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UMWELTLABOR/200: Feinstaub versus Fitness (SB)


Joggen im Freien erhöht das Infarktrisiko

Bisheriges Gesundheitsdogma stellt sich selbst ein Bein


Nun ist es amtlich: Einer neuen Studie zufolge soll körperliche Bewegung in Städten das Infarktrisiko nicht senken, sondern erhöhen. Das bisherige Dogma des Sports, nur der Gesundheit zu dienen, obwohl Sportärzte dies schon längst besser wissen müßten, ist damit endgültig widerlegt.

Feinstaubaerosole sind in der Luft schwebende mikroskopische Partikel mit Durchmessern von 0,001 bis 100 Mikrometern. Sie steigen als Folge von Sandstürmen, Feuern, Vulkanausbrüchen, der Gischt des Meeres oder durch Pollen und Sporen von Pflanzen natürlich in die Atmosphäre empor. Dazu kommen künstliche, vom Menschen freigesetzte Partikel, die unter anderem aus den Schornsteinen der Privathaushalte, der Industrie, von Kraftwerken oder den Auspuffanlagen vor allem von Dieselfahrzeugen stammen. Besonders die Kleinsten unter ihnen, der sogenannte Feinstaub, gilt als für den Menschen gesundheitsgefährdend.

Die menschlichen Sinne sind auf diese Gefahr überhaupt nicht eingestellt. Man kann sie nicht riechen, man kann sie nicht schmecken, und mit bloßem Auge sind Feinstäube auch nicht zu sehen. Partikel, die so winzig sind, daß sie nicht einmal ein Zehntel des Durchmessers eines Haares erreichen, dringen über die Lunge in den Organismus vor und sollen neben Atemwegserkrankungen auch Erkrankungen des Herz- Kreislaufsystems verursachen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO rechnet damit, daß bereits 10 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft eine Verkürzung der Lebenserwartung der gesamten Bevölkerung um ein halbes Jahr bewirken. Feinstäube gelten derzeit als größte, aber auch ungreifbarste Gesundheitsgefahr in den Stadtgebieten. Die Frage, warum derart unspezifische Partikel, die von feinem neutralem Sand, über cancerogenen Asbest bis hin zu Ruß alles mögliche an Trägerstoffen enthalten können, auf denen außerdem noch andere bekannte organische oder anorganische Schadstoffe haften können, konnte bisher aufgrund dieser Vielfalt und in Ermangelung von beweiskräftigen Forschungsergebnissen nicht genau geklärt werden.

Dagegen ließ sich die zunehmende Schädlichkeit dieses Atemluftphänomens in einer kürzlich veröffentlichten Studie verdeutlichen. So schrieb der Informationsdienst Wissenschaft im Auftrag der Universität Duisburg-Essen (UDE), im Juli dieses Jahres: Einer Analyse der Heinz Nixdorf Recall Studie zufolge, die in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift "Circulation", dem Organ der American Heart Association, veröffentlicht wurde, leiden Personen, die an stark befahrenen Straßen wohnen, häufiger an einer Verkalkung der Herzkranzgefäße, wodurch das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall ansteige.

"Das wichtigste Ergebnis unserer Studie ist, dass Menschen, die nahe an einer vielbefahrenen Straße wohnen, eine stärkere Arteriosklerose der Herzkranzgefäße - die Blutgefäße, die das Herz versorgen - aufweisen als solche, die weiter entfernt wohnen", sagt Dr. Barbara Hoffmann vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie der Universität Duisburg-Essen. "Dies gilt auch, wenn wichtige Risikofaktoren für Herz- Kreislauferkrankungen, wie Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes und ein hoher Cholesterinspiegel berücksichtigt werden."

Verglichen mit Studienteilnehmern, die mehr als 200 m entfernt von einer Autobahn oder Bundesstraße wohnen, ist die Chance, eine starke Verkalkung zu haben, erhöht um

- 63% für diejenigen, die innerhalb 50 m wohnen,
- 34% für diejenigen, die innerhalb 51-100 m wohnen
und
- 8% für diejenigen, die innerhalb 101-200 m wohnen.

Die Hauptursache für innerstädtische Unterschiede in der Feinstaubkonzentration ist der Verkehr.
(idw, 17. Juli 2007)

Die in Mühlheim, Essen und Bochum durchgeführte Studie war die erste und einzige bisher, die einen direkten Zusammenhang zwischen einer langandauernden, hohen Verkehrsbelastung nahe der Wohnung und der Herzkranzgefäßverkalkung untersucht hatte.

Nur wenige Monate danach stellen nun Wissenschaftler an der Northwestern University, Chikago, Vermutungen auf, warum das so ist. Dabei konzentrieren sie sich allerdings auf einen speziellen Teil des Feinstaubs, die Rußpartikel, die kleiner als 10 Mikrometer sind. Besonders hohe Konzentrationen dieser Art von Partikeln finden sich vor allem in den von der UDE untersuchten Einzugsgebieten, d.h. in der Nähe von Fernstraßen und in Städten.

Wie wir schon wissen, sind diese Partikel zu fein, als daß sie von Mund oder Nase ausgefiltert werden könnten. Deshalb gelangen sie in die Lunge, wo sie zunächst entzündliche Prozesse auslösen. Was in den bisherigen Konzepten über die Gesundheitsschädlichkeit von Feinstaub fehlte, war nun die kausale Verbindung zwischen den entzündlichen Prozessen in der Lunge und den Herzinfarkten und Gehirnschlägen, zu denen die Statistiken eine Verbindung nahelegen.

Die Ergebnisse der von den amerikanischen Forschern durchgeführten Studie, die am 20. September in der Online-Ausgabe des Journal of Clinical Investigation, veröffentlicht wurde, sollten nun diese Lücke schließen.

Gökhan Mutlu, der Leiter der Studie, Scott Budinger und David Green stellten in Tierversuchen fest, dass der Feinstaub die Neigung der Blutplättchen zum Verklumpen drastisch erhöht. Das geschieht dadurch, dass die durch den Feinstaub entzündeten Lungen eine Substanz namens Interleukin-6 ausschütten, welche die Tendenz der Blutplättchen zur Koagulation erhöht, was sowohl das Risiko für Infarkte als auch für Thrombosen erhöht.
(Telepolis, 21. September 2007)

Das hört sich durchaus schlüssig an, wobei allerdings berücksichtigt werden muß, daß die Wissenschaftler diese Ergebnisse durch Versuche am Mäusen erzielten, deren biochemische Reaktionen nicht unbedingt 1:1 auf den menschlichen Organismus übertragen werden können.

Darüber hinaus verwendeten die Wissenschaftler für ihre Versuche nicht einfach Proben aus der Umgebungsluft verkehrsreicher Gebiete, sondern gewissermaßen genormte Schadstoffteilchen, die ihnen von der amerikanischen Umweltbehörde zur Verfügung gestellt wurden.

Die Wissenschaftler verwendeten für ihre Versuche von der United States Environmental Protection Agency (EPA) gesammelte Partikel, lösten sie auf - und injizierten sie in die Lungen von Mäusen. Dabei stellten sie fest, dass das Blut dieser Mäuse weit stärker zur Verklumpung neigte als das der Tiere aus der Vergleichsgruppe - und dass der Interleukin-6-Spiegel der Mäuse innerhalb von 24 Stunden um das Fünfzehnfache anstieg.
(Telepolis, 21. September 2007)

Anders gesagt, man kann davon ausgehen, daß den Mäusen ausschließlich eine Partikelsorte in verschieden hoher Konzentration zugeführt wurde, bei der man davon ausgehen konnte, daß sie auch die beobachtete Wirkung zeigt.

Unabhängig davon kommen in der normalen Großstadtluft aber ein ganzes Gemisch von Partikeln vor, die sowohl harmloser wie auch noch wesentlich toxischer in ihrer Wirkung sein können.

Darüber hinaus sei angemerkt, daß zumindest in dem Telepolisartikel keine Konzentrationsangaben gemacht wurden, daher ist das beiläufig erwähnte "bemerkenswerte Nebenergebnis" der Studie, "Sport in den Städten erhöhe potentiell das Infarktrisiko", zunächst einmal eine bloße Vermutung.

Hier spricht dann doch eher noch der gesunde und nicht durch Kohlenmonoxid vernebelte Menschenverstand dafür, daß es tatsächlich nicht gesund sein kann, Leistungssport oder schweißtreibende Freiluftaktivitäten in der Nähe von Straßenverkehr zu betreiben. Denn wenn auch die Feinstaubpartikel selbst nicht wahrzunehmen sind, sollte es einem doch reichlich stinken, Abgase einzuatmen. Zumal man beim Sport davon doch wesentlich mehr einatmen muß. Laut Telepolis nimmt der Mensch beim Stillsitzen pro Minute etwa fünf bis sechs Liter Luft in die Lunge auf, beim Laufen dagegen 20 bis 25 Liter.

Ob diese Mengen wiederum ausreichen, daß im menschlichen Organismus ebenfalls vermehrt Interleukin-6 erzeugt wird, sei dahingestellt. Die Autoren der Studie glauben allerdings fest daran und bezweifeln den Nutzen sportlicher Betätigung für die Vermeidung von Herz- Kreislauferkrankungen. Darüber hinaus sprechen viele andere Gründe ebenfalls dafür, Menschen mit einer gewissen Disposition oder Vorerkrankung vor dem erhöhten Risiko sportlicher Betätigung in stark belasteten Gegenden abzuraten. Frische Luft und grüne Natur sollte doch bei sportlicher Betätigung viel mehr zur allgemeinen Entspannung beitragen, als der Streß der Großstadt.

Für Deutschland, das wegen seines hohen Verkehrsaufkommens allgemein als Feinstaubdreckschleuder Europas gilt, kommt äußerst beunruhigend an der Mutlu-Studie dazu, daß der blutverdickende Effekt laut Telepolis auch schon bei relativ geringen Feinstaubkonzentrationen auftritt. Einige wenige relevante Rußteilchen reichen somit vollkommen aus, um den Freizeitsport zum Infarktrisiko werden zu lassen. Und die Wahrscheinlichkeit, daß man davon etwas einatmet, erhöht sich logischerweise bei jeder Art von Ausdauer- und vermeintlichem Herz- Lungen-Training in der Großstadtumgebung.

24. September 2007