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UMWELTLABOR/201: Katzen - die neuen Bioindikatoren für Raumgifte (SB)


Vom Kanarienvögel bis zum Kater ...

... bei Vergiftungsgefahr schickt der Mensch sein Haustier vor


Im Ruhrpott hat die Zucht von Kanarienvögeln eine lange Tradition. In vielen Haushalten findet man einen Käfig dieser singfreudigen kleinen Federbällchen. Und das hat seinen Grund: Die Kumpel, Bergleute, die unter Tage Kohle und Erz abbauten, nahmen immer einen der kleinen gefiederten Freunde mit hinunter in die Stollen. Nicht aus Tierliebe oder Freude am Gesang, sondern schlicht, weil es kaum ein besseres Mittel gab, den Gasgehalt der Luft zu überprüfen. Sobald der Kanarienvogel keine Luft mehr bekam, nicht mehr sang oder sogar umkippte, wurde es für diese Schicht allerhöchste Eisenbahn, den Stollen zu verlassen, denn dann hatte der Kohlenstoffdioxid oder schlimmer noch der giftige Kohlenstoffmonoxidgehalt ein Niveau erreicht, bei dem die kleinen Tiere nicht mehr überleben konnten.

Auf diese recht brutale Weise, die vielen Vögeln das Leben kostete, haben die Leute im Ruhrpott den Kanarienvögeln viele gerettete Menschenleben zu verdanken. Inzwischen gibt es andere technische Sensoren, um die Luftzusammensetzung zu analysieren, Kanarienvögel werden dennoch weiterhin als Haustiere gehalten.

Ein anderes Haustier, die Katze, tritt nun unfreiwillig in die "Fußstapfen" des Vogels und wird zum Bioindikator für Schadstoffe der unmittelbaren menschlichen Umgebung. Anders gesagt, wenn es der Katze nicht gut geht, stimmt etwas nicht in Haus und Umwelt. Und es muß auch nicht gleich Rattengift sein, das sie bei der Jagd auf Mäusewild unversehens gefressen hat.

Schilddrüsenüberfunktion ist eine Krankheit, die man eigentlich nur von Menschen kennt. Vor wenigen Jahrzehnten war sie bei Katzen noch vollkommen unbekannt. Doch inzwischen häufen sich die Fälle in der Tierarztpraxis, vor allem bei älteren Katzen. Wie beim Menschen kann eine überaktive Schilddrüse bei der Katze zu Gewichtsverlust, Herzrasen und vielen anderen unangenehmen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.

Inzwischen mehren sich die Hinweise, daß diese unnatürliche Häufung von Schilddrüsenerkrankungen bei Katzen auf den vermehrten Gebrauch von Flammschutzmitteln in den Haushalten zurückzuführen ist, die bekanntlich ein starkes Umweltgift darstellen. Dadurch, daß Menschen immer mehr Technik um sich ausbreiten und Computer, Fernseher und HiFi- Geräte nicht nur im Wohn-, sondern auch im Schlafzimmer, im Büro, im Kinderzimmer und selbst in der Küche Einzug halten, steigt der Gehalt an Polybromyldiphenylethern (kurz: PBDEs) in der Atemluft an. Abgesehen von technischen Geräten enthalten auch viele andere Kunststoffe, z.B. Kunststoffteppiche oder Schaumstoffe aus Polstermöbeln diese Stoffe, die laut einer kürzlich in Science veröffentlichten Studie von Janice A. Dye, die im amerikanischen Umweltschutzamt tätig ist, diese verheerende Wirkung auf die Schilddrüse der Katze ausüben könnten.

Die Forscher bestimmten den Gehalt von PBDE im Blut von Katzen, wobei sie die Versuchstiere in drei Kategorien einteilten: junge und gesunde Katzen, ältere Katzen mit Schilddrüsenüberfunktion und ältere Katzen mit anderen Krankheitssymptomen. Einen direkten Zusammenhang zwischen besonders hohen PBDE-Werten und schilddrüsenkranken Katzen ließ sich dann doch nicht so leicht herstellen, weil sowohl die Art der Erkrankung als auch die PBDE-Konzentrationen im Blut stark schwankten. Doch was die Forscher schließlich einhellig bei allen Katzen feststellen konnten, waren Konzentrationen des Umweltgifts, die 20 bis 100 mal größer waren als die, die man bei Menschen aus dem gleichen Umfeld feststellen konnte.

Polybromierte Diphenylether, und hier vor allem die Variante Deca-BDP, die noch am längsten als harmlos galt, wurden bereits als Flammschutz- Ersatzstoffe für die umstrittenen und seit den 70er Jahren schon verbotenen Polychlorbiphenyle (PCBs) angewendet, die damals für die umweltfeindlichsten Stoffe überhaupt gehalten wurden. Als von letzteren bekannt wurde, das sie nicht nur gesundheitsschädlich, hormonähnlich und krebsverdächtig, sondern auch kaum mehr aus der Umwelt zu entfernen sind, wurden sie mit den polybromierten Varianten in den jeweiligen Einsatzgebieten ausgetauscht, obwohl man sich denken konnte, daß anders halogenierte Stoffe, die ähnlich gute Flammschutzmittel abgeben, auch auf Gesundheit und Umwelt nicht harmlos wirken würden. Inzwischen weiß man, daß man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben hat. Bestimmte PBDEs sind sogar wesentlich toxischer, als PCBs es je waren [siehe auch UMWELTLABOR/140: Giftschleuder Computer - Schädlicher Flammschutz (SB)]. Denn auch bei den Polybromdiphenylethern handelt es sich um stabile, schwer abbaubare, fettlösliche Verbindungen, die sich in der Umwelt in Luft Boden und Wasser sowie in Fisch, Fleisch oder Milch, d.h. auch in menschlicher Muttermilch, anreichern. Darüber hinaus gelangen sie nicht nur über Atemluft und Nahrung, sondern auch über die Haut in den menschlichen Körper.

Gerade Katzen scheinen diese Umweltgifte regelrecht anzuziehen. Allerdings mußten die Forscher einräumen, daß ein großer Teil der gefundenen Stoffe direkt aus der Katzennahrung stammte, so kamen hohe Dosen von PBDE vor allem aus Dosenfutter mit "seafood-flavor" (Geschmack nach Meeresfrüchten). Zumindest muß außer dem Geschmack auch ein Anteil echter Meeresfrüchte in dem Katzenfutter enthalten gewesen sein, denn in Fischen u.a. Meereslebewesen akkumulieren polyhalogenierte Verbindungen offenbar besonders gern.

Über Fische und Meeresfrüchte wurden die brisanten Stoffe schon bis in die Arktis und Antarktis getragen, wo man sie in Tieren wie Eisbären findet, die eigentlich fernab der Zivilisation leben und daher eigentlich gar keine Berührung mit Flammschutzmitteln haben [siehe hierzu auch: UMWELTLABOR/141: DecaBDP in Polarbären und Seemöven gefunden, UMWELTLABOR/148: PCB rottet Eisbären aus].

Die hohen Konzentrationen im Blutspiegel der untersuchten Katzen können allerdings auch nicht allein aus dem Dosenfutter stammen. Da Katzen wiederum äußerst akribisch in ihrer Körperpflege sind, und einen großen Teil der Zeit damit verbringen, ihr Fell gründlich zu lecken, vermuten die amerikanischen Forscher nun, daß der Rest der gefundenen Werte aus dem PBDE-befrachteten Hausstaub stammt, den die Katzen mit ihrem Fell von Sofas und Teppichen aufsammeln und dann beim täglichen "Putzen" zu sich nehmen. Darüber hinaus gibt es aber auch noch die Aufnahmemöglichkeit direkt über die Haut, die in den amerikanischen Untersuchungen nicht weiter erwähnt wurde.

Die Forscher scheinen über ihre Funde nicht besonders deprimiert zu sein, obwohl sich für die nahe Zukunft keine Änderungen abzeichnen. Flammschutzmittel sind notwendig, wenn man keine Abstriche am derzeitigen Lebensstandard machen will, von den möglichen Alternativen sind ähnliche "Nebenwirkungen" zu erwarten und ist schon soviel in der Umwelt, daß sie auch zukünftig Mensch, Tier und Umwelt gravierend schädigen werden. Eine Lösung für dieses Problem ist fern.

Statt dessen zeigen die Wissenschaftler eine geradezu perverse Freude darüber, nun perfekte Labortiere für Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen Schilddrüsenerkrankungen und PBDEs gefunden zu haben. Und auch, daß uns Katzen als eine Art Bioindikatoren lehren könnten, welche Wirkungen in Zukunft auch für den Menschen von diesen Stoffen ausgehen können, wenn die Konzentration in der Umwelt noch weiter ansteigt, scheint sie zu begeistern.

Letzteres ist reine Augenwischerei, schließlich sind gerade über PBDE und andere halogenierte Aromaten schon zahlreiche Daten und Erkenntnisse gesammelt worden, so daß man nicht auch noch Katzen als Versuchstiere bräuchte. Hier ein paar Zitate aus früheren Files zu diesem Thema:

Auch damals [in den 70er Jahren] gab es schon die ersten deutlichen Hinweise für eine Beziehung zwischen der PCB-Konzentration im Körperfett und der niedrigen Vermehrungsrate bei Seehunden, Belugawalen und Ottern.

Hohe PCB-Konzentrationen (10µg/l) wurden auch in der menschlichen Muttermilch nachgewiesen. Darüber hinaus stand diese Gruppe von Verbindungen, bei denen 1 bis 10 Chloratome an verschiedene Kohlenstoffatome des Biphenylmoleküls gebunden sein können (s.u., in Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen kann jede der bezeichneten Positionen mit Chlor substituiert werden), schon lange in dem Verdacht, das Erbgut zu verändern und einen nachteiligen Einfluß auf die Fortpflanzungsfähigkeit zu haben. (Schattenblick, 14. Juni 2004, UMWELTLABOR/140: Giftschleuder Computer - Schädlicher Flammschutz)

In den USA sind ab Ende des Jahres zwar Penta- und Octabromdiphenylether verboten, nicht aber Decabromdiphenylether. Manche Hersteller haben bereits auf die Verwendung von bromhaltigen Flammschutzmitteln verzichtet, aber sie sind noch immer in vielen Geräten zu finden. Prozessoren mit DecaBDE sind, so der Bericht, schließlich um 30 Prozent billiger herzustellen als solche, die Alternativen verwenden. (Telepolis, 6. Juni 2004)

Während die Industrie bislang DecaBDE als unbedenklich eingeschätzt und als Ersatz für die gesundheitsgefährdenden Chlorderivate empfohlen hatte, weil es sich angeblich nicht in Organismen anreichern würde, lassen jüngste Untersuchungen ganz andere Schlußfolgerungen zu.

PBDE stört Wachstum und Entwicklung

Danach könnten gerade DecaBDE der Leber schaden und durch Veränderung der Thyroidhormon-Konzentrationen die Gehirnentwicklung beeinträchtigen. Selbst Spuren von DecaBDE, die im Tierversuch an Mäusesäuglingen getestet wurden, brachten irreversible Gehirnschäden, Lernstörungen und hyperaktives Verhalten mit sich. (Schattenblick, 14. Juni 2004)

Kurz nach Redaktionsschluß erreichte uns eine Meldung des internationalen Pressedienstes Associated Press, in der die ubiquitäre Verbreitung von Bromphenylethern nun auch wissenschaftlich bestätigt wurde.

Norwegische Wissenschaftler haben den brisanten Stoff in Polarbären und Seemöven nachgewiesen. D.h. entgegen früheren Behauptungen werden auch die bislang als vermeintlich harmlos eingestuften Varianten der Polybromyldiphenylether in Naturgebieten verbreitet, die selbst keine PBDE-Quellen haben und reichern sich in der Nahrungskette an.
(Schattenblick, 17. Juni 2004, UMWELTLABOR/141: DecaBDP in Polarbären und Seemöven gefunden)

Fazit: Wenn die menschliche Rasse tatsächlich auch dies überleben sollte, dann wird sich die Auswertung dieses gigantischen Menschenversuchs möglicherweise erst in einigen Jahren in der Ausprägung einer ganz neuen Menschenrasse mit vermutlich wesentlich kleineren und leistungsärmeren Gehirnen zeigen, die aber das Ausmaß dieses Fehlers sicher nicht mehr zu begreifen in der Lage sind. Katzen wird es dann allerdings keine mehr geben, denn eine weitere 20-100fache Steigerung der Aufnahme übersteigt schon jetzt ihr Entgiftungspotential.

5. Oktober 2007