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UMWELTLABOR/254: Agent Orange - Vietnamesische Betroffene kämpfen immer noch um Entschädigung (SB)


Nach 38 Jahren noch immer Dioxin im Grundwasser

Weder US-Behörden noch Entlaubungsmittelhersteller halten eine Entschädigung für notwendig


Das enorme Aufgebot an chemischen Kampfstoffen im Vietnamkrieg hat seinerzeit Kriegsgegnern wie Umweltaktivisten reichlich Anlaß zu Empörung und öffentlicher Stellungnahme geliefert. Angesichts neuer Kriege und neuer Waffen sind diese Stimmen leiser geworden. Über das Thema Agent Orange und Napalm ist, wie über die versprühten Substanzen selbst, sprichwörtlich Gras gewachsen, wenn auch die Opfer vor Ort teilweise heute noch unter den Folgen leiden. Im Gegensatz zu den ehemaligen US-Soldaten und Veteranen, deren gesundheitliche Beeinträchtigungen ausführlich dokumentiert wurden, können sie nicht einmal Pensionen oder Schadenersatz von der US-Regierung beanspruchen und sind dazu den damaligen Schadstoffen bis zum heutigen Tage ausgesetzt.

Im Vietnamkrieg zwischen 1962 und 1969 wurden von der US-Armee laut eigenen Angaben insgesamt etwa 50.000 Tonnen (d.h. 40 Millionen Liter) eines 50:50 Gemisches aus 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure und 2,4,5- Trichlorphenoxyessigsäure versprüht. Allein bis 1971 flog die US-Armee über 6.000 Einsätze und entlaubte dabei rund 1,7 Millionen Hektar Land, um den Versorgungsnachschub der Vietkong freizulegen.

Vietnamesische Organisationen von Opfern der Agent Orange Angriffe, sprechen allerdings von der doppelten Menge 100.000 Tonnen (und 80 Millionen Liter / 21 Millionen Gallonen) dieser Herbizide, denen sie im Laufe des Krieges d.h. innerhalb von 10 Jahren bis zu seinem Ende ausgesetzt waren.

Bis heute gibt es keine international anerkannte wissenschaftliche Studie, die eine Verbindung zwischen den Herbiziden und behinderten bzw. mißgebildeten Vietnamesen anerkennt, meinte ein Sprecher der US-Botschaft in Hanoi, wie die französische Presseagentur AFP am 7. April berichtete.

Dabei waren die auf das Pflanzenwachstum so eigenartig anregend wirkenden Chlorphenole schon an sich bekanntlich nicht harmlos. Ihre Risiken wurden zwar zunächst wegen ihrer relativ geringen akuten Toxizität stark unterschätzt. An Tierversuchen (Meerschweinchen) wurde eine LD50 (das ist die letale Dosis, von der 50% der Versuchstiere sterben müssen) für 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure ermittelt, die bei 0,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht lag. Umgerechnet auf die übliche Verdünnung des Herbizids auf 100 ppm (Parts per Million = 0,1 Gramm pro Liter) müßte ein durchschnittlicher Mensch etwa 350 Liter Fertiglösung trinken, um eine tödliche Dosis zu sich zu nehmen. Von 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure konnten Ratten sogar 2 Gramm vertragen, ohne daran zu sterben. Schon bald wurde man jedoch auf toxische Begleiterscheinungen wie schwere Leber- und Nierenschäden aufmerksam, an denen vor allem Chemiearbeiter und die regelmäßigen Verwender dieser Stoffe litten.

Agent Orange, wie dieses Gemisch aufgrund der orangegestreiften Container genannt wurde, in denen man es lieferte, war - wie inzwischen bekannt - mit mindestens 10 ppm Dioxinen verunreinigt. Da es sich hierbei um TCDD, d.h. den giftigsten Vertreter unter den Dioxinen und zudem einer der giftigsten Chemikalien überhaupt handelte, sind 10 ppm schon eine ganze Menge Gift. In dem Buch, "Zeitbombe Chemie, Strategien zur Entgiftung unserer Welt" von Hanswerner Mackwitz und Barbara Köszegi, wird der folgende Vergleich für die Toxizität dieses Stoffes hergestellt:

Man nehme ein Kaninchen von zehn Tonnen Lebendgewicht, etwa so groß wie ein Kranwagen. Schon ein Stecknadelkopf Dioxin genügt, um dieses Riesentier zu töten.

Schon damals waren die häßlichen Begleiterscheinungen beim Umgang mit dem Stoff unübersehbar, denn jedes mit Dioxinen verunreinigte Produkt entwickelte bei Hautkontakt eine sogenannte Chlorakne. Die davon Betroffenen bekommen im Gesicht und oft auch am ganzen Körper schwarze Pickel, Zysten und Geschwüre. Und es dauert oft Monate bis Jahre, bis diese Erkrankung abheilt.

Als das wohl toxischste aller möglichen Dioxine, das 2,3,7,8- Tetrachloro-p-dibenzodioxin (TCDD) in ausgesprochen hohen Konzentrationen und die nicht viel weniger brisanten Chlorphenole des Agent Orange über vietnamesische Wälder, Dörfer, Wasserläufe und Wohngebiete versprüht wurden, wußten sowohl die Hersteller als auch Einsatzleiter von den verheerenden Folgen, aber es störte sie damals genauso wenig, wie die extreme Langlebigkeit des Stoffes.

Nach ersten Hinweisen, die als Propaganda des Vietkong abgetan wurden, gab man von offizieller Seite erst sehr viel später zu, daß in den betroffenen Regionen und in der fraglichen Zeit überdurchschnittlich viele mißgebildete Kinder geboren wurden. Inzwischen weiß man, daß manche Dioxine tatsächlich eine teratogene Wirkung besitzen und die embryonale Entwicklung beeinträchtigen, ganz ähnlich der des als Contergan bekannt gewordenen Thalidomids.

Vietnam: Tausendmal Seveso
"Viet-Duc hat zwei Köpfe, zwei Schulternpaare mit vier Armen, aber nur zwei Beine, einen Penis und einen After. Er ist eineinhalb Jahre alt und lernt bald sprechen. Viet-Duc ist ein Mensch, oder zwei, auf alle Fälle hat er menschliche Regungen: Er ärgert sich, wenn der eine Kopf nicht so will wie der andere, zum Beispiel beim Sichumdrehen im Bettchen. Er lacht - nicht immer mit beiden Gesichtern -, wenn die Krankenschwester den Milchbrei bringt.

Viet-Duc ist keine gewöhnliche Mißgeburt, wie sie überall auf der Welt auftreten, sondern er gehört zu den zahlreichen mißgestalteten Babys, die seit dem chemischen Krieg der USA in Südvietnam heute noch mit einer abnormalen Steigerungsrate geboren werden" - berichtete der bekannte Journalist Peter Crome in der Frankfurter Rundschau vom 8. Oktober 1982.
(Zeitbombe Chemie, Seite 31, Verlag ORAC 1983)

Schon 1977 bestätigten Wissenschaftler auf einem Symposium in Ho Chi Minh-Stadt (ehemals Saigon), daß noch sieben Jahre nach Beendigung des Krieges das Gift im Boden nachzuweisen war. 36 Jahre später wiesen die Umweltgeowissenschaftler Thilo Hofmann und Anke Wendelborn erstmals nach, daß Dioxine mittels Nanopartikel auch bis ins 20 Meter tiefe Grundwasser gelangt waren. Ihren Recherchen nach existieren verschiedene Studien, die nachweisen, daß das gefährliche TCDD immer noch in hohen gesundheitsschädigenden Konzentrationen im Boden zu finden ist und von dort in Nahrung und Grundwasser gelangen kann. Das Grundwasser wurde allerdings nie untersucht. Obwohl schon 1977 Prof. Ton That Tung, ein inzwischen verstorbener Dioxin-Experte aus Hanoi, darauf aufmerksam machte, daß TCDD gerade im Wasser über 20 Jahre wirksam bleiben würde. Er sprach schon seinerzeit von einer signifikanten Häufung der Tot- und Mißgeburten sowie Leberkarzinome in seiner Heimat...

"Durch den klassischen Transport mit dem Regen- und Bodenwasser kann das Dioxin in den letzten Jahrzehnten höchstens zehn Zentimeter in den Boden gewandert sein. Deshalb ist wahrscheinlich auch noch niemand auf die Idee gekommen, das Grundwasser in 20 Meter Tiefe auf Dioxin zu untersuchen", so Thilo Hofmann, der 2001 eine Gastprofessur in Ho Chi Minh (ehemals Saigon) hatte. "Doch wenn sich das Dioxin wie ein blinder Passagier an natürliche Nanopartikel, so genannte Kolloide, heftet, kann es tiefer gelangen. Diese kleinen Teilchen zwischen einem und 1.000 Nanometer Größe funktionieren wie Lastenträger." So lautete die Hypothese des Geowissenschaftlers.
(idw, 11. April 2007)

Im Januar 1983 diskutierten vietnamesische Ärzte zum ersten Mal gemeinsam mit amerikanischen Wissenschaftlern in Hanoi. Denn die Folgen des Agent Orange hatte auch bei US-Veteranen zahlreiche Beschwerden hervorgerufen.

Bald darauf erhoben 15.000 Kriegsveteranen in Washington Klage gegen die Hersteller von Agent Orange und machten die darin enthaltenen Dioxine für eine Reihe von Krankheiten, darunter Nervenleiden, Leberschäden, Potenzstörungen, Krebserkrankungen - ebenso wie eine erschreckende Zunahme der Zahl ihrer Kinder, die mit Mißbildungen zur Welt kamen - verantwortlich. Sie brachten das Problem mit angestrebten Prozessen 1984 in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Allerdings nur kurz, denn die Verfahren wurden mit einem außergerichtlichen Vergleich und der Zahlung von 180 Millionen Dollar durch die Hersteller von Agent Orange an die Kläger schnell wieder unter den Teppich gekehrt. Ein gutes Geschäft für die Köche des Teufelszeugs, zumal sie auf diese Weise nicht die Verantwortung für die Schädigungen übernehmen mußten.

Die Betroffenen in Vietnam wurden bei diesen einmaligen Zahlungen nicht berücksichtigt. Ihr Prozeß gegen die Hersteller des Agent Orange wurde zuletzt 2005 eingestellt. Der Oberste Gerichtshof der USA (the Supreme Court) lehnte aus diesem Grund eine erneute Anhörung der Opfer im vergangenen März ab.

Schon 1984 hieß es, eine ungewöhnliche Häufung von Krankheiten könne nicht nachgewiesen werden. Das lag zum Teil auch an den seinerzeit noch nicht so entwickelten Analysemethoden. Bis 1986 mußte einer Person für die Untersuchung auf Dioxine etwa 20 Gramm Fettgewebe entnommen werden, was einem größeren chirurgischen Eingriff gleichkam, der nur im Krankenhaus durchgeführt werden konnte. Dazu war aber durchaus nicht jeder bereit. Als später eine Methode entwickelt wurde, bei der man Dioxine aus dem Blutserum quantitativ nachweisen konnte, fanden sich eine Viertelmillionen Männer, die in Vietnam gewesen waren, bereit, ihre Erkrankungen auf einen Zusammenhang mit Dioxinen testen zu lassen, um mögliche Rentenansprüche an den amerikanischen Staat geltend zu machen.

Abgesehen davon, daß man anhand jener Männer, die direkt mit Agent Orange in Kontakt gekommen waren, herausfand, daß die Halbwertszeit (die Zeit in der die Hälfte des aufgenommenen Giftes vom Körper abgebaut wird) von Dioxinen im menschlichen Körper mit sieben Jahren sehr viel länger ist als ursprünglich angenommen, stellte die damit betraute Institution - wie zu erwarten war - zwischen Dioxin und den nachgewiesenen Krankheiten keine klare Ursache-Wirkungs-Beziehung fest. Nur fünf der untersuchten Männer, die eindeutig immer noch an Chlorakne litten, erhielten eine Rente.

Unabhängig davon wurde von dem medizinischen Institut (IOM) der amerikanischen Akademie der Wissenschaften eine Untersuchung durchgeführt, die 1993 mit dem Titel "Vietnam & Agent Orange: health effects of herbicides in Vietnam" erschien. Sie basiert auf 6000 wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die bis dahin zu diesem Thema erschienen waren und in denen auch nur fünf Krankheitsbilder genannt werden, die signifikant mit dem Herbizid zusammenhängen:

- Weichteilsarkom
- Non-Hodgkin-Lymphom
- Hodgkin-Syndrom
- Chlorakne
und Porphyria cutanea tarda
(Hautkrankheit mit Pickeln und Ausschlag).

Die Häufung von Leukämie, Knochenkrebs, embryonalen Mißbildungen, Hautkrebs, Magen- und Darmkrebs, Blasenkrebs und Hirntumoren will diese Untersuchung aber keinesfalls mit diesem Wirkstoffgemisch in Verbindung gebracht sehen, was letztlich eine Frage des Standpunkts bleibt. Da jede Form von Krebs sich wegen ihrer langen Entwicklungsdauer nicht eindeutig auf einen spezifischen Auslöser zurückführen läßt, ist die Möglichkeit einer cancerogenen Wirkung auch nie völlig auszuschließen.

Abgesehen davon konzentrierte sich die Untersuchung der gesundheitlichen Auswirkungen von Agent Orange ausschließlich auf die Angehörigen der US-Armee. Die vietnamesische Bevölkerung, die dem Wirkstoffgemisch bis heute noch ausgesetzt ist und die direkten Folgen zu tragen hat, wurde dagegen in keiner Untersuchung berücksichtigt. Bis heute müssen viele Eltern für ihre behinderten oder lebensunfähigen Kinder sorgen und erhalten nur einen kleinen staatlichen Zuschuß, der die Unkosten nicht deckt.

Zwar haben vietnamesische und US-Behörden sich seit September 2008 darauf geeinigt, in Umwelt- und Gesundheitsfragen, die in Verbindung mit den Agent Orange Dioxinen stehen, zusammenzuarbeiten. Doch diese sogenannte "Milderungs- oder Linderungs-"Arbeit (englisch: Mitigation - Nomen est omen) für die auch eine verhältnismäßig lächerliche Summe von sechs Millionen Dollar gestiftet wurde, bleibt (auch angesichts der Summen, die im eigenen Land oder in Neuseeland geflossen sind - und auch schon nicht ausreichten) bloße Augenwischerei.

Die Opfer oder Eltern der Opfer versuchen nun, über Gerichtshöfe in anderen Ländern Unterstützung einzuklagen. Doch die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen bekanntlich langsam, und die Hersteller sitzen angesichts des inzwischen schon hohen Alters der Kläger (viele von ihnen sind weit über 70, andere haben aufgrund ihrer Krankheiten keine lange Lebenserwartung mehr) schlicht am längeren Hebel. Die Zeit arbeitet für die Chemieindustrie.

9. April 2009