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UMWELTLABOR/224: Arsen raus, Nanogift rein - Wasser für die 3. Welt (SB)


Gereinigtes Wasser für die 3. Welt

Zaubermittel zur Entfernung von Giften?


Obwohl viele Regionen dieser Welt ausreichend mit Süßwasser versorgt sind, leiden 40 Prozent der Weltbevölkerung unter Wasserknappheit bzw. unter fehlendem Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dieses Problem könnte sich in nächster Zeit noch dramatisch verschärfen. Die zunehmende Urbanisierung, sowie die Verschmutzung durch Industrie- und Siedlungsabwässer und auch die globale Erwärmung und der damit einhergehende Rückgang an Niederschlägen als Folge des Klimawandels werden derzeit von den Fachleuten dafür verantwortlich gemacht, daß Trinkwasser mehr und mehr zur Mangelware geworden ist.

Darüber hinaus sind viele Brunnen der wasserarmen Länder durch arsenhaltige Erze oder Umweltschadstoffe vergiftet. Jeden Tag sterben etwa 20.000 Menschen an den Folgen der Nutzung von verschmutztem Trinkwasser, unter ihnen 6.000 Kinder im Alter von weniger als fünf Jahren. Rund 1,4 Milliarden Menschen ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser verwehrt, 2,3 Milliarden Weltbewohnern fehlt es an sanitären Anlagen. Die Vereinten Nationen hatten aus diesem Grund im September 2003 in Johannesburg auf dem Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung das Ziel ausgegeben, daß bis zum Jahr 2015 die Zahl jener Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen haben, halbiert werden soll. Doch wie man das erreichen will, ist nach wie vor völlig unklar.

Eine scheinbar geniale Lösung für die Reinigung und Aufbereitung vergifteter Wässer wird seit einigen Jahren angeboten. Angeblich läßt sich damit problemlos und kostengünstig selbst hochgiftiges Arsen aus dem Trinkwasser entfernen.

Forscher der US-amerikanischen Rice-Universität in Houston hatten vor zwei Jahren herausgefunden, daß man dafür nur das dem Rost ähnelnde Mineral Magnetit so zerkleinern müsse, bis ein Pulver mit großer Oberfläche übrig bleibt, das nur noch aus nanometerkleinen Kristallen besteht. Diese wären dann in der Lage, Arsen aus dem Wasser herauszufiltern, das sich vorzugsweise an Magnetit bindet. Aber auch die Abscheidung von gelösten, suspendierten oder emulgierten organischen oder anorganischen Phosphor-, Antimon-, Schwefel-, Selen-, Tellur-, Beryllium- sowie Cyano- und Schwermetallverbindungen seien für das neue "Zaubermittel" kein Problem.

Für Millionen Menschen in China und Südostasien, aber auch in Lateinamerika und Afrika, die als Folge der Umwelt- und Bodenverschmutzung häufig unter stark arsenhaltigem Trinkwasser leiden und daher auch ein größeres Risiko besitzen, an Krebs zu erkranken, klingt das alles wie ein schönes Märchen.

Vor allem, wenn die Nationale Umweltbehörde (wie im Fall von Lateinamerika und den USA) die Grenzwerte für Arsen in der kommunalen Wasserversorgung so stark gesenkt hat (von 50 ppm auf 10 ppm), daß eine ausreichende Wasserversorgung mit zugelassenem Wasser kaum gewährleistet ist.

Wird dem Wasser allerdings nanoprozessiertes Magnetit zugesetzt, könnte dieser Wert zumindest auf den verlangten aktuellen Grenzwert abgesenkt werden.

Das neue Verfahren stammt aus der Forschung mit Nanomaterialien und ihrer mögliche Anwendung und Nutzung und wird u.a. in der Patentschrift der World Intellectual Property Organisation (WIPO, WO/2002/026630) als Kontakt und Absorber-Granulat (Contact and Adsorber Granulates) genau beschrieben:

Zum erfindungsgemäßen Einsatz eignen sich Eisenoxihydroxidpigmente (z.B. Goethit) ebenso wie Eisenoxidpigmente (z. B. Hämatit, Magnetit) und/oder Eisencarbonate. Die Herstellung von Eisenoxidpigmenten ist Stand der Technik, sie werden durch Fällungs- und Oxidations- oder Penniman-Reaktionen aus Eisen (II) salzlösungen und das Eisenhydroxid durch Fällung aus Eisen (III) salzlösungen erhalten.
(WIPO, WO/2002/026630)

Auch die Nano-Struktur des Granulates wird hier näher definiert:

Sind die Primärteilchen nadelförmig, wie z.B. in der Phase von …-FeOOH, lässt sich als Mass für die Teilchengröße die Nadelbreite angeben. Man beobachtet bei nanoteiligen …-FeOOH-Teilchen Nadelbreiten von bis zu 100 nm, in der Hauptsache jedoch zwischen 4 und 50 nm. …-FeOOH Primärteilchen haben üblicherweise ein Länge : Breite-Verhältnis von 5 : 1 bis zu 50 : 1, typischerweise von 5 : 1 bis 20 : 1. Durch Dotierungen oder spezielle Reaktionsführung lassen sich die Nadelformen jedoch in ihrem Länge : Breite-Verhältnis variieren. Sind die Primärteilchen isometrisch, wie z.B. in den Phasen …-Fe203, ‡-Fe203, Fe304, können die Teilchendurchmesser durchaus auch kleiner als 20 nm sein.
(WIPO, WO/2002/026630)

Nun wissen wir inzwischen, daß gerade Nanomaterialien, die in ihrer Makrostruktur ganz harmlos und träge sind, wenn sie auf den Tausendmillionstel Teil heruntergebrochen werden, völlig neue Eigenschaften entfalten.

In diesem Fall stellen die Forscher aus dem rostähnlichen Mineral winzige Kristalle her, die nicht größer als 50 Nanometer sind, und teilweise feine und noch wesentlich kleinere Nadeln bilden. In dieser Größenordnung scheinen die winzigen Magnetite auch auf sehr schwache Magnetfelder zu reagieren, was man von dem Material an sich bzw. größeren Kristallen nicht erwartet hätte.

Bei einem Kristalldurchmesser von nur 12 Nanometern sollen die Magnetitpartikel den Forschern zufolge 100mal mehr Arsen binden können als die größeren Eisenpartikel, die auch schon in entsprechenden Filtern angewendet wurden. Anschließend könne das beladene Eisen mit einfachen, preiswerten Magneten (wie gemeinhin in der Computertechnik verwendet) aus den Testflüssigkeiten entfernt werden.

Das Verfahren wurde vor zwei Jahren im Labormaßstab, d.h. im Reagenzglas angewendet, doch die Wissenschaftler waren sich damals schon einig, daß die Technologie, im größeren Maßstab oder für den Hausgebrauch angewandt, sogar noch viel einfacher werden könnte: Man müsse nur eine kleine Menge des nanoaufbereiteten Magnetitkristallpuders in einen Topf voll frischen Quellwassers geben und dann einfach warten, bis das gebundene Arsen durch einen schlichten Magneten an der Unterseite des Topfes auf den Boden gezogen wird. Fertig! Die Kosten für diese Art von Wasseraufbereitung sollte auch für die Ärmsten erschwinglich sein:

"This should come out costing one to two cents a day for a family of four in the developing world," said Mason B. Tomson, a professor of engineering at Rice who was a co- author of the report.
(Associated Press, Barnaby J. Feder, 10. November 2006)

Der arsenhaltige Bodensatz, der als Sondermüll von den Dorfbewohnern zu sammeln und dann zu entsorgen wäre, mache in einem Jahr nicht mehr als einen Kochtopf voll aus.

Statt des Magneten könnten Gemeinden mit öffentlichem Wassersystem oder entsprechenden Aufbereitungsanlagen auch Filter nutzen, um die arsenbehafteten Partikel gemeinsam mit anderen das Wasser belastenden Bestandteilen zu entfernen.

Darüber hinaus müsse noch der Vorteil des Verfahrens im Vergleich zu anderen Mineralien im Nanomaßstab bestimmt werden, da schon zahlreiche Nanomaterialien wie Zirkonium, Aluminium, Eisen und Manganpartikel in ähnlichen Filtersystemen verwendet und getestet werden.

Doch selbst wenn die Kosten-Nutzen-Kalkulation von Herrn Tomson gut und günstig gewesen sein mag, steht ein Unschädlichkeitsnachweis bis heute noch aus bzw. ein Beleg dafür, daß das neue Verfahren für den Endverbraucher, der das gefilterte Wasser schließlich trinkt, "sicher" ist.

So kann ein versehentlicher Verzehr des arsenhaltigen Rückstandes nicht vollständig ausgeschlossen werden, da besonders feines, arsenhaltiges Nanomagnetitmaterial nicht hundertprozentig abgefiltert werden kann, während größere Teilchen des gleichen Materials nicht mehr unbedingt magnetisch reagieren.

Was jedoch passiert, wenn arsenhaltiges Nanomagnetitmaterial in den Organismus gelangt, läßt sich nicht vorausberechnen. Gleichfalls muß eine mögliche Rückführung des arsenhaltigen Filtrats von den Sondermülldeponien in Wasserläufe oder in die kommunale Wasserversorgung ausgeschlossen werden können, sonst reichert sich das Arsen erneut im Grund- und Trinkwasser an.

Was außerdem von den Forschern nicht einmal als Risiko erwähnt und vielleicht auch gar nicht erkannt wurde, ist der Verbleib von nanoskaligem Magnetit (bzw. …-FeOOH-Nadeln) im Trinkwasser.

Angesicht jüngster Erkenntnisse über die Wirkung nadelspitzer Nanomaterialien im menschlichen Körper, bei dem man eine asbestähnliche Wirkung nicht ausschließen konnte, wenn diese Materialien mit bestimmten Geweben (z.B. die Lunge) in Berührung kommen, scheint der Einsatz der Magnetitkristalle höchst brisant.

Es ist durchaus anzunehmen, daß nicht das gesamte eingesetzte Material von Arsen besetzt wird und neben arsenbelasteten auch freie Magnetitkristalle unsichtbar im Wasser verbleiben und sich nicht von Magneten oder Filtern aufhalten lassen. Dabei handelt es sich dann meist um die besonders effektiven, kleinen Korngrößen oder um den noch feineren Abrieb des eingesetzen Materials.

Leider wird die Technologiefolgenabschätzung in Bezug auf Nanomaterialien nicht so intensiv betrieben wie die Erforschung ihrer möglichen Nutzung. Von harmlosem Kohlenstoff ist jedoch inzwischen schon bekannt, daß er in Form von Nanoröhrchen nicht nur fischtoxisch wirkt, sondern im Lungengewebe von Ratten Granulome erzeugen kann:

Um das Eindringen über die Atemwege zu simulieren, injizierten sie den Nagetieren unterschiedliche Proben in die Bauchhöhle: einmal kurze Nanoröhrchen, etwa fünf Mikrometer (tausendstel Millimeter) lang, dann 20 Mikrometer lange Nanoröhrchen, zudem kurze und lange Asbestfasern sowie klumpenförmigen Kohlenstoff. "Das Ergebnis ist eindeutig", sagt Donaldson. "Lange, dünne Nanoröhrchen zeigen dieselben Effekte wie dünne Asbestfasern."
(Tagesspiegel, 22. Mai 2008)

Mit anderen, ebenfalls harmlosen Materialien waren die Ergebnisse sogar noch drastischer:

Ein Versuch - wiederum mit Ratten - bestätigt diese Annahme: Das darin verwendete Titandioxid löste nach einer zweijährigen Verabreichung Lungenkrebs aus.
(Die Joghurt-Lüge, Teil 2. Vorabdruck, 16. August 2006)

Ob nun Magnetit gleichfalls in seiner Nanoform toxische Momente entwickelt, wird sich vermutlich im ersten großangelegten Feldversuch (oder zumindest einige Jahre danach) herausstellen.

Dieser wird zunächst einmal in Indien durchgeführt, wo es noch Gebiete gibt, in denen die Wassernot groß genug ist, daß sich die Menschen gegen solche experimentellen Maßnahmen nicht wehren können. Das gleiche gilt auch für den zweiten Feldversuch, der im amerikanischen Brownsville in Texas vorgenommen werden wird, einer Gegend, in der die Versorgung mit Wasser ebenfalls immer schwieriger wird.

Daneben sollen auch andere konkurrierende Technologien verwendet und mit der Nanotechnik verglichen werden wie die Verwendung von arsenanreichernden Pflanzen oder speziellen Tonfiltern.

Nicht am Rice-Projekt beteiligte Wissenschaftler aus aller Welt, die das Problem der Arsenkontamination kennen, zeigten sich allerdings bisher von den Forschungsergebnissen beeindruckt.

So meinte beispielsweise Alexander van Geen, der Leiter eines Forschungslabors an der Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia Universität, daß herkömmliche Filtermethoden gegenüber der neuen Technologie erhebliche Nachteile hätten:

"All of the arsenic removal systems so far require filtration of some sort," [...] Such systems perform poorly if not properly maintained and may become infected with bacteria and other microbes, Mr. van Geen and others said.
(Associated Press, Barnaby J. Feder, 10. November 2006)

Im Falle der Magnetabscheidung oder Filtration ist möglicherweise das Filtrat so giftig, daß sich keine Bakterien oder Mikroben darin aufhalten können. Ob das aber tatsächlich als Vorteil gewertet werden kann, sei dahingestellt.

Van Geen hält dann auch das Anlegen und Bohren von sogenannten Tiefenbrunnen, die wesentlich weiter ins Erdreich eindringen als die derzeit genutzten Wasserquellen und besonders saubere, tiefliegende Grundwasseradern anstechen, die noch nicht von Arsen und ähnlichem verseucht sind, für wesentlich effektiver und besser für die ortsansässige Bevölkerung. Er vermutet, daß beispielsweise fast alle Dörfer in Bangladesh, dem Land mit den größten Wasserproblemen, durch solche Tiefenbrunnen mit vollkommen reinem Trinkwasser versorgt werden könnten, wenn man etwa 50 Millionen Dollar investieren würde.

Offenbar sträuben sich die Verantwortlichen jedoch, diese kostbaren Ressourcen, die man sich für noch knappere Zeiten vorbehält, an die einfache Landbevölkerung zu verschwenden. Schließlich besteht mit jedem erneuten Ausschachten eines Tiefenbrunnens wieder die Gefahr, daß durch Bodenerosion und Landwirtschaft Arsen und andere Schadstoffe in das frische Tiefenwasser gelangen, so daß man über kurz oder lang vor dem gleichen Problemen stehen würde.

Ehe man derart wertvolle Notreserven in Gefahr bringt, wird also lieber mit Menschen und hochbrisanten neuen Stoffen experimentiert.

Erstveröffentlichung 2007
neue, überarbeitete Fassung

4. Juni 2008