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UMWELTLABOR/196: Die Folgen der "Carraramarmor-Korallen-Therapie" (SB)


Die "Carraramarmor-Korallen-Therapie"

Das saure Meer mit Kalkstein sättigen, birgt weitere Umweltgefahren


Überall in den Weltmeeren verzeichnet man einen Rückgang der Korallenbänke. Schuld daran sind verschiedene, gleichzeitig stattfindende Umweltveränderungen wie die Abnahme von Fischbeständen, neue Krankheiten, Einleitung von Schadstoffen ins Meer, Stürme, gesunkene Schiffe, vor allem aber der Klimawandel, die langsame Erwärmung des Meerwassers und damit einhergehend zunehmende Sauerstoffarmut bzw. wärmebedingte Sauerstoffunterversorgung für die Meereslebewesen und damit auch der Korallentiere.

Das Eingehen der Korallen wäre allein schon eine ökologische Katastrophe, denn die Korallenbänke bieten zahlreichen Fischen und Meeresbewohnern Verstecke und eine geschützte Aufzucht ihrer Brut und verhindern in vielen Küstenbereichen zudem die Bodenerosion.

Doch letztlich sind es vor allem kommerzielle Interessen, die eine entsprechende Forschung zum Erhalt dieses Naturphänomens unterstützen, schließlich leben beispielsweise in Italien ein ganzer Industriezweig mit Zehntausenden von Arbeitern von den roten Korallen. Gerade hier sind die Korallen allerdings von den Folgen der Meereserwärmung wie illegales Verklappen von Müll in das Mittelmeer schon stark dezimiert. Die roten und für das Mittelmeer typischen Korallen werden immer seltener. Wie vor kurzem im Deutschlandfunk berichtet wurde, schlagen nun zwei Biologen aus Pisa, Giovanni Santangelo und Lorenzo Bramanti, eine Methode vor, die das Wachstum der roten Korallen wieder ankurbeln könnte:

Es handelt sich um eine komplexe Geschichte, wenn wir von den Gefahren für die Korallen sprechen. Doch unsere Forschungen haben sich nicht auf diese Gefahren konzentriert, sondern auf die Korallen selbst. In Labortests untersuchten wir sie, um herauszufinden, was ihr Wachstum beeinflusst. Und da machten wir eine interessante Entdeckung, die die Korallen in allen Teilen der Welt betrifft.

Während ihrer mehrere Jahre dauernden Tests in Laboraquarien versuchten die Biologen die Kolonie bildenden und Kalk abscheidenden Blumentiere auch auf Steinen zu züchten. So probierten sie es auch mit Marmorgestein aus - mit dem blütenweißen Marmor aus dem toskanischen Carrara. Und siehe da: die Korallen fühlten sich auf dem Carraramarmor nicht nur wohl und vermehrten sich, sondern ihr Wachstum verlief weitaus schneller als auf anderen Oberflächen.
(DLF, Forschung aktuell, 13. Juli 2007)

So entschieden sich die Pisaner Forscher, ihre Tests auch großflächig auf das Meer auszuweiten. Dazu tauchten sie auf den Meeresboden an der Küste von Calafuria bei Livorno und positionierten hier in rund 30 Metern Tiefe, wo früher einmal viele Korallen lebten, einige zehn mal zehn Zentimeter große Marmorplatten direkt neben den noch lebenden Korallenbänken. Nach wenigen Monaten tauchten sie erneut an dieser Stelle auf den Meeresboden und fanden ein erstaunliches Ergebnis vor:

Die Korallenlarven hatten sich auf den Platten nicht nur angesiedelt, sondern waren erstaunlich schnell gewachsen. Nach fünf Monaten war von dem Marmor nichts mehr zu sehen: die Skelette Kolonie bildender Korallen hatten das Gestein komplett bedeckt.
(DLF, Forschung aktuell, 13. Juli 2007)

Die Forscher vermuten, daß der Marmor die Korallenlarven mit soviel Nährstoffen versorgt, daß die Blumentiere hervorragend gedeihen. Während sie normalerweise 20 Jahre für rund vier Zentimeter Korallenskelettbildung benötigen, wuchsen die Korallen auf dem Carraramamor fast doppelt so schnell.

Jetzt schlagen die Biologen aus Pisa vor, die, wie sie sie nennen, "Carraramarmor-Korallen-Therapie" in allen Meeren einzusetzen, überall dort, wo Korallenbänke von Meereserwärmung und Müll bedroht sind. Das wäre natürlich äußerst bequem, weil auf diese Weise nicht weiter nach Gründen für das Korallenschwinden gesucht werden und niemand etwas an seinem bisherigen Verhalten ändern müßte.

Darum geht es doch: die Korallen auf dem Marmor zu züchten, um sie dort auszusetzen, wo ihre Populationen aus verschiedenen Gründen abnehmen. Solange wir das Steigen der Meerestemperaturen sowie die Wasserverschmutzung nicht nachhaltig verhindern können, ist es nötig, neue Korallen dort anzusiedeln, wo sie seit Urzeiten Riffe oder Abbaugebiete bilden, die vielen Menschen Arbeit geben. Unser Korallenzuchtprojekt ist berühmt geworden.
(DLF, Forschung aktuell, 13. Juli 2007)

Darüber hinaus haben die Forscher eine weitere lukrative Einnahmequelle für sich selbst geschaffen, denn die italienischen Biologen, die weitere Experimente mit dem italienischen Marmor mit dem gleichen Erfolg auch bei der Insel Elba und den Medes-Inseln bei Spanien durchgeführt haben, ließen sich ihre Korallenzuchtmethode in diesen Tagen patentieren. Was der Bericht im Deutschlandfunk allerdings verschweigt, ist, warum gerade Marmor die Mineralstoffe liefert, der den Korallen fehlt, und warum ein verändertes Nahrungsangebot ausgerechnet Umweltgifte oder Wärme ausgleichen kann.

Carrara Marmor wie jeder andere Marmor auch ist nichts anderes als Kalkstein, d.h. er besteht im wesentlichen aus Calciumcarbonat (CaCO3). Wenn dieses Grundmineral den Korallen als wichtiger Baustein für ihr Kalkskelett fehlt, und darauf weisen diese Ergebnisse letztlich hin, dann zeigt das, daß nun schon eine Entwicklung die Ereignisse überholt hat, die hier als Gründe für den Korallenrückgang genannt wurden, die erst für die nächsten Jahrzehnte befürchtet und erwartet wurde: den Rückgang des pH-Werts der Meere bzw. eine Ansäuerung des Meerwassers.


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Über den möglichen Zusammenhang zwischen saurem Meerwasser und Korallen berichtete das Wissenschaftsmagazin Nature schon 2005. Denn durch den steigenden CO2-Anteil in den Meeren, der den pH-Wert der Meere in den sauren Bereich verschiebt, werden besonders Korallen wie auch ihre Nahrungsgrundlage, das Plankton, in Mitleidenschaft gezogen. Um diese Entwicklung aufzuhalten, schrieb Nature damals, seien Treibhausgasreduktionen dringend notwendig und zwar müsse die Verringerung größer sein als im Kyoto-Protokoll vorgesehen:

Ohne sofortigen Rückgang der Emissionen sieht es nach Angaben der Wissenschaftler um John Raven von der University of Dundee schlecht aus. Der Säuregehalt der Meere könnte bis zum Ende des Jahrhunderts um 0,5 pH-Einheiten - von 8,2 auf 7,7 - ansteigen. Der konstante pH-Wert, das Maß für die Stärke einer sauren bzw. basischen Wirkung einer Lösung, ist für die weitere Existenz der Lebewesen im Meer absolut notwendig. "Es gibt keine Möglichkeit für uns, das CO2 aus dem Ozean zu holen", so Raven. "Solange es in die Atmosphäre geblasen wird, endet es im Meer."
(pte, 1. Juli 2005)

Kohlenstoffdioxid (CO2) löst sich im Meerwasser zu der sehr schwachen Kohlensäure, die allerdings die Kalkskelette oder Schalen von Weichtieren wie Schnecken, Muscheln und Korallen angreift und auflöst. Seit der industriellen Revolution hat die Menschheit geschätzte 450 Mrd. Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen. Knapp die Hälfte davon wanderte wieder in den Ozean.

Wie wir wissen, wurden die im Kyoto-Protokoll aufgeführten Reduktionen bisher von kaum einem Land eingehalten. Darüber hinaus müssen die Experten inzwischen einsehen, daß das Meer seine CO2-Aufnahmekapazität bald erreicht hat. Die Übersäuerung der Meere steht gewissermaßen kurz bevor. Dabei werden die Auswirkungen laut Pressetext.de am schlimmsten in den Gewässern rund um die Antarktis zu spüren sein:

Dort leben kleine schneckenschalenbildende Mollusken (planktonische Gastropoden), so genannte Pteropoden. Sie stellen einen wesentlichen Beitrag in der Nahrungskette des Meeres dar, berichtet die Ozeanbiologin Carol Turley vom Plymouth Marine Laboratory. Betroffen von der Übersäuerung wären auch die Kalkalgen Coccolitophoren (Foto), ein Plankton, das derart große Schwärme bildet, dass es sogar vom Weltraum aus sichtbar ist.
(pte, 1. Juli 2005)

Zu den größten Verlierern im Klimapoker, so die Einschätzung der Wissenschaftler vor zwei Jahren, zählen die Korallen. Dabei sind die oben genannten, angeblichen Hauptgründe ihrer Schwächung, die steigenden Temperaturen, die Folgen von nicht nachhaltigem Fischfang und die Belastung durch Abwässer, möglicherweise nur zusätzliche Begleitfaktoren. Das saure Milieu greift nicht nur die Kalkverbindungen in den Tieren selbst an, es löst auch sämtliche Kalkbestände der Umgebung auf, so daß die Tiere das Mineral nicht auf gewohnte Weise aufnehmen und in ihrem Stoffwechsel verarbeiten können.

Erst durch die Zufuhr von konzentriertem Kalkstein (hier: Carraramamor) konnten die Tiere wieder wachsen. Kalkstein neutralisiert zum einen die Säure in seiner Umgebung und liefert zudem weiteren Kalk als Aufbausubstanz für die Korallenlarven.

Allerdings sind die Vorräte solcher Plattenlieferungen auch schnell aufgezehrt. Hochrechnungen zufolge müssen schon gewaltige Mengen an Kalk aufgebracht werden, um die Korallen z.B. am Great Barrier Reef in Australien vor der Übersäuerung zu retten. Im Pressetext.de hieß es dazu:

...Versuche, die saure Umgebung durch Eintrag von Kalk zu vermindern, lehnen die Forscher ab. "Einerseits wären die Mengen immens - jedes Jahr 60 Quadratkilometer in eine Tiefe von 100 Metern zu vergraben -, andererseits, könnte der Kalk zu einer weiteren Umweltkatastrophe führen, wie Studien Co-Autor Andrew Watson von der East Anglia University in Norwich meint.
(pte, 1. Juli 2005)

Die Neutralisation der Meere mit Kalk würde nämlich sofort die Speicherfähigkeit der Meere für CO2, das sich in Wasser zu Carbonat- Ionen löst, begrenzen, da nur dann ausreichend festes Calciumcarbonat für die Korallen zur Verfügung steht, wenn eine gesättigte Lösung vorliegt. Anders gesagt wäre der Preis für hübsche Korallen eine noch wesentlich schneller voranschreitende Klimaerwärmung mit sämtlichen absehbaren Folgen.

Vielleicht ist das der Grund, warum man die bevorstehende vollständige Übersäuerung der Meere, mit der unter gleichbleibenden Bedingungen bis spätestens 2050 gerechnet werden muß, dieser Tage in Umweltberichten, wie man in dem des Deutschlandfunks beispielhaft sehen konnte, lieber unerwähnt bleibt.

24. Juli 2007