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UMWELTLABOR/229: Tricastin - Uran ist vielfältiges, potentes Gift (SB)


Französische Behörden auf Verschleierungskurs

Tatsächliche Gefahr läßt sich dennoch ausrechnen


Was bisher geschah...:

Aus der Atomanlage Tricastin im südfranzösischen St-Paul-Trois- Châteaux nahe Avignon sind am 8. Juli 2008 etwa 30.000 Liter radioaktive Uranlösung ausgetreten und in den Boden geflossen. Ein Teil sei über Regenwasser in die Flüßchen Gaffière und Lauzon gelangt, teilte die französische Atomaufsichtsbehörde ASN mit. Die nicht näher spezifizierte Flüssigkeit enthalte zwölf Gramm Uran pro Liter. Die Gefahr stuften die Verantwortlichen allgemein als gering ein. Für die Bevölkerung habe zu keiner Zeit eine Gefahr bestanden, hieß es in den Medien. Doch es gibt auch kritische Stimmen:

So erklärte die Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) am 9. Juli, der Umstand des Bade- und Angelverbotes zeige, daß erhebliche Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung bestünden und warnten die Bevölkerung hinsichtlich der freigesetzten Uranmengen und der Abschätzung der Gefahr vor gezielt gestreuten Falschinformationen.

Dennoch bleiben die tatsächlichen Vorgänge und die daraus zu berechnende Gefahr verworren und unüberschaubar.

Zunächst behandelten die französischen Behörden das Ganze wie eine Bagatelle. Viel Zeit verstrich, ehe der Vorfall überhaupt eingestanden und die Bevölkerung unterrichtet wurde. Dabei verschleierte man mehr als wirklich aufzuklären: Von Strahlung war zunächst überhaupt nicht die Rede. Klartext wurde vermieden und aus den Angaben des ausgetretenen Urans in Gramm pro Liter, mußte sich der aufmerksame Leser gewissermaßen selbst ausrechnen, daß immerhin 360 Kilogramm des radioaktiven Elements entwichen waren.

Und auch hier gab es noch widersprüchliche Angaben: Während z.B. in der Süddeutschen Zeitung aufgrund einer Pressemitteilung der Associated Press (AP) von sogenanntem "(Natur-)Uran" oder allgemein von einer radioaktiven Uranlösung die Rede war, erklärte die zuständige Präfektur laut Tagesthemen vom 9. Juli und dpa: "es handele sich nur um "abgereichertes Uran" und sei deshalb nicht so gefährlich". "Abgereichertes" oder englisch: "depleted Uranium (DU)" entsteht, wenn der Bestandteil von Uran-235 in natürlichem Uran konzentriert wird, was für die Herstellung von Brennstäben nötig ist. Uran-238 (oder DU) bleibt dann in höherer Konzentration übrig.

Laut der Kommission für Unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität (CRIIRAD) steckt in der Art der Informationsvermittlung System:

Wenn bei Unfällen die Strahlung unter dem Grenzwert liege, gebe der Staat die Radioaktivität in Becquerel an. Doch wenn der Grenzwert stark überschritten werde, rede man von Gramm pro Liter. In diesem Falle werde die für die Zuläufe höchstens zulässige Strahlung von 50 Becquerel pro Liter möglicherweise um das 6000-fache überschritten.
(dpa Paris, 9. Juli 2008)

Auch die Frage, wie es zu dem Unglück kommen konnte, wird von den verschiedenen Stellen unterschiedlich beantwortet:

Der ASN zufolge lief in einer Anlage zur Behandlung von Uranlösungen ein Kessel über. Das Rückhaltebecken sei wegen Arbeiten undicht gewesen. (Sueddeutsche Zeitung, 9. Juli 2008)

Die Ursache für den Unfall war der Behörde zufolge noch unklar. Örtliche Behörden berichteten, die Flüssigkeit sei bei der Reinigung eines Tanks ausgetreten. Betroffen waren die Flüsse Lauzon und Gaffiere. In letzterem habe der Atomaufsichtsbehörde zufolge die Urankonzentration das Tausendfache des Normalwerts betragen.
(junge Welt, 9. Juli 2008)

Doch um eine konkrete Stellungnahme drückt sich auch die Kommission (CRIIRAD) und gibt ausweichend an: Das Gesundheitsrisiko sei in der Tat gering. Das Problem liege in der geringen Sicherheit der ganzen Anlage.

Tatsächlich hatte erst vier Tage vor dem Unglück CRIIRAD auf anormal hohe Strahlenwerte und das Müllproblem in Tricastin hingewiesen. Auf dem Gelände lagern 770 Tonnen radioaktiver Abfälle aus Militärbeständen. Sie wurden zwischen 1969 und 1976 einfach mit Erde überdeckt. Die Existenz des Müllhügels wurde erst 2002 erstmals behördlich erwähnt. Die Erde schütze nicht vor Grundwasser und Korrosion, mahnt CRIIRAD. Jüngst seien Tonnen mit Atommüll vom Regen freigespült worden. Man habe sie gegen alle Sicherheitsregeln einfach neu mit Erde überschüttet.

All das gibt jedoch Anlaß zur Vermutung, daß das Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung nicht so gering ist, wie behauptet. Denn abgesehen von dem konkreten Fall besteht hier eine weitere ständige Kontaminationsquelle, aus der brisantes Material in die Umwelt gelangt.

Allein die Tatsache, daß die Nutzung von Wasser der Region untersagt wurde und außerdem das Bewässern von Feldern, das Angeln und der Verzehr von Fischen sowie jeglicher Wassersport verboten wurde, spricht letztlich für sich. Einzig die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW (siehe auch Schattenblick, UMWELT\REDAKTION: ATOM/778: Uran- Freisetzung in Frankreich - bioverfügbar, toxisch und radioaktiv (IPPNW)) und "Die Linkszeitung" sprachen dies deutlich aus:

...die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW [warnt] davor, dass die offenbar in mehrere Gewässer wie die Flüsse Rhône, Gaffière und Lauzon freigesetzte radioaktive, uranhaltige Flüssigkeit leicht bioverfügbar sei. Das bedeutet, dass das Uran und seine Zerfallsprodukte beispielsweise über die Trinkwassergewinnung, den Fischfang oder über die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen in die Nahrungskette des Menschen gelangen und von diesem aufgenommen werden können.
(LiZ, 10. Juli 2008)

... und was noch kommen wird:

Tatsächlich ist Uran ein Schwermetall (wie auch Blei, Cadmium, Quecksilber oder Plutonium) und somit ein sehr starkes Gift, das wie alle Schwermetalle im menschlichen Körper in der Niere, der Leber und in den Knochen eingelagert werden kann. Hier kann es auf zwei verschiedene Arten als Gift wirksam werden:

Einmal entstehen durch die Aufnahme löslicher Uranverbindungen Lungen-, Leber- und Nierenschäden, und um solche löslichen Verbindungen handelt es sich, wenn hier von einer ausgetretenen "Uranlösung" die Rede ist. Laut Lehrbuch wird die Stärke der chemischen Toxizität durch die Löslichkeit der Salze bestimmt. Die leichtlöslichen Uranyl-Salze wie (UO2(NO3)2) sind am giftigsten, die schwerlöslichen Oxide sind weniger giftig. Uran ist darüber hinaus teratogen, d.h. es kann den heranwachsenden Embryo schädigen.

Laut einer Empfehlung in der Strahlenschutzverordnung soll die tägliche Aufnahme von Uranoxiden aufgrund ihrer chemischen Toxizität auf 2,5 mg (mit der Atmung) bzw. 150 mg (mit der Nahrung) begrenzt werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für die Uranaufnahme mit der Nahrung eine Begrenzung auf 0,6 mg pro Kilogramm Körpergewicht und Tag; bei 70 kg Körpergewicht also ca. 40 mg pro Tag. (FB 8 Physik, Arbeitsgruppe Physikalische Umweltanalytik (AG UWA) Informationen über Uran-Munition
(15. November 2002))

Schon mit einem einzigen Schluck der oben geschilderten Lösung von 12 Gramm Uransalz pro Liter hätte man diesen Wert überschritten. Da sich das hier ausgetretene Uran einerseits in den Flußläufen verdünnen-, andererseits aber durch die Nahrungskette in Fischen, Wasservögeln und anderen Lebewesen anreichern kann, läßt sich allein die chemisch-toxische Gefährdung durch das ausgetretene Uran kaum abschätzen. Darüber hinaus warnte der BBU davor, daß im Uferbereich der verseuchten Flüsse Wasser verdunsten könne, so daß es zu Uranablagerungen komme, die wiederum über den Wind in die Atemluft gelangen können. Über die Lunge aufgenommenes Uran ist allerdings noch wesentlich schädlicher. Der Grenzwert der täglich vertretbaren Aufnahme liegt hier bei nur 2,5 mg. Und das ist schnell erreicht.

Neben der chemisch-toxischen Gefährdung sind die Uranteilchen, die über Atmung, Verzehr oder Kontakt des kontaminierten Wassers mit offenen Wunden in menschliches Gewebe gelangen können auf sogenannte radio-toxische Weise wirksam. Darunter versteht man die gesundheitsschädigende Wirkung der radioaktiven Strahlung, die der Stoff freisetzt. Radioaktive Strahlung ist eine ionisierende Strahlung, weil sie Atome und Moleküle im Körper ionisiert, d.h. ihnen elektrische Ladung entreißen kann. Darauf sowie auf der Bildung von Radikalen (z.B. Zerlegung von Wasser in die chemisch besonders aggressiven Bestandteile H· und ·OH) beruht die schädigende Wirkung radioaktiver Strahlung, die sich im Endeffekt in Zellveränderungen und Verbrennungen äußert.

Die Schädigung ist umso größer, je größer die vom Körper aufgenommene Strahlendosis. Die wiederum ist vor allem durch den Quotienten "absorbierte Strahlungsenergie" durch die "absorbierende Masse" gegeben.

Im Falle des Uran-238, der Hauptbestandteil von abgereichertem Uran, handelt es sich um einen Alpha-Strahler. Die Reichweite von Alpha- Strahlen ist so gering, daß sie schon durch ein Blatt Papier abzuschirmen sind. Im Körper selbst können sie besonders großen Schaden anrichten, wenn das Metall eingeatmet oder mit der Nahrung aufgenommen wird. Seine radio-toxische Wirkung ist bei gleicher Aktivitätsmenge vergleichbar mit der radio-toxischen Wirkung von Plutonium-239 oder anderen radioaktiven Schwermetallen mit Alpha- Zerfall wie z. B. Radium-226 oder Thorium-232. Da? Plutonium dennoch als das gefährlichere Element eingeschätzt wird, erklärt sich folgendermaßen:

Als erste Faustregel kann man festhalten, dass die Dosisfaktoren für strahlenbiologisch bedeutsame Alpha-Strahler wie Uran-238, Uran- 235, Plutonium-239, Radium-226 oder Thorium-232 alle in der gleichen Größenordnung liegen. Insofern ist also eine bestimmte Aktivitätsmenge Uran-238 ähnlich gesundheitsschädigend wie eine gleiche Aktivitätsmenge Plutonium-239. Dass Plutonium-239 dennoch vielfach als "besonders gefährlich" oder gar als "giftigster Stoff" beschrieben wird, hat seine Ursache in der spezifischen Aktivität. Die ist für Plutonium-239 etwa 180.000 mal größer als für Uran-238 (siehe Tabelle), was vor allem an der mit 24.000 Jahren etwa 185.000 mal kürzeren Halbwertszeit gegenüber der des Uran-238 liegt. In einer bestimmten Masse Plutonium-239 finden demnach etwa 180.000-mal mehr radioaktive Zerfälle pro Sekunde statt, als in einer gleich großen Masse Uran-238. (FB 8 Physik, Arbeitsgruppe Physikalische Umweltanalytik (AG UWA) Informationen über Uran-Munition
(15. November 2002))

Somit reicht bereits das Einatmen der winzigen Masse von rund 40 Nanogramm (40 ng, 40 Milliardstel Gramm) Plutonium-239 aus, um den nach der Strahlenschutzverordnung für beruflich Strahlenexponierte zugelassenen Grenzwert der Jahresaktivitätszufuhr für Inhalation von 100 Becquerel zu erreichen. Die chemische Toxizität einer so kleinen Schwermetallmenge ist vernachlässigbar. Bei Uran-238 ist dagegen die chemische Toxizität sehr viel höher zu werten.

Bei dem in Tricastin ausgetretenen Material läßt sich nach den bisher gemachten Angaben jedoch auch Plutonium als mögliche Verunreinigung des Urans nicht völlig ausschließen. Handelt es sich nämlich tatsächlich um das vermeintlich "harmlose" abgereicherten Uran (DU), muß man, wenn es sich um aufbereitete Brennstäbe des Kernkraftwerks handelte, garantiert mit bedenklichen Mengen an Plutonium rechnen.

Abgereichertes Uran (Depleted Uranium, DU) ist ein Abfallprodukt aus der Herstellung von Kernbrennstoff für Atomkraftwerke. Es besteht typischerweise zu 99,8 % aus Uran-238 und zu 0,2 % aus Uran- 235 und enthält kein Uran-234 mehr. Wird es nicht aus natürlichem Uran, sondern aus abgebrannten Brennelementen von Atomkraftwerken gewonnen, kann es auch Spuren von Plutonium-239 enthalten. (FB 8 Physik, Arbeitsgruppe Physikalische Umweltanalytik (AG UWA) Informationen über Uran-Munition
(15. November 2002))

Da Plutonium pro Gramm eine um einen Faktor 57.000 höhere Strahlung besitzt, könnte schon eine Verunreinigung von 0,017 Promille die Strahlenbelastung verdoppeln. Plutonium kommt in der Natur nicht vor, sondern entsteht erst bei einer Kettenreaktion in einem Atomreaktor.

Das heißt nicht, daß Natur-Uran weniger gefährlich wäre. Denn darin befinden sich alle Isotope des Urans, die sämtlich instabil, radioaktiv und außerdem sehr langlebig sind.

Natürlich vorkommendes Uran ist ein Isotopen-Gemisch aus 99,275% U-238, 0,720% U-235 und 0,005% U-234. U-238 ist mit einer Halbwertszeit von 4,47 Milliarden extrem langlebig. U-235, das vor allem für Kernspaltungsprozesse verwendet wird, hat eine Halbwertszeit von 703,8 Millionen Jahren. Alle drei natürlich vorkommenden Isotope zeigen auch Spontanzerfall. Neben diesen natürlichen Isotopen sind noch weitere 13 Radionuklide bekannt, die in vom Menschen verursachten Zerfallsprozessen entstehen. Die Halbwertszeiten dieser Isotope liegt zwischen 159.200 Jahren (U- 233) und 0,5 Sekunden (U-266).
(Rutherford Online - Lexikon der Elemente 2006)

Nachdem die radioaktiven Stoffe über den Magen-Darm-Trakt oder die Lunge ins Blut gelangt sind, können sie sich in bestimmten Organen anreichern. Im Falle von Uran sind die Anreicherungsorgane, wie bei Plutonium, vor allem die Knochen (ca. 60 %), die Leber (ca. 15 %) und die Niere (ca. 10 %). Die dort freigesetzte radioaktive Strahlung kann in den Organen zu Veränderungen im Zellkern führen, durch die eine Krebserkrankung ausgelöst werden kann. Vor allem kann Lungenkrebs entstehen, da insbesondere größere Staubpartikel sich im Lungengewebe festsetzen können und dort dann über lange Zeit ihre radioaktive Strahlung freisetzen. Aber auch in den Knochen kann ein radioaktives Teilchen langfristig extremen Schaden anrichten. Nach heutigem Kenntnisstand tritt eine Leukämie typischerweise 2 bis 10 Jahre (Latenzzeit) nach einer Strahlenbelastung auf. - Die "normale" Anzahl der pro Jahr auftretenden Leukämiefälle liegt nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Gruppe der 20-45-jährigen Erwachsenen bei ca. 50 Fällen pro Million. Darüber hinaus sind die Keimdrüsen des menschlichen Organismus besonders strahlenempfindlich, was die Wirkung des vermeintlich harmlosen Unfalls noch in die Nachfolgegeneration ausdehnen kann.

Bedenkt man, daß allein ein winziges Teilchen der in Tricastin ausgetretenen Menge ausreicht, um bei einem Menschen eine bösartige Erkrankung auszulösen, dann braucht man nicht einmal nähere und genauere Angaben über Menge, Konzentration und Qualität der Uran- Lösung, um zu wissen, daß es sich bei der vermeintlich "geringen Gefährdung" für die Bevölkerung um reine Augenwischerei handelt.

11. Juli 2008