Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

RATGEBER/281: Rationierter Salat in eigenen Fäulnisgasen konserviert (SB)


CO2-Schluckauf für den Fäulnisprozeß

Frischgemüse nur noch für Bessergestellte


Was in Großbritannien schon seit Jahren zum alltäglichen Bild in den Supermarktregalen gehört - abgepackte Butterstullen bzw. neudeutsch: Sandwiches mit dem hierfür unerläßlichen welken Salatblatt, kaltes Fleisch und Mayonnaise zwischen blassen Weißbrotscheiben - wird auch hierzulande immer beliebter. Um sich den Aufstand in der Küche zu sparen und weil die zunehmenden "Singles" dafür auch immer weniger Zeit haben, kauft man sich seine Butterbrote und Schichtstullen fertig belegt und Gemüse und "bunte Salatmischungen" zerkleinert und geputzt in der aufgeblasenen Plastiktüte.

Noch vor wenigen Jahren wäre das fast undenkbar gewesen. In deutschen Landen sollte alles möglichst frisch auf den Tisch, und Salatblätter in Cellophan stehen im krassen Widerspruch zu den typisch deutschen Ansprüchen an Qualität und Frische.

Damit abgepackte Salatblätter auch noch nach Tagen im Verkaufsregal appetitlich aussehen und nicht wie gewöhnlich dem natürlichen Abbau unterworfen vor sich hin dümpeln, macht man sich inzwischen Verpackungstricks zunutze, mit denen die Fäulnisprozesse aufgehalten werden können.

Eine Lösung bietet das sogenannte "dynamische Verpackungssystem" für Frischgemüse und vor allem Salat. Dynamisch bedeutet in diesem Fall, daß man sich zusammen mit entsprechenden Kunststoffverpackungen den natürlichen Fäulnisprozeß des Lebensmittels zunutze macht, indem man ihn zunächst anhält und zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Gang setzt. Dieser künstlich erzeugte Schluckauf im normalen Fäulnisprozeß wird durch Kohlenstoffdioxid ausgelöst, das die Pflanze in der Packung selbst abgibt und ein Stoffwechselprodukt bei der im Dunklen stattfindenden Sauerstoffatmung der Pflanze ist.

Der Überbegriff dieser Verpackungsform "Modified Atmosphere Packaging" (MAP) behauptet, die Umgebungsluft durch eine definierte, auf das Lebensmittel abgestimmte Schutzatmosphäre (das können auch Stickstoff oder andere Inertgase bzw. Mischungen aus Stickstoff und Kohlendioxid sein) zu ersetzen. Das veränderte Gasgemisch verlangsamt oxidative Prozesse und das Wachstum von Keimen und verlängert so die Haltbarkeit des Produkts entscheidend - ganz ohne Konservierungsstoffe! Voraussetzung dafür ist jedoch, daß das Verpackungsmaterial eine effektive Gasbarriere für den geforderten Zeitraum aufrechterhält, sonst würde sich die Schutzatmosphäre schon bald wieder verflüchtigen. Bei dem einfacheren Schluckauf-Verfahren wird die geputzte und zerkleinerte Salatmischung zunächst luftdicht verpackt. Zudem wird die Verpackung mit einem Spezialstreifen versehen, der bei Bedarf abgezogen werden kann und durch den dann Luft, sprich Sauerstoff wieder in die Packung eindringen kann. Beim Kauf des Lebensmittels ist die Packung zunächst jedoch fest verschlossen. Innerhalb der Verpackung gehen aber die normalen Stoffwechselvorgänge des Blattes weiter. D.h. der Salat produziert Kohlenstoffdioxid (CO2). Dieses kann nur begrenzt aus der Packung entweichen und bläht damit die Tüte auf. Gleichzeitig können die aeroben, d.h. sauerstoffverbrauchenden, Fäulnisbakterien nicht mehr wachsen, weil die Atmosphäre in der Tüte kaum noch Sauerstoff enthält.

Es gibt allerdings auch Bakterien, die sich in der anaeroben und zudem kohlensauren Atmosphäre des luftdichten Cellophan- oder Plastikbeutels sehr wohl fühlen, so daß man den durch das CO2 bedingten Säuerungsprozeß nicht unbegrenzt fortsetzen kann - vorausgesetzt, man will weiterhin Salat in der Packung behalten.

Milchsäurebakterien könnten das Blattgemüse sonst in ein Sauerkraut ähnliches Produkt verwandeln. Ein milchsäurevergorener Ruccolasalat wird zur Stinkbombe erster Güte...

So sollte der Kunde nach wenigen Tagen, den Streifen auf der Packung abziehen, damit CO2 entweichen und wieder Luft in die Packung eindringen kann.

Nun beginnt allerdings auch der normale Fäulnisprozeß, d.h. der Salat sollte nicht mehr allzu lange aufbewahrt, sondern bald gegessen werden. Doch immerhin bleibt in diesen Verpackungen ohne weitere Konservierungsmittel ein kleiner Zeitpuffer, um auch wenige lose Salatblätter länger gut aussehen zu lassen.

Zu diesem Zweck wurde in der Lebensmittelforschung experimentell durch systematisches "Vergammeln" von Lebensmitteln überprüft, in welchem Maße sich Milchsäurebakterien vermehren und in welcher Art von Verpackung sie am wenigsten gut gedeihen. Tatsächlich hält der derart abgepackte Salat gegenüber den klassischen losen Blättern wesentlich besser frisch.

Auch Konsumenten bevorzugen den gutaussehenden abgepackten Salat, ohne allerdings daran zu denken, daß er möglicherweise schon drei Tage im Regal liegt und schließlich auch noch weitaus weniger Vitamine enthält, als der angewelkte, weniger repräsentative Kopfsalat vor der Tür.

Dazu sagte Professor Benno Kunz, Direktor des Lebensmitteltechnologischen Instituts der Universität Bonn, der dieses Verfahren vor wenigen Jahren entwickelt hat, gegenüber dem Deutschlandfunk:

Ein paar Vitamine gehen dabei schon verloren, sagt Professor Kunz. Aber das hält er für vertretbar. Für ihn ist klar: den so genannten "fresh cuts" - so heißen diese Salatprodukte neudeutsch - gehört die Zukunft."
(Deutschlandfunk, 11. Dezember 2003)

Gegen die Frage allerdings, ob er selbst abgepackte Salate kaufen würde, wehrte sich der Ernährungs- und Verpackungsexperte mit einem entschiedenen "Nein" und führte so seine eigene Werbestrategie mit wenigen Worten ad absurdum:

"Nein, ich mach das selber. Da weiß ich auch nicht, ob mir die Mischung schmeckt. Abgepacktes nehme ich nicht. Grundsätzlich. Ich mag's lieber frisch. Ich hab's schon mal probiert, aber die schmecken doch irgendwie steriler, finde ich. Nicht gern. Nein, nichts für mich."
(Deutschlandfunk, 11. Dezember 2003)

Der Preisunterschied solle zwar nur bei zwei bis drei Cents höchstens liegen, dafür bekommt man aber auch statt einem ganzen Kopf Salat nur einen Bruchteil Salatblätter in die Tüte.

Preiswerter geht es nicht, denn auch die Verpackungsmaterialien haben es in sich. Hinter den meisten der unscheinbar transparenten Plastikhüllen steckt eine überraschend hoch entwickelte Technologie. Wie auf der BASF-Website (www.basf.de) News & Media Relations - BASF - The Chemical Company unter der Rubrik "Wissenschaft populär" zu lesen ist, gibt es für diesen Zweck noch keinen Universalkunststoff. Meist sind es für das jeweilige Lebensmittel entsprechend kombinierte Mehrschichtfolien, die diese Aufgabe inzwischen befriedigend erfüllen:

Erst die Kombination verschiedener Materialien mit speziellen Eigenschaften ermöglicht die Vielseitigkeit der Anwendungen, die wir heute gewohnt sind", erklärt Dr. Rolf-Egbert Grützner vom Unternehmensbereich Performance Polymers der BASF.
(aus: BASF - Wissenschaft populär - Innovative Verpackungen bereichern das Kühlregal, www.basf.de)

Der Ludwigshafener Konzern gehört zu den weltweit führenden Kunststoff- Herstellern und liefert mit Polyamiden (PA) aus den Ultramid(R) A-, B- und C-Serien einen der wichtigsten Grundstoffe für Verbundfolien.

Die Zusammensetzung dieser neuen Verbundmaterialien hängt entsprechend ganz von den erwünschten Eigenschaften ab und klingt wie ein Schadstoffregister, zumal elastische Kunststoffe meist auch weitere Zusatzstoffe und Begleitstoffe wie Weichmacher, Haftvermittler, Klebstoffe u.ä. enthalten müssen:

Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP) bilden in vielen Fällen die Grundlage einer Mehrschichtfolie und überzeugen durch sehr gute Flexibilität, Sperrwirkung gegenüber Wasserdampf sowie Siegelfähigkeit. Mit diesen Eigenschaften bewähren sich reine PE- Folien als Frischhaltefolie schon lange im Haushaltseinsatz. Sind die Anforderungen jedoch höher, so wird in vielen Fällen eine Kombination mit Polyamiden gewählt. Denn PA hat, was PE und PP fehlt: Polyamide sind stabil und biegsam zugleich, halten Sauerstoff und Kohlendioxid zurück und bleiben auch bei höheren Temperaturen gut in Form. Zu diesen Grundmaterialien gesellen sich je nach Anwendung noch Barrierestoffe wie Ethylen-Vinylalkohol (EVOH), Haftvermittler und Klebstoffe, die die verschiedenen Schichten miteinander verbinden.
(aus: BASF - Wissenschaft populär - Innovative Verpackungen bereichern das Kühlregal, www.basf.de)

Und damit das Ganze auch gut aussieht, wird die Außenseite attraktiv (z.B. grün) bedruckt oder sogar mit einer Oberflächenbeschichtung aus Aluminium versehen, um den Inhalt vor Licht zu schützen.

Besonders gefragt sind derzeit BOPA-Folien, das sind hochgeordnete, (b)iaxial-(o)rientiertes (P)oly(a)mid-Folien, in denen die Molekülketten des Polymers in einer bestimmten Weise ausgerichtet sind, so daß sie eine extrem hohe Reißfestigkeit erhalten. Um die benötigte Stabilität zu erreichen, können BOPA-Folien sehr viel dünner bleiben, so daß die Folie wegen des geringen Erdöl-Verbrauchs bei ihrer Herstellung vom Produzenten sogar als ressourcenschonend und umweltfreundlich bezeichnet wird. Dafür hat man allerdings diese Art von Verpackung früher überhaupt nie gebraucht...

Ist die Kehrtwende zu kleineren Verpackungseinheiten möglicherweise schon ein Hinweis auf eine drohende Lebensmittelverknappung, gerade im Hinblick auf frisches Gemüse? Soll das Verbraucherverhalten durch reizvolle Verpackungen so verändert werden, daß jeder nur noch das kauft, was er wirklich ißt, oder soll Gemüse bis zum letzten Blatt teuer verkauft werden, und die für die ärmere Bevölkerung überlebenswichtigen Preisnachlässe für den sofortigen Verbrauch oder Verzehr bei natürlich einsetzender Alterung und Qualitätsminderung auf diese Weise allmählich ganz unterbunden werden?

Die letzte Äußerung von Prof. Kunz ließe sich zumindest dahin interpretieren, daß frische Lebensmittel schon lange nicht mehr etwas Selbstverständliches und für jeden Zugängliches sind:

"Dass die Verbraucher aktiv mitmachen und den Streifen abreißen müssen, hält Kunz ebenfalls für eine gelungene Interaktion. Sie zwinge die Verbraucher dazu, bewusster mit dem Lebensmittel umzugehen." (Deutschlandfunk, 11. Dezember 2003)

20. Februar 2009