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RATGEBER/341: Bio-Booster Rote Beete - Zweifel angebracht ... (SB)



Gibt es tatsächlich so etwas wie ein natürliches, unschädliches und zudem legales Dopingmittel? Das Beispiel eines hochkonzentrierten Rote-Beete-Safts, der in Fitness-Foren und Sportlerkreisen derzeit aufgrund einer Studie als "Bio-Booster" für Ausdauersportarten oder als "Stellschraube, an der man noch drehen könne" vermarktet wird [1], wirft viele Widersprüche und Fragen auf, denen im Folgenden einmal nachgegangen werden soll:

Von jeher gilt Rote Beete als gesund. Dafür sprechen allein die vielen Vitamine, Mineralien und anderen gesunden Inhaltstoffe der roten Rübe. In ihrem Saft finden sich Anthocyane und Betain, denen zellschützende, antimikrobielle, antikanzerogene bzw. Herz-Kreislauf-unterstützende Eigenschaften nachgesagt werden, von dem Umstand einmal abgesehen, daß "Essigsaures" (eine beliebte Darreichungsform, die den erdigen Geschmack neutralisiert) bekanntlich einfach "lustig macht". Ob also als eingelegtes, rohes oder gekochtes Gemüse, in norddeutschem Labskaus oder russischem Borschtsch, an den Vorzügen der Knolle soll hier nicht gerüttelt werden. Sie schmeckt und tut gut.

Allerdings wurde immer schon davor gewarnt, sie im Übermaß zu genießen, da ihre Speicherkapazität für Nitrat besonders hoch ist. Darüber hinaus enthält sie relevante Mengen an Oxalsäure, die dafür bekannt ist, daß sie unter Umständen schmerzhafte Nierensteine bilden kann. Nitrat (NO3(-)) braucht kaum Erläuterungen. Ihm eilt eilt ein äußerst schlechter Ruf, man könnte auch sagen Geschmack voraus, denn tatsächlich schlägt sich die Verwendung von Düngemitteln als seifiger Nachgeschmack auf Zunge und Gaumen nieder.

In Wasser und Lebensmitteln steigt die Nitratkonzentration durch die vermehrte Verwendung von Gülle und Dünger derzeit wieder, die industrielle Landwirtschaft steht dafür als Hauptverursacher in der Kritik. Der wasserlösliche Stoff verteilt sich in der Umwelt, gelangt ins Grund- und Trinkwasser und gilt in vielfacher Hinsicht als gewässerschädigend, fischtoxisch und gesundheitsgefährdend. Sein als toxisch geltender EU-Grenzwert im Grundwasser von 50 Milligramm pro Liter (mg/l) wird vielerorts überschritten. [2] Entsprechend höhere Mengen an Nitrat finden sich in den Ackerpflanzen. Pro Kilogramm konventionell angebauter Roter Beete sind 1560 bis 2588 Milligramm Nitrat heute nichts ungewöhnliches mehr. Dieser Wert wird nur noch von Spinat (3000 mg/kg) und Kopfsalat (4500 mg/kg) übertroffen.

Nur für Menschen soll Nitrat bis zu einer bestimmten Grenze in den üblich verzehrten Mengen unbedenklich sein. Die tödliche Dosis liegt bei 15 Gramm. Dafür müßte man in Nullzeit 10 Salatköpfe verspeisen, womit selbst Spinatschlucker Popeye seine Mühe hätte.

Dennoch gelten hohe Nitratwerte im Gemüse als problematisch, weil der Stoff im Körper in toxisches Nitrit (NO2(-)) umgewandelt wird. Das geschieht nach jüngsten Erkenntnissen auf einem recht komplizierten Weg:

Ein Teil des aufgenommenen Nitrats gelangt über das Blut zu den Speicheldrüsen und wird dort kontinuierlich wieder in den Mund abgegeben. Durch die Bakterienflora in der Mundhöhle wird Nitrat zu Nitrit reduziert, das wieder mit dem abgeschluckten Speichel in den Magen gelangt und dort von der Magensäure teilweise in Stickstoffmonoxid (NO) umgewandelt wird. Stickstoffmonoxid und Nitrit gelangen über die Verdauungsorgane wieder in den Blutkreislauf. [3] Dort sollen beide Stoffe für weitere Funktionen auf Abruf bleiben.

Ganz anders liest sich das in der Fachzeitschrift "Ernährungsumschau" [4], in der es heißt, daß bereits ein bis zwei Gramm mit der Nahrung aufgenommenes "Nitrit" schwere Vergiftungen auslösen können. Von etwaigen Funktionen ist keine Rede. Die letale Dosis wird mit vier Gramm angegeben. Hierzulande nehmen Menschen täglich durchschnittlich nur einen Bruchteil zu sich, etwa 0,7 bis 4,2 mg Nitrit. Das wäre eine Menge, die ein gesunder Körper verkraftet, weil Nitrit nach kurzer Zeit im Darm resorbiert und im Blut sofort wieder zu Nitrat oxidiert werden kann. Auf diese Weise soll Nitrit nach einer Verweildauer von 30 Minuten wieder eliminiert sein. Nur höhere Belastungen mit Nitrat, so das Credo, könnten diesen Entsorgungsmechanismus stören, so daß die toxischen Stoffwechselreaktionen überhandnehmen können. Größere Konzentrationen an Nitrit greifen in den Sauerstofftransport des Blutes ein. Insbesondere bei Babys bis zum sechsten Lebensmonat kann dadurch Zyanose entstehen, die sogenannte Blausucht. Kinder ersticken dabei am Sauerstoffmangel im Blut. Weiteres gesundheitsgefährliches Potential hat Nitrit durch die Neigung zu krebserregenden Nitrosaminen weiterzureagieren. Besonders dieser nicht vollständig geklärte Zusammenhang erzeugt bei Verbrauchern bislang die größte Angst vor zuviel Nitrat.

Für den üblichen Verzehr, aber nicht für den exzessiven Gebrauch, darf somit die Entwarnung ausgesprochen werden: Spinat, Kopfsalat, Rote Beete, Sellerie und viele andere kunstgedüngte und nitrathaltige Gemüse dürfen weiterhin der Gesundheit zuliebe unbedenklich verspeist werden. Wir schaffen das!


Doch was ist mit dem Bio-Booster? [1]

Angepriesen als legales Dopingmittel, um mißtrauischen Kontrollen mit reinem Gemüsesaft in der Getränkeflasche eine lange Nase zu zeigen, sollen 500 ml konzentrierter Rote-Beete-Saft zwei bis drei Stunden vor dem Wettkampf genügen, um das Durchhaltevermögen eines Sportlers oder einer Sportlerin um relevante Prozente zu steigern.

Die Wirkung wird auch heute noch auf eine sehr kleine Studie der Universität Exeter mit nur acht Probanden von 2009 zurückgeführt und einer Metastudie von 2016, die neben anderen auch die Exeter-Studie zugrunde legt und zu ähnlichen Ergebnissen kommt. [5] Hiernach sind Nitrit und Stickstoffmonoxid die entscheidenden Agenzien für den Doping-Effekt, wobei die kurze Bioverfügbarkeit von einer halben Stunde eine offene Frage bleibt.

Die Verfechter des Biodoping gehen jedoch noch einen Schritt weiter und erklären Nitrat pauschal zum gesunden Inhaltstoff, nach dem Motto: je mehr umso besser!

Rote Beete enthält eine hohe Konzentration an Nitrat. Und dieses Nitrat hat positive Auswirkung auf unseren Körper unter Belastung. Es wird nämlich im Körper zu dem Stoffwechselprodukt Nitrit (NO2) umgewandelt und dann weiter zu dem Gas Stickstoffmonoxid (NO) verarbeitet. Zum einen hat diese chemische Verbindung den Effekt, dass sich die Blutgefäße erweitern. [...] Dadurch wird der Blutfluss und die Durchblutung des Muskelgewebes und der Organe verbessert. Zum anderen benötigen die beanspruchten Muskeln weniger Sauerstoff für ihre Arbeit. Für den Sportler bedeutet das, dass er später ermüdet und im gleichen Moment mehr Watt auf die Pedale bringen oder eine höhere Geschwindigkeit laufen kann. Bio-Doping sozusagen. [1]

Bei genauerer Betrachtung handelt es sich bei der vermeintlich gewünschten Reaktion aber um eine gezielte Überdosierung, die mit einer vermehrten, in keiner Weise kontrollier- oder aussteuerbaren Nitritbildung einhergeht. Die Probanden (Männer im Alter zwischen 19 und 38 Jahren) tranken täglich einen halben Liter Rote Beete- Konzentrat. Sie hielten auf dem Fahrradergometer anschließend 11,25 Minuten durch, 92 Sekunden länger als die Vergleichsgruppe, die nur Johannisbeersaft getrunken hatte.

Der Leiter der Studie, Dr. Jones, vermutet, daß Nitrit die Sauerstoffverwertung in den Mitochondrien verbessert. Auch hierzu gibt es noch offenen Erklärungsbedarf. Bekannt ist nur die toxische Wirkung, bei der Nitrit mit den Eisenatomen der Zellatmungsenzyme reagiert. Dies geschieht auch im Hämoglobin der Erythrozyten mit der Folge einer vermehrten Methämoglobinbildung, was bei empfindlichen Personen und Säuglingen mit Erstickungssymptomen und Blauverfärbung einhergeht, aber nicht unbedingt zur körperlichen Fitness beiträgt. Ob bei einer nur sechstägigen Vorbereitung mit Rote Beete-Saft bereits eine Anpassungsreaktion des Körpers durch vermehrte Erythrozytenbildung erreicht werden kann, also eine Art chemisches Höhentraining initiiert wird, ist eine Frage, der in diesem Zusammenhang bisher ebenfalls nicht nachgegangen wurde. In jedem Fall ließe sich dies aber nicht mehr als eine naturbelassene oder auch gesunde Therapie bezeichnen.

Die Befunde von Dr. Jones et al. zeigen indes, daß die Sauerstoffextraktion im Muskelgewebe nach dem Trinken des Rote Beete-Safts unbestritten reduziert war. Lungenfunktionstests ergaben, daß die Teilnehmer für die gleiche Leistung 19 Prozent weniger Sauerstoff benötigten.

Der Rote Beete-Saft hatte außerdem eine blutdrucksenkende Wirkung: Der systolische Wert in Ruhe sank von 132 auf 124 mm Hg. Dies war bereits in anderen Studien beschrieben worden. (Hypertension 2008; 51: 784-790). Die blutdrucksenkende (vasodilatatorische) Wirkung führt diee erst 2016 veröffentlichte Studie von Amrita Ahluwalia vor allem auf Stickstoffmonoxid (NO) zurück, das im Körper über den oben geschilderten, komplizierten Kreislauf mit Hilfe von Magensäure aus Nitrit gebildet wird. [3]

Tatsächlich soll nach jüngster Kenntnis Stickstoffmonoxid zahlreiche Aufgaben im Körper wahrnehmen. Neben seiner Wirkung auf das Immunsystem und bei der Signalübertragung im Nervensystem, spielt es eine Rolle bei der Gefäßerweiterung. Stickstoffmonoxid, das über Zellmembranen hinweg in die naheliegenden Muskelzellen wandert (diffundiert), bewirkt dort eine Entspannung (Relaxation), die dann zu einer Erweiterung der Blutgefäße führt - mit Auswirkungen auf den Blutdruck. Auch diese Zusammenhänge sollen letztlich durch den vermehrten Verzehr von Gemüse gefördert werden oder umgekehrt erklären, warum der Blutdruck bei vegetarischer Ernährung sinkt.

Die widersprüchlichen Erklärungen des Stoffwechselgeschehens und die Wirkung von nitratreichem Gemüse auf den Kreislauf und die Fitness sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß für Rote-Beete, Rucola-, Spinat und alle anderen Bio-Booster der theoretische Dreh- und Angelpunkt letztlich ganz einfach der verpönte toxische Sticktoff-Dünger ist, den die Pflanzen zum Wachsen brauchen. Eine nicht ganz bierernst gemeinte Frage bleibt am Ende übrig, was: Sollte allein schon zur Steigerung von Resilienz- und Durchhaltevermögen unserer leistungsbetohnten Gesellschaft nicht auch dessen Wasser- und Umweltgrenzwerte neuerlich angepaßt werden?


Anmerkungen:

[1] https://www.radsport-supps.de/blog/rote-beete-leistungssteigerung/

[2] https://utopia.de/studie-grundwasser-deutschland-nitrat-belastet-89946/

[3] http://www.berkeleytest.at/nitrat-wird-zu-no/

[4] https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2008/04_08/EU04_236_240.qxd.pdf

[5] Studie des Professors Andrew Jones et al., University of Exeter England,
Dietary nitrate supplementation reduces the O2 cost of low-intensity exercise and enhances tolerance to high-intensity exercise in humans
http://jap.physiology.org/content/107/4/1144

sowie:
Studie der Professorin Amrita Ahluwalia, Queen Mary University in London,
Dietary Nitrate Lowers Blood Pressure: Epidemiological, Pre-clinical Experimental and Clinical Trial Evidence
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs11906-015-0623-4

28. Mai 2018


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