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RATGEBER/313: Schluß mit dem Gerücht, hartes Wasser mache ein gesundes Herz (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT

daß hartes Wasser gesünder ist als weiches?


Ob es an dem deutschen Wahlspruch liegt, "gesund sei, was hart mache", an Aberglauben oder statistischen Erhebungen... in vielen Haushalten hat sich bis heute die Ansicht halten können, hartes Trinkwasser sei besonders gesund.

Tatsächlich wurde aufgrund länger zurückliegender wissenschaftlicher Untersuchungen in England und Wales schon einmal die Vermutung geäußert, daß das Auftreten tödlicher Herzerkrankungen und die Härte des Trinkwassers in einem umgekehrten Verhältnis stehen. Müssen also weniger Menschen sterben, je härter das Wasser ist?

Umfassende Erhebungen und Statistiken wollten dieser Frage auf den Grund gehen, doch war es bisher unmöglich, überhaupt einen spezifischen Faktor im Wasser mit Herzerkrankungen in eine kausale Verknüpfung zu bringen. Der folgende Bericht ist daher auch ein weiteres Beispiel für den Sinn und Unsinn statistischer Erhebungen und dafür, wie wenig relevant wissenschaftliche Nachweise sind, wenn man beispielsweise damit versucht, bestimmte Umweltfaktoren für den Gesundheitszustand der Bevölkerung verantwortlich zu machen.


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Herzkrankheiten sind immer noch die häufigste Todesursache in den Industrieländern, und überall ist auch Wasser ein Grundnahrungsmittel. Dennoch käme niemand auf die Idee, Wasser grundsätzlich als schleichendes Herzgift zu bezeichnen. Betrachtet man allerdings die Daten und Werte in Statistiken unter ganz bestimmten Gesichtspunkten, könnte man durchaus zu dieser Schlußfolgerung gelangen, aber auch zu jeder beliebigen anderen...

Daß in England und Wales etwa 10.000 zusätzliche Todesfälle pro Jahr bei Personen auftraten, die in Gebieten mit weichem Wasser statt in Gebieten mit hartem Wasser leben, läßt sich beispielsweise aus einer statistischen Aufstellung entnehmen.

Eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Wasserversorgung und Herzkrankheiten herzustellen und wissenschaftlich mit statistischen Daten zu belegen, wird dann aber dadurch erschwert, daß weitere Faktoren hinzugezogen werden müssen, die entweder auf den Gesundheitszustand des Herzens oder auch auf die Art des Trinkwassers Einfluß nehmen könnten.

Auch in vielen anderen Ländern lassen sich durchaus geographische Gebiete mit höherem oder niedrigerem Auftreten von Herzkrankheiten definieren, die scheinbar mit Umweltfaktoren korreliert werden können. So fand man für Europa Zahlen, die darauf hinweisen sollen, daß Bevölkerungsteile, die auf älteren Gesteinen wohnen, zu mehr Todesfällen durch Herzerkrankungen tendieren. So traten z.B. 1967 auf 100.000 Personen beider Geschlechter und jeden Alters 314 +/-29 Todesfälle auf, wenn sie auf Gesteinen, die älter als 600 Millionen Jahre sind, wohnten, aber nur 159 +/-50 bei solchen, die auf Gesteinen lebten, die weniger als 180 Millionen Jahre alt sind.

Nun enthalten die älteren Steine weniger Carbonate, und das Trinkwasser ist dementsprechend weicher. Die geographische Zuordnung ist aber auch nur dann möglich, wenn das Wasser aus einer gebietseigenen Quelle bezogen wird (Bremer Bürger beziehen z.B. ihr Trinkwasser größtenteils aus dem Harz). Geochemisch gesehen enthalten diese alten Gesteinsarten zudem niedrigere Gehalte an Spurenelementen. D.h. das Wasser "das hier durch den Stein geht" ist nicht nur weicher, sondern auch ärmer an Mineralien.

In den USA hat man sogar noch höhere Sterberaten aufgrund von Herzkrankheiten nachgewiesen und in einen Zusammenhang mit Gesteinen, Böden und Wasser mit niedrigeren Gehalten an Spurenelementen gebracht. Auch hier war das fragliche Wasser entsprechend weicher: 1968 bis 1972 betrug die Sterberate aufgrund von Herzkrankheiten pro 100.000 Personen der weißen Bevölkerung beider Geschlechter und jeden Alters 366 +/-32 bei hohen Konzentrationen von Spurenelementen gegenüber 428 +/-39 bei niedrigen Konzentrationen von Spurenelementen. Sie betrug jedoch bei anderen Todesursachen 432 +/-70 (hoch in Spurenelementen) und 424 +/-44 (niedrig in Spurenelementen).

Solche Zusammenstellungen legen nahe, daß der Spurenelementemangel die Ursache der höheren Sterberaten ist und nicht die Gehalte an Calcium und Magnesium, die die Wasserhärte bestimmen. Die Wasserhärte wäre dann nur eine zufällige Begleiterscheinung. Eine künstliche Erhöhung der Wasserhärte zum Beispiel durch einen Zusatz an Kalk, den man vielleicht aus den ersten Vermutungen als vorbeugende Gesundheitsmaßnahme schlußfolgern könnte, machte unter diesen Zusammenhängen überhaupt keinen Sinn und würde auch die Sterberate nicht herabsetzen.

Daneben gibt es aber auch andere Faktoren wie ungünstige klimatische Bedingungen, ebenfalls häufig mit erhöhten Sterberaten in Zusammenhang gebracht. Wenn z.B. in Gebieten mit weichem Wasser gleichzeitig ein feuchteres Klima herrscht, könnte die Korrelation mit der erhöhten Sterblichkeit durch weiches Wasser rein zufällig auftreten. Eine weitere Schwierigkeit entsteht dadurch, daß Herzkrankheiten eine Vielzahl verschiedener Ursachen haben können. In einigen Ländern bestand nur bei Vertretern einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ein Zusammenhang mit der Wasserversorgung und zeigte keine weiteren geographische Übereinstimmungen.

Eines ist klar, derartige Untersuchungen sind vollkommen ohne Belang. Entweder wurden sie nicht sorgfältig geplant und durchgeführt oder die Datenmenge ist nicht ausreichend repräsentativ genug. Zum Beispiel wurde eine dieser Untersuchungsreihen zuerst dahingehend gedeutet, daß die Anhebung der Wasserhärte von 0,5ppm auf 220ppm eine 47%ige Verminderung der Sterberate innerhalb von 10 Jahren bewirkt habe. Nur wurde dabei nicht berücksichtigt, daß sich die Zusammensetzung der Bevölkerung während dieses Zeitraums verändert hatte. Eine erneute Interpretation der Ergebnisse ergab dann nur noch eine 16%ige Verminderung der Sterberate. Im Vergleich zu einer ohnehin verminderten Gesamtsterberate von 13% in den USA im gleichen Zeitabschnitt ist das fast vernachlässigbar wenig. Die ganzen vermuteten Zusammenhänge zwischen Gestein, Wohnsitz, Trinkwasserzusammensetzung und Spurenelementbedarf scheint doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen und schlicht unwissenschaftlich.

Verläßliche Untersuchungen an ausreichend vielen Probanden zu möglicherweise einflußnehmenden Umweltfaktoren, die überhaupt einen Vergleich zuließen, sind jedoch außerordentlich kostspielig, da sie einerseits große Bevölkerungszahlen benötigen, um statistische Fehler zu vermeiden, und zudem langfristig durchgeführt werden müssen.

Stattdessen wird immer wieder auf bereits vorhandenes Datenmaterial zurückgegriffen wie die Wasseranalysen der Wasserämter, die Sterblichkeitsdaten von Totenscheinen sowie weniger umfangreiche Gutachten umfaßt. Dabei können ebenfalls Probleme auftreten:

- Gesundheitsämter erfassen nicht die gleichen Gebiete wie Wasserämter;

- es treten Veränderungen in der Bevölkerung ein oder Personen sterben nicht an dem gleichen Ort, an dem sie die meiste Zeit ihres Lebens gewohnt haben;

- Totenscheine geben nicht exakt den Zustand des Herzens in Verbindung zum übrigen Gesundheitszustand oder gewissen Mangelerscheinungen an;

- die sozialen und wirtschaftlichen Umstände lassen sich oft nur schwer erfassen.

Man muß also festhalten, daß die spezifische Rolle des harten oder weichen Wassers bei Herzerkrankungen bisher nicht geklärt werden konnte. Die dafür nötigen Untersuchungen wären zu kostspielig, zumal auch dann immer noch weitere unberücksichtigte Faktoren auftauchen könnten, die das Ergebnis wiederum in Frage stellten.

Dennoch schließen Umweltchemiker aus den oben erwähnten
Untersuchungen, daß ...

- Wasserhärte einen gewissen Schutz bedeutet, da sie möglicherweise verhindert, daß Blei und Cadmium in Wasserleitungen gelöst werden. Beide Metalle verursachen hohen Blutdruck, der ein bekannter Vorbote für Herzerkrankungen ist.

- Spurenelemente im harten Wasser einen gewissen Schutz für Herz und Kreislauf darstellen.

- umgekehrt die geringe Konzentration von Spurenelementen in weichem Wasser zu einem Mangel an schützenden Stoffen führen kann. Ähnlich wie bei destilliertem Wasser kann es z.B. durch osmotische Effekte die Mineralstoffe aus den Körperflüssigkeiten auslaugen.

Auch direkte Wirkungen werden vermutet, können aber wiederum nur schwer nachgewiesen werden. So nimmt man beispielsweise an, daß sich geringe Lithiumgehalte günstig bei der Verminderung von Ängsten oder psychischen Streß (Druckzuständen) und damit auf den Blutdruck auswirken.

Die Gleichsetzung von "hartem Wasser" mit "gesundem Herzen" läßt sich jedoch durch nichts begründen. Wer also aus seiner Leitung sogenanntes "weiches Wasser" d.h. carbonat- bzw. kalkarmes bezieht, sollte sich nur darüber freuen, daß er weniger Entkalker für die Waschmaschine braucht und sich auch nicht mit dem Problem verstopfter Röhren herumschlagen muß, sich aber nicht einreden lassen, daß ihm davon ein früherer Herztod droht. Denn nach der bekannten Steigerung "kleine Schwindelei - große Lüge - Statistik", sollte man die Aussagekraft dieser Erhebungen doch richtig einschätzen.

Erstveröffentlichung 2003
neue, aktualisierte Fassung

3. Februar 2010