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LABOR/020: Gummibärchen in Seenot! · Osmotisches Spektakel mit Ei (SB)


SCHABERNACK UND EXPERIMENTE FÜR HOBBYALCHIMISTEN

Gummibärchen in Seenot!

Osmotisches Spektakel mit Ei


Was geschieht mit einem Gummibärchen, das in Seenot gerät? Um dieser Frage einmal nachzugehen, bietet sich das folgende kinderleichte Experiment an, aus dem man wieder einmal auch einige Schlüsse für den eigenen menschlichen Körper ziehen kann.

Legen Sie hierfür jeweils ein Gummibärchen in ein Versuchsglas. Am besten eignen sich hierfür Eierbecher oder kleine Schnapsgläser. Sie können aber natürlich auch ein Reagenzglas verwenden, sofern sie es übers Herz bringen können. Als nächstes werden die Gläser mit Leitungswasser gefüllt und stehen gelassen. Nach einiger Zeit kann man sehen, daß die Gummibärchen bedeutend größer geworden sind. Sie können bis auf das Doppelte ihrer ursprünglichen Größe anwachsen.

Gummibärchen in Seenot

- ein paar kleine Schnapsgläser
- 'Gummibärchen'
- etwas Leitungswasser

Um zu verstehen, was hier genau vorgeht, sollten Sie vielleicht noch zwei weitere kleine Experimente ansetzen, die mit der Erklärung des osmotischen Effekts in unmittelbarem Zusammenhang stehen.

Normal ist eigentlich die umgekehrte Situation. Füllen Sie in ein hohes, schmales Trinkglas ca. drei Zentimeter hoch dunkelroten Johannisbeersirup und markieren Sie den Stand mit einem Filzstift. Füllen Sie anschließend Wasser in das Glas, ohne daß es sich mit dem Sirup mischt. Stellen Sie nun das Glas an einem erschütterungsfreien Platz auf und beobachten Sie es.

Nach und nach wird der rote Sirup im Glas ansteigen, bis das gesamte Glas eine beinahe gleichmäßig rote Mischung enthält. Dieser Vorgang wird chemisch als DIFFUSION bezeichnet (von lateinisch diffundere, sich ausbreiten), doch wir kennen dieses Phänomen so gut, daß wir es ständig nutzen. Wenn wir beispielsweise Spülmittel in ein Wasser geben, Salz in die Suppe tun oder ein Raumspray an einer Stelle des Zimmers vernebeln, verlassen wir uns darauf, daß sich beides miteinander gleichmäßig vermischen wird bzw. die Diffusion von dem Ort der hohen Konzentration zu dem der niedrigen Konzentration verläuft, wie der Chemiker sagen würde. Man schreibt diesen natürlichen Vermischungsvorgang der Bewegung von Molekülen zu, die ständig stattfinden soll.


Das Ei des Columbus ...

Wie sieht es jedoch im Fall der Gummibärchen aus?
Zum besseren Verständnis der hier ablaufenden Vorgänge brauchen Sie ein Ei. Ganz recht, ein rohes Hühnerei, das Sie für einige Stunden in ein Gefäß mit Essig legen. Da, wie Sie inzwischen vielleicht wissen, die Hühnerschale zum großen Teil aus Kalk, also CaCO3, besteht, löst sich durch die Einwirkung der Essigsäure ein Teil der Eierschale auf. Darunter kommt das eigentliche Ei zum Vorschein, also Eiweiß und Eigelb, die noch von einer weiteren Haut umgeben sind.

Gießen Sie nun vorsichtig den Essig ab und geben, ebenfalls vorsichtig, frisches Leitungswasser hinzu. Das Ei darf beim Ein- und Auslassen der Flüssigkeiten nicht verletzt werden.

Das frische Wasser schwenken wir ein wenig im Glas und gießen es ebenfalls ab, um nochmals frisches Wasser nachzufüllen. Erst dann können wir sicher sein, daß der Essig ausreichend fortgespült worden ist.

Das Ei wird nun eine Weile in Ruhe gelassen, und wie bei den Gummibärchen kann man beobachten, wie das Ei nach 24 Stunden auf das Doppelte seines ursprünglichen Umfangs anwächst. Aus einem Ei der Güteklasse 4 wird auf diese Weise ein Ei von der Größe 1.


... nur ein osmotisches Spektakel

Wie ist das möglich?
Die Haut des Eies besitzt sehr feine Poren, durch die jedoch nur Wassermoleküle eindringen, nicht aber die großen Eiweißmoleküle des Eiklars heraustreten können. Die Haut ist - vereinfacht gesagt - ein Molekülsieb. Das Wasser dringt also nach innen, ohne sich mit dem Inhalt des Eies auszutauschen, wie es etwa im Falle der Diffusion geschehen würde. Diese Erscheinung nennt man Osmose. Mit Hilfe dieser Osmose können Nahrungsmittellösungen in die Zellen des menschlichen Körpers eindringen und Abfallstoffe ausgeschieden werden, ohne daß lebensnotwendiger Eiweißfüllstoff entweicht.

Osmose heiß Diffusion durch eine halbdurchlässige oder semipermeable Membran. Durch den semipermeablen Eisack wird also die Eiweißkonzentration auf einen bestimmten Raum eingegrenzt. Auffällig ist dabei überhaupt das Phänomen, daß die Lösungsmittelmoleküle scheinbar zielgerichtet in diesen konzentrierten Bereich eindringen und dort festgehalten werden. Man spricht daher auch von osmotischem Druck, der die Wassermoleküle quasi ansaugen soll.

Die chemische Erklärung vermutet eine Art Bindung bzw. polare Anziehungskräfte zwischen den Proteinmolekülen und dem eindringenden Wasser, so daß Hydrathüllen entstehen, in denen das Wasser festgehalten wird.

Beide Erklärungen sind im Grunde unbefriedigend. Der osmotische Effekt ist jedoch zweifelsfrei vorhanden, ganz gleich welchen Namen oder welche Erklärung man ihm zukommen läßt.

Was geschieht, wenn Sie das gleiche Ei mit einer konzentrierten Kochsalzlösung zusammenbringen?

Wenn Sie statt des klaren Wassers auf das gleiche Ei eine konzentrierte Kochsalzlösung (etwa ein bis zwei Eßlöffel Salz auf ein Glas Wasser) gießen, können Sie das umgekehrte Phänomen beobachten. Im Bestreben, eine gleichmäßige Verteilung herzustellen, tritt beinahe das gesamte Gewebewasser aus dem Eiklar aus, und das Ei schrumpelt wie eine Backpflaume zusammen.

Hühnerei-Osmose

- zwei rohe Hühnereier
- ein Glas mit Essig
- etwas Leitungswasser
- konzentrierte Kochsalzlösung

Was sagt uns das alles über die in Seenot geratenen
Gummibärchen?

Auch im Falle der Gummibärchen haben Sie es mit einem typischen osmotischen Effekt zu tun, auch wenn sich hier keine semipermeable Membran ausmachen läßt. Durch die starke Zuckerkonzentration in der Fruchtgummizubereitung sowie die feste Gelstruktur dieses Süßwarenprodukts kann Wasser in das Gummibärchen eindringen und bleibt im Gelgerüst hängen. Die Zuckermoleküle sind jedoch zu groß und zu fest im Gel gebunden, als daß sie nach außen gelangen können. Legen Sie die aufgequollenen Gummibärchen in konzentriertes Salzwasser, so könnten Sie diese theoretisch auf ihr Normalmaß zurückschrumpfen. Aber Vorsicht! bei allzu langer Wassereinwirkung löst sich auch das beste Gummibärchen schließlich ganz auf.

Die Gummibärchen bestehen zu einem großen Teil aus Gelatine, d.h. tierischen Glutinen, die aus Knochen, Knorpeln, Fischgräten, Bindegewebe und Hautstücken u. dgl. längere Zeit herausgekocht werden. Glutin ist ein klebriger, in Wasser quellender Eiweißstoff und aufgrund der BSE-Diskussion längere Zeit etwas in Verruf geraten, da man nicht wußte, ob die aus Fleischabfällen gewonnene Gelatine, ebenfalls BSE auf den Menschen übertragen kann. Inzwischen werden die Rohstoffe aus Schweinen gewonnen oder gelten zumindest als sicher. Als festes Gel besitzen die Glutine eine derart feste Gitterstruktur, die wie eine semipermeable Membran wirkt.

Erstveröffentlichung 24. Mai 1996

5. April 2007