Das Märchen von der Nanotechnologie der alten Ägypter
Sich auf die Nanotechnologie zu berufen, gilt derzeit nicht nur unter Chemikern, sondern in geradezu allen Wissens- und Technologiebereichen als besonders "in". So hat diese dem Fachbereich Physik zuzurechnende Disziplin, deren Vorsilbe "Nano" überhaupt nichts sagt bzw. schlicht mit 10-hoch-minus-9 zu übersetzen ist, selbst in Forschungsansätzen Einzug gehalten, die sich mit ganz ur-chemischen Dingen, nämlich Farben und Farbpigmenten befassen. Der inzwischen vielfältig gebrauchte Begriff Nano ist eigentlich die Abkürzung für Nanometer (also 10 hoch minus 9 Meter = ein Milliardstel Meter bzw. ein Millionstel Millimeter) und steht damit letztlich nur für einen unvorstellbar kleinen Größenbereich. Was aber hat der Größenbereich mit Farbpigmenten zu tun?
Nun geht die Arbeit mit Farben und dekorativen Pigmenten, wie sie in der Natur gefunden werden konnten, sehr weit zurück. Ihr Ursprung läßt sich zeitlich schwer fassen, schließlich wurden schon in der Steinzeit mit Pflanzenfarben und ähnlichem experimentiert, wie man an manchen Höhlenzeichnungen sehen kann. Und natürlich hatten diese ursprünglichen Versuche, sich Handwerksmaterialien zu verschaffen, nichts mit Chemie im heutigen Verständnis zu tun, auch wenn ihr Fortschritt ähnlich zufällig war.
Trotzdem entblöden sich heutige "Nanopigmentchemiker" nicht, ihrer Technologie eine vermeintlich fünftausendjährige Geschichte anzudichten.
Ihrer Meinung nach, so ist es in einer Presseveröffentlichung der Gutenberg-Universität deutlich zu lesen, haben schon die alten Ägypter 3000 Jahre vor Christus "Nanotechnologie" betrieben, als sie damit begannen, Tinte zu produzieren - ohne sich natürlich über den immens fortschrittlichen Wert ihrer Arbeit für die heutige Technologie im klaren zu sein.
Das wäre allerdings auch ziemlich unwahrscheinlich, da die Nanotechnologie selbst heute noch auf recht spekulativen Füßen steht. Um die Farbwirkung bestimmter Stoffe allein auf ihre Strukturen im Nanometerbereich (s.o.) zurückzuführen (ob beispielsweise Pigmentplättchen oder Makromoleküle waagerecht oder senkrecht angeordnet sind), braucht man eine aufwendige Technologie und entsprechende Computerumrechnungsverfahren, die aus den erhaltenen Meßwerten genau jene Strukturen virtuell abbilden oder simulieren, die zur eigenen Theorie passen (z.B. die These stützen, daß waagerechte Teilchen mehr Licht reflektieren...). Diese Technologien sind heute als Röntgenraster- oder Röntgentunnelrastermikroskopie usw. bekannt und werden meist mit "Vergrößerungs"-Instrumenten bzw. Wahrnehmungshilfen für die Mikro- bzw. Nanowelt verwechselt. Ohne diese oder andere analytische Verfahren, welche die nicht wahrnehmbaren Vorstellungen in etwas Sichtbares umsetzen, wäre Nanotechnologie undenkbar.
Kein Wunder also, daß man einer derart spekulativen Technologie durch einen kleinen Kunstgriff, gewissermaßen mit geschichtlichem Hintergrund, Glaubwürdigkeit verleihen möchte. Ob allerdings der profane Ruß aus tausendjährigen Öllampen dazu ausreicht, die Nanotechnologie auf eine begreifbare und verständliche Basis zu bringen, sei dahingestellt.
Zwar finden sich im Ruß von Öllampen hervorragende schwarze Pigmente, doch diese winzigen Teilchen mit dem Oberbegriff "Nanopartikel" zu versehen, ist schon ein sehr abstrakter, schwer nachzuvollziehender Schritt.
Wegen ihrer hohen Deckkraft und Beständigkeit sind Rußpigmente, letztlich reiner Kohlenstoff, wie geschaffen für eine Farbe, die auf Pergament oder auf Papyrus eine klare schwarze Schrift hinterlassen kann.
Doch um aus öligen und keineswegs wasserlöslichen Rußpartikeln eine Farbe oder Tinte zu machen, mußten sich die Ägypter seinerzeit etwas einfallen lassen. Die Pigmente verteilen sich nämlich in Wasser nicht gleichmäßig, sondern neigen - wie fast alle Pigmente - zur Bildung von Klumpen.
Nach Ansicht der Nanochemiker standen somit die alten Ägypter schon vor 5000 Jahren vor einem Problem, das heute zu den wichtigsten bei der Herstellung von Pigmentfarben gehört: die Klumpenbildung zu verhindern bzw. die gleichmäßige Verteilung der Pigmente in einem Lösungsmittel zu ermöglichen.
Fachleute nennen das heute: die Dispergierbarkeit optimieren. Dies gelingt, indem man die Pigmente mit einer speziellen Schicht überzieht. Auch dafür hat man inzwischen ein angelsächsisches Fremdwort: "Coating".
Die Ägypter vor 5000 Jahren hatten dagegen nur Interesse an einer zufriedenstellenden Tinte und hätten vermutlich auch von dem Ruß bald Abstand genommen, den sie anfänglich zum Flächenfüllen direkt auf den Papyrus schmierten, wäre nicht zufällig etwas Akaziensaft auf eine Schale mit Ruß gefallen, der das Ganze in eine Art Wichse verwandelte. Vielleicht, um die wertlose Schweinerei zu beseitigen, gab der Schreiber noch etwas Wasser dazu und bemerkte gerade noch rechtzeitig, daß er hier eine durchgehend tiefschwarze Flüssigkeit hergestellt hatte, die sich ausgezeichnet mit dem Pinsel auftragen ließ und auf Papyrus haften blieb. Das war genau das, was man brauchte und damit auch schon alles, was darüber zu sagen wäre. Nun ging es nur noch darum, das optimale Mischungsverhältnis herauszufinden, das dann als reiner Erfahrungswert oder auch als großes Geheimnis mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
Ob sich dieser Akaziensaft - unter dem Namen "Gummiarabikum" später auch Bestandteil mancher Klebstoffe und Strukturbildner - nach neuerem Stand der Kenntnis dabei tatsächlich in einem nanometerdicken Film über die "Nano"-Rußpartikel legte, was ihnen eine Art wasserlösliche Haut verlieh, ob er nur die Viskosität des Wassers erhöhte, so daß die verteilten Rußkörner nicht mehr so schnell zusammenfanden oder etwas völlig anderes passierte, war für die Ägypter seinerzeit überhaupt nicht von Belang. Und somit ist das Einordnen dieser alten Rußaufbereitungstechnik zur "Tinte" in den modernen Nanotechnologie- Bereich des "Coating" rein willkürlich und nicht einmal ein wirklicher Gewinn für die Ordnung und Auflistung nanochemischer Technologien. Wurden seinerzeit doch Rezepturen dieser Art meist mündlich weitergegeben und die wirklich bemerkenswerten Rezepturen, die zu außergewöhnlich haltbaren, mit heutigen analytischen Methoden nicht zu entschlüsselnden Zusammensetzungen von Schrifttinten oder bunten Tuschen nahmen die letzten Vertreter der altägyptischer Zeichner- oder Schreiber-Dynastien wohl mit ins Grab.
Und die Entschlüsselung mumifizierter Gehirne will mit Röntgenstruktur-, Computertomographie und anderen modernen analytischen Techniken immer noch gelingen...
24. April 2009