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RATGEBER/257: Bluthochdruckmittel gegen Haarausfall (SB)


Angst vor dem Kahlschlag wird von Pharmaindustrie ausgenutzt


Hundert- bis hunderfünzgitausend Haare sitzen auf unserem Kopf - im Schnitt etwa 300 pro Quadratzentimeter Kopfhaut. 50 bis 100 davon landen schließlich täglich im Kamm. Besonders bei langem Haar ist das ein recht ansehnlicher Haufen, den mancher mit gemischten Gefühlen betrachtet.

Panik oder Verlustängste zu entwickeln, wäre jedoch verfrüht: Jedes Haar hat von Natur aus eine begrenzte Lebensdauer. Während der Wachstumsphase ist die in der Kopfhaut liegende Haarwurzel fest mit der Papille verbunden, dem "Basislager", von dem aus das Haar mit allen erforderlichen Nährstoffen versorgt wird, die es zum Wachstum braucht. Nach vier bis sechs Jahren hört das Haar auf zu wachsen, löst sich von der Papille und wandert im röhrenförmig in die Haut eingesenkten Haarfollikel nach oben. Nach einer drei- bis viermonatigen Ruhepause wird es von einem neugebildeten Haar aus dem Follikel geschoben und fällt aus. Da an der Haarneubildung beteiligte Vitamine (z.B. Das Hautvitamin D) durch Sonnenlicht aktiviert werden, fällt der Haarausfall häufig mit der Änderung der Lichtverhältnisse oder längeren Aufenthalten im Freien zusammen (im Frühjahr oder Herbst).

Haarausfall ist also ein ganz normaler, keineswegs besorgniserregender Vorgang und deshalb besteht eigentlich überhaupt kein Grund, den Versprechungen der Pharmaindustrie aufzusitzen, die mit Vitaminen und Schönheitspräparaten "von Innen" dichtes, langes Haar versprechen.

Wenn sich aber täglich mehr als hundert Haare in der Bürste einfinden, und das Haar sichtbar "lichter" wird, sollte man einen Hautarzt zu Rate ziehen, der die Ursachen abklärt. Falls es eine Möglichkeit gibt, den Haarausfall zu stoppen oder zu verlangsamen, hat man in diesem frühen Stadium noch Chancen. Denn bei krankheitsbedingtem Haarausfall wächst das Haar in der Regel wieder nach, sobald die Ursache beseitigt ist. Bei einem ernährungsbedingten Haarausfall können dann sogar tatsächlich Vitamine helfen.

Auf keinen Fall sollte man jedoch den gutgemeinten Ratschlägen in der Boulevardpresse folgen, die immer wieder neue Wundermittel anpreist, deren Hersteller sich darauf spezialisiert haben, aus menschlicher Eitelkeit Profit zu schlagen. Wirklich helfen tun diese Pillen oder Wässerchen in der Regel nicht!

Gefährlich wird es sogar, wenn stark wirksame Arzneimittel, die im Nebeneffekt das Haarwachstum fördern, plötzlich als neue Haarwuchswundermittel vermarktet werden sollen. So ist schon seit längerem bekannt, daß der blutdrucksenkende Wirkstoff Minoxidil (6-Piperidino-2,4-pyrimidindiamin-3-oxid und seine Salze nach IUPAC- Nomenklatur) als Nebeneffekt den Haarwuchs anregt. In den USA und Frankreich kamen deshalb sofort minoxidilhaltige Haarwässer auf den Markt und sind über das Internet auch hierzulande erhältlich. In Deutschland ist dieser Wirkstoff allerdings wegen seiner antihypertensiven (blutdrucksenkenden) und vasodilatatorischen (gefäßerweiternden) Wirkung nicht gegen Haarausfall zugelassen.

Allerdings gibt es ein abgewandeltes Derivat des Wirkstoffs, Aminexil, das bei Männern und Frauen gleichermaßen den Haarwuchs fördern soll, ohne gleichzeitig den Blutdruck zu senken. Man kann es als Ampullenkur (externe Behandlung) rezeptfrei (!) in Apotheken beziehen. Bei regelmäßiger Anwendung soll damit die vorzeitige Erschöpfung der Haarwurzeln gebremst und die Wachstumsphase verlängert werden.

Daß Aminexil tatsächlich keine blutdrucksenkende Wirkung besitzt, ist nicht wahrscheinlich. Ein chemisch verwandtes Derivat Lonolox ist beispielsweise ein besonders starker Blutdrucksenker, der wegen seiner vielen Nebenwirkungen nur dann eingesetzt wird, wenn alle anderen Therapieformen (z.B. eine Kombination aus ß-Blocker, Diuretika, Vasodilatatoren) keinen Erfolg zeigen.

Ob das angeblich harmlose Haarwuchsmittel über die äußere Anwendung auch systemische Nebenwirkungen wie Herzjagen oder Übelkeit, Hautausschlag, Spannungen in der Brustgegend (Angina pectoris) oder Blutbildveränderungen (um nur einige wenige zu nennen) nach sich zieht, könnten Langzeitstudien zeigen. Doch da eine kosmetische Anwendung, zumal bei Eigenbehandlung, selten einer ärztlichen Kontrolle (z.B. der Blutwerte) untersteht, werden offensichtliche Nebenwirkungen möglicherweise nicht einmal entdeckt, geschweige denn mit dem Präparat in Zusammenhang gebracht. Und mögliche unangenehme Symptome werden dann auf die eigene schlechte Tagesform geschoben. Dabei ist das Eindringen der Substanz in den Organismus durch die Kopfhaut nicht auszuschließen.

Will man das gleiche blutdrucksenkende Mittel systemisch anwenden, soll es nach Angaben des Herstellers möglichst in einer Spezialambulanz oder -klinik auf den Patienten eingestellt und später mit regelmäßigen Kontrolluntersuchungen überprüft werden.

Ein anderes Beispiel ist das für den androgenetisch bedingten Haarausfall leichtfertig empfohlene Finasterid. Dabei handelt es sich um ein Hormonpräparat, das normalerweise zur Behandlung der gutartigen Prostatavergrößerung zugelassen ist und das männliche Sexualhormon Testosteron hemmt.

Auch bei diesem Mittel sind die klinischen Studien nicht abgeschlossen, die Liste zu erwartender Nebenwirkungen ist dagegen lang und reicht von Schmerzen in den Brustwarzen über Erbrechen, Übelkeit, Appetit- und Schlaflosigkeit bis zu Empfindlichkeitsstörungen wie Hitzewallungen, Angstgefühle, Kopfschmerzen, Schwäche und Herzbeschwerden.

Doch selbst das würden viele Männer ertragen, wenn es um ihre Haare geht.

Allerdings ist die häufigste Form des Haarausfalls, die nur Männer trifft, nicht reversibel. Die Quälerei wäre dann umsonst. Diese wissenschaftlich als Alopecia androgenetrica bezeichnete Form ist für 95 Prozent aller Männerglatzen verantwortlich. Zunächst bilden sich Geheimratsecken, dann eine Tonsur am Hinterkopf, bis schließlich nur noch ein spärlicher Haarkranz zurückbleibt. An all diesem Übel sei nur das Testosteron schuld, sagen die Mediziner. Es beeinflusse die Haarwurzelzellen und verkürze die Wachstumsphase der Haare, aber nur, wenn die Haarwurzelzellen dafür empfänglich sind. Die Empfindlichkeit auf das Hormon soll darüber hinaus erblich sein. Bei dem einen lichtet sich das Haar schon früh, bei dem anderen selbst im hohen Alter überhaupt nicht.

Auch Frauen können vom androgenetischen Haarausfall betroffen sein. Sie haben ebenfalls geringe Mengen von männlichen Sexualhormonen (Androgene) im Blut. Da aber die weiblichen Hormone (Östrogene) die Wachstumsphase der Haare verlängern, hebt sich hier die Wirkung gegenseitig auf. Erst in den Wechseljahren, wenn der Östrogenspiegel langsam sinkt, gewinnen die männlichen Hormone an Einfluß. Allerdings verteilt sich der Haarausfall bei Frauen diffus auf dem ganzen Kopf, nur sehr selten entwickelt sich auch hier mal eine Glatze.

Während die Wirkung von Hormonen bei Männern auch heute noch umstritten ist und zu geringem Erfolg führt, läßt sich der Einfluß von männlichen Hormonen bei Frauen z.B. mit östrogenhaltigen oder antiandrogenhaltigen Haarwässern direkt an der Haarwurzel blockieren. Allerdings ist man dann auch gezwungen, die Hormonpräparate konsequent für den Rest seines Lebens anzuwenden, wenn der Erfolg anhalten soll. Dabei sollte man aber bedenken, daß alle synthetischen Sexualhormone in Verdacht stehen, die eine oder andere Form von Krebserkrankung zu fördern. Überhaupt werden Östrogene oder Gestagene in den Wechseljahren viel zu oft und viel zu leichtfertig als das absolute Nonplusultra angepriesen, nur um den weiblichen Körper jung und verfügbar zu halten.

Eigentlich gibt es nur wenige Präparate, die man guten Gewissens empfehlen kann, um den Haarwuchs "von innen heraus" zu unterstützen. Diese sind jedoch nur bei Ernährungsmängeln wirksam und für die Anwender meist unattraktiv, weil nicht sofort ein positiver Effekt zu sehen ist.

Das liegt daran, daß ein Haar nur etwa 13 mm pro Monat wächst. Es dauert also eine ganze Weile bis künstlich zugeführte Haarnährstoffe auch auf der Haaroberfläche sichtbar werden. Eine längere, kurmäßige Einnahme von Aufbaustoffen wie Gelatine, Kieselsäure, Eisen- und Zinkmineralien, Keratin, Cystin oder Biotin ist deshalb schon erforderlich, wenn man seinen Haaren etwas "Gutes" tun will. Gewöhnlich reicht eine ausgewogene Ernährung, in der beispielsweise auch reichlich Leber, Sojabohnen, Eigelb, Nüsse, Haferflocken, Blumenkohl, Champions und Linsen enthalten sind.

Solche stoffwechselbedingten Haarausfälle entstehen
beispielsweise:


- nach schweren Infektionskrankheiten
- bei hormonellen Schwankungen (nach einer Entbindung oder bei Beginn oder Ende der "Pilleneinnahme")
- bei Schilddrüsenüberfunktion
- bei chronischen Krankheiten wie Diabetes
- bei Mangelzuständen, z.B. Eisen- oder Zinkmangel
- in akuten Streßsituationen
- bei Pilzerkrankungen auf der Kopfhaut
- nach Einnahme von Zytostatika bei Krebserkrankungen
- bei Vergiftungen z.B. mit Quecksilber.

Infolge der sich verändernden Umweltbedingungen und dem Streß, in dem die Menschen heutzutage leben, ist es jedoch auch denkbar, daß wir längst chronisch "vergiftet" sind und der oben beschriebene Notfall für eine hochdosierte Zusatzversorgung von Haut und Haar längst eingetreten ist.

2. Oktober 2008