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UMWELTLABOR/185: Sättigungsgrenze für CO2 im Meer bald erreicht


Kieler Forscher weisen CO2-Anstieg in der Tiefsee nach.


Meereschemie wird auf dramatische Weise verändert.

Tiefsee für die künstliche CO2-Speicherung gar nicht mehr verfügbar

Viele Klimaforscher betrachten die Tiefsee als letzte Hoffnung für die künstliche Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre. Das Einleiten von flüssigem CO2 in die tiefsten Senken der Tiefsee, wo sie quasi als CO2-Seen durch den Druck des Wassers an Ort und Stelle gehalten werden sollen, oder das Absenken von gigantischen Trockeneisblöcken in Tiefseehöhlen oder -kavernen sind ebenso im Gespräch wie andere Möglichkeiten einer intensivierten künstlichen CO2-Speicherung. Denn daß das Meer ohnehin schon mindestens ein Drittel des vom Menschen erzeugten Kohlenstoffdioxids der Atmosphäre durch die Bewegung des Oberflächenwassers und durch den Regen in sich aufnimmt, ist bekannt; ebenso der Preis dafür, nämlich die allmähliche Versauerung des Oberflächenwassers. Auch der Schattenblick behauptete zu diesem Thema schon in NATURWISSENSCHAFTEN\CHEMIE unter dem Index, NEWS/601: Saures Meer vertreibt Seegurken, Korallen & Flügelschnecken: "Das Meer wird es nicht langsam, es ist schon sauer!"

Darin wurde eine ausgesprochen anschauliche Pressemitteilung des Informationsdienstes Wissenschaft im Auftrag des Alfred-Wegener- Institut für Polar-und Meeresforschung vom 29. September 2005 zitiert:

Durch Verbrauch fossiler Brennstoffe produziert jede Person auf unserem Planeten täglich im Durchschnitt elf Kilogramm Kohlendioxid, die in die Atmosphäre gelangen. Vier Kilogramm davon werden von den Weltmeeren aufgenommen, was den Treibhauseffekt mildert. Unglücklicherweise reagiert das Kohlendioxid mit dem Meerwasser zu Säure, welche die Kalkschalen vieler Meeresbewohner auflösen kann.
(idw 26. September 2005)

Das sagt in Kurzform alles, was man zu diesem Thema wissen muß. Das chemische Verhalten von Wasser, sich bis zu einem bestimmten Grad mit Kohlenstoffdioxid zu sättigen und das Fehlen von Alternativen, um CO2 nachträglich aus der Luft zu binden, lassen das Einleiten von CO2 in den Wasserpuffer als Mittel der Wahl erscheinen. Was aber bisher niemand einkalkulierte und was in den bisherigen Simulationen nicht ganz unabsichtlich außen vor gelassen wurde, ist die Tatsache, daß der Grad der Sättigung selbst ohne künstliche Zufuhr von CO2 schon bald erreicht ist. So wurden in einer kürzlich erschienenen idw- Meldung für das Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM- GEOMAR) die Zahlen von damals (ein Drittel) auf die Hälfte korrigiert:

Seit Beginn der Industrialisierung haben die Weltmeere schätzungsweise die Hälfte des vom Menschen ausgestoßenen Klimagases CO2 aufgenommen. Damit tragen die Ozeane einen entscheidenden Beitrag zur Dämpfung des Treibhauseffekts und den daraus resultierenden Folgen bei, zum Beispiel der Erderwärmung. Doch die Fähigkeit der Ozeane, als Puffer für das Erdklima zu dienen, sinkt mit zunehmender Konzentration von CO2 in der Oberflächenschicht. Um die Rolle des Ozeans in der zukünftigen Entwicklung des Klimas besser einschätzen zu können, haben Meereswissenschaftler aus Kiel sich zum Ziel gesetzt, den genauen Verbleib des Treibhausgases CO2 im Ozean zu erforschen.
(idw, 12. Februar 2007)

Der vermeintliche Klimapuffer ist aber nicht nur im Oberflächenwasser schon erschöpft, sondern wie die Nachforschungen der Meereswissenschaftler des IFM-GEOMAR ergaben, hat sich die CO2- Anreicherung zwangsläufig schon in tiefere Meeresbereiche ausgedehnt. So konnten sie die Zunahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre in einer Tiefe von 3.000 bis 4.500 Metern im Nordatlantik mit Meßdaten belegen. Und dabei handelt es sich ausschließlich um "natürlich" aufgenommenes Treibhausgas, nicht um künstliche Einleitungen.

So könnte es sein - und diese Untersuchungen legen das gewissermaßen nahe -, daß die vermeintlichen Entlastungsspeicher, mit deren künstlicher Auffüllung man das Klima noch retten möchte, schon besetzt sind, wenn es erst dazu kommt. Und daher waren die Forscher des GEOMAR selbst überrascht, daß schon sehr viel mehr CO2 in den tieferen Schichten des Ozeans gefunden werden konnte, als man bisher durch Simulationen und Hochrechnungen vermutet hatte:

Mit einer neuen, am IFM-GEOMAR entwickelten Methode konnten sie nachweisen, dass der Anstieg des Treibhausgases durch die Nutzung fossiler Brennstoffe dazu geführt hat, dass deutlich mehr CO2 in tieferen Schichten des Ozeans gespeichert wird als bisher angenommen. Die Erkenntnisse sind nicht nur für den globalen Kohlenstoffkreislauf von Bedeutung, sondern auch für andere Prozesse wie die Versauerung der Ozeane. Die Meeresforscher berichten über ihre Ergebnisse in der Zeitschrift der amerikanischen Akademie der Wissenschaften (PNAS).
(idw, 12. Februar 2007)

Schon 2004 hatten die Meereschemiker aus Kiel ihre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Europäischen Union geförderte Expedition im Atlantik begonnen. Die Strecke zeichnete eine 22 Jahre zuvor unternommene Fahrt von amerikanischen Kollegen nach. Auf diese Weise konnten Daten, die zwei Jahrzehnte auseinander lagen, direkt miteinander verglichen werden. Die in Kiel entwickelte Methode basiere auf dem statistischen Vergleich präziser Messungen von gelöstem CO2 sowie anderer Eigenschaften des Meerwassers. Mit diesen Daten stellten die Wissenschaftler eine Art CO2-Kartierung des Ozeans nach.

Was die Auswertung der Daten angeht, so geben sich die Wissenschaftler, die es eigentlich besser wissen müßten, ausgesprochen naiv bzw. freuen sich sogar über den Nachweis, daß sich das Meer als dauerhafter CO2-Speicher erweist, was sie als "gute Nachricht für die Entwicklung des anthropogenen Treibhauseffekts" werten:

"Wir waren überrascht, wie überzeugend unsere Methode zeigte, dass CO2 tatsächlich aus der Oberfläche in tiefere Schichten gelangt und dort gespeichert wird", berichtet Dr. Toste Tanhua, Erstautor der Studie.
(idw, 12. Februar 2007)

Doch die andere Alternative, daß aufgenommenes CO2 vom Meer quasi wieder ausgespuckt wird bzw. in die Atmosphäre verdampft, ist schon rein chemisch durch die hohe Konzentration von CO2 (den hohen Gasdruck) über der Meeresoberfläche nicht möglich. Denn abgesehen von der Temperaturabhängigkeit (kaltes Wasser kann mehr CO2 speichern als warmes) bestände ohne diesen hohen Druck an dieser Stelle überhaupt kein Anlaß zum Austausch!

Anders gesagt, selbst wenn das Meer derzeit immer noch CO2 aus der Luft fassen kann, so ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Sättigung des Meerwassers mit dem Treibhausgas erreicht ist. Vollständig mit CO2 umsetzen ließe sich das Meer ohnehin nicht, wobei dann theoretisch reine Kohlensäure entstehen müßte, immerhin wird CO2 nicht von ungefähr auch als Säureanhydrid der Kohlensäure bezeichnet. Reine Kohlensäure wäre allerdings nur bei einer Temperatur von minus 70 Grad Celsius existent, was doch - abgesehen von Wandlung der chemischen Bedingungen - eine noch extremere Klimaänderung in die andere Richtung oder massive menschliche Einflußnahme voraussetzen würde.

Daß die Wissenschaftler bei ihren Überlegungen inzwischen recht leichtfertig eine Versauerung der Meere in Kauf nehmen, hatte der Schattenblick erst vor kurzem gezeigt [siehe hierzu auch: KOMMENTAR/075: Ablenkung tut Not - lieber Meeresäuerung als Ozonreizung].

Was die Versauerung für Meereslebewesen bedeutet, läßt sich allerdings jetzt schon an schwindenden Arten und Mißbildungen ablesen.

Dennoch sind sich die Meeresforscher aus Europa, Japan, Australien und den USA noch einig, daß erst in fünfzig bis hundert Jahren in den Polargebieten mit dem Verschwinden wichtiger Meeresorganismen zu rechnen ist, und das ist immer noch viel früher als bisher angenommen.

Es seien vor allem Seegurken, Kaltwasserkorallen und im Wasser schwebende Flügelschnecken von den Veränderungen bedroht. Diese vertragen ein saures Wassermilieu, auch nur bei geringfügig abgefallenem pH-Wert, überhaupt nicht. Da diese Tiere aber die Hauptnahrungsquelle für andere Krebse, Lachse oder sogar Wale darstellen, muß man ein Massensterben von Fisch u.a. Meeresbewohnern befürchten. Die Wissenschaftler halten sich hierbei aber hinsichtlich konkreter Zahlen immer noch bedeckt und sprechen selbst recht allgemein von schwerwiegenden Auswirkungen auf das gesamte polare Ökosystem.

Einige alarmierende Folgen zeichnen sich allerdings heute schon ab und lassen sich nicht mehr verschleiern: Kalkbildner wie Korallen, aber auch manche mikroskopisch kleinen Planktonarten haben immer mehr Schwierigkeiten, ihre Skelette zu bilden. Diese Tierchen stehen ganz am Anfang der Nahrungskette, so daß ihre Dezimierung weitreichende Folgen für ganze Ökosysteme im Meer nach sich ziehen wird.

Aus der aktuellen Studie ließe sich daher auch erstmals nachlesen, mit welch hohem Tempo dieser Prozeß schon vorangeschritten ist, den selbst die Wissenschaftler des IFM-GEOMAR nicht mehr verschleiern können:

"Unsere Daten zeigen, dass sich die Tiefe, unter der sich Kalk im Ozean auflöst, in den letzten 200 Jahren um ganze 400 Metern nach oben verlagert hat", erzählt Prof. Douglas Wallace, Mitautor der Studie und Meereschemiker am IFM-GEOMAR.

"Wir sind dabei, die Chemie des Ozeans auf eine dramatische Art und Weise zu verändern."
(idw, 12. Februar 2007)

Die Wissenschaftler wollen die zukünftige Entwicklung mit fortlaufenden Messungen begleiten und beobachten. Und mehr kann die neue Untersuchungsmethode, die sich zwangsläufig immer im Nachvollzug befindet, auch nicht bieten. Das kommt u.a. dadurch zustande, daß sich manche Faktoren (siehe Beispiel Temperatur - CO2- Speicherkapazität des Wassers) gegenseitig bedingen und daher nicht vorauszuberechnen sind, wenn sie z.B. durch weitere äußere Einflüsse plötzlich verändert werden. So schränkt die globale Erwärmung der Erde, die auch die Meere betrifft, die CO2-Speicherkapazität ein und führt zur Freisetzung von Treibhausgasen und damit schneller zu einer weiteren Erwärmung...

Das derzeitig erklärte Ziel der Forscher, "Mit fortlaufenden Messungen die Verteilung und Konzentration von CO2 im Ozean der Zukunft zu beobachten und als Hinweis dafür zu nutzen, ob globale Maßnahmen zur Eindämpfung des Treibhauseffekts tatsächlich greifen oder nicht", wie Prof. Wallace behauptet, wird allerdings angesichts der bevorstehenden Sättigung der Weltmeere mit CO2 zur Farce, wenn man bedenkt, daß abgesehen von schwer zu verwirklichender Emissionsdämpfung und über Rechte für den Emissionenhandel bisher nur Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgase diskutiert wurden, die gerade wieder das Meer als möglichen Speicher einplanen.

Die vollständige Veröffentlichung "An estimate of anthropogenic CO2 inventory from decadal changes in oceanic carbon content," von Toste Tanhua, Arne Körtzinger, Karsten Friis, Darryn W. Waugh, and Douglas W. R. Wallace ist unter

http://www.pnas.org/papbyrecent.shtml

zu lesen.

(idw, 12. Februar 2007)

14. Februar 2007