Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

RATGEBER/292: Schluß mit dem Gerücht, Alkohol sei reine Energie (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT, ...

daß sauberer Alkohol besser sei, als chemieverseuchte Lebensmittel


Alkohol oder Weingeist, wie man ihn früher nannte, gilt vielfach als die reine Essenz, als der saubere "Geist des Weines" und damit als purer Energielieferant ohne schädliche Begleitstoffe. Tatsächlich gibt es die Ansicht, daß man sich - angesichts der zunehmenden Belastung in Umwelt und Nahrung (die derzeitige Häufung an Lebensmittelskandalen gibt hier gerade neuen Anlaß) besser von reinen Stoffen wie beispielsweise hochwertigem Alkohol ernähren sollte (10 Gramm Alkohol liefert 70 Kilokalorien bzw. 300 Kilojoule). Experten wollen berechnet haben, daß in Europa und den USA Alkohol durchschnittlich ungefähr 10% zur gesamten Energiezufuhr der erwachsenen Bevölkerung beiträgt. Früher war man von Alkohol als rückstandsfrei verwertbarer Energiequelle so überzeugt, daß man ihn sogar pharmazeutischen Präparaten zur intravenösen Ernährung zufügte. Nach dem neuesten Stand der Forschung ist das nicht nur schädlich, sondern, wenn man Alkohol als Nahrungsmittel von der ernährungsphysiologischen als auch toxikologischen Seite her betrachtet, schlicht: Unsinn.

Es gibt viele stichhaltige Gründe, jede Form von Alkohol (selbst als gelegentliches Genußmittel) zu meiden, weil - von potentieller Suchtgefahr einmal abgesehen - die schleimhautangreifende, austrocknende und damit ätzende Wirkung des Alkohols oder Ethanols sogar oberflächlich mehr Schaden anrichten kann, als die Vermeidung von Schadstoffen und der Gewinn von Energie Nutzen bringen.

Tatsächlich ist Alkohol selbst so etwas wie ein Schadstoff. Neben Leber und Nierenschäden lassen sich in manchen Fällen so unappetitliche Krankheiten wie Kehlkopftumoren, Speiseröhrenkrebs, Magengeschwüre, Magenkrebs, Leberzirrhose u.a. auf regelmäßigen Alkoholgenuß zurückführen. Und dafür reichen sogar kleine, nicht einmal hochprozentige Mengen, deren regelmäßiger Konsum gemeinhin noch nicht als Trunksucht gilt. Das angenehme "reinigende" Brennen, das man nach dem Genuß scharfer Getränke spürt, sind beginnende Entzündungen entlang der Speiseröhre.

Auch nicht gerade attraktiv macht den Genuß von Alkohol das, was britische Forscher gemessen und in der Fachzeitschrift Lancet (Band 355, Seite 1969, 2000) veröffentlichten: Wenn Menschen über lange Zeit regelmäßig Alkohol zu sich nehmen, geht das an ihrem Gehirn nicht spurlos vorüber: Es schrumpft. Hirnschäden, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sind die Folge.

Doch selbst, wenn man das alles für vermeintliche Schadstofffreiheit in Kauf nimmt und Häute und Hirn für regenerierbar hält (letzteres wurde ebenfalls in der Lancet behauptet), kann man bei den systematischen chemischen Analysen von alkoholischen Getränken sein blaues Wunder erleben, wenn die vermeintliche Reinheit einmal wirklich überprüft wird. Man stößt sehr bald auf Substanzen, die man hier nie vermutet hätte und die hier auch gar nichts zu suchen haben, und doch sind sie meist natürlichen Ursprungs.

Zu diesen Extremisten in der alkoholischen Lösung gehören u.a. Dimethylsulfid, Blausäure oder Methanol.

Dimethylsulfid hört sich gefährlich an, ist aber ein Stoff, der gewöhnlich von Bakterien in der Mundhöhle produziert wird und kurz gesagt einen schlechten Atem macht. Es läßt sich jedoch nicht aus der alkoholischen Lösung herausschmecken. Auch die Konzentration der Blausäure, die ein hierfür sensibilisierter Tester am leichten Aroma nach Bittermandel durchaus wahrnehmen kann, überschreitet nicht die toxischen Werte, schadet also nicht.

Schwierig wird es bei dem höchst giftigen Methanol. Schon Apfelsaft enthält nach chemischen Analysen unterschwellige, d.h. nicht schädliche Dosen dieses Giftes, das quasi der kleine Bruder des Ethanols ist.

H3C-CH2-OH Ethanol, farblose, scharf riechende Flüssigkeit, die bei 78°C siedet und bei -115°C gefriert.

CH3-OH Methanol, hat eine an den Kohlenstoff gebundene Hydroxylgruppe (OH). Ursprünglich wurde es als Holzgeist bezeichnet, denn es entsteht, wenn Holz unter Luftausschluß erhitzt wird (trockene Destillation). Heute wird Methanol aus Synthesegas, einem Gemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid gewonnen.

Weder in Fruchsäften, noch in fachgerecht hergestellten Weinen und Spirituosen soll der geringe Methanolgehalt jedoch eine Gefährdung für den Konsumenten darstellen. Anlaß zur Besorgnis bietet dagegen sogenannter "Schwarzgebrannter", der mit schlechten Destillationsapparaten, ungenauen Thermometern usw. hergestellt wurde, so daß Methanol und Ethanol, die sich in ihrem Siedepunkt unterscheiden, beim "Schnapsbrennen" nicht exakt voneinander getrennt werden können. Während der Prohibition in Amerika und in Kriegs- und Nachkriegszeiten hierzulande mußte mancher den nachlässig gebrannten Schnaps und verschlepptem Methanolanteil mit seinem Augenlicht bezahlen. Der menschliche Stoffwechsel baut Methanol zu Formaldehyd und Ameisensäure ab, und diese Substanzen schädigen die Netzhaut. Heute ist die Gefahr zumindest hierzulande allerdings eher ein Gerücht, das vom Fiskus aufrecht erhalten wird, um den Schwarzmarkt klein zu halten.

Jeder, der sich dafür interessiert, kann inzwischen eine preiswerte Destillier-Ausrüstung und entsprechendes Know-how erwerben, um Ethylalkohol zu gewinnen, der nichts zu wünschen übrig läßt. Umso rätselhafter läßt sich die Geschichte des methanolgestreckten Whiskys, der einigen Jugendlichen auf einer Klassenfahrt in die Türkei das Leben kostete und vor kurzem erst die Medien in Atem hielt.

Weine und Spirituosen sind durchaus nicht vor Fälschern gefeit, die aus der recht kostspieligen Art mancher Zeitgenossen, sich "leere Kalorien" zuzuführen, möglichst großen Profit schlagen wollen. Mittels chemischer Zusätze versuchen sie mittelmäßige Weine oder Weinbrände aufzubessern und zu verfeinern. In der Regel sind diese Fälschungen aber nicht giftig.

In Deutschland werden Jahr für Jahr einige hundert Fälle von meist billigen Produkten entlarvt, die als Weinbrand deklariert sind, aber durchaus keinen gebrannten Wein enthalten. Viele davon werden vielmehr aus verfaultem Obst gebrannt, was durch den Nachweis von Allylalkohol (korrekter: 2-Propen-1-ol) oder Acrolein (2-Propenal, das Oxidationsprodukt, das daraus beim Erhitzen entsteht) zweifelsfrei festgestellt werden kann, denn diese beiden Substanzen entstehen nur bei Fäulnisprozessen. Allylalkohol, der sonst nur noch bei der Kunststoffproduktion als Weichmacher eine Bedeutung hat, besitzt einen stechenden Geruch und Geschmack, der Geruch von Acrolein ist sogar als widerlich zu bezeichnen. Letzterer tritt immer wieder bei zu hoch erhitztem Fett in der Bratpfanne oder beim Verbrennen oder Verschmoren organischer Verbindungen auf und ist bei Bränden die Ursache der meisten Todesfälle durch Ersticken.

Solche Ingredienzien müssen unbedingt übertönt werden und so greifen die Fälscher gern zu aromaintensiven Estern wie synthetisiertes Ethylheptanoat, der Ethylester der Heptansäure, die in echtem Weinbrand ebenfalls nicht zu finden sind, aber intensiv nach Cognac riechen.

1986 gab es einen Skandal, als aufgedeckt wurde, daß etliche österreichische Weine das Frostschutzmittel Diethylenglycol enthielten, um sie süßer und runder zu machen. Zum Glück kam niemand davon zu schaden. Anders in Italien, wo im gleichen Jahr 19 Menschen an methanolhaltigem Billigwein starben oder sogar 85 Menschen im Jahr 1992 in Bombay.

Soviel zur Reinheit des Alkohols.

Wer sich dennoch von scharfen Spirituosen ernähren will, muß mit einer Hypovitaminose rechnen. Lebenswichtige Stoffe wie Vitamine, Mineralien und Spurenelemente sind in Bier und Wein zwar noch geringfügig vorhanden, in hochprozentigen Spirituosen gehen sie während der Destillation ganz verloren. Ein halber Liter Bier enthält ungefähr 50 mg Calcium und 0,1 mg Eisen, ein Glas Rotwein dagegen nur 10 mg Calcium, aber bis zu 1 mg Eisen. Apfelwein enthält bis zu 2 mg Eisen pro Glas. Vitamine der B-Gruppe, die aus der Hefe stammen, finden sich recht nennenswert im Bier, im Wein dagegen etwas weniger. Kein alkoholisches Getränk enthält jedoch die lebenswichtigen Vitamine A, C und D.

Der Geist des Weines enthält somit mehr als man denkt, aber sehr viel weniger als man braucht. Doch selbst wenn es keine gesundheitlichen Risiken gäbe, hat doch reiner Alkohol als Nahrungsmittel entscheidende Nachteile. Alkoholkalorien wirken nämlich anders als Kohlenhydratkalorien: Während beim Verzehr von Kohlenhydraten der Energiespeicher des Körpers, das Glycogendepot in der Leber, aufgefüllt wird, stimuliert Alkohol dessen Abbau(!). Die Alkoholkalorien stehen also nicht unmittelbar als Energie für Arbeit oder Bewegung zur Verfügung, sondern werden alle erst einmal in Fett umgewandelt, das - wenn überhaupt - nur sehr langsam wieder abgebaut wird. Der berühmte und vielzitierte "Bierbauch" ist somit kein Gerücht, wohl aber die Behauptung, man könne sich mit Alkohol "reine Energie" zuführen.

19. Mai 2009