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UMWELTLABOR/186: Straßenasphalt frißt Abgase mit Sauerstoff (SB)


Umweltpflaster soll Ängste vor Atemnot lindern

Intelligenter Baustoff hält nicht, was er verspricht


Nicht von ungefähr soll der neue Baustoff, ein sogenannter katalytischer Asphalt, der Autoabgase absorbiert, in Mailand entwickelt worden sein. In der mediterranen Metropole herrscht beinahe Dauersmog, eine derzeit noch einzigartige Erscheinung in Europa, die jedoch bei zunehmender Sauerstoffverknappung in der Luft und klimawandelbedingter Hitze in den Sommern auch auf andere Städte übergreifen könnte.

Fast jeden Tag liegen in der norditalienischen Stadt die Ozonwerte über dem als "hoch" definierten Grenzwert von 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Mit schlimmen Folgen für die Gesundheit der Mailänder. Aber auch in den anderen Städten Italiens oder auch Griechenlands sieht es schlimm aus. Dort herrscht ebenfalls jedes Jahr wochenlang Smog. Wenn die heiße Luft regungslos über den Städten steht, breiten sich Dunstglocken aus Ruß und Stickoxiden über die Häuser und lassen die Stadtbewohner nach Luft schnappen.

Gerade die Italiener lieben ihre Autos, auf jeden dritten Einwohner kommt ein PkW. Damit das auch weiterhin so bleiben kann und letztlich niemand etwas an seinem Verhalten ändern muß, suchen Wissenschaftler fieberhaft nach Lösungen, mit denen sich die Luftverschmutzung in den smogverseuchten Metropolen praktisch von selbst auflösen oder zumindest eindämmen läßt, ohne daß ein Bürger auf seine Benzinkutsche, auch CO2- und Feinstaubschleuder genannt, verzichten müßte.

Laut einem Bericht im Deutschlandfunk vom 27. Februar 2007 heißt das Zauberwort: "Photokatalyse". Das erklärte Nino Mantucci vom staatlichen Wissenschaftsinstitut für Luftverschmutzung in Rom folgendermaßen:

Wir haben wichtige Erfahrungen mit der Fotokatalyse gewonnen: die fotokatalytische Selbstreinigung von entsprechend beschichteten Oberflächen funktioniert tatsächlich. Der von Ingenieur Terruzzi in seinem Unternehmen erfundene fotokatalytische Asphalt zersetzt Feinstaub und macht ihn für die menschliche Gesundheit unschädlich. (DLF, 27. Februar 2007)

Tatsächlich gibt es die Idee der sogenannten intelligenten, luftreinigenden Baustoffe schon wesentlich länger und die Erfindung eines Spezialasphalts, der quasi vor Ort Schadstoffe absorbiert und in harmlose Salze umwandelt, ist nicht einmal besonders neu.

Wir berichteten schon im März 2004 von einem mit Titanoxid angereicherten angeblich luftreinigenden Beton, der ebenfalls in Italien entwickelt wurde:

Am Anfang stand eine Kirche, wie der Deutschlandfunk schon am 8. Januar dieses Jahres berichtete, der jüngst eingeweihte Neubau des amerikanischen Stararchitekten Richard Meyer am Stadtrand Roms mit drei großen weißen Betonsegeln. Da diese strahlend weiß bleiben sollten, entwickelte der Zulieferer Italcementi einen besonderen HighTec-Beton, TX-Milennium, der sich im wahrsten Sinne des Wortes gewaschen hat. Denn das Farbpigment Titandioxid, das dem Beton u.a. sein strahlend reines Weiß verleiht, hat einen kleinen, geringfügigen Nebeneffekt, der dieses Weiß auch rein erhält. Es zersetzt nämlich unter Lichteinwirkung nebenbei ein kleines bißchen Smog. (Schattenblick 2004, NATURWISSENSCHAFTEN\CHEMIE: UMWELTLABOR/132: Beton reinigt Luft?)

Auch damals waren die Erwartungen an den Beton, der den Smog einfach auffressen bzw. seine giftigen Bestandteile in harmlose Verbindungen umwandeln sollte, immens. So hieß es seinerzeit im Deutschlandfunk:

"Wir haben es mit einem Zement zu tun, der außer den üblichen Eigenschaften von Weißzementen eine besondere Eigenschaft hat. Er ist photokatalytisch, d.h. unter Lichteinwirkung bringt er Reaktionen in Gang, die verunreinigende Substanzen in der Luft abbauen, so Auto- und Fabrikgase, Stickoxide, Schwefeloxide oder Ruß, allesamt Partikel die in der Atmosphäre vorkommen." (DLF, 4. März 2004)

Im Kontakt mit dem weißen Beton sollen Stickoxide zu Stickstoff und Sauerstoff werden. Schwarzer Ruß sollte sich zu einfachem Kohlenstoffdioxid (CO2) umwandeln. Das Ganze hatte nur einen kleinen Nachteil, der den neuen Baustoff nicht für alle Städte zum Öko-Beton der Wahl machte:

Zwar sollte Titanoxid, ein ungiftiger Stoff, der in der Natur vorkommt, ausschließlich katalytische Funktion bei den Prozessen besitzen, doch als anorganischer Halbleiter leitet Titanoxid normalerweise keinen Strom und wird erst unter Einfluß von Wärme oder Licht leitfähig und als Katalysator brauchbar. So war der Beton nur in sonnenreichen Gebieten als vermeintliche Ökolunge zu gebrauchen.

Es ist hochwahrscheinlich, daß in dem Geheimrezept des von dem Mailänder Ingenieur Terruzzi entwickelten und vom CNR getesteten katalytischen Asphalt ebenfalls das bewährte Titanoxid verwendet wurde. Der Italiener hielt sich über die genaue Zusammensetzung recht bedeckt. Sein Asphalt sah aus wie ein ganz normaler Straßenbelag. Er wurde mit einem patentierten Spezialmörtel bestrichen, dem Terruzzi Quarzpartikel und andere photokatalytische Substanzen (TiO2) beimischte. Diesen strich er als zwei Millimeter dicken Film auf den Asphalt.

Das führte dazu, daß durch Licht und Luft eine photokatalytische Reaktion, letztlich ein oxidativer Prozeß unter Sauerstoffverbrauch, angestoßen wird. Organische und anorganische Substanzen werden zunächst absorbiert, transformiert und dann zersetzt.

Durch diese photokatalytische Reaktion würden aber auch Stickoxide, Polykondensate sowie Benzole, Kohlenmonoxid und andere Verbindungen aufoxidiert und als harmlose Oxide unschädlich gemacht.

Dieser von den Italienern großartig "Transformationsprozeß" getaufte Schadstoffabbau verwandele die giftigen Substanzen - auf den Straßen seien es vor allem die Autoabgase - in für den Menschen relativ ungiftiges Natriumnitrat, Natriumcarbonat und Calciumcarbonat (Kalk). Anders als der zuvor erwähnte Titanoxidbeton, werden hier Stickoxide nicht in Luftbestandteile gespalten, sondern zu Feststoffen gebunden. Seltsamerweise scheint dabei niemand zu beklagen, daß bei diesen Prozessen, wenn sie denn stattfinden, weiterer Sauerstoff aus dem ohnehin dünnen Atemluftgemisch der Städte entfernt wird.

Auch hier, wie beim HighTec-Beton TX-Milennium in Rom, funktioniert das Ganze allerdings nur bei Sonneneinstrahlung und Wärme. Darüber hinaus gibt es noch weitere Einschränkungen:

So wurde der Asphalt vom nationalen Wissenschaftsinstitut CNR auf mehreren stark befahrenen Versuchsstraßen in Mailand getestet. Nach einer mehrere Wochen dauernden Testphase konnten sie zwar bestätigten, daß Autoabgase in direkter Nähe des Asphalts zersetzt werden, zu nahezu hundert Prozent. Doch dazu müssen die Abgase erstmal bis auf den von der Sonne erwärmten Boden gelangen. Wärme aber macht Aufwinde, und sobald die Schadstoffe den Bodenbereich verlassen, ist ihre Transformation nicht mehr sicher. "Die katalytische Reaktion sei an die Nähe der Schadstoffe zum katalytischen Mörtel gebunden", hieß es.

Noch schwieriger ist es, wenn Wind herrscht, dann werden die Schadstoffe und Autoabgase verweht und können den katalytischen MÖrtel erst gar nicht erreichen.

Dennoch ist die Gesamteinschätzung von den enthusiastischen Italienern äußerst positiv.

Die halbstaatlichen Autobahngesellschaften Italiens haben ebenfalls Tests durchgeführt. An den Mautstellen kommt es immer zu langen Staus. Die Italiener stellen ihre Wagenmotoren so gut wie nie ab. So kommt es regelmäßig zu hohen Luftverschmutzungswerten. In der Nähe von Mailand wurde der Asphalt vor einigen der Autobahnausgänge mit dem katalytischen Asphalt bestrichen. Die Luftverschmutzungswerte sanken um mehr als 60 Prozent - allerdings nur an den windstillen Tagen.
(DLF, 27. Februar 2007)

Es ist zu vermuten, daß der mörtelbewehrte photokatalytische Asphalt wieder einmal nur ein Scheingefecht gegen die Luftschadstoffe ist, das im wesentlichen dazu dient, möglichst lautstark die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß niemand wirklich etwas tun muß. Schließlich wird schon alles getan, um den in eigenen Lungen fühlbar wachsenden Schadstoffreichtum in der Luft in den Griff zu bekommen.

Abgesehen davon, daß dabei erhebliche Mengen an Luftsauerstoff zum Aufbau der vermeintlich harmloseren Substanzen aufgewendet werden müssen, sind aber auch diese letztlich gar nicht so unschädlich wie es zunächst scheint. Es stimmt zwar, daß Natriumnitrat, Kalk oder Natriumcarbonat unter bestimmten Bedingungen dem Menschen nichts tun. Am Katalysator werden die gasförmigen Schadstoffe allerdings direkt in die Feststoffe verwandelt, so daß sich der Feinstaubanteil in der Luft erhöht. Als lungengänger Feinstaub können die oben genannten Verbindungen im Organismus jedoch durchaus einigen zumindest mechanischen Schaden anrichten. Die Verwandlung von giftigem CO in CO2 und die "katalytische Verbrennung" des Rußstaubs, ebenfalls in CO2, stellt eine direkte Umlastung des unmittelbaren Smog-Problems auf die Vermehrung der Treibhausgase und das eigentlich wesentlich gravierendere Weltklimaproblem dar, das hier allerdings mit keinem Wort erwähnt wird.

So wird sich die photokatalytische Umwandlung des Smogs über Mailand mit schadstofffressendem Beton und Asphalt letztlich, wenn man sämtliche Faktoren (u.a. auch die der komplizierten, energetisch aufwendigen und somit schadstoffproduzierenden Herstellung der hochintelligenten Baustoffe) berücksichtigt, als reine Milchmädchenrechnung erweisen, die, was die atembare Luft betrifft, sogar nach hinten losgehen kann. Denn was nutzt einem selbst die schadstoffreinste Luft, wenn ihr der Sauerstoff fehlt?

7. März 2007