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UMWELTLABOR/273: NF3 und viele Fragen (SB)


Wie oft muß man ein "vergessenes Treibhausgas" noch vergessen, um von der akuten Klimaentwicklung abzulenken?



NF3 - ein Stoff mit vielen Namen und Funktionen:

Für den umweltinteressierten und klimasensibilisierten Leser oder Hörer (und wer ist das heute nicht?) begann das neue Jahr mit einem Knaller ganz besonderer Art: Stickstoff-Trifluorid (kurz: NF3). Diese teilweise als "das vergessene Treibhausgas" titulierte Chemikalie sei ein extrem schädliches Treibhausgas und soll nun in Deutschland und allen anderen am Kyotoprotokoll beteiligten Staaten besser kontrolliert werden, konnte man in den Meldungen verschiedener Medien (auch im Schattenblick [1]) lesen. Die unter der CAS-Nummer (Chemical Abstracts Nummer) 7783-54-2 eingetragene Chemikalie ist Chemikern zwar unter verschiedenen Namen bekannt (Stickstoff (III) Fluorid, Trifluoramin oder Trifluorammoniak, je nachdem, von welchem Bestandteil der ausgesprochen einfachen, an Ammoniak erinnernden Strukturformel man ausgeht), ansonsten haben wohl die wenigsten Menschen bisher davon gehört. In seiner chemischen Darstellung ist der Stoff für Laien leicht mit Ammoniak zu verwechseln. Auf den ersten Blick gleicht er wie dieser einem Schemel mit drei Beinen. Die Sitzfläche bildet Stickstoff, die Beine sind jeweils ein Fluor (bei Ammoniak ein Wasserstoffatom).

Vereinfachte Darstellung der Strukturformeln von Stickstofftrifluorid und Ammoniak. - Grafik: © 2013 by Schattenblick Vereinfachte Darstellung der Strukturformeln von Stickstofftrifluorid und Ammoniak. - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Obwohl Ammoniak (NH3 rechts) auch von alters her von Hausfrauen zum Putzen verwendet wird, gibt es keinerlei Wirkungsverwandtschaft zum Plasmareinigungsmittel Stickstofftrifluorid (NF3 links).
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Das als Plasma hochreaktive Agens NF3, das mit seinem modrigen Geruch in Reinform an Gruft und Verfall erinnert, wird bei der Produktion von Solarzellen und Flachbildschirmen, genauer gesagt zum Strukturätzen dünner Schichten und zum Reinigen der Reaktionskammern nach dem CVD-Prozeß (Chemical Vapour Deposition), eingesetzt. Das "Putzmittel" muß dafür mittels Elektronenbeschuß chemisch zerlegt werden. Ein kleiner Teil - etwa ein bis drei Prozent - bleibt jedoch unversehrt und kann, wenn er nicht mit entsprechenden Filteranlagen aufgefangen wird, in die Atmosphäre entweichen.


Lückenbüßer, begnadeter Sündenbock ...

Dieser winzig kleine Rest macht jedoch momentan Schlagzeilen, denn er soll 16.800 bis 17.200 Mal (da weichen die Werte in den verschiedenen Quellen voneinander ab [2]) so schädlich sein wie Kohlenstoffdioxid (CO2) und sehr lange, 550 bis 740 Jahre [2], in der Atmosphäre wirksam bleiben. Warum das so ist und NF3 die Strahlung der Sonne effektiver in Wärme umsetzt, als manch anderer chemischer Bestandteil der Troposphäre [bzw. warum seine spezifische Absorption im treibhausrelevanten infraroten Spektralbereich besonders hoch ist], läßt sich nicht an dem geringen Wissen über seine anderen chemischen, strukturellen und physikalischen Besonderheiten festmachen.

Die geschätzte Menge von rund 4000t an jährlich produziertem NF3 könne, so heißt es in den Medien, aufgrund der extremen Treibhauswirkung durchaus klimarelevant sein und entspräche der Klimawirkung von 67 Mio t CO2. Durch die Zunahme der Produktion auf diesem Sektor - so werden die Klimaexperten und das Bundesumweltamt allgemein zitiert - wären die Emissionen in den letzten Jahren exponentiell sogar um etwa 11 Prozent angestiegen. [3]

Dagegen wirken - flüchtig betrachtet - die berüchtigten und noch im Dezember 2012 anläßlich der jährlichen Klimakonferenz von Doha thematisierten und weithin bekannten Treibhausgase Kohlenstoffdioxid (CO2 GWP=1) und Methan (CH4 GWP=21) geradezu wie Peanuts. Wohl sind es gerade diese beiden, die den Klima- und Zukunftsforschern, Wissenschaftlern und Ökonomen unmittelbar die meisten Sorgen bereiten, wie sich bereits im Mai 2012 in einem Resümee düsterer Aussichten des Club of Rome für die zweite Hälfte des derzeitigen Jahrhunderts andeutete, denn hier sind die gewaltigen Mengen entscheidend, die davon in die Luft gesetzt werden: Wenn wir nicht sofort handeln, würde sich die Klimaerwärmung dramatisch verstärken und damit viel Leid verursachen, hieß es dort. Der schwerwiegendste Grund bei der Präsentation dieses jüngsten Club-of-Rome-Reports in Amsterdam: "Wir stoßen jedes Jahr zweimal so viel Treibhausgas aus wie Wälder und Meere absorbieren können." Der norwegische Wirtschaftsexperte und Zukunftsforscher Jørgen Randers prognostizierte, daß die Treibhausgasemissionen weiter steigen und erst 2030 ihren Höhepunkt erreicht haben werden. Das sei zu spät, um den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen, was als eben noch akzeptable Marke angesehen wird. Bis 2080 werde die Temperatur um 2,8 Grad steigen und damit einen sich selbst verstärkenden Klimawandel auslösen. [4] Aber auch Temperaturerhöhungen bis zu 4 Grad werden heute nicht mehr ausgeschlossen.


... Verschleierungsrequisit ...

Da macht die Meldung zu NF3 geradezu Mut: Nach dem ersten Schreck darf sich der Konsument solcher Nachrichten beruhigt zurücklehnen, denn dieses wenig bekannte, klimaschädlichste F-Gas aller Zeiten, das nur noch von dem ebenfalls selten gehörten Treibhausgas Schwefelhexafluorid (SF6) übertroffen wird - so die übliche Lesart - war bisher einfach noch nicht in die Liste des UNO-Klimaprotokolls aufgenommen worden. Uuups!

Daß diese Nachlässigkeit in Doha korrigiert worden ist und man nun offenbar alles unter Kontrolle hat, scheint zunächst einmal beruhigend, und das in zweifacher Hinsicht: Das Gerücht, ein ganz besonders schlimmer Faktor im Klimageschehen sei erkannt worden, lenkt gleichzeitig davon ab, daß trotz drastischer Prognosen und erklärtem Handlungsbedarf in Doha nichts weiter herauskam, als daß eben dieses Kyoto-Abkommen, das eigentlich Ende 2012 auslaufen und hier mit dem Kyoto-II-Abkommen ersetzt werden sollte, mangels Einigung der beteiligten Staatsvertreter nun - provisorisch wie bisher - weiterlaufen muß und sich demzufolge überhaupt nichts ändert.

Nebenbei bemerkt: Auch wer einen Flachbildschirm oder Solarpanel auf dem Dach hat, muß diese technische Einrichtung nicht sofort im Sondermüll entsorgen, um das Klima zu schonen. Aus diesen Produkten entweicht kein NF3. Das klimaschädliche Gas wird nur für die Reinigung der besonders heiklen Prozeßanlagen im Herstellungsprozeß benötigt und verunreinigt das fertige Produkt nicht (anders als die Kühl- und Kältemittel, die bei der Entsorgung von Kühlschränken in die Umwelt gelangen können). Das mindert bereits die persönliche Betroffenheit.

Was den gefährlichen Klimasuperkiller angeht, sieht Jochen Flasbarth, der derzeitige Chef des Umweltbundesamtes, in aktuellen Interviews gefragt, sogar Möglichkeiten, daß sich die entsprechenden Produktionswege mit Hilfe von Filtern oder Ersatzstoffen so verändern lassen, daß es gar nicht mehr zum Ausstoß von NF3 kommen kann. In Deutschland gab es, laut Angaben des Bundesumweltamtes in seinem Nationalen Inventarbericht zum Deutschen Treibhausgasinventar, im Jahr 2000 ohnehin nur noch einen Hersteller der Photovoltaikindustrie ohne Abgasreinigungsanlage. Kein Grund zur Sorge also?

Nicht gesagt wird dazu allerdings, daß die Pläne für alternative Reinigungsverfahren ohne NF3 bereits seit 4 Jahren in der Schublade liegen und inzwischen möglicherweise auch schon in manchen Solarpanel-Produktionsstätten umgesetzt wurden. In dem klimafreundlich "verbesserten" Verfahren wird ein molekulares Fluorgas (F2) einsetzt, das sehr viel preiswerter in der Herstellung als NF3 ist - und das könnte bei einigen gut informierten Solarwirtschaftsunternehmen nicht auf taube Ohren getroffen sein!


... und Bezichtigungsinstrument

Der Hering im neujährlichen Katerfrühstück stinkt somit erbärmlich nach Schuldzuweisung: "Dem Kyoto-II-Abkommen sind außer den 27 EU-Staaten insgesamt nur 10 weitere Länder beigetreten, deren Treibhausgasausstoß nur einen Bruchteil der weltweiten Menge ausmacht." Die USA und China, letztere führend auf dem Gebiet der Flachbildschirm- und Solarpanel-Produktion und die größten Konkurrenten der deutschen Solarzellenindustrie, bleiben von den neuen Auflagen verschont und können unkontrolliert weiter NF3 in die Atmosphäre gasen, diese Bösen! Ein beispielhafter Kommentar in der Online-Zeitung WIRTSCHAFT-BOERSE:

So steht NF3 auch für das Dilemma beim globalen Klimaschutz. Während vor allem die EU um eine Begrenzung bemüht ist, steigen in anderen Weltregionen die Emissionen. Unter dem Strich ist das womöglich nicht einmal ein Nullsummenspiel. [5]

Dadurch entsteht, zulasten des asiatischen Raums, dessen Wirtschaftsaufschwung ohnehin argwöhnisch beäugt und dem bereits der größte Anteil am jährlichen CO2-Anstieg und damit die Schuld an der fortschreitenden Klimaerwärmung in die Schuhe geschoben wird, der überwiegend beruhigende Eindruck, mit der weltweit geregelten Emissionsreduktion dieses Stoffes könne man einen entsprechend entscheidenden Beitrag zu einer Umkehr im globalen Klimageschehen leisten.

Ab 2013 soll nun gemäß des verlängerten Kyoto-Protokolls in 37 Staaten auch die konkrete Ausstoßmenge für NF3 ermittelt und überwacht werden. Darauf haben sich im Dezember 2012 der Europäische Rat und das EU-Parlament geeinigt und mehr auch nicht. Hierzulande ist dafür das Umweltbundesamt zuständig, das dies vor allem über die Erfassung der Emissionen aus der Solarindustrie regeln will. Eine nennenswerte Flachbildschirmproduktion gibt es hierzulande nicht mehr und eine direkte Messung der Konzentration von NF3 in der Atmosphäre scheint es gar nicht zu geben (s.u.). Aber auch, wieviel NF3 tatsächlich während der letzten Jahre verbraucht bzw. freigesetzt wurde, läßt sich nur schwer abschätzen, da die Hersteller erst, seitdem es in die zu kontrollierenden Treibhausgas-Emissionen in den UNFCCC-Überwachungsmechanismus der Emisssionen aufgenommen wurde [6], über den NF3-Verbrauch und -Ausstoß Rechenschaft ablegen müssen, bisher aber nicht.


Und was ist mit den Meßwerten?

Der Sachverhalt scheint durchaus nachvollziehbar, dennoch weist bereits diese verkürzte Darstellung einige Widersprüche auf, wenn man beispielsweise nach dem exponentiellen bzw. elfprozentigen Anstieg fragt (oder nach den aktuellen Werten für dieses Treibhausgas), von dem Vertreter des Umweltbundesamtes ausgehen:

Wir beobachten zurzeit in der Welt etwa einen elfprozentigen Anstieg in der Atmosphäre, und den führen wir schon wesentlich auf die Produktionszahlen und Produktionsprozesse in Asien zurück." [3]

Doch die lückenlose Dokumentation über NF3-Ausstoßmengen der letzten Jahre läßt sich nirgends finden. Tatsächlich liegen die äußerst geringen Mengen (0,5 ppt), die überhaupt in die Luft gelangen, selbst für moderne Analyseverfahren noch außerhalb des Bereichs der Erfassungsgrenze (darauf kommen wir noch). Alle Angaben, die man hierzu findet, sind Schätzwerte oder Hochrechnungen die sich daraus ableiten: Dazu kann man in der vom Umweltbundesamt veröffentlichten "Berichterstattung unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und dem Kyoto-Protokoll 2012 - Nationaler Inventarbericht (NIR) zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990 - 2010" auf Seite 361 zu konkreten Angaben der gesamten Quellgruppe (2.F.7) von (CF4, C26, C38, c-C48), HFKW (CHF3), Stickstofftrifluorid (NF3) und SF6 dem Fertigungsprozess der Halbleiterindustrie lesen:

Aktivitätsdaten
Gesicherte Emissionsdaten liegen für 1990 und 1995 vor. Für die Jahre 1991 bis 1994 wurde eine lineare Interpolation durchgeführt. [7]

Das schließt eigentlich von vornherein eine exponentielle Entwicklung, wie den jährlichen elfprozentigen Anstieg aus.

Die im aktuellen NIR veröffentlichten Zahlen wurden darüber hinaus bis zum 15. April 2011 gesammelt. Am 15. Januar 2012 wurde dieser Inventarbericht bereits an die EU weitergegeben. Auf diese Weise werden selbst in dem in Kürze zu erwartenden NIR 2013 keine wirklich "gemessenen" Werte für NF3 zu finden sein, sondern nur Extrapolationen aus früheren Schätzwerten.

Sucht der Hartnäckige in jüngeren Veröffentlichungen des UBA nach konkreteren Ergebnissen zu NF3-Emissionen speziell zur betroffenen Halbleiter- oder Photovoltaik-Industrie, findet man vor allem die folgende Angabe:

Anzumerken ist, dass das in großem Umfang zur Reinigung der Depositionskammern eingesetzte NF3 (GWP 17300) in diesen Zahlen nicht enthalten ist, weil es derzeit nicht der internationalen Berichtspflicht unterliegt. [8]

oder

NF3 wird seit 2007 in neuen Produktionsanlagen an Stelle von SF6 eingesetzt. NF3 unterliegt noch nicht der Berichtspflicht für fluorierte Treibhausgase. [8]

Die darin vielfach angekündigte Sonderstudie von 2010 [siehe auch 8], in welcher der Zusammenhang von SF6 und NF3 nachrecherchiert werden sollte, läßt sich aber weder auf der Webseite des Umweltbundesamts finden noch sonstwie aufrufen.


Quellensuche und Proxydaten?

Woher also kommen die beeindruckenden NF3-Emissionswerte oder -hochrechnungen, die den Europäischen Rat und EU-Parlament überzeugen konnten und die deutschen Medienkonsumenten verunsichern?

Eine Antwort darauf deutet sich auf einer Webseite des Umweltbundesamtes zum Thema "Daten zur Umwelt - Umweltzustand in Deutschland - Klima - Atmosphärische Treibhausgas-Konzentrationen [9] an. Die Seite wurde im Mai 2012 aktualisiert und hier findet sich neben einer Erläuterung zu NF3 auch ein Internetlink zu einem vor etwa vier Jahren erschienenen Artikel in den Geophysical Research Letters.

Die gegenwärtige Konzentration in der Atmosphäre beträgt 0,45 ppt. Messungen (siehe Abb. "Zeitliche Entwicklung der atmosphärischen Konzentration von NF3") zeigen, dass die atmosphärische Konzentration seit Mitte der 90er Jahre deutlich gestiegen ist, was insbesondere auf die verstärkte Produktion von NF3 zur industriellen Nutzung in der Halbleiterindustrie, zum Beispiel bei der Herstellung von Flachbildschirmen und Solarzellen zurückzuführen ist. Der Einsatz von NF3 als Ersatzstoff für Fluorkohlenstoffverbindungen hat ebenfalls zum Konzentrationsanstieg beigetragen. [9]

Folgt man dem hierin markierten Direktlink findet man eine Kurve mit dem Titel "Zeitliche Entwicklung der atmosphärischen Konzentration von NF3 an eingelagerten Luftproben von zwei Reinluftstationen an der kalifornischen Pazifikküste (USA), die tatsächlich einen exponentiellen Verlauf nimmt. Die Meßwerte stammen von einem vor etwa vier Jahren erschienenen Artikel in den Geophysical Research Letters, "Nitrogen trifluoride in the global atmosphere" von R.F. Weiss, J. Mühle, P.K. Salameh und C.M. Harth "Nitrogene trifluoride in the global atmosphere", Geophys. Lett. 35 (2008) L20821, Doi: 10.1029 (http://www.agu.org/pubs/crossref/2008/2008GL035913.shtml).

Nähere Aufklärung über die hier verwendeten Werte finden sich bereits in der zum Artikel gehörigen Zusammenfassung in englischer Sprache. Die Autoren geben an, die Werte für NF3 in der Atmosphäre erstmals im Juli 2008 mit 0,454 ppt (parts per trillion, d.h. ein Teil NF3 pro eine Billion Luftmoleküle) genau erfaßt zu haben. Diese haben sie zu Werten aus eingelagerten Luftproben zwischen 1978 (die bei einem Wert von 0,02 ppt für NF3 beginnen) und 2008 in Beziehung gesetzt und dabei eine fast exponentielle Steigerungsrate von 11 Prozent pro Jahr ermittelt, die sie bis über das Jahr 2010 extrapolieren [10].

Nach eigenen Angaben im Scientific American, in dem die Forscher zu ihren Ergebnissen befragt wurden, sei es ausgesprochen schwer, Bruchteile von Billionstelkonzentrationen wie 0,5 ppt (übersetzt: ein halbes Teilchen pro einer Billion) analytisch zu erfassen. Der Leitautor der Studie R.F. Weiss mußte die Proben destillieren, erhitzen und über Absorbentien leiten, um den extrem empfindlichen Detektor störende Substanzen wie Kohlenstoffdioxid (CO2) und das Edelgas Krypton aus der Probe zu entfernen, und diese selbst bis zur Erfassungsgrenze aufzukonzentrieren. Das erforderte sehr hohe Mengen an Versuchsmaterial, gerade bei den noch erwarteten kleinen Mengen in den Anfängen des Untersuchungszeitraums, so daß man sich fragen muß, ob überhaupt ausreichende Mengen an eingelagerter Luft zur Verfügung standen, um daraus die nötigen "Proxydaten" herauszufiltern. Fraglos bleibt der analytische Wert solcher vorkonzentrierten Messungen dahingestellt, zumal es wegen des komplizierten Verfahrens auch keine weiteren Messungen (noch vermutlich weiteres Material) gibt, die die Ergebnisse bestätigen könnten. So hatte Weiss 563 Tonnen NF3 aus Luftproben von 2006 ermittelt, daraus mit der obigen Steigerungsrate 620 Tonnen für 2008 errechnet, was wiederum 16 Prozent aus den geschätzten 4.000 Tonnen NF3-Verbrauchs ergab.

Die komplizierte Analyse erklärt aber auch, warum man es bei diesen quasi mit sich selbst erklärenden Hin-und-her-Schätzungen beläßt und warum es keine fortlaufende Überwachung dieses Gases in der Atmosphäre gibt.

Die November 2008-Studie kam gerade recht, um quasi eine wenige Monate zuvor ebenfalls in den Geophysical Research Letters erschienene Studie mit dem Titel "NF3, the greenhouse gas missing from Kyoto" [NF3, das in Kyoto vergessene Treibhausgas] zu verifizieren. In dieser prangern die Autoren Michael J. Prather und Juno Hsu Stickstofftrifluorid als das stärkste Treibhausgas neben dem bis dahin klimawirksamsten Schwefelhexafluorid (SF6) und neben allen anderen perfluorierten Kohlenwasserstoffen (PFCs)" an und behaupten, daß es einen größeren Einfluß auf die Klimaerwärmung habe als die größten Kohlekraftwerke, ohne dafür allerdings konkrete Zahlen oder Meßwerte nennen. [11]

In wieweit allerdings alte Reinluftproben der kalifornischen Pazifikküste oder aus Tasmanien diese Lücke schließen können bzw. überhaupt für die globale Entwicklung von Relevanz sind, bleibt eine offene Frage, die bis heute nicht nachvollziehbar geklärt wurde.

Die Bemühungen der Autoren, auf ein offensichtlich vernachlässigtes Umweltproblem aufmerksam zu machen, sollen hier durchaus nicht in Abrede gestellt werden. Bis dahin war die Menge von Stickstofftrifluorid durch Messungen in der Atmosphäre auf höchstens 1.200 Tonnen insgesamt eingeschätzt worden, weshalb es trotz seines hohen GWP-Wertes nicht als maßgeblicher Klimafaktor wahrgenommen wurde. Die neuen Zahlen von Weiss und seinen Kollegen nehmen höhere Mengen an, d.h. um 4.200 Tonnen im Jahr 2006 und 5.400 Tonnen im Jahr 2008 (auch hier scheinen die Angaben sehr unterschiedlich oder beim Kolportieren aus unterschiedlichen Quellen durcheinandergeraten zu sein). Und jede Studie ist wertvoll, die auf chemische Emissionen hinweist, die bisher verschwiegen oder gar nicht wahrgenommen wurden, und so einen sensibleren Umgang mit der modernen Technik anmahnen könnte.

Allein die Unsicherheiten über diese Zahlen und Prognosen hätten bereits eine bessere und lückenlose Abklärung des Themas rechtfertigen können. Doch weder hieraus noch aus der ausdrücklichen Empfehlung der Forscher, NF3 nachträglich in das Kyoto-Abkommen aufzunehmen, ergab sich für die Entscheidungsträger seinerzeit ausreichend Handlungsbedarf. Warum also jetzt?


Je nach Standpunkt mehr oder weniger NF3 Emissionen

Die Zahlen sind die gleichen. Immer noch wird von den gleichen Konzentrationswerten von 0,45 ppt NF3 in der Atmosphäre ausgegangen, die auf die alten, mühsam ermittelten Werte der Weiss et al. Studie zurückgehen. Es könnte allerdings mehr oder auch viel weniger sein.

Mehr - auch ein soziales Problem?

Ein größerer Anteil würde sich rechnerisch ergeben, wenn die Angaben der Halbleiter- und Solarindustrie, NF3 würde noch während der Anwendung zu 98% verbraucht werden, nicht stimmen, aus der wiederum die Emissionen (2% des Verbrauchs) abgeschätzt werden. [12]

Bei entsprechender Nachfrage, kurzen Lieferfristen oder anders gelagertem Streß oder Fertigungsdruck der Solar- oder Flachbildschirmindustrie, wird einer der Autoren der obigen Studie, Michael Prather, in der November 2008 Ausgabe des Scientific American zitiert, könnte diese 2%-Grenze leicht überschritten werden, zumal sich die Bedingungen jedweder Kontrolle entziehen, da die Gesetzgebung fehlt.

The waste systems might be designed to destroy 97 percent of the gas, but that is under perfect conditions. "Most [semiconductor manufacturers] don't achieve that because they're hurrying in production," he says. The gas tanks themselves might leak or be mishandled during transport and disposal. Besides, manufacturers might not even be using control measures. "There is a whole chain of events, so I don't think two to three percent [emission] is real." [10]
[Das Abgasreinigungssystem ist möglicherweise dafür ausgelegt 97 Prozent des unverbrauchten Gases zu zerstören, aber das gilt nur unter idealen Bedingungen. "Die meisten Halbleiter-Hersteller erreichen diese Werte nicht, weil sie unter zu hohem Produktionsdruck stehen", sagt er. Allein die Gasbehälter können durch falsche Handhabung oder eine falsche Entsorgung leck schlagen. Außerdem verfügen die wenigsten Produzenten über ein eigenes Überwachungssystem. "Vieles ist denkbar, deshalb halte ich zwei bis drei Prozent Emissionen nicht für real". Übersetzung SB-Redaktion] [10]

Die anwachsende Produktion von Flachbildschirmen erfordert zudem immer größere Produktionskammern, die wiederum im Reinigungsprozeß mit immer größeren Gasmengen beschickt werden müssen.

Wurden für die Halbleiterproduktion noch Kammern von der Größe eines Kühlschranks benötigt, so braucht man für LCD-Schirme bereits die Größe eines Lieferwagens. Bei der Dünnschicht-Solarzellentechnik kann man den NF3-Verbrauch zu dem Strom ins Verhältnis setzen, den sie liefern. Mit jedem Megawatt an Dünnschicht-Solarzellen-Kapazität wird laut Steve Pilgrim, Manager des NF3-Produzenten Linde AG, München, eine Tonne NF3 zur Reinigung der Produktionsanlage gebraucht. [10]

Vernunft spricht für "Weniger"

Seit 2008 wurde laut Angaben des Bundesumweltamtes trotz der geäußerten Unsicherheiten und Bedenken in vielen Ländern die Reinigung von Dünnschicht-Solarzellen in neu gebauten Produktionslinien von SF6 (Schwefelhexafluorid GWP = 23.900 - Verweildauer 3.200 Jahre) auf das vergleichsweise harmlosere NF3 (GWP = 17.200 - Verweildauer 740 Jahre) umgestellt. Das erklärt, warum es zu einem recht plötzlichen Einbruch, des wesentlich schwerwiegenderen Klimagases SF6 kam, bei einem gleichzeitigen Anstieg der NF3 Emissionen, die aber nicht gemessen bzw. erfaßt wurden.

In den USA hat es eine ähnliche Entwicklung allerdings schon sehr viel früher gegeben. Der Hauptproduzent, die US-Firma Air Products bekam im Jahr 2002 sogar einen Preis von der US-Umweltbehörde EPA für den Ersatz der PFC (Perfluorcarbone, z.B. C2F6 Perfluorethan GWP = 12.200 - Verweildauer 10.000 Jahre) und SF6 durch NF3. Demnach muß allein durch den Umstieg der Produktion der enorme Anstieg von NF3 gerade in den von Weiss et al. überprüften Zeitraum gefallen sein, aus der seine Gruppe eingelagerte kalifornische und tasmanische Luftproben überprüfte. Sollten sich die damals ermittelten exponentiellen Steigerungswerte von jährlich 11% vor allem damit erklären lassen, entsprächen weitere Extrapolationen mit dem gleichen Faktor nicht mehr unbedingt der realen Entwicklung. Diese müßten dann geringer sein.

Da bei den ersetzten Perfluorverbindungen oder SF6, die entweder ganz besonders langlebig sind oder noch während des Prozesses in klimarelevante Nebenprodukte abgebaut oder rekombiniert werden können, wäre der Umstieg auf NF3 sogar als Fortschritt zu betrachten. Das läßt sich an dem folgenden Vergleich erkennen:
Die Bindung zwischen Kohlenstoff und Fluor ist so stabil, daß sie sich nur unter hohem Energieaufwand löst. Deshalb sind viele PFC in der Umwelt kaum oder gar nicht abbaubar. Manche dieser Verbindungen können nur durch Hochtemperaturverbrennung zerstört und mit anschließender Abluftreinigung entsorgt werden. Bei den Reinigungsplasmen aus C2F6 (Perfluorethan) und C3F8 (Perfluorpropan), die Umsetzungsraten von 32% bzw. 60% aufweisen, entsteht beispielsweise während des Prozesses in den Plasmakammern durch Rekombination aus ihren Zersetzungsprodukten teilweise wieder ein klimarelevanter Fluorkohlenstoff, CF4 (Tetrafluormethan). Von C2F6 werden ca. 10% der Einsatzmenge in CF4 umgewandelt, von C3F8 sogar 25%. Zum Treibhauseffekt tragen C2F6 und C3F8 nicht nur durch ihre nicht umgesetzten Bestandteile bei, sondern zusätzlich durch erst in der Umsetzung entstandenes CF4. [13]

Aus NF3 müssen durch Elektronenbeschuß im Plasma Ionen, also F(-), oder Radikale F(·) erzeugt werden, die dann mit Siliciumresten zu gasförmigem SiF4 (Siliciumtetrafluorid) reagieren.

Dabei sollen keine weiteren relevanten Klimagase entstehen, aber doch die ganze Palette aus gasförmigen Bruchstücken, F(-), F, NF2, NF2(+), NF, NF(+), F2, N, N2, N2(+) usw., die aus anderen Gründen nichts in der Umwelt zu suchen haben, ebenso das ätzende, akut giftige und beim Einatmen lebensgefährliche Abbauprodukt SiF4. [13]

Ansonsten gilt NF3 unter Normalbedingungen als äußerst träges, wenn auch potentes Oxidationsmittel. Das erklärt seine lange Verweildauer in der Troposphäre, da es dort nur selten zu zufälligen Kollisionen mit passenden Reaktionspartnern kommen kann (so erklären sich die Abbauprozesse dort). Da aber potentielle Reaktionen nur unter Laborbedingungen überprüft werden können, läßt sich kaum abschätzen, welche Fluorverbindungen oder anderen Endprodukte der "natürliche" Abbau von NF3 hervorbringt. Je nach Kollisionspartner können dabei ätzende Flußsäure, Fluorgas, Fluoride herauskommen oder auch die Entstehung von Chlorgas und anderen unangenehmen Komponenten gefördert werden. Allerdings auch nur in entsprechend homöopathischen Dosen.


Klima gegen Mensch?

Genau genommen reichen also die jetzigen Hochrechnungen überhaupt nicht aus, um die potentiellen Klimafolgen der bisher genutzten, eingesparten Klimakiller mit der aktuellen Klima- oder auch Umweltbedrohung durch NF3 ins Verhältnis setzen. [13]

Von Seiten der Solarindustrie stimmen die Abschätzungen für potentielle NF3-Emissionen, die in den beiden in den Geophysical Research Letters 2008 erschienenen Studien aufgestellt wurden, schon deshalb nicht, weil sie "potentiell" sind, sich also im Bereich des Möglichen und Wahrscheinlichen, aber nicht im Bereich des Konkreten bewegen.

So wird in der Zeitschrift des Solarfördervereins, Solarbrief 4/2008 in "NF3 - Das vergessene Treibhausgas" Prof. Heuken von der RWTH als Spezialist für Dünnschichtechnologien zitiert, der schon damals die Möglichkeit, sämtliche Restgase in einem speziellen Zusatzgerät ("Scrubber") in unschädliche Bestandteile zu zerlegen, unterstreicht, mit der die Restmenge NF3 weiter verringert werden könne. Angesichts der erwähnten Nebenprodukte und gezielten Endprodukte scheinen solche Maßnahmen nur vernünftig, um auch die unmittelbare Umgebung und Nachbarschaft solcher Anlagen vor den lebensgefährlichen Abgasen zu schützen. Diese wären in ihrer Wirkung vermutlich sehr viel schneller spürbar als der Eintrag klimarelevanter Spurengase in die Troposphäre.

Des Weiteren - so hieß es hier noch - würde NF3 auch nicht zwingend bei allen Dünnschichtprozessen benötigt, sondern nur bei einigen, womit das kostspielige Reinigungsverfahren eingespart werden könnte. Es gebe laut Heuken durchaus jetzt schon andere Reinigungsverfahren ohne NF3 oder eventuell die Möglichkeit, den Prozeß so zu fahren, daß eine Reinigung nicht notwendig wird. Das ist nicht grundsätzlich für alle Prozesse möglich, sondern muß im Einzelfall geprüft werden. Aus diesen Gründen könne die tatsächliche NF3-Emission z.B. bei der Herstellung von Dünnschichtsolarzellen von Typ zu Typ und von Hersteller zu Hersteller stark variieren. Man kann daher nicht einfach angeben, wie viel NF3 zur Herstellung eines Quadratmeters von Dünnschicht-Solarzellen benötigt wird. Genauere Angaben darüber gibt es von Seiten der Produzenten nicht. [14]

Der Autor denkt hier vermutlich auch an ein bereits 2009 untersuchtes entsprechend wirksames Verfahren mit einem Fluor/Argon/Stickstoffgas-Gemisch, aus dem keine umweltschädlichen bzw. klimarelevanten Emissionen entstehen sollen. Da dieses Verfahren wesentlich kostengünstiger ist, könnte es sein, daß es schon aus ökonomischen Gründen längst stärker verbreitet ist, als man heute annimmt. Auch das könnte einen Einfluß auf die reale NF3-Emissionskurve haben. Dennoch bleibt auch hier die Frage, ob wieder mal der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird, denn auch Fluorgas ist für Lebewesen im Höchstmaß toxisch, Umweltprobleme sollen sie dagegen kaum verursachen, was sich allerdings bei zunehmendem Einsatz und unzureichender Abgasreinigung erst noch in der Praxis erweisen würde. [15, 16]

Unerwähnt bleibt auch, daß NF3 für sich ein beim Einatmen giftiges und gesundheitschädliches Gas ist, das allein deshalb nicht in die Umwelt gelangen sollte.


Vor- und Nachteile - ein Rechenexempel mit beliebigem Ergebnis

Geht man wie der Solarbrief davon aus, daß tatsächlich nur ein bis drei Prozent des eingesetzten Schätzwertes von 4000 jährlich verbrauchten Tonnen an NF3 wieder in die Atmosphäre und Troposphäre gelangen, also dem Teil, der trotz Filter- und Abgasreinigungsanlagen, durch Leckagen, beim Transport oder in dem nicht zu kontrollierenden Bereich menschlicher Nachlässigkeit entweicht, entspräche dies in CO2-Äquivalenten von 0,67 bis 2,1 Mio Tonnen CO2 pro Jahr. Dazu heißt es hier:

Im Vergleich zur Summe der Emissionen der 6 wichtigsten Klima-Gase bzw. -Gasgruppen (SF6, PFCs, HFCs, N2O, CH4, CO2) betragen die vermutlichen Emissionen von NF3 gerade einmal 0,0037% bis 0,012%, sind also noch kaum wahrnehmbar. Sollte die gesamte hergestellte Menge NF3 in die Atmosphäre gelangen, so würde dies etwa 0,37% an den Emissionen ausmachen. [14]

Demgegenüber stellt die Solarindustrie Einsparungen an CO2-Äquivalenten durch diese Technologie, die 17,6 Mio Tonnen CO2 allein im Jahr 2008 entsprechen, dem Gesamtpaket an Klimawirksamen Gasen (SF4, CH4, CO2, PFCs, HFCs und N2O umgerechnet in CO2-Äquivalente) aus insgesamt 18182 Mio Tonnen CO2 für das Jahr 2005 gegenüber. [14]

Ob von diesen eingesparten Emissions-Schätzwerten der Solarpanel-Hersteller bereits die CO2-Emissionen abgezogen wurden, die bei der Herstellung der entsprechenden Panels, ihrer Installation sowie dem Bau einer entsprechenden Infrastruktur entstehen, anders gesagt, wie weitreichend der sogenannte CO2-Fußabdruck bemessen wurde, bleibt weiterhin fraglich. Deutlich wird, diese Schätzungen lassen sich unendlich fortführen und kommen je nach Standpunkt und gewählten Auslassungen in der Bilanz zu einem entsprechend wünschenswerten Ergebnis.

Bleibt am Ende noch die Frage, ob sich angesichts des hier nur zum Teil entlarvten Potentials, die NF3-Emissionen nach Belieben auszulegen oder zu schönen, nach seiner Aufnahme in das fortgesetzte Kyoto-Abkommen nun auch tatsächlich eine bessere Abschätzung der realen Klimabedrohung durch NF3 ergibt. Denn erst 2013 dürfen die Verbraucher des Klimakillers, also Solarpanel-, Halbleiter- und Flachbildhersteller, aber auch Schuhproduzenten, Rüstungsindustrie, sowie die chemische Industrie, die daraus Raketentreibstoffe herstellt oder es als Nebenprodukt in anderen Prozessen freisetzt, in die Pflicht genommen werden, genaue Angaben über Verbrauch und Freisetzung zu machen.

Genau genommen müßten die konkreten Werte am Wirkungsort, d.h. in der Troposphäre, gemessen werden. Und das läßt sich offenbar nach heutigem Stand der Analysetechnik noch nicht durchführen.

Auch die Frage, in welche Abbauprodukte denn der Klimakiller NF3 nach 740 Jahren zerfallen sein könnte und was das für die Troposphäre bedeutet, muß unbeantwortet bleiben, da sich die chemischen Reaktionen gewissermaßen in homöopathischen Größenordnungen ereignen und niemand so recht Auskunft darüber geben kann.


Am Ende nichts als heiße Luft?

Fassen wir zusammen, dann lösen sich die vermeintlich enormen potentiell gesteigerten Emissionswerte von NF3, die sich auf alte, möglicherweise nicht einmal relevante Proxydaten, die 2008 gemacht wurden und damals niemanden zum Handeln antrieben, geradezu in Luft auf. Abgesehen von der Produktion und dem Umsatz an NF3 in der chemischen Industrie, läßt sich nicht sagen, wieviel davon wirklich in die Luft gelangt, weil es sich aus sehr viel naheliegenderen Gründen bei dieser Technologie empfiehlt, wegen der sehr viel größeren Mengen an giftigen Abgasen (z.B. SiF4) neben Resten von unverbrauchtem ebenfalls giftigem NF3 die Abgase gründlich zu reinigen. Das wäre auch bei allen genannten Alternativen ohne NF3 und dafür toxischen elementaren Fluorgasen ratsam, von denen eine direkte Gesundheitsgefährdung ausgeht. Und möglicherweise haben genau diese Überlegungen dazu geführt, die äußerst geringen, wenn auch im Höchstmaß klimarelevanten Spuren von NF3 in der Atmosphäre bei den bisherigen Klimaverhandlungen berechtigterweise unter den Teppich zu kehren. Schwer zu glauben ist doch, daß die Mühlen der internationalen Klimaorganisationen derart langsam mahlen, daß man die Werte von damals erst jetzt zur Grundlage nimmt. Oder doch? Das weckt mißtrauische Instinkte...

Die Erinnerung an das "vergessene Treibhausgas", das man schon längst wieder vergessen hatte und nun wieder unter dem Teppich hervorholt, könnte nun - vielleicht als Valium oder Kopfschmerztablette, zum Jahresbeginn für all jene gedacht, die noch nicht damit aufgehört haben, sich heiße Köpfe um das Klima zu machen - möglicherweise das genaue Gegenteil bewirken. Denn man fragt sich, was gibt es noch, was wurde noch alles nicht gesagt oder besprochen?

Berechtigte Zweifel kommen bei der Frage auf, ob sich eine Klimaumkehr tatsächlich durch den Verzicht auf oder den Ersatz von NF3 oder eine bessere Abgasreinigung erwirken läßt. Sollte man die Kontrolle auch auf "unbelehrbare Großproduzenten" weltweit ausdehnen, und das Klima wäre wieder im Lot?

Selbst wenn die Zahlen und Berechnungen stimmen, die 2008 angestellt wurden, handelt es sich bei dem Treibhauspotential des derzeitig "vermuteten" Ausstoßes von NF3 bestenfalls um 6% des jährlichen Ausstoßes des weltgrößten Kohlekraftwerks (3.6 GW, Tuoketuo-1, China) [14]. Wenn aber bereits derart kleine Mengen eines vergessenen Stoffs reichen, um internationale Gremien in Wallung zu bringen, wie viele der zahllosen, unscheinbaren und möglicherweise noch immer unbekannten Faktoren im Klima- oder Umweltgeschehen, wie die vielen Nebenprodukte und eingesetzten Stoffe, die sich auch auf dem Weg in die Troposphäre machen, aber noch gar nicht als potentielle Wärmeabsorber, Klimagase oder Gifte in Erscheinung getreten sind, sind dann möglicherweise längst bekannt, aber nur aus strategischen Gründen vergessen, um sich gegebenenfalls wieder daran zu erinnern?

Anmerkungen:

[1] Siehe URL:
http://www.schattenblick.de/infopool/nachrich/bayern/bwis6685.html
und
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/fakten/ufam0178.html

[2] Die Berechnung der Treibhausgase in CO2-Äquivalenten erfolgt normalerweise nach Maßgabe des Paragraphen 20 der IPCC Guidelines on Reporting and Review (FCCC/CP/2002/8), auf Basis der mit dem Second Assessment Report veröffentlichten jeweiligen Treibhauspotentials (Global Warming Potential GWP), basierend auf den Wirkungen der Treibhausgase über einen Zeithorizont von 100 Jahren. Bei der Erstellung dieser Richtlinien gehörte NF3 noch nicht zu den im Kyoto-Abkommen aufgenommenen Treibhausgasen. Daraus ergeben sich manchmal unterschiedliche Angaben seiner Parameter:
In der offiziellen "Berichterstattung unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und dem Kyoto-Protokoll 2012 - Nationaler Inventarbericht zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990 - 2010" des für die nationale Überwachung zuständigen Bundesumweltamtes wird für Stickstoff-Trifluorid noch der Wert 8.000 GWP (Global Warming Potential/Treibhausgaspotential/CO2-Äquivalent bezogen auf 100 Jahre) angegeben. Außer Schwefelhexafluorid SF6 (23.900) gehen in dieser Tabelle nur noch CHF3 (HFC-23) mit einem GWP von (11.700) über die 10.000 Grenze (Quelle: Tabelle 3: Global Warming Potential (GWP) der Treibhausgase)
Siehe: http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/4292.pdf
Im offiziellen FCCC (Framework Convention on Climate Change) auf der im Juli 2010 mit Angaben zu NF3, HFCs (Hydrofluorocarbons/Hydrofluorkohlenstoffe) und HFEs (Fluorinierte Etherverbindungen) ergänzten Webseite über technische Hintergrundinformationen: "Compilation of technical information on the new greenhouse gases and groups of gases included in the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change" wird der derzeit am häufigsten zitierten Wert von 17.200 GWP und eine Überlebensdauer in der Atmosphäre von 740 Jahren angegeben. Siehe auch:
http://unfccc.int/national_reports/annex_i_ghg_inventories/items/4624.php#Nitrogen

Unter leicht veränderten Ausgangsbedingungen läßt sich aber auch ein GWP von 16.800 bei einer korrespondierenden Lebensdauer von 550 Jahren berechnen. Siehe auch: Prather, Michael J., Hsu, Juno "Atmospheric Science - NF3, the greenhouse gas missing from Kyoto" (Article first published online: 26. Juni 2008 DOI: 10.1029/2008GL034542) Copyright 2008 by the American Geophysical Union. Zu Beziehen über URL:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2008GL034542/abstract
Manche sehen je nach Bedingungen und Rechnungsart hier sogar eine Spannbreite zwischen 10.000 und 20.000 GWP. Siehe hierzu:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/industri/uinfo261.html

[3] So beispielsweise die Luftqualitätsexpertin Frau Marion Wichmann-Fiebig vom Umweltbundesamt in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur am 9. Januar 2013: "Wir beobachten zurzeit in der Welt etwa einen elfprozentigen Anstieg in der Atmosphäre, und den führen wir schon wesentlich auf die Produktionszahlen und Produktionsprozesse in Asien zurück." Siehe auch:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1972883/

[4] Sich selbst verstärkender Klimawandel: Ein klassisches Beispiel ist hierfür das arktische Meereis. Die weiße Oberfläche reflektiert das Sonnenlicht, so daß sich das Meer unter der Eisdecke nicht erwärmen kann. Taut das Eis, nimmt das vergleichsweise dunklere Meerwasser die Strahlung auf und läßt noch mehr Eis tauen. Der Vorgang steigert sich und hat im Sommer dieses Jahres zu einer Rekordschmelze geführt. Dies erläuterte in einem Interview mit dem Schattenblick der Meteorologe und Meereisexperte Dr. Dirk Notz.
Siehe hierzu:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0040.html
Beiträge zu dieser Problematik und über weitere Aspekte des Klimawandels finden Sie im Schattenblick, jeweils mit dem kategorischen Titel "Klimawandel in Regionen" oder "Arktis warm, Europa kalt", unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW

[5] http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/WIRTSCHAFT-BOERSE/Extrem-schaedliches-Treibhausgas-NF3-auf-dem-Vormarsch-artikel8206560.php

[6] Zu den bisherigen klimarelevanten Substanzklassen, hinter denen sich meist eine Vielzahl von Einzelstoffen verbirgt, wurde NF3 als Einzelsubstanz hinzugefügt, so dass nun 13 Stoffgruppen im UNFCCC aufgeführt werden. Siehe auch:
http://unfccc.int/national_reports/annex_i_ghg_inventories/items/4624.php#Nitrogen

[7] Siehe URL: http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/4292.pdf

[8] Siehe Gschrey B., Schwarz W., Öko-Recherche 2011, "Projektionen zu den Emissionen von FKW und SF6 für Deutschland bis zum Jahr 2050" oder URL:
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/4226.pdf
Hier findet sich auch der Hinweis, daß die angekündigte gesonderten Studie mit dem Titel: "SF6 und NF3 in der deutschen Photovoltaik-Industrie" (ÖKO-RECHERCHE, 2009: FKZ 360 16 027) bisher immer noch nicht veröffentlicht wurde:

Winfried Schwarz (Öko-Recherche): SF6 NF3 der deutschen Photovoltaik-Industrie.
Inventarverbesserung 2008 - Verbesserung und Ergänzung der Daten für die nationale Emissionsberichterstattung gemäß Klimarahmenkonvention in der Quellgruppe Photovoltaik (2.F.8.h), Gutachten im Auftrag des Umweltbundesamtes FKZ 360 16 027, Dessau April 2010 (noch nicht veröffentlicht).

[9] Siehe URL:
http://www.umweltbundesamt-daten-zur-umwelt.de/umweltdaten/public/theme.do?nodeIdent=2348
unter NF3 findet sich ein Direktlink, siehe auch:
http://www.umweltbundesamt-daten-zur-umwelt.de/umweltdaten/public/document/downloadImage.do;jsessionid=3E7F408B0C37F781D19544271FA80886?ident=23026)
der wiederum eine Diagramm mit einem beeindruckenden exponentiellen Anstieg für NF3 zeigt.
Auch in einer früheren Publikation des Umweltbundesamts zu vermeintlich neuen atmosphärischen Messungen, die einen Anstieg der Klimagase SF6 und NF3 angeben, wird nur auf diese aus Proxidaten ermittelte Kurve (und keine neuen Meßergebnisse) Bezug genommen. Dazu heißt es hier:
"Einem Bericht der Zeitschrift Geophysical Research Letters (35, L20821) zufolge beträgt der Konzentrationsanstieg für das Klimagas Stickstofftrifluorid (NF3) mit 0,454 ppt 11 Prozent pro Jahr. Eine Tonne dieser Gase hat ein um mehr als das 10.000fache höheres Treibhauspotential als eine Tonne CO2."
http://www.umweltbundesamt.de/newsletter/UBA_nl_05_08.pdf

[10] Siehe auch "Nitrogen trifluoride in the global atmosphere"
Ray F. Weiss, Jens Mühle, Peter K. Salameh, Christina M. Harth; Article first published online: 31 OCT 2008, DOI: 10.1029/2008GL035913, Copyright 2008 by the American Geophysical Union:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2008GL035913/abstract
"The mean global tropospheric concentration of NF3 has risen quasi-exponentially from about 0.02 ppt (parts-per-trillion, dry air mole fraction) at the beginning of our measured record in 1978, to a July 1, 2008 value of 0.454 ppt, with a rate of increase of 0.053 ppt per year, or about 11% per year, and an interhemispheric gradient that is consistent with these emissions occurring overwhelmingly in the Northern Hemisphere, as expected. This rise rate corresponds to about 620 metric tons of current NF3 emissions globally per year, or about 16% of the poorly-constrained global NF3 production estimate of 4,000 metric tons per year. This is a significantly higher percentage than has been estimated by industry, and thus strengthens the case for inventorying NF3 production and for regulating its emissions"
ergänzend dazu auch: Scientific American, 3. November 2008
"Electronics Industry Changes the Climate with New Greenhouse Gas - An effort to be more environmentally friendly when making semiconductors may have real climate-changing consequences"
http://www.scientificamerican.com/article.cfm?id=electronics-industry-contributes-new-greenhouse-gas

[11] Siehe auch "NF3, the greenhouse gas missing from Kyoto" Michael J. Prather, Juno Hsu; Article first published online: 26 JUN 2008, DOI: 10.1029/2008GL034542, Copyright 2008 by the American Geophysical Union. Oder URL:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2008GL034542/abstract

[12] Man erzeugt dazu ein hochreaktives Plasma mit NF3. Das führt dazu, daß 97% bis 99% des NF3 in klimaunschädliche Produkte zerlegt werden. Man kann also davon ausgehen, daß lediglich etwa 1% bis 3% der hergestellten Menge NF3 tatsächlich in die Atmosphäre gelangt. Siehe auch:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/industri/uinfo261.html

[13] Siehe auch: ÖKO-RECHERCHE, 1999: Öko-Recherche - Büro für Umweltforschung und -beratung GmbH, Dr. Winfried Schwarz, Dr. André Leisewitz: "Emissionen und Minderungspotential von HFKW, FKW und SF6 in Deutschland" Seite 127, in derFußnote:
"Fußnote:
Es sei darauf verwiesen, daß aus organischen fluorierten Ätzgasen in geringen Mengen weitere perfluororganische Nebenprodukte entstehen können wie C3F6, C4F6 oder unter bestimmten Bedingungen aus CHF3 das toxische i-C4F8 (vgl. Tiller u.a. 1992).
In der Halbleiterindustrie erfolgt ab dem Jahr 2000 ein Umbruch im Reinigungsprozeß von Plasmakammern. In neuinstallierten Anlagen werden keine PFC mehr eingesetzt, sondern nur noch das fluorierte, aber kohlenstoff-freie Gas NF3. Da NF3 vor der Einleitung in den Prozeß chemisch zu 98%-99% zersetzt wird, ohne zu rekombinieren, fallen nicht nur Emissionen von PFC weg (CF4, C2F6, C3F8), sondern es entstehen an deren Stelle auch nur wenig neue NF3Emissionen.
http://www.oekorecherche.de/deutsch/berichte/volltext/vollHFKW.pdf
Darstellung des Kammerreinigungsprozesses mit NF3 siehe auch:
http://www.umweltbundesamt.de/emissionen/090529/inventux.pdf
Die Toxizität des Siliciumtetrafluorid wird u.a. auf den folgenden Webseiten erklärt:
http://sync.einsatzleiterwiki.de/doku.php?id=gefaehrliche_stoffe_gueter:ericards:klasse_2:18591041
http://muniche.linde.com/International/Web/Linde/SDS/SDS.nsf/0/97E3D5C293078A82C1257916006DD692/$file/SDS_SG_108_DE_DE.PDF

[14] Siehe URL:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/industri/uinfo261.html

[15] Etch performance of Ar/N2/F2 for CVD/ALD chamber clean (Ätzleistungsvermögen für die Argon/Stickstoff/Fluor CVD/ALD- Kammerreinigung). Die Zusammenfassung der Studie spricht von einem bis zu 27 Prozent leistungsfähigeren und schnelleren Reinigungsverfahren, bei dem im Vergleich zu NF3 96 Prozent weniger Gas benötigt wird.
http://www.electroiq.com/articles/sst/print/volume-52/issue-2/features/etch-performance-of-ar-nsub2-sub-fsub2-sub-for-cvd-ald-chamber-clean.html
Ein weiteres Verfahren mit Titannitrid als Katalysator mit Halogenen (u.a. auch Fluor), das eine weitere Kostenreduktion verspricht, wird in der Doktorarbeit von Ronald Hellriegel (Technische Universität Dresden) dargestellt. Dort heißt es zum Punkt Umwelt- und Kostenaspekte: "Die Kostenreduktion ergibt sich nicht nur aus der Verwendung des leichter verfügbaren Fluors statt des energetisch und sicherheitstechnisch aufwendiger hergestellten NF3. Es besteht auch die Möglichkeit, Kammerreinigungsprozesse, die bisher ClF3 verwendeten, zu ersetzen, und damit enorme Sicherheits- und Transportaufwendungen zu vermeiden."
http://d-nb.info/1006898824/34

[16] Elementares Fluor ist für den Menschen ein starkes Gift, das ausschließlich schädliche Wirkung hat.
Auch die therapeutische Breite von Fluoriden ist gering: Die letale Dosis für Erwachsene liegt bei 32-64 mg Fluorid/kg KG. Bei Kindern wird die toxische Dosis auf 5 mg Fluorid/kg KG geschätzt. Klinische Zeichen einer akuten Intoxikation sind u.a. Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwäche, Muskelkrämpfe, Herzinsuffizienz und Koma. Fluorid ist ein kumulatives Toxin: Bei Erwachsenen kann es bei einer lang dauernden, übermäßigen Fluoridzufuhr von mehr als 8 mg/Tag zu einer chronischen Fluorvergiftung (Fluorose) kommen. Bei Kindern besteht die Gefahr der Fluorose bereits ab 2 mg Fluor/Tag. Durch eine übermäßige Fluorzufuhr kann es zu einer Dentalfluorose (Zahnschmelzveränderung) in Form von kreideweißen, gelblichen oder braunen Flecken und zu einer Sklerosierung (Verhärtung) der Knochen sowie Verkalkung von Muskel- und Sehnenansätzen kommen, die zu einer Einschränkung der Beweglichkeit führt. Bei Nierenerkrankungen ist auf Grund der eingeschränkten Nierenfunktion die Entwicklung einer Fluorose beschleunigt.

14. Januar 2013