Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

UMWELTLABOR/174: 100jährige Pestizidaltlasten immer noch tox-fit (SB)


Umweltsünden halten sich

100jährige Pestizidaltlasten immer noch tox-fit


Können sich Umweltsünden, die vor beinahe einem Jahrhundert begangen und vergessen wurden, weil man sie tief im Erdreich versenkt zu haben glaubte, überhaupt bis in die heute Zeit auswirken? In der Tat sie können!

Das jüngste Beispiel solch finsterer Machenschaften der Vergangenheit wurde unlängst von der Associated Press gelüftet, und scheint aktiv, lebendiger und bedrohlicher als je zuvor.

So war man davon ausgegangen, daß sich die Pestizide die vor etwa 100 Jahren vor allem in der Obstwirtschaft eingesetzt wurden, im Erdreich zwar langsam aber doch nach und nach abbauen würden, doch nun behaupten Forscher des Darmouth College (New Hampshire, USA), daß gar nicht viel dazugehört, um diese alten Pestizide wieder zu mobilisieren und umliegende Wasserläufe bzw. Wasserreservoirs mit z.T. 100jährigen Altlasten zu vergiften.

Mit anderen Worten sollten ihrer Meinung nach alle Gemeinden, die Bodenarbeiten auf Brachland planten, das früher einmal zu Obstplantagen oder Weideland gehört habe, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen installieren. Wörtlich hieß es:

The findings mean communities may need to take additional precautions when the soil at former orchards and farms is disturbed for development or new agricultural uses, Carl Renshaw, a professor of earth sciences, said in a news release.
(AP, 17. Februar 2006)

Der Grund für die neuerliche Aufregung über Altlasten besteht darin, daß die Pestizide, die um die Jahrhundertwende 18./19. und im frühen 19. Jahrhundert im Einsatz waren, Arsen und Blei enthielten und zwar in einer Verbindung und in einer Konzentration, die heute noch selbst in den oberen 25 Zentimetern der Bodenschicht nachgewiesen werden kann. Die genauen Ergebnisse der Studie können in der Januar/Februar Ausgabe des Journal of Environmental Quality nachgelesen werden.

Das ist jedoch noch nicht alles. Wie die Studie weiter belegen soll, die sich im wesentlichen auf zwei ehemaligen Apfelplantagen in New Hampshire konzentriert, in denen Bleiarsenat gespritzt wurde, hat sich das ursprüngliche Gift zwar teilweise abgebaut, doch nicht in eine harmlose Form, wie man bisher glaubte. Über die Jahre konnte sich das giftige Produkt zweier Schwermetalle teilweise mit organischen Substanzen aus Schlamm und Humus zu dauerhafteren Strukturen verbinden, die fester in dem organischen Material verankert bleiben. Da sich das ursprüngliche Bleiarsenat somit in Blei- und Arsenatverbindungen auftrennte, können die Folgeprodukte nun in doppelt-toxischer Stärke auftreten, sobald man ihnen Gelegenheit dazu gibt.

Bei Bodenerosionen oder auch nur Bodenarbeiten, bei denen Erdreich in Bewegung gesetzt wird, können diese Stoffe nun sehr leicht freigesetzt werden und ihre toxische Wirkung entfalten. Carl Renshaw, Professor der Bodenkunde am Darmouth College bemerkt dazu, daß im Gegensatz zu heutigen, modernen Pestiziden, bei den alten Schwermetallverbindungen keine Chance besteht, daß sie von selbst unwirksam würden:

"We continue to learn more about how past agricultural practices are affecting our current environment," Renshaw said. "Unlike some pesticides used today, metals like arsenic and lead in old pesticides do not degrade over time."

Darüber hinaus konnte der Weg der aufgewühlten Schwermetallverbindung bis ins nahe Oberflächen- und Grundwasser verfolgt werden. Daß noch unklar sei, ob Pflanzen und Tiere, die dieses Wasser tränken, das schädliche Metall aufnähmen, räumte Renshaw vermutlich nur deshalb ein, um die erste Welle aufgebrachter Gemüter zu beschwichtigen.

Denn da sich sowohl Blei als auch Arsen in Organismen ansammeln und akut wie chronisch unterschiedlichste toxische Wirkungen entfalten und Krankheitssymptome hervorrufen können, ist es sehr wahrscheinlich, daß Wildtiere und -pflanzen auf diese Weise zu Schaden kommen, bzw. schon gekommen sind.

Es wird allerdings aus dem Bericht nicht ganz klar, mit welchen Vorsichtsmaßnahmen man glaubt, diese Entwicklung verhindern zu können. Selbst wenn man nicht an den fraglichen Gebieten rührt, kommt es doch auch langsam zu einer natürlichen Erosion und einer schleichenden Vergiftung umliegender Wasserläufe in Konzentrationen, die für viele kleine Tiere immer noch giftig genug sind.

Für geeignete Entgiftungsmaßnahmen, bei denen die obere Erdschicht abgetragen und entsorgt wird, fehlt den Gemeinden jedoch das Geld. Außerdem sind gerade solche Erdarbeiten ebenfalls mit Bodenbewegungen verbunden, die die Sache ins Rollen bringen, zumal nicht ganz klar ist, in welchen Tiefen des Erdreichs weiteres Gift steckt, da man bisher nur die obere vermeintlich neue und saubere Erdschicht untersucht hat.

Wasserlösliche Verbindungen wandern jedoch bekanntlich mit dem Sickerwasser in tiefere Bereiche und da früher nach dem Motto "viel hilft auch viel" gewirtschaftet wurde, kommt das dicke Ende praktisch erst noch nach, wenn die oberen Schichten gelüftet und als Sondermüll entsorgt worden sind.

Erstveröffentlichung 23. Februar 2006

20. August 2007