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UMWELTLABOR/083: Pille und Hustensaft gleich aus der Wasserleitung? (SB)


Pille und Hustensaft gleich aus der Wasserleitung?

Der Kreislauf des Wassers


Daß Wasser ein kostbares Gut ist, wird inzwischen selbst hierzulande zunehmend spürbar. Obwohl Deutschland im Vergleich mit südlichen europäischen Ländern geradezu noch als Naßzelle gelten kann, sind die Trinkwasserreservoire von Düngemitteln, Gülle, Abwässern und Umweltchemikalien bedroht, werden die durchschnittlichen Niederschlagsmengen trotz kurzer starker Regenperioden auffallend geringer. Dazu häufen sich Presseberichte über verschmutztes Trinkwasser oder radioaktive Rückstände in kommerziell vertriebenen Mineralwässern, die den Verbraucher sensibilisieren und ihm - vielleicht der eigentliche Grund dieser Meldungen - das Wassersparen sinnvoll erscheinen lassen.

Deshalb konnte vor zwei Jahren auch kaum ein verantwortungsbewußt denkender Mensch verstehen, daß der Vorschlag, zu Brauchwasser- Recyclinganlagen, hauseigenen Brunnen oder Regenwassernutzung an jenen Örtchen zu greifen, an denen nun wirklich kein sauberes Trinkwasser verschwendet werden müßte, von den deutschen Wasserversorgern regelrecht boykottiert wurde. In dem fraglichen Beispiel sollten, von der damaligen Gesundheitsministerin befürwortet, Regenwasseranlagen für die Toilettenspülung in Kindergärten und Krankenhäusern eingerichtet werden. Der gutgemeinte Vorschlag wurde jedoch vom Branchenverband BGW mit dem hilflosen Argument, das Regenwasser könne durch den Vogelkot in Dachrinnen bakteriell bis zu 60.000mal höher belastet sein als normales Trinkwasser und sei daher eine mögliche Kontaminationsquelle, beinahe wörtlich im Keim erstickt.

Damals fragten wir uns u.a., ob die dahinterstehende Lobby mehr den sinkenden Wasserverbrauch oder den auf diese Weise dem Grundwasser entzogenen kostenlosen Regenwassernachschub fürchtete. Inzwischen scheint noch eine dritte, wenn auch makabre Möglichkeit in Betracht zu kommen, die das besondere Interesse des Branchenverbands an möglichst sauberem und definiertem Wasser aus Toilettenspülungen begründen könnte. Es wird heute schon viel mehr recyclet als man denkt, bzw. Toilettenspülung und Trinkwasserleitungen stehen sich näher als man gemeinhin glauben möchte.

Zu dieser Schlußfolgerung kann man zumindest aufgrund eines Artikels in der Montagsausgabe der Süddeutschen Zeitung (23.7.2002) leicht kommen, in dem von einer Zunahme von Arzneimitteln im Oberflächenwasser und Trinkwasser die Rede war, die aus dem Abwasser unserer Haushalte stammen:

Nein, als Verhütungsmittel eigne sich das Trinkwasser denn doch bei weitem nicht. Doch Jan Koschorreck, der sich am Umweltbundesamt (UBA) in Berlin um die Umweltverträglichkeit von Arzneimitteln kümmert, schätzt, dass jeder Liter Oberflächenwasser in Deutschland rein rechnerisch zum Beispiel zwei Nanogramm (Milliardstel Gramm) des Wirkstoffes Ethinylestradiol (EE2) enthalte. Rund 50 Kilogramm EE2 schlucken deutsche Frauen in Pillenform insgesamt jedes Jahr, um eine ungewollte Schwangerschaft zu verhüten. Der größte Teil davon wird unverändert über den Urin wieder ausgeschieden. Auch die Passage durch Toilette, Kanalisation und Klärwerk können dem Stoff wenig anhaben.
(SZ, 23. Juli 2002)

Während Hormone wie das gerade ins Gerede gekommene MPA (Medroxyprogesteronacetat), immer wieder auf unterschiedlichen Wegen in Lebensmitteln auftauchen, lassen sich ausgeschiedene Hormone wie gerade EE2 schon heute zu Spuren im Nanogrammbereich im Trinkwasser nachweisen. In Kläranlagen werden bisweilen sogar bis zu zehn Nanogramm Ethinylestradiol gefunden.

Die kniffligen Methoden, mit denen sich die Wirkstoffe und Stoffwechselprodukte schon in so kleinen Mengen in der Umwelt nachweisen lassen, mußten die Forscher des Umweltbundesamtes erst einmal für die fraglichen Fälle entwickeln. Inzwischen sind die Analysemethoden für bestimmte Gefahrstoffe so empfindlich, daß man beispielsweise ein einziges Dioxinmolekül in einer Billion Wassermolekülen nachweisen könnte. Bemüht man hierfür den Vergleich mit der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen, so müßte der Heuhaufen schon die Ausmaße eines Berges haben, damit die Verhältnisse stimmen. Ein anderer häufig aufgeführter Vergleich für die Belanglosigkeit dieser Untersuchungsergebnisse ist der berühmte Zuckerwürfel im Bodensee, der sich im Geschmack des Wassers nicht im Geringsten bemerkbar macht.

Während man vor einigen Jahren noch an reines Wasser glauben konnte, weil die Nachweisgrenze für Schadstoffe in einem sehr viel gröberen Bereich lag, kann man mit verfeinerten Nachweismethoden überall nur Grausiges aufdecken. Doch selbst wenn unsere Lebensmittel- und Trinkwasserqualität, wie manche Stimmen immer noch behaupten, besser als je zuvor ist, und es sich bei den gefundenen Arzneimittelresten um vernachlässigbare Spuren handelt, muß man sich doch die Frage stellen:


Wie gelangt es dahin?

Wie Medikamente und ihre Stoffwechselprodukte, sogenannte Metaboliten, über Bäche, Flüsse und Seen ihren Weg auch in die Brunnen nehmen, deren Wasser später als Trinkwasser den Menschen erreicht, sollen die UBA-Wissenschaftler Ralf Schmidt und Robert Brockmeyer für Metamizol aufgezeigt haben. Diese Substanz ist neben Acetylsalicylsäure und Paracetamol ein wichtiger Wirkstoff in sogenannten schwachwirkenden Analgetika. Seine Wirkung entfaltet Metamizol erst, wenn es im Körper zu zwei verschiedenen Metaboliten umgebaut wurde. Außerdem entstehen zwei weitere Zerfallsprodukte, deren Weg die Forscher nun über die Kläranlage bis in den Tegeler See in Berlin verfolgt haben. Dort konnten sie Konzentrationen von bis zu 0,8 Millionstel Gramm pro Liter messen.

Das Seewasser sickert langsam in den Boden unter dem See und strömt mit dem Grundwasser zu einem 115 Meter vom Ufer entfernten Brunnen. Dort finden sich noch bis zu 0,1 Mikrogramm von einem der beiden untersuchten Abbauprodukte pro Liter.

Aufgrund dieses "natürlichen Kreislaufs", dem neben Metamizol natürlich auch andere Medikamente wie das oben genannte EE2 unterliegen, will man schon heute bei manchen Fischarten eine Dezimierung des Nachwuchses festgestellt haben, allerdings nur unter Laborbedingungen:

In Versuchen an Regenbogenforellen zeigten bereits Konzentrationen von 0,5 Nanogramm EE2 im Liter Wasser erste Auswirkungen auf die Nachkommenzahl.
(SZ, 23. Juli 2002)

Natürlich muß man bedenken, daß die Analytiker in den beiden beschriebenen Fällen (Metamizol und EE2) die Substanzen kannten, nach denen sie suchen wollten. In Wahrheit muß man mit einem ziemlich bunten Cocktail an verschiedendsten Substanzen rechnen, darunter sowohl Medikamente gegen Entzündungen, Epilepsie sowie Lipidsenker oder Nitroverbindungen, die einem Herzinfarkt vorbeugen sollen, aber auch Umweltschadstoffe wie Dioxine u.a. Chlorphenole, Salze, Phtalate, Weichmacher, Tenside aus Waschmitteln u.a.m.. Wie sich Arzneimittel und ihre Abbauprodukte in Wechselwirkung mit diesem chemischen Umfeld auf die Umwelt auswirken, sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken, umsetzen oder gegenseitig aufheben, kann im Grunde niemand vorhersagen. Daß aber gerade zu diesem Zeitpunkt bislang unbeachtete Arzneimittel in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt sind, die vom Menschen benutzt und ausgeschieden werden,

...Erst seit diesem Frühjahr ist das UBA in diesem Bereich tätig. "Wir sehen bei den Arzneimitteln in der Umwelt mögliche Probleme der Zukunft", ...
(SZ, 23. Juli 2002)

soll möglicherweise von Schlimmerem oder auch nur den laufenden Skandalen ablenken. Schließlich geraten u.a. auch durch Gülle und Abwässer der Landwirtschaft große Mengen von Chemikalien u.a. auch Arzneistoffe wie Antibiotika in das Grundwasser. Es wäre aber auch eine gezielte Absicht denkbar, die auf den veränderten Arzneimittelkonsum des Menschen abzielt:

Außer den oben genannten Arzneimitteln wiesen die UBA- Wissenschaftler Ralf Schmidt und Robert Brockmeyer auch Hustenmittel an Wirkstoffen wie Bromhexin und Ambroxol nach, die nicht verschreibungspflichtig sind und deshalb in großen Mengen bei Infektionen eingenommen werden. Das Abbauprodukt NA873, in das Bromhexin umgewandelt wird, ist erstaunlich stabil, so daß die Wissenschaftler bei den Analysen in einer Berliner Kläranlage sogar saisonbedingte Schwankungen zwischen Sommer und Winter feststellen konnten.

Sogar in noch höheren Konzentrationen sollen allerdings Wirkstoffe in die Umwelt geraten, die äußerlich aufgetragen und beispielsweise beim Waschen oder Duschen mit dem Brauchwasser fortgeschwemmt werden. Hier wurden in diesem Bericht vor allem die Entzündungshemmer Ibuprofen und Dichlophenac genannt, die in rezeptfreien Salben zur Behandlung von Zerrungen und anderen Sportverletzungen enthalten sind. Im Deponiesickerwasser fand man bis zu 150 Mikrogramm (Millionstel Gramm) Ibuprofen pro Liter (was nicht sehr viel ist, aber noch nachweisbar). Ibuprofen ist eine relativ einfache Verbindung mit dem chemischen Namen: 4 Isobutyl-…-Methylphenylessigsäure. Genaugenommen ist sie so harmlos wie Salicylsäure o.a. sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, die durch die Verwesung des Humus ebenfalls in das Grundwasser geraten können.

Ein möglicher Grund, warum diese Funde gerade jetzt so aufgebauscht werden, geht ebenfalls aus dem Artikel hervor:

Solche Untersuchungen zeigen, wie wichtig eine Umweltbewertung von Arzneimitteln ist. Bei 3000 zugelassenen Wirkstoffen in Deutschland könne das allerdings nur funktionieren, wenn auch die Hersteller zum Beispiel im Rahmen einer Verlängerung der Lizenz zu solchen Tests verpflichtet würden, meint UBA-Präsident Troge.
(SZ, 23. Juli 2002)

Ganz im Sinne der aktuellen Gesundheitspolitik könnte man sogar auf den Gedanken kommen, daß es hierbei gar nicht um die Umwelt, sondern genaugenommen um eine stärkere Kontrolle, bzw. die Einschränkung der Versorgung mit Arzneimitteln und Wirkstoffen geht.

Selbst die Art der Applikation wäre von dieser Umweltrelevanz-Prüfung betroffen und bietet in Zukunft einen möglichen Zugriff auf den Patienten. So sollen beispielsweise Pflaster zur Schwangerschaftsverhütung zwar stärker konzentriert EE2 enthalten, Frauen, die mit dem Pflaster verhüten, dagegen angeblich weniger EE2 ausscheiden, als bei der Einnahme der Pille. Würden die gebrauchten Pflaster anschließend mit dem Hausmüll verbrannt, könnte die Umweltbelastung mit EE2 sogar verringert werden.

Für die bemerkenswerten Funde von Arzneistoffen im Trinkwasser gäbe es allerdings auch noch unangenehmere Wege, die ihre hohe Konzentration erklären könnten, ohne den Umweg über die Umwelt zu bemühen. Querverbindungen der Brauchwasserableitungen zum öffentlichen Trinkwassernetz sind zwar offiziell verboten, lassen sich jedoch nicht immer ganz ausschließen, wenn es sich beispielsweise um alte Leitungen und Systeme handelt.

Erst kürzlich wurde die Wasserversorgung eines Stadtteils lahmgelegt, weil die Belastung mit Coli-Bakterien den zulässigen Grenzwert überschritten hatte, für den es keinerlei Erklärung gab. Eine unzulässige Querverbindung zum Brauchwassernetz, die mit Sicherheit schon einige Zeit existiert hatte, wurde vermutet.

Das könnte viel besser erklären, warum Grundwasser, das schon durch Gestein filtriert worden ist, grundsätzlich annähernd bakterienfrei sein müßte und unbedenklich für den Verzehr abgefüllt werden könnte (z.B. für kommerziell vertriebenes, natürliches Mineralwasser), immer noch vorsorglich gechlort als Trinkwasser zum Verbraucher gelangt.

Es erklärt aber vielleicht auch, warum die Konzentrationen an Arzneistoffen und Metaboliten so auffällig hoch sind, daß man es kaum allein dem Arzneimittelkonsum des Menschen oder der unzureichenden Filterung des Brauchwassers in Rechnung stellen kann.

Erstveröffentlichung 26. Juli 2002

13. April 2007