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UMWELTLABOR/280: Des Kaisers neue Klimakleider - Luftbereinigungsmanöver ... (SB)


Warum bessere Luft nicht das Klima retten kann



"Die Treibhausgas-Emissionen steigen, steigen, steigen", waren die Worte von Prof. Ottmar Edenhofer, der Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) ist, anläßlich des am Sonntag, dem 2. November 2014 in Kopenhagen vorgestellten Abschlusses des fünften Sachstandsberichts (AR5) des Weltklimarats. Der Co-Vorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe "Klimaschutz" machte noch einmal auf die möglicherweise unumkehrbaren Folgen des ungebremsten Klimawandels gegenüber den überschaubaren Kosten ambitionierten Klimaschutzes aufmerksam und riet vor allem dazu, Kohlenstoffemissionen mit hohen Preisen zu besteuern. [1]

Die Sorge der Wissenschaftler ist begründet, denn trotz ihrer Warnungen hat der Anstieg von Treibhausgasen zwischen den Jahren 2000 und 2010 schneller zugenommen als in den drei Jahrzehnten zuvor. Die wissenschaftlichen Empfehlungen, das internationale 2-Grad Ziel zu erreichen, konzentrieren sich daher nun auf die Reduktion dieser Klimakiller - allen voran Kohlenstoffdioxid (CO2) und zielen auch darauf ab, sofort damit anzufangen, was in der internationalen Klimapolitik bisher nicht auf entsprechende Resonanz gestoßen ist.

Vermutlich nicht ganz unerwartete Schützenhilfe bekam der Synthesebericht nun gewissermaßen aus dem eigenem Haus. Allerdings erst auf dem zweiten Blick. In einer gemeinsamen Pressemitteilung des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung wurde bekannt gegeben [2], daß die Bemühungen, andere Treibhausgase als CO2 oder ebenfalls klimawirksame Luftschadstoffe zu verringern und damit quasi zwei Fliegen (Klimaerwärmung und Luftverschmutzung) mit einer Klappe zu schlagen, nur wenig bringen sollen. Dies wurde mittels computergestützter Modellierung errechnet und in eine Studie gefaßt. Wörtlich hieß es:

Die jetzt in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichte Studie zeigt, dass der langfristige Nutzen einer Verringerung dieser Emissionen in Szenarien zur Klimastabilisierung überschätzt wurde. [2]

Insbesondere von der Verringerung der lange Zeit sogar als unterschätzt bezeichneten kurzlebigen Klimatreiber (Short-Lived Climate-forcing Pollutants, SLCPs), wie eine Broschüre des IASS vom Dezember 2013 hervorhebt, die für dieses Forschungscluster wirbt [3], hatten sich die Forscher einen großen zusätzlichen Effekt versprochen, da doch auch gewissermaßen Kleinvieh ausreichend Mist macht. Die bisherigen Forschungsergebnisse, wonach auf diese Stoffe zusammengenommen ungefähr die Hälfte der Erderwärmung zurückgehen, wurden mit diesem Kurswechsel auch nicht zurückgenommen. Für den informierten Laien ist allerdings schwer nachzuvollziehen, warum sinnvolle Luftreinigungsmaßnahmen nun nicht mehr klimatisch relevant sein sollen.

Dazu muß man wissen, daß der Strahlungshaushalt der Atmosphäre durch ihre chemische Zusammensetzung geregelt wird. Die Hauptbestandteile wie Sauerstoff (O2) und Stickstoff (N2) sind dabei kaum von Bedeutung, obwohl sie etwa 99% der Atmosphäre ausmachen. Nur die in Spuren vorhandenen Treibhausgase absorbieren die langwellige Wärmestrahlung. Sie verändern damit stark den Energiehaushalt und die mittlere Temperatur der irdischen Atmosphäre. Dafür sorgen außer CO2, das mehrere hundert Jahre in der Atmosphäre verweilt, auch Partikel, die nur wenige Tage (z.B. Feinstaub, Ruß), wenige Monate (z.B. bodennahes Ozon) bis hin zu einigen Jahren oder Jahrzehnten (z.B. Methan und Fluorkohlenwasserstoffe, FKWs) in der Luft bleiben. Bei dieser weitgefaßten Stoffgruppe, die aus einer Vielzahl von Quellen und menschlichen Aktivitäten stammt (etwa Dieselmotoren, Verkehr, Öfen, Stromerzeugung, Kohlebergwerken, Mülldeponierung, Reisanbau und Viehhaltung) oder in der Luft gebildet wird (wie Ozon), wirkt sich eine Veränderung der Emissionsmenge - anders als bei CO2 - sehr schnell auf die Konzentration in der Atmosphäre aus, was mit einem entsprechenden Effekt auf den Strahlungs- und Wärmehaushalt einhergeht. Bis zum Jahr 2050, hieß es in einem 2012 in Science veröffentlichten Berichts [4], könne die globale Erwärmung um 0,5 Grad Celsius verringert werden, allein durch die Reduktion von Ruß- und Methanemissionen. Das ist angesichts der Folgen durch den Klimawandel keine unerhebliche Minderung.

Fast 30 Prozent der Menschen in den kleinen Inselentwicklungsländern leben in Gebieten, die weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel liegen. Für sie entscheidet 0,5 Grad mehr oder weniger letztendlich über Leben und Tod ihrer Nation, wie es Ian Fry aus Tuvalu auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen bereits 2009 erklärte.

Die fraglichen Luftschadstoffe oder SLCPs können aber ebenfalls durchaus tödlich sein, wenn man sich Smogsituationen in Megacities wie Schanghai ansieht, wo die Belastung mit Feinstaub im Dezember 2013 mehr als das 24fache der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als unbedenklich tolerierten Werte von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft ausmachte. Laut WHO und dem Umweltprogramm der Vereinigten Nationen (UNEP) kommt es weltweit jährlich zu fast zwei Millionen vorzeitigen Todesfällen durch Luftverschmutzung im Freien, zu weiteren ca. zwei Millionen durch rußintensive Öfen in geschlossenen Räumen [5,6]. Ruß gilt neben anderen Komponenten im Feinstaub als krebserregend. [7] Ozon und vor allem Feinstaub sollen Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen. Sie waren einer IASS-Analyse zufolge 2010 für den Verlust von durchschnittlich 7,5 Lebensmonaten in Deutschland verantwortlich. [8]

Darüber hinaus leiden Ökosysteme und Landwirtschaft unter diesen Stoffen. In Deutschland ließen sich Ernteschäden in Millionenhöhe auf ihren Einfluß zurückführen. Verluste in der Weizenernte durch Ozonschäden betrugen im Jahr 2000 beispielsweise 26,9 Millionen Tonnen in der EU, Norwegen und der Schweiz. [9] Abgesehen von den landwirtschaftlichen Nutzflächen sind von der reizenden und ätzenden Wirkung auch Natur und Lebewesen, einschließlich der menschlichen Bewohner, betroffen.

Bei derart guten Gründen, "ätzende Luftverschmutzer" einzusparen, die auch noch das Klima schädigen, warum machen sich Wissenschaftler die Mühe, die Stoffe in lang- und kurzlebig bzw. lang- und kurzfristig wirksam zu unterteilen, und die klimarelevante Wirkung von SLCPs in Frage zu stellen?

Laut Prof. Schellnhuber sollen die neuen Erkenntnissen eine bessere Grundlage und Entscheidungshilfe für die Politik darstellen. Es solle dabei allerdings nicht ganz übersehen werden, daß es auch nach wie vor "ein in sich sinnvolles Ziel ist, die kurzlebigen Umweltbelastungen anzugehen."

Fraglich, ob die Unterscheidung in kurzlebige und langlebige klimawirksame Schadstoffe und die geringe Gewichtung der kurzlebigen Klimatreiber gegenüber dem Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2) von Umweltpolitikern nicht gerade genau auf diese Weise mißverstanden wird.


Kein Kampf gegen bereits klimastrategisch verlorene Stellungen?

Geben also Wissenschaftler ihre eigenen ambitionierten Forschungsziele nur deshalb preis und opfern scheinbar damit ihre sichere Position, um die Politik, aber auch Forschungskapazitäten und Gelder, auf andere Ziele zu konzentrieren, damit ihre Warnungen ernster genommen werden? Oder verlassen sie bereits die ohnehin verlorenen Stellungen? Wörtlich sagte der Leit-Autor Joeri Rogelj (IIASA) der PNAS-Studie:

Obwohl ein baldiges Handeln gegen kurzlebige Klimatreiber helfen kann, die Erwärmung in den nächsten Jahrzehnten zu reduzieren, und dabei auch andere nützliche Auswirkungen hat, etwa sauberere Luft, so verschafft uns das keine Zeit, die Minderung des CO2-Ausstoßes aufzuschieben, die zur Stabilisierung des Klimas nötig ist. [2]

Der Co-Autor der Studie und Direktor des PIK, Hans Joachim Schellnhuber, hält es sogar für essentiell, die CO2-Emissionen letztendlich auf Null herunterzufahren. Dagegen wird von Umweltpolitikern wie Dr. Barbara Hendricks (Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit) und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka bereits eine CO2-Reduktion von 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 zu schaffen für ein ambitioniertes nationales Klimaziel angesehen.

Die Priorität des Klimawandels und seine tödlichen Folgen für die Welt wird quasi zur Standpunkt-Frage. Weil die kurzlebigen Klimatreiber und das CO2 häufig aus den gleichen Quellen stammen, zum Beispiel aus Dieselfahrzeugen und Kohleöfen, ergäbe sich aus der neuen Studie, die sowohl die kurzfristige Perspektive über Jahrzehnte als auch die langfristige über Jahrhunderte erfassen soll, in welchem Maße die Verringerung der CO2-Emissionen im Laufe der Zeit auch zur Verringerung der kurzfristigen Klimatreiber führt. Kurz, was gut ist für den Klimawandel, verbessert auch die Luft.

Offenbar befürchten die Autoren der Studie, daß im umgekehrten Fall, d.h. durch Luftbereinigungsmaßnahmen, nicht zwangsläufig auch eine Reduktion von CO2 erreicht wird.

Die Abgase von Autos oder Heizkesseln in der Industrie können gereinigt werden, Feuerholz zum Kochen kann durch sauberere Brennstoffe ersetzt werden. Allein die Luftverschmutzung zu bekämpfen, führt also nicht notwendigerweise zu einer Verringerung des CO2-Ausstoßes - diese Verringerung aber ist die Bedingung für eine Reduzierung des langfristigen Temperatur-Anstiegs. [2]

Damit dies nicht geschieht und man sich nicht in klimaunergiebigen Maßnahmen verzettelt, deren Beitrag zum Erreichen langfristiger Klimaziele geringer sei als bislang geschätzt, werden die kurzlebigen klimawirksamen Schadstoffe kurzerhand für lapidar erklärt. Man konzentriere sich auf das Wesentliche, das unverzichtbar rasche Handeln zur Reduzierung der CO2-Emissionen, positive Begleiteffekte einer Verringerung von Luftschadstoffen nicht ganz ausgeschlossen... Wobei auch dies nicht selbstverständlich ist. Auf der unlängst vom IASS hauptverantwortlich organisierten Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions [10] wurden unter anderem auch selektive CO2-Filterverfahren besprochen, die denkbar keinen weiteren positiven Effekt auf die Luftqualität haben. Gleichfalls ist fraglich, ob die von Professor Ottmar Edenhofer besonders empfohlene CO2-Emissions-Bepreisung auch zu luftverbessernden Maßnahmen führt. Nur heiße Luft auch für das Klima hinterläßt dagegen der von den politischen Entscheidern als Mittel der Wahl propagierte Emissionshandel.

Die neue Nachricht des Potsdamer Instituts für Klimaforschung kommt somit der Aufgabe erster verlorener Posten im Klimakampf gleich.

Ein weiterer, ebenfalls nicht ganz unerheblicher Nebeneffekt einiger Schadstoffe auf den Wärmegehalt der Atmosphäre, der auch ein Grund wäre, Gras über die Wirkung von klimarelevanten Schadstoffen bzw. SLCPs wachsen zu lassen, wurde zumindest in der Mitteilung an die Öffentlichkeit nicht erwähnt. Nur einige der klimarelevanten Luftschadstoffe (genaugenommen nur Methan, Ozon, Fluorkohlenwasserstoffe FKWs und Ruß [indirekt auch ozonfördernde Stickoxide]) heizen das Klima auf. Viele andere, etwa Schwefeldioxid (SO2), die ganze Gruppe flüchtiger, organischer Verbindungen (VOC) wie auch im Feinstaub enthaltene Sulfate, Nitrate, Ammonium, organische Kohlenstoffe und Mineralstaub haben in Luftaerosolen einen kühlenden Effekt auf das Klima. Wie groß diese sogenannte Klima"maskierung" auf das Klima ist, sollte den Wissenschaftlern inzwischen ebenfalls bekannt sein. Sie zu bekämpfen, käme praktisch der letzten Reißleine in die Quere. Die ernsthaften Auseinandersetzungen darüber, ihre Wirkung systematisch einzusetzten, also die Atemluft gezielt zu sabotieren und gleichzeitig extreme globale Wetterverschiebungen und andere Umweltfolgen zu riskieren, um das Thermostat des Weltklimas herunterzufahren, sprich Geoengineering zu betreiben, haben quasi erst begonnen. Damit wären gute Luft und gutes Klima nicht mehr zwangsläufig - wie bisher vielfach behauptet - untrennbar miteinander verknüpft.


Anmerkungen:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/internat/uikl0344.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/klima/uklfo500.html

[3] Die erst im Dezember 2013 vom IASS-Forschungsprojekt ClimPol veröffentlichte Broschüre "Gefahr für Gesundheit und Klima: Kurzlebige klimawirksame Schadstoffe" gibt einen Überblick über die wichtigsten SLCPs, ihre Entstehung und Wirkungen, ihre Bedeutung für Klima, Gesundheit und Ökosysteme sowie Strategien zu ihrer Minimierung.
http://www.iass-potsdam.de/sites/default/files/files/kurzlebige_klimawirksame_schadstoffe.pdf

[4] Shindell et al. Simultaneously mitigating near-term climate change and improving health and food security. Science 335, 185. 2012
http://www-ramanathan.ucsd.edu/files/pr187.pdf

[5] UNEP. Near-term climate protection and clean air benefits: action for controlling short-lived climate forcers - a UNEP synthesis report. 2011.

[6] UNEP und WHO. Integrated assessment of black carbon and tropospheric ozone. 2011.

[7] WHO. Health effects of Black Carbon. 2012.

[8] WHO. Health risk of particulate matter from long-range transboundary air pollution. 2006.

[9] ICP vegetation. Ozone pollution: a hidden threat to food security. 2011.

[10] Der Schattenblick hat die "Climate Engineering Conference 2014" mit zahlreichen Berichten und Interviews begleitet, die in
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unter dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" erschienen sind.

6. November 2014