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UMWELTLABOR/248: Sick Building Syndrom (2) Wohnen im Giftcontainer (SB)


Versteckte Gifte


Für ein gutes Raumklima läßt sich laut des neu erschienenen Leitfadens (1) der Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes (UBA) oft schon mit wenigen Handgriffen sorgen, indem man zum Beispiel richtig und konsequent lüftet und beim Sanieren und Renovieren emissionsarme Produkte verwendet. Eine sinnvolle und schonende Reinigung mit möglichst wenig "Chemie" kann ebenfalls dabei helfen, die dicke Luft aufzuklären. Doch ganz so einfach ist es nicht immer...

Vergiftung ist letztlich eine Frage der Dosierung. So beginnt die Luftverunreinigung zwar schon bei unerträglich hohen Kohlendioxidkonzentrationen infolge luftdichter Fenster oder unzureichenden Lüftens. In schlecht gelüfteten Räumen steigt zudem die Feuchtigkeit, die wiederum zu Schimmelbefall und mikrobiellem Wachstum führt. Schimmelsporen und luftgängige Mikroorganismen, sowie die Ausscheidungen von Kleinstlebewesen bilden einen Bestandteil des Feinstaubs, der eingeatmet werden kann. Hinzu kommen aber auch noch Schadstoffemissionen aus Reinigungsmitteln, Anstrichfarben und nicht zuletzt aus Baustoffen, Möbeln, Teppichen, von den beim Bau verursachten Altlasten einmal abgesehen. Was aber mit dem Konglomerat an chemischen Bestandteilen in der warmen Heizungsluft passiert, ob sie miteinander wechselwirken oder sich synergistisch verstärken, läßt sich kaum noch überblicken, so vielzählig sind die chemischen Reaktions- und Kombinationsmöglichkeiten.

Womit Menschen tagtäglich fertig werden müssen, sei hier einmal beispielhaft zusammengetragen:

Altlasten:

- Asbest in Dämmstoffen und zum Brandschutz unter dem Dach war lange Zeit das Markenzeichen von Schnellbauverfahren. Asbestfasern nisten sich mechanisch und irreversibel in das Lungengewebe ein und führen fast immer zur Tumorentwicklung.

- Noch bis Ende der 60er Jahre war es üblich, Holzparkett mit sogenanntem Bitumenkleber zu verlegen, aus dessen Teerbestandteilen die als Krebs erregend geltenden PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) ausgasen. Letztere entstehen u.a. auch bei unzureichender Verbrennung aus aromatischen Kohlenstoffen (z.B. Pflanzenschutzmitteln).

- PCB, polychlorierte Biphenyle und ebenfalls aromatische Kohlenwasserstoffe, haben wir an dieser Stelle schon häufiger erwähnt [z.B. UMWELTLABOR/201: Katzen - die neuen Bioindikatoren für Raumgifte (SB), UMWELTLABOR/242: Giftschleuder Computer - Schädlicher Flammschutz (SB)]. Sie wurden seinerzeit als Weichmacher in Dichtungsmassen oder als Brandschutzmittel in Deckenplatten eingesetzt. Mit einem Chlorgehalt von jeweils zwischen 30 und 60 Prozent gibt es über 200 verwandte Substanzen, die unter diesem Begriff definiert werden und die wohl umweltfeindlichsten Stoffe darstellen. Sie sind ubiquitär, also zu Land, zu Wasser und in der Luft, anzutreffen. PCBs sind extrem giftig, wobei ihre akute Toxizität vom Grad ihrer Chlorierung abhängt, gelten als krebsverdächtig und attackieren bzw. schwächen das Immunsystem.

- Holzeinbauten und tragende Wände rüstete man gegen Pilzbefall und Insektenfraß großzügig mit Nervengiften aus: Dazu gehört u.a. Lindan, das in starken Dosen schwere Krämpfe mit Todesfolge auslösen kann, schließlich Pentachlorphenol (PCP) oder das seit 1972 verbotene Dichlor-diphenyl-trichloräthan (DDT). Alle diese Substanzen gelten als Insektizide. Während DDT wegen seiner Nebenwirkungen nur noch in tropischen Ländern, z.B. zur Bekämpfung der Anopheles-Mücke (Malariaüberträger) erlaubt und verbreitet wird, ist Lindan ein global verwendetes Pestizid aus der Landwirtschaft. Gamma-Hexachlorcyclohexan, das zu Ehren seines Entdeckers Herrn Van der Linden Lindan genannt wird, kommt auch direkt am Menschen zum Einsatz.

Es ist u.a. der Hauptbestandteil von Goldgeist forte oder Jacutin, mit dem man äußerlich Parasiten des Menschen wie Flöhe, Läuse und Milben bekämpft. Darüber hinaus wird es in anderen Mitteln angeboten, um in Haushalt, Garten oder Forst Textilien, Gemüse, Zierpflanzen und sogar Holz vor Schädlingen zu schützen.

Lindan ist im Vergleich zu DDT von Landoberflächen flüchtiger (es gast gewissermaßen in die Atmosphäre aus), bindet sich jedoch an Wasser und wird daher durch Niederschläge auch wieder rasch aus der Atmosphäre ausgewaschen. Auf diese Weise kann es leicht mit dem Sickerwasser in tiefere Regionen gelangen und dann zusätzlich über Wasserwege, z.B. Grundwasser, verteilt und von Lebewesen aufgenommen werden.

- In der ehemaligen DDR wurde der höchst wirksame Allzweckkiller Di-(p-chlorphenyl)-ß-trichlor-äthan (DDT), der sich über die Nahrungskette bekanntermaßen im Fettgewebe des menschlichen Körpers anreichert, sogar bis kurz vor der Wende offiziell eingesetzt. Entsprechend überhöhte Werte konnten in allen untersuchten DDR-Bürgern festgestellt werden. Seine tödliche Wirkung auf Insekten erfolgt durch Einwirkung auf das Nervensystem: Das Molekül öffnet einen Kanal in der Zellmembran, durch den Natriumatome unkontrolliert in das Zellinnere einströmen können. Dies löst eine ununterbrochene Reaktion der Nerven aus, bis das Individuum an Erschöpfung zugrunde geht (die Nervenzellen höherer Tiere und Menschen werden auf die gleiche Weise beeinflußt, sie halten das nur länger aus). Allerdings ist DDT von seiner definierten akuten Toxizität her (der Mensch toleriert noch Dosen von 4 Gramm ohne nennenswerte Begleiterscheinungen, die tödliche Dosis des reinen Stoffes beträgt 30 Gramm) wesentlich weniger gefährlich, als die Gifte, die man davor verwendet hatte und zu denen vor allem Insektizide gehörten, welche so giftige Elemente wie Arsen, Blei und Quecksilber enthielten. Es zählt als chlororganische Substanz aber ebenfalls zu den krebserregenden Substanzen und ist daher besonders für empfindliche Menschen nicht gerade harmlos.

- Und schließlich Bleispuren im Trinkwasser aus alten Leitungsrohren [UMWELTLABOR/60: Akkumulationen (3) — Blei aus dem Akku; UMWELTLABOR/203: Blei - Hoher Preis für schlechten Rat (SB)]. Blei sammelt sich im Fettgewebe und in den Knochen an. In höheren Konzentrationen bindet es sich an Hämoglobin und macht dieses unwirksam. Das Resultat ist die Anreicherung eines Hämoglobin-Vorläufers, der Aminolävulinsäure, im Körper, was die bekannten Vergiftungssymptome verursacht: Der Darm wird gelähmt, dadurch entstehen Magenkrämpfe, Verstopfung und eine Stauung von Flüssigkeit im Gehirn, die Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit auslösen, während die gleichzeitige Anämie Müdigkeit verursacht. Es kommt auch zu Fehlgeburten und Mißbildungen. Und nicht selten haben Bleivergiftungen den Tod zur Folge.

Im Leitungsfließwasser der meisten deutschen Haushalte liegt der Bleigehalt im Durchschnitt bei 0,7 µg/l, im Standwasser bei 1,1 µg/l, in Ostdeutschland in Haushalten mit Bleileitungen bei 29,1 µg/l.
(aus: Leitlinie Blei, umwelt - medizin - gesellschaft Nr. 4/2005, S. 287-288 )

Holzfertighäuser, die in den 70er Jahren in Mode waren, sind bis heute besonders stark chemikalienverseucht. Neben den Bioziden PCP und Lindan stellte man hier vor allem überhöhte Konzentrationen des Reizgases Formaldehyd fest, das aus Preßspanplatten ausdampft, die damals einfach auf die Holzständerkonstruktionen getackert wurden. Laut PM ergab eine Studie des Berliner Senats im Jahr 1990, daß fast ein Viertel der untersuchten Fertigbauhäuser, den vom Bundesgesundheitsamt vorgegebenen Formaldehyd-Richtwert von 0,1 ppm (Parts per Million) überschritt. 16 Prozent der Bewohner gab an, daß mindestens ein Familienmitglied unter Allergien leide. Eine repräsentative Befragung des Robert-Koch-Instituts ergab darüber hinaus, daß die Zahl der an allergischem Schnupfen erkrankten Deutschen zwischen 1990 und 1998 um rund 70 Prozent anstieg.

Es gibt kein Entkommen aus diesem Teufelskreis, denn in einer zunehmend aggressiven, feucht-feindlichen Umwelt mit wachsenden klimatischen Einflüssen und sich wandelnder Mikrofauna sind UV-beständige Lacke, wasserabweisende Anstriche, Desinfektion und Insektenschutz usw. oft schon die Antwort auf bestehende Probleme, die sich anders nicht lösen lassen. Dazu verdichten die Hausbewohner den unvermeidlichen Giftcocktail der Bausubstanz noch eigenhändig, indem sie mit zahlreichen Renovierungen, Umbauten oder beim Neubezug ihr "home sweet home" mit weiteren Giftstoffen anreichern: Lösungsmittel aus Farben, Lacken, Abbeizmitteln, Pestizide aus den neu ausgelegten Wollteppichböden, Formaldehyd aus den neuen Küchenmöbeln, Sperrholzregalen u.a. Preßspanplatten.

Dagegen macht die häufig zitierte und extrem gefürchtete Feinstaubbelastung, die von Rauchern in Raucherhaushalten erzeugt wird, einen geradezu geringfügigen Anteil aus. Hier sind es neben den sogenannten PAKs (polycyclisch aromatische Kohlenwasserstoffe), die sich aus aromatischen Kohlenstoffen (z.B. Pflanzenschutzmitteln im Tabak) bei unzureichender Verbrennung in der Zigarette bilden können, folgende toxische Substanzen, die im Feinstaubanteile des Zigarettenrauchs vorkommen:

Aliphatische Kohlenwasserstoffe 3-5%
Aromatische Kohlenwasserstoffe 1%
Carbonylverbindungen 8-9%
Alkohole (auch Methanol) 5-8%
Ester 1%
Säuren ca. 10%
Basen 1%
Nicotin und Nebenalkaloide 6-8%
Phenole 1-4%
Sterine 0,5-1%
Nitrosamine ca 1%

(aus "Kaffee, Käse, Karies ...
Biochemie im Alltag, Wiley-VCH 2003,
Seite 121)

Von Nicotin einmal abgesehen, lassen sich diese Substanzen auch schon in der Raumluft von Nichtraucherhaushalten nachweisen.

In vielen Fällen künden die Schadstoffe schon durch ihren spezifischen Geruch von ihrer Existenz, so soll ein muffiger Teergeruch auf mit PAK-Altlasten verseuchte Parkettkleber hinweisen, chemische süßliche Gerüche in der Raumluft, die man von Farben und Lacken kennt, sind Alarmzeichen für ausgasende Lösungsmittel wie Xylol oder Toluol. Typische IKEA-Gerüche, Holz mit einer beizenden Übertönung, zeugen von Formaldehyd. Modrig, muffiger Geruch ist wiederum ein eindeutiger Nachweis für Schimmelpilzbefall, der nicht einmal sichtbar sein muß. Oft ist er unter den Tapeten verborgen.

Bei vielen extrem gesundheitsschädlichen Substanzen versagt jedoch die Nase. So sind die geruchs- und geschmacklose PCBs selbst in hohen Konzentrationen für den Menschen nicht wahrnehmbar.

Kurzum, was in unterschiedlichsten Konzentrationen als Alt- und Neulasten im Wohnbereich vorkommen kann, läßt sich nicht allein durch Lüften und Ausheizen aus der Atemluft vertreiben. Dazu kommen neue Stoffe, die neue Technologien mit sich bringen (z.B. in der Nanochemie), aber auch Schwermetalle in der Computertechnologie, in neuen Akkumulatoren u.v.a.m. Alles in allem sollte man sich angesichts dieser chemischen Attacken wohl eher fragen, warum nicht schon sehr viel mehr Menschen an Umweltkrankheiten wie "Sick Building Syndrom" SBS, "Building Related Illness" BRI oder "Multiplen Chemikaliensensibilität" MCS erkrankt sind und welche Mengen an Gift der Mensch wohl noch aushält?

Fortsetzung folgt...

Anmerkung:
(1) Der "Leitfaden für die Innenraumhygiene in Schulgebäuden" ist kostenlos erhältlich unter http://www.umweltbundesamt.de/uba-info- medien/mysql_medien.php?anfrage=Kennummer&Suchwort=3689.

6. März 2009