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UMWELTLABOR/181: Letzte Klimarettung - mit Stinkbomben und Feuerwerk


Letzte Klimarettung - mit Stinkbomben und Feuerwerk


Wie schon in der letzten Folge des Umweltlabors "UMWELTLABOR/180: Perlmut am Himmel, ein Zeichen für den Weltuntergang" berichtet wurde, schreitet die globale Erwärmung schneller voran als man gemeinhin gedacht hat. Dazu hat sie verheerende Nebeneffekte wie eine extreme Abkühlung der Stratosphäre zur Folge, die wiederum andere Umweltprobleme wie die Erweiterung des Ozonlochs verstärken, so daß zwei bis dato scheinbar nicht zusammenhängende Katastrophen sich offensichtlich gegenseitig synergistisch zu verstärken scheinen.

Vor diesem Hintergrund scheinen dann auch unkonventionelle Lösungen plötzlich plausibel und geradezu unabwendbar wie die kürzlich im Juli von Nobelpreisträger Paul Crutzen vorgeschlagene Impfung der Stratosphäre mit gelbem Schwefel.

Nach einem Bericht im Deutschlandfunk soll Crutzen vorgeschlagen haben, die Stratosphäre letztlich mit Schwefeldioxid zu vernebeln, also mit jenem Stoff, der auch für den sauren Regen und das Waldsterben verantwortlich gemacht wird. In der amerikanischen Presse ist dagegen nur von Schwefel die Rede, den die Erde manchmal sogar selbst in die Atmosphäre schießt, z.B. bei einem Vulkanausbruch.

Man vertraut hierbei auf den gleichen Reaktionsmechanismus, den man bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe (z.B. Kohle) erkannt zu haben glaubt. Die Kohle verbrennt zu CO2, einem Treibhausgas, das sich wie ein "wärmender Mantel" um die Erde legt, Sonnenstrahlen durchläßt, aber von der Erde abgestrahlte Wärme zurückreflektiert.

Gleichzeitig würde bei der Verbrennung von Kohle aber auch Schwefel frei (der während der Verbrennung zu Schwefeldioxid (SO2) aufoxidiert wird), und der sich mit Wasserdampf zu schwefliger Säure in der Luft verbindet, Tröpfchen und Wolken bildet, die die Sonneneinstrahlung zurück in den Weltraum reflektiert und dadurch die Erde kühlt.

The burning of fossil fuels releases carbon dioxide, a greenhouse gas, into the atmosphere. It also releases sulfur that cools the planet by reflecting solar radiation away from Earth.
(LifeScience, 27. Juli 2006)

Es versteht sich von selbst, daß die Äußerung sogleich scharfe Kritik nach sich zog und sogar als "Giftkur fürs Weltklima" verurteilt wurde.

Von dem Niederländer, der die Idee ins Leben gerufen hatte, hörte man indes lange überhaupt nichts. Kein Widerruf, keine Rechtfertigung oder Verteidigung. Es gab nur seinen ursprünglichen Artikel im Fachmagazin "Climatic Change", aus dem die Zeitungen zitierten und Vertreter wie Kritiker der Theorie ihre Grundlagen zogen.

Allerdings meldeten sich auch zumeist auf amerikanischer Seite, die ja bekannt dafür sind, schnelle Lösungen und unkonventionelle wissenschaftliche Ansätze, die schnelle Lösungen versprechen, gleich in die Tat umzusetzen, ohne die Risiken weiter abzuschätzen, Befürworter dieser skurrilen Theorie, die sie quasi als Nachahmung natürlicher Selbstreinigungs- oder Ausgleichs-Reaktionen verkaufen wollen. So hieß es in LifeScience weiter:

Nature does something like this naturally.

When Mount Pinatubo erupted in the Philippines in 1991, millions of tons of sulfur was injected into the atmosphere, enhancing reflectivity and cooling the Earth's surface by an average of 0.9 degrees Fahrenheit in the year following the eruption.
(LifeScience, 27. Juli 2006)

Crutzen selbst wird darin so zitiert, als halte er das Ganze quasi für einen der letzten Strohhalme, die uns noch bleiben, nachdem die Politiker in ihrer Klimapolitik versagt hätten.

"Given the grossly disappointing international political response to the required greenhouse gas emissions, ... research on the feasibility and environmental consequences of climate engineering of the kind presented in this paper, which might need to be deployed in future, should not be tabooed," Crutzen said.
(LifeScience, 27. Juli 2006)

Allerdings sind die vermeintlichen Bemühungen, Klimagasemissionen weltweit auf ein tolerierbares Maß zu reduzieren, ohnehin eine Farce, da die wirklich notwendige Reduktion des durch Menschen induzierten CO2-Outputs mit einem weltweiten Technik- und Fortschrittverzicht bis zum Status Quo einhergehen müßte. Dadurch steht die Weltpolitik dann vor sehr viel gravierenderen Problemen, z.B. denen der Welternährung, besser gesagt des Welthungers, da schon heute in den Industrieländern viel zu viele Menschen leben, als daß sich jeder als Sammler, Jäger oder Bauer allein durchschlagen könnte. Drastisch gesagt: Die Erde auf diese Weise zu retten, kostet Menschenleben.

Auch die vermeintliche Lösung von Paul Crutzen ist nur eine scheinbare, chemische Verlängerung des Weltuntergang-Countdowns, der schon lange angezählt wurde und über den sich die Wissenschaftler selbst kaum noch etwas vormachen können.

Auf die telefonische Anfrage an den Nobelpreisträger, ob er bei seinem seltsamen Plan, die Erde in eine künstliche Schwefelsäurewolke zu hüllen, keine Angst vor möglichen Folgen für die säureempfindlichen Pflanzen und Lebewesen auf der Erde habe, versuchte sich Crutzen auch entsprechend aus der Verantwortung zu ziehen:

Crutzen: Nein, also erstens darf ich sagen: Ich schlage nur vor, dass man diese Möglichkeit studiert und erforscht. Es können negative Effekte auftreten, die man natürlich berücksichtigen muss. Was den Sauren Regen betrifft, macht es einen sehr kleinen Beitrag, denn es sind etwa zwei Prozent von der Menge, die wir sowieso unten in der Atmosphäre in die Luft jagen.
(FORSCHUNG AKTUELL, Deutschlandfunk, 02.08.2006 — 16:35 Uhr)

Er deutet damit an, daß zwar nicht unbedingt mit saurem Regen zu rechnen sei bzw. dieser keine größeren, als die ohnehin schon bestehenden Probleme mit sich brächte, schließt jedoch weitere mögliche, bis jetzt noch unbekannte, neue Probleme nicht aus, die beispielsweise erst in der Stratosphäre, durch die empfindliche Chemie dort entstehen könnten.

Wie wir schon häufiger an dieser Stelle gezeigt haben, herrscht in den oberen Schichten der Atmosphäre, induziert durch UV- und andere hochenergetische Strahlung, ein reger Stoffwechsel zwischen Kohlenstoff-, Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen, der beispielsweise schon durch das Einbringen höherer Konzentrationen aus fluor- und chlorhaltigen Stoffen gehörig durcheinander geraten ist.

Nun sollen hier also auch noch Schwefel, Schwefeldioxid und Schwefeltrioxid bzw. Schwefelwasserstoff ihr Unwesen treiben. Welche Auswirkung das beispielsweise auf die Ozonschicht hat, läßt sich kaum abschätzen.

So haben Sauerstoff wie gasförmiges Wasser an den chemischen Wechselwirkungen in der Stratosphäre großen Anteil. Werden durch das Einbringen von Schwefel davon nun große Mengen (für die notwendigen Oxidationsprozesse) längere Zeit festgelegt und damit anderen Wechselwirkungen entzogen, werden beispielsweise Prozesse, die zum Aufbau oder Wiederaufbau von Ozon führen, empfindlich gestört.

Auch gibt Crutzen in dem Telefonat mit dem Deutschlandfunk unumwunden zu, daß die Situation in der Stratosphäre völlig andere chemische Bedingungen vorgibt, daß zum Beispiel in die Stratophäre eingebrachtes SO2 (Schwefeldioxid) dort sehr viel länger verweilt, bis es wieder abgebaut wird bzw. auf die Erde abregnet. Ein Beispiel für eine ähnlich prekäre Entwicklung ist mit der durch künstliche Fluorchlorkohlenwasserstoffe herbeigeführten Lage inzwischen unübersehbar geworden: Trotz des 1987 beschlossenen Protokolls von Montréal, in dem sich mittlerweile 150 Unterzeichnerstaaten verpflichteten, schrittweise aus der Produktion ozonschädigender Substanzen auszusteigen, reicht die Konzentration an Fluor und Chlor in der Stratosphäre auch heute noch aus, daß die ozonzerstörenden Prozesse überwiegen.

Seynsche: Aber was soll das Schwefeldioxid in der
Stratosphäre denn bewirken?

Crutzen: Ja, was man in die Stratosphäre steckt, bleibt viel länger hängen. Und um eine gewisse Menge eines Materials in der Stratosphäre zu haben, muss man viel weniger Material emittieren, als wenn man das an der Erdoberfläche macht. Und was es bewirkt: Das Schwefeldioxid wird oxidiert, es entsteht Schwefelsäure, und die Schwefelsäure kondensiert zu kleinen Partikeln, und diese kleinen Partikel streuen Sonnenlicht in den Weltraum zurück, haben also eine kühlende Wirkung auf das Klima. (FORSCHUNG AKTUELL, Deutschlandfunk, 02.08.2006 — 16:35 Uhr]

Daß damit Geister gerufen werden, die man möglicherweise nicht mehr los wird, muß auch Crutzen zugeben, der derzeit an den eigenen Prognosen und Berechnungen erfahren muß, daß viele Faktoren unberücksichtigt geblieben sind, die jetzt massiv zur Wirkung kommen:

Crutzen: Das hoffen wir natürlich nicht. Aber ich bin auch dafür, dass man an erster Stelle die Emissionen der Treibhausgase verringert, sehr dringend. Allerdings was wir sehen: International passiert ja nicht viel. Und es kann ja sein, dass wir in der Zukunft Änderungen im Klima merken, die noch schlimmer sind, als wir jetzt mit Modellen berechnen. Ich verweise hier auf das Thema des Ozonlochs. Das kam ja auch total überraschend, weil wir die Prozesse, die eine verstärkende Wirkung haben, unterschätzt hatten. Das ist meine Befürchtung, dass man davon ausgeht, dass alles so weiterläuft und dass keine sehr schweren Änderungen im Klima entstehen und langsame Änderungen.
(FORSCHUNG AKTUELL, Deutschlandfunk, 02.08.2006 — 16:35 Uhr)

Er spricht hier von der kürzlich festgestellten drastischen Ausdünnung der Ozonschicht über der Atmosphäre. Und er gibt weiter zu:

Ich befürchte, dass es schlimmer werden kann, als wir jetzt in den Modellen berechnet. Und dann sollte man gewappnet sein, um den schlimmsten Folgen entgegenzuwirken. Und dann wäre die Schwefelsäureinjektion in der Stratosphäre eine Möglichkeit.

Seynsche: Das heißt, um den absoluten Notfall zu verhindern?

Crutzen: Den absoluten Notfall.
(FORSCHUNG AKTUELL, Deutschlandfunk, 02.08.2006 — 16:35 Uhr)

Daß diese Unberechenbarkeit ebenso auch die eigenen Vorstellungen und Theorien betrifft, schließt er selbst im Gegensatz zu den positiven Interpretationen seiner Ideen keineswegs aus:

Ich würde auch sagen, das ist im Augenblick gar nicht abzuwägen. Im Augenblick sollte man anfangen zu erforschen, ob es überhaupt möglich ist, ob nicht sehr starke negative Effekte auftreten.
(FORSCHUNG AKTUELL, Deutschlandfunk, 02.08.2006 — 16:35 Uhr)

Tatsächlich geht Crutzen noch von 20 bis 30 Jahren intensiver Forschung zu diesem Thema aus, um mit Sicherheit negative Folgen ausschließen zu können. Doch die Zeit um Risiken und Nebenwirkungen genau abzuwägen, haben wir möglicherweise gar nicht mehr. Schon jetzt brechen Berge auseinander, weil Gletscher soweit abtauen, daß sie diese nicht mehr ausreichend zusammenhalten, warme Meeresströmungen werden umgelenkt, und auch die zunehmenden Stürme, Gewitter, wie im schlimmsten Fall Tsunamis und Hurrikans sind auf die globalen klimatischen Veränderungen zurückzuführen.

Daher rufen die Befürworter dieser Überlegungen auch jetzt schon nach einer drastischen Aktion, um die Erde quasi ad hoc abzukühlen, das Schlimmste zu verhindern und zumindest Gletscher und Arktis noch zu retten.

Dafür würden laut Crutzen weder elementarer Schwefel noch Schwefeldioxid, sondern die reduzierte Schwefelform, d.h. Schwefelwasserstoffgas in die Atmosphäre entlassen (wir kennen den Stoff aus Stinkbomben, mit denen man früher im Unterricht noch seine Streiche spielen konnte). Die Erde würde also in eine Wolke aus stinkendem Schwefelwasserstoffgas gehüllt, das dann einen großen Teil der Atmosphärenchemie für seine Oxidation in Schwefeldioxid und -trioxid beanspruchen würde. Um die Prozesse zu beschleunigen, könnte man das Ganze auch anzünden, d.h. eine Art Feuerwerk starten oder auch einen Feuerring um die Erde legen. Das würde dann allerdings soviel Sauerstoff verbrauchen, der wiederum der Lufthülle entzogen werden müßte. Was das am Ende für die Lebewesen auf der Erde bedeutet, steht gewissermaßen in den künstlichen Sternen und Feuerbällen, die man damit erzeugt.

Doch selbst wenn man bei diesen Vorhaben auf 30 Jahre Computersimulationen und Hochrechnungen zurückgreifen könnte, bliebe das alles ein gewagtes Experiment, wie Crutzen gegenüber dem DLF bestätigt:

Crutzen: Die Möglichkeiten sind, entweder mit Ballons oder mit Kanonen schießt man Schwefelwasserstoff in die Stratosphäre. Man kann das Zeug auch verbrennen, dann würde Schwefeldioxid entstehen und das würde dann zu Schwefelsäure führen. Es würde also mit Ballons oder mit Kanonen geschehen. Es ist also kein schönes Experiment, das sage ich auch, und ich möchte lieber, dass es nicht stattfinden muss. Aber im schlimmsten Fall muss man mit dieser Möglichkeit leider rechnen.
(FORSCHUNG AKTUELL, Deutschlandfunk, 02.08.2006 — 16:35 Uhr)

22. August 2006