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RATGEBER/291: Backpulver - Kein Kuchen ohne Chemie (SB)


VON APFELESSIG BIS ZITRONE - Bewährte Hausmittel einfach erklärt

Backpulver und andere Triebmittel

Kein Kuchen ohne Chemie


Selbstgebackenes halten viele für gesünder als Fertigware, da darin naturgemäß wesentlich weniger Chemie steckt als in den Produkten, die mit längerer Haltbarkeit ausgezeichnet und in Plastik eingeschweißt in dem Supermarktregalen zu finden sind. Sicher hat der Bäcker auch so manchen chemischen Trick, der seine Sahne besonders schaumig und haltbar oder die Tortenglasur besonders glänzend und fest macht. Treibmittel, Gelatine, Konserverierungsmittel, das alles sind erlaubte Chemikalien, die in den Kuchen kommen und mit beängstigenden E-Nummern unter der Überschrift 'Inhalt' auf dem Etikett aufgeführt werden.

Doch auch in den selbstgebackenen Kuchen wird normalerweise ein Pülverchen hineingerührt, das seine spätere Lockerheit garantiert und das ist keineswegs nur "Mehl". Die Frage stellt sich immer wieder: Was ist eigentlich drin, im guten alten Backpulver, das man neben Eiern, Margarine, Zucker und Mehl so selbstverständlich in den Teig rührt, wenn man einen flauschigen Napfkuchen zustande bringen will?

Nehmen wir einmal ein ganz gewöhnliches Produkt, wie es überall fertig im Tütchen oder Röhrchen zu erwerben ist. Dieses weitverbreitete völlig harmlos erscheinende Pulver enthält Natron d.h. Natriumhydrogencarbonat, Natriumhydrogendiphosphat und Stärkepuder. Nur den Stärkeanteil kann man, wenn man möchte, als nicht chemisch bezeichnen, obwohl Stärke, technisch aufbereitet als (C6-H10-O5)x, durchaus ein chemischer Begriff ist. Stärke, es handelt sich meist um feine Reis- oder Maisstärke, hat hier nur die Funktion eines Trennmittels. Es wirkt der vorzeitigen Zersetzung der chemischen Bestandteile entgegen, indem es die Berührung der Kristalle untereinander in Gegenwart der immer etwas Feuchtigkeit enthaltenen Luft verhindert.

Natron zerfällt schon in der Hitze in Soda, Wasser und Kohlendioxid nach der Gleichung:

2 NaHCO3
Natron
−−−−−>

Na2CO3 + H2O + CO2
Soda Wasser Kohlenstoffdioxid

Man könnte deshalb auch ausschließlich Natron zum Backen verwenden, um einen lockeren Kuchen zu erhalten. Da Natron jedoch beim Backen in Soda übergeht und damit dem Brot oder Kuchen einen unangenehmen, seifigen Geschmack verleiht, wird es verhältnismäßig selten (z.B. in Pfefferkuchen und anderen stark würzigen Kuchen aus schwerem Teig) in reinem Zustand verwendet. In Verbindung mit Säuren (z.B. auch durch Zitronensaft) wird die Sodabildung verhindert.

Aus diesem Grund ist im Backpulver das sauer reagierende Natriumhydrogenphosphat enthalten. Durch das saure Salz (und jede andere Säure) wird ein Teil des Kohlendioxids aus Natron schon bei der Teigbereitung freigesetzt und zwar bei der Zugabe der Flüssigkeit. Erst in gelöster Form wirkt nämlich Natriumhydrogenphosphat als Säure und dafür ist nicht einmal viel Wasser nötig; es reicht etwas Feuchtigkeit, um diese Prozesse in Gang zu setzen. Durch die Hitze im Backofen wird der Vorgang beschleunigt und zuende geführt.

Es kann sich hier kein Soda bilden, weil das Hydrogenphosphation, das sich aus dem Na2HPO4 unter Zugabe von Wasser bildet, immer noch eine stärkere Säure ist als die Kohlensäure und bekanntermaßen gilt das chemische Gesetz, daß die stärkere Säure die schwächere aus ihrem Salz vertreibt und ihr eigenes Salz bildet. Genaugenommen spielt sich folgende Reaktion ab:


Na2H2P2O7 + 2 NaHCO3

Wasser
−−−−−>
Hitze
2CO2 + 2Na2HPO4 + H2O

Das Natriumhydrogenphosphat, das im Kuchenteig mit verbacken wird, ist ein Salz der Phosphorsäure. Diese ist in stark verdünnter Form ungiftig und wurde wegen ihres milden sauren Geschmacks auch früher schon vielen Limonaden zugesetzt (z.B. Cola).

Die bei Zimmertemperatur einsetzende CO2-Entwicklung nennt man Vortrieb; beim späteren Erhitzen wird weiteres CO2 frei (Nachtrieb). Als saurer Bestandteil des Backpulvers wird oft auch Weinstein verwendet:

HOOC-CH2-CH2-COOK Weinstein


C4H5O6K + NaHCO3

Wasser
−−−−−>
Hitze

C4H4O6KNa + H2O + CO2

Der Weinstein kann z.T. auch durch Weinsäure ersetzt werden. Bei ausschließlicher Verwendung von Weinsäure entsteht jedoch eine zu stürmische Gasentwicklung. Zur vollständigen Umsetzung von 5 g Natron werden 6,6 g Diphosphat oder 11,2 g Weinstein benötigt.

Man kann sich übrigens auch selbst ein Backpulver aus 25 g Calciumhydrogenphosphat, 22 g Natron und 20 g Mehl zubereiten, indem man die drei Komponenten gründlich mischt.

Bei der Verwendung von Backpulver sollte man immer darauf achten, daß es trocken aufbewahrt wird und erst kurz vor der Anwendung aus seiner Verpackung genommen wird. Läßt man Backpulver tagelang offen in feuchter Umgebung liegen (und die Küche ist ein sogenannter Naßraum), so schlägt sich der Wasserdampf auf der Oberfläche der wirksamen Bestandteile nieder und bringt kleine Teile davon in Lösung. Dies führt zu den oben beschriebenen Umsetzungsreaktionen, bei denen CO2 ungenützt entweichen kann. Das Backpulver ist dann eventuell nicht mehr ausreichend wirksam.

Beim Backen ist das Backpulver in der Regel mit trockenem Mehl gut zu vermischen; erst dann wird unter Flüssigkeitszugabe der Teig angerührt. Es soll immer möglichst wenig Flüssigkeit mit dem Gemisch in Berührung kommen, damit nicht zuviel CO2 entweicht, ohne den Teig aufzutreiben. Alle Zutaten sollen bei der Teigzubereitung kalt eingerührt werden, da sich das CO2 in der Wärme ebenfalls zu schnell entwickelt und nutzlos verdampft.

Übrigens gibt es auch selbstgemachte Backwaren, in denen man Chemie tatsächlich vermeiden kann: Mürbeteig wird ohne Treibmittel gerührt und im Hefeteig produziert die zugesetzte Hefe zwar Kohlendioxid als Stoffwechselprodukt, ist aber ein vollkommen natürlicher Organismus, der allein durch Zucker vermehrt werden kann. Das gleiche gilt für Sauerteig. Backpulver ist jedoch das vielseitigste Teiglockerungsmittel oder Triebmittel, denn es kann zur Bereitung aller Teigarten und Backwaren verwendet werden. Zucker- und fettreiche Teige sowie besonders Honig- und Lebkuchenteige werden von Hefe nur unzureichend oder überhaupt nicht gelockert. Für diese Gebäcke sowie für Biskuitteig und zuckerhaltige Gebäcksorten ist Backpulver absolut unentbehrlich geworden.

Eine weitere "natürlich" anmutende Alternative ist Hirschhornsalz. Doch auch das ist Chemie. Das weiße, nach Ammoniak riechende Pulver, das sich beim längeren Lagern an offener Luft regelrecht verflüchtigt oder in eine trübe Masse verwandelt, besteht aus Ammoniumhydrogencarbonat (NH4HCO3, E 503). Früher wurde diese Verbindung aus trockenen, zerkleinerten Hirschgeweihen destilliert, daher der Name. Schon bei 60 °C zerfällt das Salz in die Gase Ammoniak, Wasserdampf und Kohlendioxid. Da der Ammoniak jedoch jedem Gebäck, das hiermit gebacken wird, eine besondere geschmackliche Note aufdrückt, kann man es nicht für jedes Gebäck verwenden und wird meistens für Leb- und Pfefferkuchen verwendet. Für 500 g Mehl braucht man etwa 5 bis 10 Gramm.

Für Honigkuchen wird außerdem traditionell Pottasche als Lockerungsmittel verwendet. "Pottasche" steht umgangssprachlich für Kaliumcarbonat (K2CO3), das nur in Gegenwart von Säuren Kohlendioxid freisetzt. Daher wird zur Gebäckherstellung zusätzlich Bienenhonig oder ein Säurezusatz verwendet.

Der Honig weist infolge des natürlichen Säuregehaltes (vor allem Gluconsäure, durch das Enzym Glucoseoxidase aus Glucose gebildet, aber auch geringe Mengen Essig-, Milch-, Citronen-, Bernstein-, Ameisen-, Malein-, Äpfel- und Oxalsäure) einen mittleren pH-Wert von 3,9 auf. Das reicht als Säurezusatz vollkommen aus und puffert auch den seifigen Geschmack des Kalisalzes aus.

Man sieht, daß auch die althergebrachte Bäckerei ohne "Zusatz"- und Konservierungsstoffe reichlich Chemie enthält. Lassen Sie es sich trotzdem gut schmecken...

Erstveröffentlichung 1998
Ergänzte, aktualisierte Fassung

7. Mai 2009