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RATGEBER/245: Trinkwassergewinnung - das Problem ist der Filter (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

es gebe ein Trinkwasseraufbereitungsverfahren ohne Chemie

Es geht nicht ohne


Bei den Katastropheneinsätzen der letzten Zeit werden immer wieder kompakte Wasseraufbereitungseinheiten deutscher Technologie erwähnt, die als Hilfeleistung zum Einsatz vor Ort gebracht werden, um die Betroffenen mit Wasser zu versorgen. Doch was gemeinhin als geniale Wasserversorgung für Notfälle propagiert wird, eine mobile Aufbereitungsanlage, die angeblich nur alles Unerwünschte aus dem Wasser filtriert und fertiges Trinkwasser (ohne weitere chemische Zusätze) abgibt, erweist sich schon im Ansatz als leeres Versprechen.

Die von Siemens entwickelte Anlage basiert ausschließlich auf einem Membranfiltersystem aus Kunststoff. Bis heute läßt sich aber kein synthetisches Polymer ohne Schadstoffemission und Einsatz von Chemie nebst Lösungsmitteln und anderen chemischen Hilfstoffen herstellen. Die Membranfiltermodule enthalten also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nur Weichmacher und andere schädliche Stoffe, wie Reste von Katalysatoren (Schwermetallen u.ä.) die in unscheinbar kleinen Mengen eben auch an das vermeintlich gesäuberte Trinkwasser abgegeben werden.

Allerdings gibt es auch keine wirkliche Alternative, um im Ernstfall ausreichend Trinkwasser in kurzer Zeit bereitzustellen.

Man muß zudem bedenken, daß dieses Verfahren tatsächlich ein langes und zeitraubendes Filtern durch Natursand und Felsgestein abkürzt, wobei letzteres heutzutage auch kein von Umweltchemikalien, Düngemitteln oder den aus der Gülle stammenden Medikamenten freies Trinkwasser mehr garantieren kann. Der Regen wäscht die Schadstoffe aus Luft und Boden und trägt sie in immer tiefere Schichten in das Grundwasser ein. Darüber hinaus werden die natürlichen Filter mit den zurückbleibenden Trübungen befrachtet und büßen dadurch ihre Funktion zunehmend ein.

Angesichts dieser Fakten sind die nach der Tsunami-Katastrophe 2005 oder nach den Erdbeben in China für die Unglücksregionen bereitgestellten Anlagen vom Typ Memcor AXIM noch das kleinere Übel. Sie beweisen, daß man heutzutage das Überleben von Menschen nicht mehr ohne Chemie gewährleisten kann.

Mit den fraglichen Membranfiltermodulen lassen sich bis zu 100 Kubikmeter Wasser pro Tag produzieren. Diese Menge würde schon für die Versorgung einer Kleinstadt ausreichen:

Die Membranmodule von Memcor AXIM bestehen aus etwa 10.000 porösen Kunststofffasern, die in einem zylinderförmigen Gehäuse gebündelt sind. Das Schmutzwasser wird mit einer Pumpe von der Außenseite des Moduls durch die Membran nach innen gepresst. Das gefilterte Wasser wird anschließend zusätzlich gegen Viren desinfiziert. Das Ergebnis ist qualitativ hochwertiges Trinkwasser.
(idw 30. Juni 2005)

Mit anderen Worten besteht der Filter aus zwei Stufen: Die Poren des ersten Membranfilters haben einen Durchmesser von 100 Nanometern (millionstel Millimeter). Wenn verunreinigtes Wasser mit hohem Druck durch diese Filter gepreßt wird, bleiben Einzeller, Bakterien, Algen und andere Mikroorganismen zurück und werden so ganz entfernt. Die schlechtere Alternative wäre eine Entkeimung durch Desinfektionsmittel, die das Wasser als Trinkwasser ungenießbar machen würden und wobei die teilweise immer noch toxischen Reste der abgetöteten Mikroorganismen, die Leichenteile quasi neben dem Desinfektionsmittel im Wasser verbleiben würden.

Diese "Vorfilter" sind noch verhältnismäßig grob. Die feinsten unter den Membranfiltern, sogenannte Umkehrosmosefilter, können selbst Partikel unterhalb eines Nanometers zurückhalten. Damit wird das vorgefilterte Wasser desinfiziert, denn Membranfilter lassen angeblich nur Wassermoleküle passieren und bieten sogar einen Ersatz für bidestilliertes (bzw. doppeltdestilliertes oder doppeltgereinigtes) Wasser, z.B. für die Arzneimittelzubereitung am Auge, in dem keine Bakterienreste oder andere Membranbruchstücke vorkommen dürfen. Ihr Nachteil ist jedoch, daß die Filtration sehr langsam und nur unter hohem Druck möglich ist. Weiter hieß es:

Die Technik der Ultrafiltration hat die inge AG mit finanzieller Unterstützung von Siemens jetzt entscheidend verbessert, wie das Forschungsmagazin Pictures of the Future berichtet. Die Ingenieure der inge AG in Greifenberg bei München entwickelten einen neuartigen Membranfilter, eine so genannte Multibore-Membran, die nicht nur widerstandsfähiger ist, sondern auch mit niedrigerem Wasserdruck arbeitet als die herkömmlichen Anlagen.
(idw 30. Juni 2005)

Im Gegensatz zu wahllos angeordneten feinen Poren sind hier röhrchenförmige einzelne Membranfasern der Ausgang für die Wassermoleküle. Diese Membranfasern bestehen aus einem eigens entwickelten Filtermaterial aus Polyethersulfon. Durch die spezielle Porosität dieses Materials wird der Wasserfluß im Vergleich zu anderen Membranfiltern viel weniger behindert. Das Material läßt sich zudem einfacher und effektiver reinigen. Während des Anlagenbetriebs spart dies Energie- und Unterhaltskosten und erhöht die Betriebsdauer. Trotzdem muß das Wasser mit hohem Druck durch diesen Filter gepreßt werden, was zwangsläufig zu einem Abrieb bzw. Verschleiß des Materials führt, vor allem wenn das Gerät im Notfall die volle Tagekapazität leisten soll. Und dieser Verschleiß geht durch den vorgegebenen Wasserfluß nur in eine Richtung.

Selbst wenn die Schadstoffbelastung des so gereinigten Trinkwassers im Vorfeld vertretbar ist, so ist die Belastung des Trinkwassers mit feinen nanoskalierten Kunststoff-Teilchen nicht auszuschließen, die mit dem ausgestoßenen Wasser ausgetrieben werden. Einen weiteren Filter für diese Teilchen, der eine weitere Abgabe von Filtermaterial an das Wasserfiltrat ausschließt, würde das Verfahren unendlich verlangsamen. Und die bestenfalls opaleszierenden Nanofasern aus Kunststoff sieht man im Wasser nicht. Wie sie sich im menschlichen Organismus verhalten, wird die Zukunft zeigen, und dazu bieten die jüngsten Katastrophengebiete ein geradezu unerschöpfliches Feld an notgetriebenen, freiwilligen Versuchspersonen...

Erstveröffentlichung 13. Juli 2005
neue, aktualisierte Fassung

24. Juni 2008