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KOMMENTAR/097: Metabolomics (3) Metabotyp - ein Produkt statistischer Erhebungen (SB)


Metabolomics & More, 3. Teil

Die kleine Lüge - die große Lüge - die Statistik!

Über alte und neue Wissenschafts-Enten


Mit dem alten Treppenwitz "Nun ja, es gibt die kleine Lüge, es gibt die große Lüge, und es gibt die Statistik" wurden früher bereits im naturwissenschaftlichem Unterricht die auf Erhebungen und sogenannten Korrelationen beruhenden wissenschaftlichen Erkenntnisse kurzerhand ins rechte Licht gerückt. Denn schon das Wort "Korrelation" an sich weist zumindest in der Mathematik auf die lose und rein zufällige Wechselbeziehung zwischen zwei Erscheinungen hin. Nur durch die nahezu mystische und somit im Trend der Zeit liegende Einstellung, daß es "keine Zufälle geben kann", d.h. also daß im Zusammentreffen zweier Ereignisse auch eine Bedeutung, ein Sinn zu finden ist, läßt die Statistik zur interdisziplinären Wissenschaft werden, die Korrelationen sucht - und sie dann auch findet.

Inzwischen mußte das vernünftige Maß für die Einschätzung statistischer Bewertungen angesichts moderner Computertechnologien und dem hohen Durchsatz beim Vergleich von ungeheuren, für den einzelnen Menschen nicht mehr überschaubaren Datenmengen völlig verloren gehen. Denn zum einen gilt nach wie vor der mathematische Grundsatz, daß die Wahrscheinlichkeit mit der Anzahl übereinstimmender Ereignisse zunimmt. Zum anderen soll man nicht unabsichtlich, fasziniert von der vermeintlichen Unfehlbarkeit und Schnelligkeit moderner Rechner, vergessen, daß es letztlich immer Menschen bzw. Wissenschaftler sind, die die Programme schreiben und dabei durchaus, mehr oder weniger absichtlich, die Auswertung der Ergebnisse in eine an ihre eigenen Interessen gebundene Richtung lenken... Genau dieser Problematik sieht sich auch die neue Wissenschaftsdisziplin gegenüber, nur hört es sich aus ihrer Warte ein wenig positiver an:

"Mit diesem Quantensprung im Bereich der Metabolitenanalytik stellt sich an die Bioinformatik nun die Herausforderung, auf die Komplexität dieser Hochdurchsatz-Metabolomicsdatensätze zugeschnittene, numerische Auswertungsmethoden zu entwickeln", erklärt Karsten Suhre. [3]

Statistik früher - Enten nach Wunsch

Sensationelle Thesen, die immer mal wie Eintagsfliegen die Runde durch die Medien machen, beruhen oft auf beliebigen Vergleichen zufälliger statischer Übereinstimmungen. 'Fettes Essen macht krank!' wäre so eine gewollt herbeigeführte Korrelation, die sich daraus ergibt, daß immer noch eine große Anzahl von Menschen vermeintlich der "Völlerei" frönen. Die statistische Schnittmenge kranker Menschen, die gewohnheitsmäßig Pommes und Kurzgebratenes zu sich nehmen, muß nur etwas größer sein, als die kranker, sogenannter "ernährungsbewußter" Menschen, um diese These aufstellen zu können.

Unbeabsichtigt von der Autorin wird auf diese Problematik in einer sehr anschaulichen Dissertation über das Thema Metabolomics von Dr. Elisabeth Altmaier an der Technischen Universität München deutlich hingewiesen (Titel: "Targeted Metabolomics in Mensch, Maus und Rind: Bioinformatische Methodenentwicklung und Datenanalyse" [1]). Darin widmet sie allein 10 Seiten den bisherigen Erkenntnissen zu gesundheitlichen Auswirkungen des Kaffeekonsums, bei denen es sich vorrangig um sogenannte Assoziationsstudien im Rahmen ausgiebiger Kohortenstudien mit unterschiedlichen Probandenzahlen (von einigen 100 bis zu 100.000) und somit unterschiedlicher Aussagekraft handelt. Zwei Seiten dienen allein der Aufzählung bisheriger Studien samt ihrer dazugehörigen Veröffentlichungen.

Gerade Kaffee, als abhängig machendes, herzirritierendes Genußmittel gleich hinter Tabak rangierend, ist ein immer wieder auch von den Medien gern aufgegriffenes und beliebtes Thema, da sich jeder imstande sieht, hierzu etwas zu sagen und sowohl die Lobby der Kaffeeröster als auch Kaffeegenießer gern die gesundheitsfördernde Wirkung des Kaffees wissenschaftlich bestätigt sehen wollen, ob des guten Umsatzes oder des beruhigten Gewissens zuliebe.

Ehe der Begriff Metabolomics überhaupt geprägt war, machten zu diesem Zweck schon vielfältige wissenschaftlich abgesicherte Hypothesen die Runde, die u.a. das Gerücht schürten, daß Kaffeegenuß die Gefahr einer Diabetis mellitus Typ 2 mindern und auch bestimmte Krebserkrankungen verhindern würde, daß der Coffeingehalt einer Tasse Kaffees täglich ausreiche, um vor Gallensteinen zu schützen, außerdem generell gut für Gehirn und Denkvermögen sei und sogar einer Parkinsonerkrankung vorbeuge. Altmaier weist in ihrer Arbeit darauf hin, daß dies Hinweise seien, daß Kaffee mannigfaltige Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen besitzt, macht aber auch deutlich, daß diese noch weiterer Erforschung bedürfen. Damit legitimiert sie nachfolgende Metabolomics-Forschungen und weitere Kohortenstudien, die diese Themenkomplexe aufgreifen und mit relevanten Stoffwechseldaten festigen sollen.

Nun würde es leider den Rahmen dieses Artikels sprengen, allen Untersuchungen nachzugehen. Beim Beispiel Parkinson geblieben, schrieb die Autorin:

Einen Hinweis auf eine mögliche positive Funktion des Kaffees bei der Prävention der Parkinson-Krankheit liefern beispielsweise Studien an US-Amerikanern (Ascherio, Zhang et al. 2001; Ascherio, Chen et al. 2003; Ascherio, Weisskopf et al. 2004), zu denen auch eine Analyse von ausschließlich japanisch-stämmigen US-Amerikanern (Ross, Abbott et al. 2000) gehört. [1,2]

Nun, ein "durchschnittliches Täßchen" Kaffee, ein anregender Hochgenuß und Seelentrost für viele Menschen, die sich damit ihren Alltag verschönen, enthält ungefähr ein Zehntelgramm Coffein (0,1g). Diese Mindestmenge, täglich genossen, sollte laut der erwähnten US-Studie (Journal of the American Medical Association, Bd. 283, S. 2674, 2000) angeblich ausreichen, einer Parkinsonerkrankung vorzubeugen. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das Ganze allerdings als eine leicht durchschaubare, statische Manipulation, was den Schattenblick schon vor 10 Jahren zu einer Analyse des Themas bewog.

Ausgewertet wurde in diesem Fall nämlich lediglich eine Kohortenstudie, welche die Ernährungsgewohnheiten von 8004 japanisch stämmigen Männern über dreißig Jahre lang festgehalten hatte. Darin fiel auf, daß Probanden, die nicht regelmäßig Kaffee zu sich genommen hatten, etwa fünfmal so häufig an Parkinson erkrankt waren wie jene, die sich etwa fünf Tassen pro Tag einverleibt hatten. Ob jedoch die Lebensgewohnheiten japanische Männer statistisch gesehen mit denen amerikanischer und mitteleuropäischer Männer verglichen werden können, blieb dahingestellt. Auch konnte man davon ausgehen, daß sich japanische Kaffeeabstinenzler mit großer Wahrscheinlichkeit die gleiche Menge Coffein in Form von Tee oder zumindest grünem Tee zuführten. Selbst die Zahl der an Parkinson erkrankten 102 Japanern erschien angesichts der japanischen Vorliebe für ihr Nationalgetränk doch noch begrüßenswert gering. Was die Herausgeber dieser unverhohlen zufälligen statistischen Studie zu der Ergänzung veranlaßte, daß wohl auch Tee, Cola und Schokolade Coffeinanteile besäßen, die zur Parkinsonprophylaxe beitragen könnten. Natürlich sind das vage Spekulationen, die sich lediglich auf Beobachtungen stützen, d.h. den Vergleich von Krankenakten mit zufällig gesammelten Daten zu Ernährungsgewohnheiten, wenn sie denn gemacht worden waren. Wie Coffein vor Parkinson schützen sollte, blieb völlig ungeklärt.

Während aber in den Medien nur das populäre Gerücht, 'Kaffee verhindert Parkinson' geschürt wurde, muß man der Originalarbeit zugute halten, daß sie diese These durch eine weitere, weltweite Vergleichsstudie relativierte, in der die Wahrscheinlichkeit an Parkinson zu erkranken, bei Japanern ohnehin prozentual geringer eingeschätzt wurde als bei Nordeuropäern [2].

Menschen mit Parkinson bewegen sich sehr langsam, wirken wie erstarrt und zittern. Die Krankheit, die man auf den Mangel des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn zurückführt, beginnt normalerweise zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. Während früher von genetischer Verankerung gesprochen wurde, können ganz offensichtlich doch auch Umweltfaktoren eine wichtige Rolle spielen. Das vermutete man nun auch bei den 102 von 8004 Männern, die im Laufe der Studie an Parkinson erkrankten und keinen bzw. wenig Kaffee tranken: Sie waren zum Zeitpunkt der Diagnose durchschnittlich 73 Jahre alt, das ist durchaus ein Alter in dem viele aus verträglichkeits- oder anderen gesundheitlichen Gründen (wie u.a. beginnendes Zittern) ohnehin ihren Kaffee- oder Coffeinkonsum reduzieren.

Einer der vermuteten Zusammenhänge für die Entstehung von Parkinson ist, daß Nervenzellen im Mittelhirn, die normalerweise das Katecholamin 3,4-Dihydroxyphenyläthylamin, kurz Dopamin, herstellen und ausschütten, im Verlauf der Krankheit zugrunde gehen.

Von Coffein wußten die Forscher nur, daß es im Hirn über die Hemmung der für den Abbau des cyclischen AMP verantwortlichen, intrazellulären Phosphodiesterase und über einen damit verbundenen Konzentrationsanstieg des cyclischen AMP alle hormonellen Einflüsse fördert, die damit verbunden sind. Darunter fallen theoretisch auch die Katecholamine und somit auch die ungehinderte Ausschüttung von Dopamin aus den erwähnten Zellen. Über die genauen Zusammenhänge, die sich z.T. sehr kompliziert über Hemmung oder Aktivierung von Rezeptoren gestalten, bestanden damals und heute noch zu viele Ungereimtheiten, als daß man sich hier wirklich sicher sein könnte. Wie man an der kurzen Zusammenfassung erkennen kann, gründen sich die Vermutungen und Thesen lediglich auf Beobachtungen und deren Interpretationen, die man aufgrund analytischer Grenzen nicht direkt im Stoffwechsel darstellen konnte. Zudem gab es auch noch weitere ebenfalls auf Stoffwechselvorgänge beruhende Erklärungsversuche:

Bei Versuchen mit Mäusen wurde beispielsweise festgestellt, daß sich Coffein positiv auf die für Parkinson typische Verlangsamung auswirkte. Die erhöhte Muskelaktivität kann jedoch ebensogut auf eine weitere Wirkung des Coffeins zurückgehen, bei der die sogenannte Calcium-Permeabilität erhöht wird. Calcium hat unter experimentellen Bedingungen einen gewissen Einfluß auf die Muskelkontraktion. All das sagt nichts darüber aus, welche Vorgänge im Muskel oder im Gehirn tatsächlich stattfinden oder welchen Einfluß der Muntermacher Coffein als Anti-Parkinson-Mittel auf das Gehirn nehmen sollte.

Viele Ansätze Kaffee und Coffein als Parkinsonprophylaxe zu betrachten, allein der Beweis, d.h. ein Kaffee/Coffein-Medikament, das die Zellen im Gehirn dazu bringen soll, mehr Dopamin zu produzieren, zeigte keine Ergebnisse, die das bestätigt hätten. In zwei klinischen Studien ging es Patienten, die neben der üblichen Therapie auch Coffein erhielten, nicht besser als solchen, die ohne die Substanz aus der Kaffeebohne auskamen. All diese Unsicherheiten in wissenschaftlicher Forschung und Statistik konnten aber bisher von jedermann nachvollzogen werden, was den Kaffeeliebhaber nicht stören mußte, sah es doch auch für die These-Gegenseite 'Kaffee, ein krankmachendes Genußgift' nicht anders aus.


Ein Metabotyp ist gleichzeitig Regel - wie die Ausnahme, die die Regel bestätigt...?

Wie anders ist das heutzutage, wo statistische Ergebnisse durch ihre erdrückende Zahlengewalt viel besser in ihrer zweifelhaften Aussagekraft verschleiert werden können. So konnte man auf dem Symposium im März "Metabolomics & More" an der Technischen Universität München (TUM) lernen, daß es sogenannte Metabotypen (deutsch: Stoffwechseltypen) gibt, nach denen Menschen in bestimmte Kategorien aufgeteilt werden müssen. Danach gäbe es je nach Typus Menschen, für die Kaffee einfach nur gesund ist und andere, für die er das in verschiedenen Ausprägungen überhaupt nicht ist, um mal bei diesem Beispiel zu bleiben. Ein Kaffee-Parkinson-Metabotyp definiert danach eine bestimmte Kategorie von genetisch determinierten Menschen, auf die dann z.B. die oben geschilderten Zusammenhänge zwischen Kaffee und Parkinson zutreffen. Japaner wären dann als ethnische, sogar äußerlich identifizierbare Gruppe prädestiniert für die Kaffeparkinsonprophylaxe.

Gleichzeitig ist der Metabotyp auch die Ausrede für die Ausnahmen von der Regel, d.h. für die Personen und Ausnahmen von der Regel, auf die die obigen Zusammenhänge überhaupt nicht zutreffen.


Was nun ist ein Metabotyp?

Genaugenommen scheint der Metabotyp nichts anderes zu sein, als der von der Genetik längst bekannte Genotyp, dessen Besonderheit sich in einem ganz speziellen Phänotyp (äußerlich erkennbare Merkmale, z.B. rote Haarfarbe) bemerkbar macht. Nur sind die phänotypischen Merkmale beim Metabo-Phänotyp nicht äußerlich, sondern erst in seinem besonderen Stoffwechsel zu erkennen, der sich in unterschiedlicher Aktivität der betroffenen Enzyme äußert. Das schlägt sich in stark unterschiedlichen Metaboliten-Konzentrationen und enzymatischen Umsatzraten nieder. Anders ausgedrückt handelt es sich hierbei um Personen mit genetisch bedingten unterschiedlichen Metaboliten-Mustern. So kommt der Begriff Metabotyp zustande. Ein schon recht bekanntes Beispiel wäre vielleicht die ethnische Gruppe der Asiaten, denen ein bestimmtes Enzym zum Alkoholabbau fehlt, so daß sie schon bei sehr geringem Alkoholkonsum deutliche Anzeichen eines Rauschzustandes zeigen.

Auf unser Beispiel übertragen, müßte sich demnach z.B. die Veranlagung, daß Kaffeetrinken der Ausprägung von Parkinson vorbeugt, bei bestimmten Personen an irgendeinem Stoffwechselmerkmal erkennen lassen. Darüber ist jedoch bisher nichts bekannt. Diese Schlußfolgerungen werden auch in der erwähnten Dissertation nicht gezogen, drängen sich dem Leser aber geradezu auf.

Umso plausibler scheinen die Beispiele, in denen bezüglich Diabetes, Krebs u.a. Erkrankungen tatsächlich Zusammenhänge vorgeschlagen werden. So stellt Altmaier in ihrer Dissertation recht komplizierte Korrelationen her, die ein Laie so wenig nachvollziehen kann, daß er über eine verkürzte populärwissenschaftliche Interpretation, die dann von den Medien veröffentlicht wird, etwa "hoher Kaffeekonsum verringert Gefahr von Diabetes oder Krebs" durchaus dankbar ist und sich höchstens wundert, warum so viele Kaffeeliebhaber ausgerechnet an diesen Leiden erkranken.

Zunächst sollten in der hierin erwähnten Studie auch nur Metabolite aufgefunden werden, die durch Kaffeekonsum signifikant beeinflußt werden. Dazu wurde für 363 verschiedene Metaboliten eine sogenannte lineare Regression mit der Metabolitenkonzentration als abhängiger Variable und der Anzahl der konsumierten Tassen Kaffee/Tag als unabhängige Variable hergestellt. Dafür wird zusätzlich ein gängiger Kunstgriff in der statistischen Auswertung verwendet, der vergleichbarere Werte herstellen soll, wo Vergleichbarkeit sonst schwer zu erkennen ist:

Da nicht angenommen werden kann, dass ein möglicher Zusammenhang zwischen der abhängigen und der unabhängigen Variable immer linear verläuft und dazu der Kaffeekonsum nicht normalverteilt ist, wurde zusätzlich der Kendalls Test (Hollander and Wolfe 1973) auf jeden Metaboliten angewandt. Der Kendalls Test ist ein parameterfreier Test, der die Korrelation zwischen zwei Variablen aufgrund der Rangzahlen ihrer Daten ermittelt. Die Variablenwerte müssen keine Normalverteilung aufweisen und dürfen auf Ordinalskalenniveau gemessen sein. Auch für diesen Test wurden p- und q-value, sowie der Rangkorrelationskoeffizient Kendalls Tau berechnet.[1]

Selbst Laien in der Kunst der Statistik müssen erkennen, daß dies wohl ein Trick ist. Trotz aller Mühen lassen sich auch nur die über den Kendalls-Kunstgriff ermittelten Zahlen auswerten, und hiernach finden sich tatsächlich auch zwei oder drei veränderte Stoffwechselprodukte, mehr nicht! Und daß dieses Ergebnis bescheiden und der Rest nur auf Vermutungen begründet ist, verschleiert die Autorin auch nicht:

Das Kendalls Tau, das den Grad des Zusammenhangs zwischen der Konzentration des jeweiligen Metaboliten und dem Kaffeekonsum angibt, nimmt für alle in Tab. 10 aufgeführten Sphingomyeline positive Werte an. Dies lässt vermuten, dass alle Vertreter der Sphingomyelin-Klassen SM(OH,COOH)x:y und SM(OH)x:y mit dem Konsum von Kaffee positiv korreliert sind. Um diese Annahme zu überprüfen wird sowohl die Summe der Konzentrationen aller SM(OH,COOH)x:y als auch die Summe der Konzentrationen aller SM(OH)x:y berechnet und jeweils durch lineare Regression und Kendalls Test auf ihre Signifikanz hinsichtlich des Kaffeekonsums getestet. Der Annahme entsprechend korrelieren auch die beiden Summen der Sphingomyelin-Klassen positiv mit der Aufnahme von Kaffee (Tab. 10).[1]

Anders liest sich die vereinfachte Pressemitteilung zu diesem Sachverhalt:

Dabei ergab sich, dass durch Kaffeekonsum zwei Klassen von Lipiden beeinflusst werden: die Konzentration der Sphingomyeline steigt an, während die der Acylcarnitine abnimmt. Die Proben stammten aus der Bevölkerungskohorte KORA [...] [4]

Auf den Seiten 53 - 56 der Dissertation werden dann auf höchst abenteuerliche Weise versucht Zusammenhänge zu finden, um die Sphingomyelinkonzentration mit Cholesterinwerten in Verbindung zu bringen, wobei

- das zufällig gleichzeitige Vorkommen beider Stoffe in Membranen angeführt wird,

Sphingomyeline sind vor allem in biologischen Membranen anzutreffen, die sich aus Proteinen und verschiedenen Lipiden zusammensetzen. Zu diesen Lipiden zählt auch Cholesterin, von dem wohlbekannt ist, dass es mit Phospholipiden interagiert, sie dadurch stabilisiert und somit ihre Fähigkeit, Membranen zu bilden, unterstützt. [1]

- ältere Studien zitiert werden, die sich in ihrer Aussage sogar widersprechen, um darstellen zu können, daß es überhaupt eine Verbingung zwischen diesen beiden Stoffen gibt.

Ob die Aufnahme des in Süddeutschland üblicherweise gefilterten Kaffees tatsächlich die Konzentration von Cholesterin erhöht, wird in der Wissenschaft jedoch noch diskutiert. Schon in den 1980er Jahren wurde nachgewiesen, dass Kaffeekonsum das Gesamt-Cholesterin im Blut erhöht (Thelle, Arnesen et al. 1983)[1].

Darauf folgende Studien stellten jedoch fest, dass dieser Effekt hauptsächlich auf die Diterpene Cafestol und Kahweol zurückzuführen ist, die nur in ungefiltertem Kaffee auftreten (Zock, Katan et al. 1990; Ahola, Jauhiainen et al. 1991; Urgert and Katan 1997)[1].

Ähnlich vage lesen sich die Vermutungen, die über eine Assoziation zwischen Kaffeeaufnahme und der Konzentration langkettiger Acylcarnitine getroffen werden. Wörtlich heißt es:

Eine mögliche Erklärung hierfür könnte die Wirkung des in Kaffee enthaltenen Vitamins Niacin (Casal, Oliveira et al. 2000) liefern, das die Konzentration von Triglyceriden und freien Fettsäuren im Blut senkt (Carlson and Oro 1962; Grundy, Mok et al. 1981; DiPalma and Thayer 1991; Wahlberg and Walldius 1992; Hwang, Bakret al. 2002). Wie bereits im Kapitel 2.5.2 beschrieben, zieht eine verminderte Konzentration von Triglyceriden und freien Fettsäuren auch eine geringere Konzentration von Acylcarnitinen mit sich, die beim Transport der Fettsäuren ins Mitochondrium entstehen [1].

Und abschließend:

Sowohl die Konzentrationen der Sphingomyeline als auch der langkettigen Acylcarnitine geben Hinweise auf mögliche Wirkungsweisen des Kaffees, die jedoch noch weiterer Erforschung bedürfen [1].

Solche Vermutungen zu äußern, ist wissenschaftlich durchaus legitim. Nur so, indem solchen Thesen nachgegangen wird, entstehen neue Forschungsansätze und somit Arbeit für die Wissenschaft. In der zuvor erwähnten Pressemitteilung lesen sich solche spekulativen neuen Thesen jedoch wie feststehende Ergebnisse:

Neuherberg, 21. Oktober 2009. Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München haben in einer groß angelegten Metabolismus-Studie erstmals Stoffwechselprodukte im menschlichen Organismus nachgewiesen, die in direktem Zusammenhang mit der Höhe des individuellen Kaffeekonsums stehen.[...] Dies eröffnet neue Perspektiven für die Erforschung ernährungsbedingter Krankheitsbilder, wie z. B. Typ 2 Diabetes mellitus. Die Ergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Molecular Nutrition and Food Research veröffentlicht [4].

Auch für die mögliche anticancerogene Wirkung des Kaffeegenusses gibt es eine vage These, wonach bei der Entstehung des Sphingomyelins SM(OH,COOH)x:y "radikaler Sauerstoff" verbraucht wird.

Somit würde SM(OH,COOH)x:y dann als Radikalfänger fungieren und möglicherweise das Krebsrisiko vermindern [1].

Bisherige Thesen, daß Kaffee eine vorbeugende Funktion bei Hirntumoren oder Brustkrebs habe, beruhen allerdings wieder auf völlig anderen spekulierten Stoffwechselzusammenhängen, die in der Metabolomics-Studie nicht erwähnt wurden, wie die Hemmung der Aufnahme des intrazellulären Botenstoffs Calcium im Gehirn bei den Rezeptoren vom Typ 3 IP3 (IP3R3), welche die Glioblastom-Zellen ebenfalls nutzen [5].

Wie eingangs erwähnt, gehörten u.a. alte Parkinsonstudien in der Dissertation von Elisabeth Altmeier zu den Beispielen für einige wissenschaftliche Studien, die sich bereits mit der gesundheitsfördernden Wirkung von Kaffee beschäftigen. Was die Verhinderung von Parkinson betrifft, konnten mit den in diesen neuerlichen Kohorten-Untersuchungen unter dem Projektnamen KORA gewonnenen Biodaten überhaupt keine Zusammenhänge mit den spekulierten Stoffwechselzusammenhängen hergestellt werden. Aber vielleicht hat man nur noch nicht nach den Metaboliten gesucht, die man für die Verifizierung der früheren Thesen braucht?

Statt dessen werden diese willkürlich und nach Belieben gesteuerten statistischen Auswertungen früherer Zeiten genutzt, um die ebenso willkürlichen Deutungen neuerer statistischer Erhebung mittels vermeintlich aussagekräftigerer, weil über zahllose Liter an Körperflüssigkeiten ermittelten Stoffwechseldaten zu verschleiern.

Der Schluß, es könnte spezielle Metabotypen geben, deren Neigung an Parkinson, Diabetes, Krebs und Co zu erkranken in ihrem Stoffwechsel erkennbar ist, bleibt nach wie vor eine unbestätigte, wenn auch gern geglaubte und für viele plausibel scheinende Hypothese, mit der die Metabolomics-Forschung ihre Existenzberechtigung erklärt. Metabotypen wurden aber, wenn auch nicht ausgesprochen, schon in den eingangs erwähnten früheren Ansätzen vorausgesetzt, als man z.B. erkannt haben wollte, daß kaffeetrinkende Japaner seltener an Parkinson erkranken.

Der theoretische, interpretationsbestimmte Ansatz hat sich somit auch mit neuen Möglichkeiten in der chemischen Analyse und sogenannten "Hochdurchsatz-Metabolomicsdatensätzen" und speziell darauf "zugeschnittenen, numerischen Auswertungsmethoden" nicht verändert. Er wird immer noch von den vorherrschenden Interessen bestimmt. Die imponierenden Datenmengen sollen nur den Druck verstärken, Menschen dazu zu bringen ihre Lebensgewohnheiten in den gewünschten Bahnen zu verändern, so daß zumindest die derzeit wichtigsten Bezichtungsargumente in der gesundheitspolitischen Diskussion, daß Rauchen schädlich ist, zuviel Essen dick macht und beide Verhaltensweisen Schuld an den modernen Zivilisationskrankheiten (Herzkreislauferkrankungen, Adipositas, Diabetes) haben, endlich auf breiter Ebene akzeptiert werden muß. Was die Wissenschaftliche Ente angeht, so heiligt der Zweck die Mittel - Ente gut, alles gut!

Anmerkungen:


[1] Dissertation von Elisabeth Altmaier, "Targeted Metabolomics in Mensch, Maus und Rind: Bioinformatische Methodenentwicklung und Datenanalyse", Technische Universität München 2008

[2] Ross, G. W., R. D. Abbott, et al. (2000). Association of coffee and caffeine intake with the risk of Parkinson disease. JAMA 283(20):2674-9.

[3] Pressemitteilung, Helmholtz Zentrum München, 2. Juli 2008, Karsten Suhre, "Gesund oder krank? - Subtilen Spuren im Stoffwechsel auf der Spur"
Internet: www.eurekalert.org/pub_releases_ml/2008-07/aaft-r070208.php

[4] Schattenblick -> INFOPOOL -> MEDIZIN -> FAKTEN
FORSCHUNG/2072: Kaffeetrinken hinterläßt Spuren im Stoffwechsel - HZM, 21. Oktober 2009

[5] Florian Rötzer, Heise online-c't Magazin 01.Februar 2010, "Koffein gegen Hirntumor"
Internet: www.heisetreff.de

29. Juni 2010