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REZEPTUR/087: Tintenkiller Marke Eigenbau (SB)


PULVER, PASTEN UND PASTILLEN - EINFACH ANGERÜHRT

Für jede Haushaltschemikalie gibt es auch ein Rezept

Tintenkiller - selbermachen lohnt sich hier nicht


Es gibt wohl kaum einen Schüler, bei dem er nicht griffbereit in der Federmappe liegt. Der Tintenkiller ist ein unerläßliches Hilfsmittel, mit dem sich die Hausaufgaben (allerdings nur ein einziges Mal) jeder Zeit korrigieren lassen. Man fährt einfach mit dem Filzkopf über die Schrift, und wie von Zauberhand verblaßt die Tinte.

Das geht bei blauer Tinte ganz prima, schwarze kommt manchmal rötlich wieder zum Vorschein. Auch das Papier wirkt nach intensiven Löschaktionen recht angegriffen. Um das Ausgelöschte neu zu überschreiben, braucht man dann wieder einen Spezialschreiber, der nicht von Restbeständen der Tintentod-Chemie erneut aufgelöst wird und auf dem angegriffenen, ausgefaserten Untergrund nicht ausläuft. Mit dem Füller geht das jedenfalls nicht. Die korrigierten Stellen lassen sich auch nicht zum zweiten Mal mit dem Tintenkiller bearbeiten. Denn der Korrekturstift ist farbecht. Man müßte dann schon zu einem alten und im Verlauf des Computerzeitalters längst vergessenen Sekretärinnen- Hilfsmittel greifen, die Tip-Ex-Lösung, ein Decklack, der auch kräftige Farbe vollständig überdeckt und wiederbeschreibbar macht.

Was bringt die Tinte zum Verschwinden? Tatsächlich ist es etwas, das man mit Sicherheit nicht im Schulranzen eines Schülers erwarten würde: Chlorkalk!

Chlorkalk kann man in Drogerien und Apotheken in kleineren, luftdicht verschlossenen Plastikbehältern erwerben. Er ist ein weißes Pulver, das 30 bis 40 % Chlor enthält. Dieses wird langsam an die Luft abgegeben. Dabei entsteht der typische, starke Chlorgeruch, der bekanntlich die Schleimhäute reizt und nicht direkt Kontakt mit der Haut oder den Schleimhäuten bekommen darf. Damit das Chlor nicht zu rasch verlorengeht, ist Chlorkalk beim Lagern luftdicht abzuschließen. Chlorkalk hat die Formel CaCl(OCl). Er entsteht, wenn man Chlorgas in gelöschten Kalk leitet. Gleichung: Ca(OH)2 + Cl2 -> Ca(ClO)Cl + H20.

Wir kennen Chlorkalk normalerweise nur als scharfes, ätzendes und sehr unangenehmes Desinfektionsmittel: schon eine 1%ige wässrige Chlorkalklösung tötet nach 5 Minuten Typhus-, Cholera- und Milzbrandbazillen. Mit einer Aufschwemmung von einem Teil Chlorkalk in 20 Teilen Wasser werden die Wände und Decken von verseuchten Viehställen bestrichen. Mit der gleichen Flüssigkeit werden auch Kleinställe von Ungeziefer aller Art befreit.

Zur Not läßt sich auch Trink- und Kochwasser, das nicht allzu stark mit organischen Stoffen verunreinigt ist, damit ausreichend desinfizieren, wenn man auf einen Kubikmeter Wasser 1-3 Gramm Chlorkalk etwa 4-6 Stunden lang einwirken läßt.

Das Chlor zerstört aber auch alle Farbstoffe. Verreibt man über Tintenschrift mit einem stumpfen Holzstückchen (Streichholz) etwas Chlorkalk in wenigen Tropfen gewöhnlichem Tafelessig, so verschwindet die Schrift allmählich vollkommen, weil das freiwerdende Chlor die konjugierten Doppelbindungen des Farbstoffs zerstört.

Da fragt man sich doch, ob man den ausgedienten Tintenkiller vielleicht mit einer selbstgemachten Lösung nachfüllen kann. Und das ist auch tatsächlich möglich. Ob es allerdings ratsam ist oder wie sich der Aufwand im Verhältnis zur möglichen Einsparung verhält, steht auf einem anderen Blatt...

Die genaue Rezeptur des Tintenkillers ist patentiert unter der französischen Patentnummer 1 123 390. Analysen ergaben als Trägerstoffe:

50 Teile Sandarak (algerisches Harz)
15 Teile Alaun (Natrium-Aluminium-Sulfat)
8 Teile Traganth und
35 Teile Paraffin

Diese werden zunächst gründlich gemischt, dann kommt der Hauptwirkstoff dazu ...

50 - 70 Teile Chlorkalk (CaClOCl) und
7 Teile Gummi Arabikum

und alles wird sorgfältig untergemischt. Das fertige Pulver kam früher, in Wasser gelöst, als sogenannter Tintentod auf den Markt, der dann mit einem Pinsel oder Schwamm-Applikator aufgetragen werden mußte. Heute ist die Mischung in den Tintenkiller-Filzschreibern enthalten, die sich mit besagter Lösung wieder auffrischen lassen. Vorsicht: Man darf nicht zuviel Wasser nehmen, sonst weicht das Papier auf.

Wer es einmal mit der Rezeptur versuchen will, aber vor dem recht ätzenden Chlorkalk zurückschreckt, kann es auch statt dessen mit gleichen Anteilen an Zitronensäure und Oxalsäure versuchen (35 : 35). Ansonsten bleibt die Rezeptur gleich.

Am besten funktionieren Tintenkiller bekanntlich bei frischer Tinte. Aber Chlorkalk und Essig wirken auch direkt - wenn auch merklich schwerer - selbst bei jahrealten schwarzen und roten Tintenschriften. Neben den Tintenfarbstoffen zerstört Chlorkalk auch noch viele andere organische Farben. Darüber hinaus wird auch restliches Lignin in den Holzfasern des Papiers geweißt, so daß helle Flecken entstehen können.

Selbst farbiges Papier (Drucksachen, Fließblätter, gefärbte Tuchlappen usw.) wird entfärbt, wenn man etwas Chlorkalk aufträgt, mit einigen Tropfen Essig beträufelt und das ganze nach 10 bis 20 Minuten abspült.

Auf die gleiche Weise hat man früher einmal die neuen Jeans in der Badewanne mit chlorhaltigen scharfen Haushaltsreinigern auf alt getrimmt. Allerdings wissen wir von solchen Experimenten, daß der Umgang mit Chlorkalk oder "Domestos" nicht ganz unproblematisch ist: Nicht nur die Jeans, auch andere Kleidung oder Wäsche, die mit der Mischung körnchen- oder tropfenweise in Berührung kommt, zeigt dann manchmal erst nach der nächsten Wäsche unerwartete Verschleißerscheinungen oder sogar ganze Löcher.

Anders gesagt, sollte man hier wie bei allen chemischen Versuchen auf alte, strapazierfähige Arbeitskleidung achten, möglichst Gummihandschuhe tragen und eine Umgebung wählen oder herrichten, in der dann auch Spritzer möglichst wenig Schaden anrichten können.

Ansonsten steht der Versuch, sich eine Nachfüll-Lösung für den Tintenkiller herzustellen in keinem Verhältnis. Denn der Schaden, der dem Laien durch den ungeschickten Umgang mit wirksamen und ätzenden Chemikalien entstehen könnte, übertrifft den doch relativ geringen finanziellen Aufwand (d.h. die Anschaffung eines neuen Tintenkillers) bei weitem.

20. November 2007