viele weitergehende und nachfolgende Proben neben breitangelegten Reihenuntersuchungen sind die logische Konsequenz dieses Vorwandes, den wissenschaftlichen Nutzen, der sich mittels Metabolomik ziehen läßt, überhaupt erst einmal nachzuweisen. Neben großen Mengen an vergleichbaren Stoffwechseldaten, sind jedoch logischerweise auch andere persönliche oder medizinische Daten zu erheben, um assoziative Beziehungen zwischen diesen Daten herstellen bzw. längst bestehende Thesen oder Vermutungen statistisch belegen, Korrelationen festlegen oder Aussagen treffen zu können, die irgendwann die wissenschaftlich-rechtliche Grundlage schaffen, eine Totalüberwachung von großen Lebensräumen als verblendete Gesundheitsbetreuung zu rechtfertigen.

Das allerdings könnte durchaus nützlich sein, um fernerhin Einfluß auf Ernährungs- und Lebensgewohnheiten zu nehmen, wie wir es schon im ersten Teil dieser Reihe angedeutet haben.

Daß diese Untersuchungsansätze sehr viel umfassender sein müssen, als alles, was man bisher in dieser Richtung unternommen hat, läßt sich schon daraus ablesen, daß die Proben, die gewissermaßen bei einer der längst laufenden sogenannten Kohortenstudien wie die KORA-Studie (Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg s.u.) für die Metabolomik-Forscher abfielen, ebenfalls nur wenige einzelne Anhaltspunkte für das Stoffwechselgeschehen liefern konnten.

So hatten laut einer Pressemitteilung im November 2009 Prof. Karsten Suhre und seine Kollegen von der Metabolomics-Plattform des Helmholtz Zentrums München in einer umfangreichen Metabolomics-Studie im Blutserum von insgesamt 284 männlichen Probanden jeweils 363 Metaboliten untersucht.

Dabei ergab sich, dass durch Kaffeekonsum zwei Klassen von Lipiden beeinflusst werden: die Konzentration der Sphingomyeline steigt an, während die der Acylcarnitine abnimmt. Die Proben stammten aus der Bevölkerungskohorte KORA [...] [2]

Für die Entdeckung von immerhin neun Genvarianten, die mit Veränderungen im Fettstoffwechsel zu tun haben, von denen zwei als Varianten in den bereits bekannten Diabetes-Risikogenen MTNR1B und GCKR identifiziert und mit Stoffwechselveränderungen in Zusammenhang gebracht werden konnten, wurden gezielt 163 Metabolite bei 1.800 Proben von Probanden überprüft. [3] In der dazugehörigen Pressemitteilung hieß es u.a.:

Die in der Studie identifizierten Varianten verursachen zumeist Unterschiede in der Verstoffwechselung wichtiger Fettbausteine des Körpers. Zudem ist für viele bereits bekannt, dass sie mit einem erhöhten Krankheitsrisiko einhergehen, z.B. für Stoffwechselstörungen, allen voran Diabetes. [3]

Wurde also schon direkt nach Stoffwechselveränderungen gesucht, die man bereits mit Diabetes in Zusammenhang sieht, um damit bestimmte Genvarianten als Risikogene zu "assoziieren"? Auch hier drängt sich die bereits oben gestellte Frage auf, "für was ist das nützlich?"

Nun, mit der Korrelation zum Reizthema Diabetes, das angesichts von derzeit acht Millionen Diabetikern in Deutschland die Krankenkassen mit jährlichen Kosten von etwa 22 Milliarden Euro belastet, lassen sich auch bei nicht wirklich relevanten Scheinergebnissen doch sehr viel leichter weitere großangelegte HuMet-Studies, Hungerstudien (u.a. sogenannte Follow-up-Studien), rechtfertigen und gegebenenfalls Sponsoren motivieren, das auch zu bezahlen.

Massive Datenerhebungen sind längst in Vorbereitung, wie sich unter Informationen über die HuMet-Studie auf der Webseite des Human Study Center nachlesen läßt:

Dazu wurden junge stoffwechselgesunde Männer in die Testeinheit aufgenommen und unter streng standardisierten Bedingungen verschiedenen Tests (Fasten, definierte Mahlzeiten, körperliche Aktivität, Kältestress) ausgesetzt. In engen Intervallen wurden verschiedene Bioproben (Blut, Urin, Ausatemluft) gesammelt und für mehrere technologische Plattformen (Massenspektrometrie, NMR etc.) bereitgestellt. Es handelt sich dabei um eine Referenzstudie, die Standards für Belastungstests definieren und einen Abgleich der methodischen Plattformen ermöglichen soll. Das dabei entstehende Münchner Metabolom-Netzwerk (MuFuMet) bietet exzellente Perspektiven für eine moderne Ernährungsforschung am Menschen.

Virtuelles Diabetes-Institut

Gemeinsam mit Partnern des Helmholtz Zentrums München [Prof. Wichmann, PD Dr. Illig] und der LMU [Prof. Seissler] wird die Interaktion zwischen Genotyp und Umwelt im Kontext Diabetes näher charakterisiert [Verbundprojekt: "Molecular basis of glucose regulation and type 2 diabetes"]. Dabei werden sorgfältig phänotypisierte Personen mit ausgewählten diabetesrelevanten Genotypen definierten Mahlzeiten ausgesetzt und in engen Abständen die dynamischen Veränderungen im Stoffwechsel abgebildet. [4]

Die bis dahin immer noch nicht nützlichen Stoffwechseldaten werden gesammelt und in Datenbanken und Netzwerken für die systembiologische Datenverarbeitung bereit gehalten. Mittels entsprechender numerischer Verarbeitungs- und Auswertungsmethoden ließen sich die mühsam ermittelten Daten auch fernerhin für andere Fragestellungen auswerten. Und das ist bei vermeintlich medizinisch relevanten und daher ermittelten Stoffwechseldaten vermutlich sogar wesentlich leichter, als bei mit Fragen der Ethik belasteten Humanen Genom-Daten, deren Gewinnung und Verwertung durch das neue Gendiagnostikgesetz genau geregelt ist [5].

Bereits laufende Reihenuntersuchungen wie die KORA-Studie des Helmholtz Zentrums München mit etwa 18.000 Probanden (zwischen 25 und 74 Jahren) müßten nur unter dem Vorwand, in "Follow-up"-Untersuchungen gesundheitlich relevante Zusammenhänge darzustellen, durch geringe Erweiterungen der Fragebögen oder neuere Rekrutierungen entsprechend ergänzt werden, um jede Einzelheit menschlichen Verhaltens oder Lebens zu bewerten.

Die Abkürzung KORA steht für die Forschungsplattform "Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg", die 1996 von der GSF ("Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit", Neuherberg) initiiert wurde und bereits populationsbasierte Kohortenstudien zu den breitgefaßten Themenbereichen der Gesundheitsökonomie, Epidemiologie und Versorgungsforschung durchführt [7]. Auch dieses Großprojekt ist im Grunde schon ein Follow-up Unternehmen des WHO-Projekts MONICA Augsburg ("Monitoring Trends and Determinants in Cardiovascular Disease"), für das von 1984/85 bis 1999/2001 im Raum Augsburg vier bevölkerungsbasierte sogenannte "MONICA-Surveys" [survey = Untersuchung] durchgeführt wurden, in deren Rahmen man Daten zur Mortalität, Letalität und Inzidenz an koronarer Herzkrankheit erhob.

Aus 430.000 Einwohnern der Region Augsburg zwischen 25 und 74 Jahren wurden die bisherigen Studienteilnehmer per Zufallsprinzip bestimmt. Und diese Follow-up-Studien umfassen jetzt schon laut Altmaier [7] neben den Informationen zu Herz-Kreislauferkrankungen eine Vielzahl von Parametern aus den Bereichen Soziodemographie, Umweltfaktoren, Ernährung, Rauchverhalten, Krankheiten und Medikation, sowie Labormeßwerte mit Relevanz für verschiedene Erkrankungen. Es scheint auch nicht von ungefähr, daß einer der Sponsoren der Metabolomik-Öffentlichkeitsarbeit, die Firma 'Biocrates Live Science GmbH, Österreich' ist. Denn ein Großteil der Analysen und das sogenannte Screening der Metabolitenprofile aller Studienteilnehmer wurde hier durchgeführt. Diese Metabolitenprofile wurden Dr. Altmaier zufolge anschließend in Hinblick auf verschiedene Parameter wie Rauchverhalten, Alkoholkonsum, Diabetes, LDL-/HDL-/Cholesterin-Konzentrationen und sogar den bereits erwähnten Kaffeekonsum analysiert.

Als Verwaltungsinstanz zur Betreuung, analytischen Auswertung und Weitergabe dieser metabolischen Grundlagendaten steht die sogenannte "metaP" Metabolomics-Plattform des Helmholtz Zentrums München bereit. Sie wurde bereits 2007 als institutsübergreifende Einrichtung etabliert und gehört neben anderen Plattformen zum "Genomanalysezentrums" (GAC), ein sogenanntes "Ressourcen- und Analysenzentrum, dessen Schwerpunkt in der Erforschung von komplexen Prozessen in der Entwicklung und dem Fortschreiten weit verbreiteter menschlicher Erkrankungen und von Umwelteinflüssen auf die menschliche Gesundheit liegt." [6]

Über die speziellen Einrichtungen (von Biobanking [Lagerung und Verwaltung von Proben und Daten], Probenaufbereitung und Analyten-Quantifizierung [Bestimmung biochemischer Daten], über Profiling [Auswertung biochemischer Daten], bis zur Bioinformatik [Ermittlung numerischer Auswertungsgrundlagen und Bereitstellung entsprechender Programme, um die unüberschaubare Biodatenmenge zu Aussagen zusammenzufassen]) läßt sich in "metaP" die gesamte Verwertung des gewonnenen menschlichen Probenmaterials auf lange Sicht gewährleisten.

Neben der aus einer öffentlichen Forschungseinrichtung hervorgegangenen Plattform bekommen aber auch zunehmend private, kommerzielle Unternehmen eine Bedeutung, die sich durch besonders schnelle, aufwendige und kostspielige Analyseeinrichtungen für die Erfassung und das "Screening" von Biodaten spezialisiert haben und Aufträge von Universitäten übernehmen, aber durchaus in der Lage sind, metabolisches Datenmaterial zu sammeln, zu archivieren und gegebenenfalls zur Verfügung zu stellen. Eine derartige beidseitige Anbindung der Universitäten an die Industrie wird gemeinhin begrüßt, weil sie kostspielige Grundlagenforschung auf kommerzielle Fragen ausrichtet und rote Zahlen verhindert. Allein ist freie Forschung in dieser Kooperation kaum mehr denkbar. Das Helmholtz Zentrum arbeitet hier beispielsweise u.a. mit der Firma Biocrates zusammen, die diesbezüglich schon lobend in Dissertationen erwähnt wurde.

Fällt es trotz dieser beinahe idealen Grundvoraussetzungen für Massenerhebungen aller Art, bei der Vielzahl an Einrichtungen allein schon in München und Umgebung schwer, die gesteuerte Kooperation dahinter zu erkennen, bemängelte Prof. Daniel die bisher noch unkoordinierte internationale Zusammenarbeit für diese Forschungsrichtung, was für sie und ihre Kollegen einer der Gründe war, das Symposium im März mit über 400 Teilnehmern aus aller Welt zu organisieren. So erklärte sie in dem Gespräch mit dem Deutschlandradio-Redakteur Jens Mickler, dieses Symposium sei für sie die Gelegenheit sich mit Kollegen aus 21 Ländern zusammenzusetzen, um gemeinsame Interessen abzuklären:

Wo stehen wir, was brauchen wir in Zukunft, und wieweit müssen wir unsere Forschungskooperation zusammenfassen, wo brauchen wir bessere Standards und gibt es irgendwelche Möglichkeiten, daß man das in den großen Forschungsverbund einbringt.

Um dann letztlich das eigentliche Anliegen einer zentralgesteuerten, bundesweiten Kooperation auf diesem Gebiet vorzubringen, für dessen Hauptquartier die Münchner Forschungszentren durch die in Aussicht gestellte internationalen Ausrichtung geradezu prädestiniert seien:

Und das wäre so ein Wunsch von mir, daß wir am Ende von diesem Symposium hier mit über 400 Teilnehmern, auch sagen: Laßt uns in Deutschland mal die vielen Aktivitäten, die es da gibt, aber stark fragmentiert - ein bißchen hier, ein bißchen hier und hier -, stärker zusammenführen und vielleicht können wir eben auch auf nationaler Ebene da auch mal ein größeres Forschungsprogramm initiieren.
(Deutschlandradio, 10. März 2010, 14:24 Uhr Interview mit Prof. Dr. Hannelore Daniel von Jens Mickler)

Der Wunsch nach Struktur und Ordnung ist angesichts der Fülle von Positionen, Institutionen, Zuständigkeiten und Verantwortungsbereichen, bei denen selbst die beteiligten Forscher den Überblick verlieren müssen, verständlich. Es ist jedoch fraglich, ob eine weitere Koordinierungseinheit in München, also eine weitere Institution, mehr erreicht als das genaue Gegenteil.

Allen guten Willen vorausgesetzt und ohne den beteiligten Wissenschaftlern etwas anderes zu unterstellen als ihren persönlichen Forschungsdrang und Eifer, auf ihrem Gebiet bei den gestellten Aufgaben voranzukommen, hat die Verwirrung offensichtlich eine wenig beachtete Funktion, die mit der Tatsache korrespondiert, daß die bisher ermittelten metabolen Daten im eigentlich wissenschaftlichen Sinne nur wenig nützlich sind, andererseits aber durch entsprechende statistische Auswertung im Vergleich zu sozioökonomischen, soziodemographischer u.a. Daten für nahezu jede statistische Aussage genutzt werden könnten...

Bei möglichen bevorstehenden gesellschaftlichen Veränderungen, z.B. einer Mangelverwaltung von Ressourcen (Luft, Wasser, Nahrung) oder andere unbeliebte Vorschriften und Maßnahmen, ließe sich für Betroffene nicht mehr nachvollziehen, warum ihnen einschränkende Zwangsmaßnahmen ebenso plausibel und eingängig erscheinen, wie heute schon vielen der als Gesundheitsvorsorge kaschierte einsichtige Verzicht auf Tabakkonsum oder Alkohol, geschweige denn, welche Interessen sich tatsächlich dahinter verbergen. MuFuMet, HuMet, MetaP und KORA sind trotz ihres bereits beschriebenen Potentials nur einige kleine, wenn auch unverzichtbare Puzzelsteinchen im globalen Geschehen.

Fortsetzung...

Anmerkungen:


[1] Science.ORF.at, 24. März 2010, Robert Czepel, Das Humangenomprojekt: Nur eine Blase?, siehe Webseite:
science.orf.at/stories/1642657/

[2] Schattenblick -> INFOPOOL -> MEDIZIN -> FAKTEN
FORSCHUNG/2072: Kaffeetrinken hinterläßt Spuren im Stoffwechsel - HZM, 21. Oktober 2009

[3] Schattenblick -> INFOPOOL -> MEDIZIN -> FAKTEN
MELDUNG/030: Nachrichten aus Forschung und Lehre vom 28.12.09 - idw
- Genetische Ursachen für Störungen im Fettstoffwechsel gefunden

[4] siehe Webseite des Human Study Center:

www.klinische-ernaehrungsmedizin.de/22.html

[5] Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG)
G. v. 31.07.2009 BGBl. I S. 2529, 3672; Geltung ab 01.02.2010, abweichend siehe Paragraph 27

[6] Hintergrundinformation des HelmholtzZentrums München "Die Metabolomics-Plattform des Helmholtz Zentrum München" zum Metabolomic Workshop 10. März 2010

[7] Dissertation von Elisabeth Altmaier, "Targeted Metabolomics in Mensch, Maus und Rind: Bioinformatische Methodenentwicklung und Datenanalyse", Technische Universität München 2008

[8] TUM Research Report, portal.mytum.de/film/index_html oder: Film über Metabolomics-Forschung an der TUM bei YouTube: auf deutsch:
www.youtube.com/user/TUMuenchen1#p/a/u/2/DW9Gjf-6dzM
auf englisch: www.youtube.com/user/TUMuenchen1

14. April 2010