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RATGEBER/262: Krebssündenbock - Arbutin aus der Birnenschale (SB)


Schlecht für die Gesundheit - oder auch nicht?


Was Acrylamid für knusprige Krusten ist Arbutin für frisches Obst. Die Verteufelung von Lebensmitteln wegen krebserregender Inhaltsstoffe und die Verunsicherung von Verbrauchern hat eine weitere Qualität angenommen. Zwar ist die Diskussion um Acrylamid in Fachkreisen längst revidiert. Doch nachdem der Mensch jahrhundertelang unhinterfragt Bratkartoffeln und braungebratene Krusten genossen hat, ist er sich inzwischen nicht mehr so sicher, ob das noch gesund ist. Hieß es doch vor einiger Zeit plötzlich: "Je brauner desto krebserregend, wegen einer kleinen beim Braten in heißem Fett entstehenden Verbindung, Acrylamid!"

Nun geht es um Birnen, die gerade eine gute Saison haben und von Groß und Klein gerne gegessen werden. Bisher hielt man sie für ausgesprochen gesund, doch seit einiger Zeit melden sich Bedenken:

Ein äußerlich harmlos anmutendes Molekül, das vor allem in der Schale der Birnenfrucht wie auch in den Blättern des Baumes zu Hause ist, soll laut einer Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke von Darmbakterien in Hydrochinon umgewandelt werden.

Letzteres, eine zumindest dem Hobbyfotographen als Bestandteil der Entwicklerflüssigkeit bekannte, sehr nützliche Substanz, ist inzwischen als mutagener bzw. carcinogener Stoff entdeckt worden. Diese Schlußfolgerung ist nachvollziehbar, wenn man in Betracht zieht, daß seine engsten Verwandten wie Benzol, Phenol und auch Styrol (der sich mit einer auffälligen Seitenkette unterscheidet) an menschlichen Zellen im Laborversuch schon Gewebewucherungen zustande gebracht haben.

Darüber, welche Versuche oder Studien beim Arbutin bzw. Hydrochinon zu dem Ergebnis geführt haben, gibt es nur wenig Hinweise. Meistens handelt es sich um die Vermutung, daß das von bestimmten Bakterien aus Arbutin hergestellte Folgeprodukt Hydrochinon in Tierversuchen mutagene Wirkung zeigte. Genaugenommen ließ sich nur eine Studie finden, in der Arbutin in diesen Zusammenhang gebracht wird:

Mutagenicity of arbutin in mammalian cells after activation by human intestinal bacteria [Mutagenizität des Arbutin in Säugetierzellen nach Aktivierung durch menschliche Darmbakterien, Übers. SB-Red.]

Michael Blaut, Corresponding Author Annett Braunea, Sandra Wunderlich, Patrick Sauer, Heiko Schneider and Hansruedi Glatt

German Institute of Human Nutrition (DIfE) Potsdam-Rehbrücke, Departments of Gastrointestinal Microbiology and Nutritional Toxicology, Arthur-Scheunert-Allee 114-116, 14558 Nuthetal, Germany

Received 6 December 2005;
accepted 16 June 2006.
Available online 8 July 2006.

Abstract

Arbutin (hydroquinone-lucopyranoside) is present in various food plants. Its aglycone, hydroquinone, is mutagenic and carcinogenic. We investigated whether hydroquinone may be released under conditions encountered in the human gastrointestinal tract. Arbutin was stable in artificial gastric juice. Fecal slurries from nine human subjects completely converted arbutin (2 mM) into hydroquinone. Four of nine representative human intestinal species investigated, namely Eubacterium ramulus, Enterococcus casseliflavus, Bacteroides distasonis, and Bifidobacterium adolescentis, deglycosylated arbutin at rates of 21.08, 16.62, 8.43 and 3.59 nmol * min-1 * (mg protein)-1, respectively.
(Copyright, 2006 Elsevier Ltd All rights reserved)

Darin werden vier Darmbakterien, namentlich: Eubacterium ramulus, Enterococcus casseliflavus, Bacteroides distasonis und Bifidobacterium adolescentis genannt, die nachweislich Arbutin in Hydrochinon umwandeln (declycosylieren). Weiter heißt es:

Arbutin, unlike hydroquinone, did not induce gene mutations in Chinese hamster V79 cells in the absence of an activating system. However, in the presence of cytosolic fractions from E. ramulus or B. distasonis, arbutin was strongly mutagenic. Cytosolic fraction from Escherichia coli, showing no arbutin glycosidase activity, was not able to activate arbutin in this model system. The release of the proximate mutagen hydroquinone from arbutin by intestinal bacteria in the immediate vicinity of the colon mucosa may pose a potential risk.

Das heißt auf deutsch, reines Arbutin habe im Gegensatz zu Hydrochinon bei bestimmten chinesischen Hamsterzellen (V79) ohne aktivierende Zusätze keine Genmutationen eingeleitet. Durch einen enzymatischen Zusatz aus Eubacterium ramulus oder Bifidobacterium adolescentis wird es jedoch sofort zu stark mutagenem Verhalten angeregt. Eschericha coli Bakterien können Arbutin in dieser Versuchsanordnung nicht in Hydrochinon umwandeln. Man kann hier also von einem potentiellen Risiko ausgehen, wenn Arbutin Darmbakterien in der unmittelbaren Nähe der Darmschleimhaut ausgesetzt ist.

Diese Beobachtung - zumal an isolierten Zellen gemacht - läßt sich allerdings nicht unbedingt direkt auf den Menschen übertragen, obwohl das vielfach so gemacht und das gesamte Thema in den Medien als neue Gefahr für die Menschheit aufgeblasen wurde.

Hydrochinon, das lange Jahre in der Pharmazie als Bleichmittel in Gesichtcremes oder als Harndesinfektionsmittel bei Nieren- oder Blasenentzündungen verwendet wurde, letzteres in Form von arbutinhaltigem Beerentraubenblättertee, bei dem das Arbutin in der Blase zum desinfizierenden Hydrochinon umgewandelt werden muß, wird auf diese Weise vorverurteilt.

Die Umwandlung ist allerdings auch gar nicht schwer, da es sich bei Arbutin nur um ein ß-O-Glucosid des Hydrochinons handelt, d.h. es muß nur ein etwas sperriger Zuckerrest (Glucosid) abgespalten und durch ein Wasserstoffatom ersetzt werden.

In dem englischsprachigen Artikel von Professor Michael Blaut und Professor Hans-Rudolf Glatt vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) in der Fachzeitschrift Food and Chemical Toxicology wurde sich außerdem besorgt darüber geäußert, daß Arbutin in einer Reihe von Lebensmitteln natürlich vorkommt. In einer Pressemitteilung dazu hieß es:

"Ob und welche Rolle dieser Prozess für die Entstehung von Darmerkrankungen wie beispielsweise Darmkrebs spielt, können wir zum derzeitigen Zeitpunkt nicht sagen. Wir haben daher weitere Experimente in Angriff genommen, die zur Klärung dieser Fragen beitragen sollen," kommentiert Michael Blaut, Leiter der Abteilung Gastrointestinale Mikrobiologie die Ergebnisse. (idw 19. September 2006)

Seit längerem sei bekannt, daß der menschliche Körper 64 bis 75 Prozent des aus der Nahrung aufgenommenen Arbutins zu Hydrochinon- Derivaten abbaut und mit dem Urin ausscheidet. Wo und wie Arbutin während des Abbauprozesses im Körper in das mutagene Hydrochinon umgewandelt wird, war bislang jedoch nicht bekannt.

Offenbar reichen die Darmbakterien, die man aus menschlichem Faeces (Darminhalt) extrahieren kann, aus, um Arbutin innerhalb von 24 Stunden vollständig in Hydrochinon umzuwandeln. Zudem fanden die Wissenschaftler Hinweise darauf, daß mit der Nahrung aufgenommenes Arbutin nicht nur in den Dünndarm, sondern auch in den mit Bakterien dicht besiedelten Dickdarm gelangt.

Je mehr Arbutin über Lebensmittel aufgenommen würde, umso größere und relevantere Hydrochinon-Mengen könnten im Dickdarm freigesetzt werden. Damit legen die Wissenschaftler gewissermaßen nahe, daß z.B. Birnen, aber auch Preiselbeeren, Heidelbeeren und Weizenprodukte, in denen höhere Konzentrationen an Arbutin enthalten sind, für den gefürchteten Darmkrebs verantwortlich sind. Gerade die genannten Früchte galten bisher aufgrund ihres hohen Anteils an antioxidativen, sekundären Pflanzeninhaltsstoffen (Polyphenole, Anthocyane (blaurote Farbstoffe)) als Krebsprophylaxe.

Der Gesamtarbutingehalt wird in Preiselbeeren auf ca. 5%, in Heidelbeeren auf 0,5% und in Birnenblättern auf 2% geschätzt. Eine Portion (180 Gramm Birne) soll hingegen genau 4,8 mg Arbutin enthalten, das vor allem in der Schale steckt.

Menschen mit Verdauungsproblemen sollten vorsichtshalber nach dieser Sichtweise keine Weizenkleieprodukte mehr zu sich nehmen. Auch das Ballaststoff-Konzept, bisher als Hilfsmittel für einen gesunden Darm verstanden, müßte aufgrund seines Weizen- und damit Arbutinanteils somit noch einmal neu überdacht werden. Auf jeden Fall raten die Forscher Menschen, die oft und viele Birnen essen, diese vor dem Verzehr lieber zu schälen, da der Hauptanteil des Arbutins in der Schale stecke.

Gar nicht diskutiert wurden die derzeit so beliebten Pro- und präbiotischen Joghurtpräperate, in denen vor allem Bifidobakterien als besonders stimulierend auf den Darm und seine Gesundheit propagiert werden. Nimmt man da nicht gerade jene Arbutin-Umwandler zu sich, ohne die letzteres ganz harmlos für den Darm wäre?

Etwa zur gleichen Zeit erschien auch eine Studie über das in Bleichmitteln und Cremes enthaltene Hydrochinon, das Abbauprodukt des Arbutins und den eigentlich potentiellen Krebserreger:

[...] The potential toxicity of HQ [= Hydrochinon, Anm. d. SB-Red.] is dependent on the route of exposure, and toxicity in rodents is highly sex-, species-, and strain-specific. [...]

Schon die akute Giftigkeit des Hydrochinons ist von vielen verschiedenen Faktoren und vor allem von den spezifischen Organismen abhängig. Hier wurden nur Nagetiere als Versuchstiere eingesetzt, die schon von Geschlecht und Art her große Unterschiede in den Vergiftungs-Erscheinungen aufweisen, während z.B. Ratten und Kaninchen überhaupt nicht auf die Substanz ansprechen:

Developmental and reproductive toxicity studies with HQ in rats and rabbits have not demonstrated significant effects. Cancer bioassay data for HQ demonstrate limited effects and are not sufficient to classify HQ for human carcinogenicity. Epidemiology and occupational studies of workers with extensive exposure to HQ have not reported any evidence of adverse systemic health effects or carcinogenicity. A risk-benefit approach is recommended for assessing the available data for HQ, arbutin, and other materials in use as, or proposed for use as, skin lighteners to provide optimal therapeutic benefits to patients with pigmentary changes of the skin. (Source: Journal of Cosmetic Dermatology, Volume 5, Number 3, September 2006 , pp. 196-203
(8) Publisher: Blackwell Publishing Summary)

Zusammengefaßt heißt das, daß in den speziellen onkologischen Untersuchungen keine signifikante Krebsentstehung nachgewiesen werden konnte, und an Chemiearbeitern, die mit Hydrochinon zu tun haben, keine nachweislichen Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Krebsfälle festgestellt werden konnten. So daß für den Einzelfall eine Risiko- Nutzen-Bewertung empfohlen wird... Damit hält man sich von jeder Stellungnahme und Verantwortung fern und alles darf so bleiben wie es war... Wohl bekomm's!


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Hintergrundinformation des Informationsdienst Wissenschaft zu Arbutin vom 19. September 2006:

Arbutin: Bärentrauben-Blätter-Extrakte werden zur Behandlung von Harnwegsinfektionen eingesetzt. Die Wirkung beruht vermutlich auf dem hohen Arbutin-Gehalt der Extrakte und folgendem Mechanismus: Der Körper baut Arbutin zu Hydrochinon-Derivaten ab, die in den Urin gelangen. Dort nehmen die infektiösen Bakterien die Abbauprodukte auf und wandeln sie intrazellulär in Hydrochinon um, wodurch sie sich selbst vergiften und absterben.

Ebenso vermutet man, dass Arbutin Pflanzen vor Infektionskrankheiten, wie beispielsweise dem Feuerbrand, schützen. Hierbei handelt es sich um eine sehr gefährliche, meldepflichtige Krankheit an Kernobstarten, verursacht durch Erwinia amylovora.

Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam- Rehbrücke (DIfE) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören 84 außeruniversitäre Forschungsinstitute und forschungsnahe Serviceeinrichtungen. Leibniz-Institute arbeiten interdisziplinär und verbinden Grundlagenforschung mit Anwendungsnähe. Sie sind von überregionaler Bedeutung und werden von Bund und Ländern gemeinsam gefördert.

Erstveröffentlichung 25. September 2006
Neue überarbeitete Fassung

19. November 2008