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BERICHT/049: Geowissenschaften heute (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 3/2007

WASSER, WÄRME, WACHEN
Geowissenschaften heute

Ein Gespräch mit dem neuen Präsidenten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Prof. Dr. Hans-Joachim Kümpel


Vor kurzem wechselte der Direktor des GGA-Instituts für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsaufgaben, Prof. Dr. Hans-Joachim Kümpel, an die Spitze der BGR (siehe Kasten). Beide Einrichtungen gelten als Schwergewichte auf dem Gebiet der angewandten Geowissenschaften - die eine als Bund-Länder-finanziertes Leibniz-Institut, die andere als Ressortforschungseinrichtung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Thomas Vogt sprach mit dem frisch gebackenen BGR-Präsidenten über die kleinen, aber feinen Unterschiede zwischen beiden Häusern.


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LEIBNIZ: Prof. Kümpel, Sie waren lange Direktor einer Leibniz-Einrichtung, was gehört zu Ihren schönsten Erinnerungen aus dieser Zeit?

KÜMPEL: Vom 1. Juli 2001 bis zum 31. Juli 2007 war ich Direktor des GGA-Instituts - eine schöne Zeit. Besonders gerne denke ich - das mag manchen verwundern - an die Evaluierung zurück, genauer: die sechs bis neun Monate vor der Evaluierung. Die Vorbereitung der Evaluierung setzte unerwartete und ungeheure Kräfte bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts frei. Es kam unter anderem zur Reflexion über die Qualität der eigenen Arbeit und den Einsatz von Ressourcen. Die Evaluierung hat uns allen einen Qualitätssprung beschert.

LEIBNIZ: Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile einer Leibniz-Einrichtung, eines Leibniz-Direktors?

KÜMPEL: Lassen Sie mich Ihre Frage im Vergleich zu den Universitäten beantworten. Die von Bund und Ländern gemeinsam getragene Finanzierung der Leibniz-Einrichtungen bedeutet eine gute Mittelausstattung, klare Rahmenbedingungen und ins gesamt eine gute Planbarkeit der Forschung. Für Wissenschaftler sind das exzellente Arbeitsbedingungen. Als sehr vorteilhaft habe ich auch die flachen Hierarchien im GGA-Institut empfunden. Die Tatsache, dass die Sektions- und Schwerpunktleiter über die Drittmittel, die ihre Arbeitsbereiche eingeworben haben, selbst bestimmen dürfen, hat die Arbeitsgruppen bei der Akquise von Projektmitteln ungemein beflügelt. Die Summe der Drittmittel ist während der vergangenen Jahre um etwa das Dreifache gestiegen.

LEIBNIZ: Welche Entwicklungen am GGA-Institut haben Sie noch befördert?

KÜMPEL: Während meiner Zeit als Direktor des GGA-Instituts habe ich versucht, das Profil des Instituts weiter zu schärfen, und ich denke, dass mir das auch gelungen ist. Wir haben uns auf unsere Kernkompetenzen besonnen und unsere Stärken weiter ausgebaut.

LEIBNIZ: Was heißt das konkret?

KÜMPEL: Wir haben neue Methoden auf dem Gebiet der angewandten physikalischen Geowissenschaften entwickelt, so zum Beispiel im Bereich der Seismik und des kombinierten Einsatzes geophysikalischer Verfahren. Dann haben wir unsere Kompetenzen im Bereich Grundwassererkundung und -erschließung ausgebaut, ebenso wie bei dem Aufbau von internetbasierten Fachdatenbanken. Im Bereich der Geothermie sind wir verstärkt aktiv geworden. Erdwärme wird im Zuge steigender Energiekosten ein wirtschaftlich interessanter neuer Energieträger. Außerdem haben wir Fortschritte bei der Rekonstruktion des Klimas im Verlauf der jüngeren Erdgeschichte gemacht.

LEIBNIZ: Seit kurzem sind Sie Präsident einer Ressortforschungseinrichtung des Bundes. Was bedeutet das?

KÜMPEL: Die Politik schafft die Rahmenbedingungen für unser Gemeinwesen, für unsere Volkswirtschaft. Aber woher nimmt sie die Expertise für Regelungen und Gesetze? Hier kommt die Ressortforschung ins Spiel. Wenn die Politik Fragen an die Forschung hat, dann muss sie auch erwarten dürfen, dass genau ihre Fragen beantwortet werden, und zwar zügig und im Hinblick auf gesetzgeberische Maßnahmen. Viele Berichte, die die BGR erstellt, sind gerichtsfest. Das ist für den Gesetzgeber enorm wichtig und dafür unterhalten wir ein eigenes Referat. Andererseits ist das ein Aspekt, den ein Wissenschaftler nicht unbedingt bei seiner Arbeit berücksichtigt.

LEIBNIZ: Wo ist die BGR noch gefragt?

KÜMPEL: Die BGR nimmt eine Reihe von Sonderaufgaben wahr, zum Beispiel die Überwachung des Kernwaffenteststopp-Abkommens - gemeinsam mit anderen Staaten, versteht sich. Ergänzend zu den seismologischen Aufzeichnungen ziehen die Wissenschaftler der BGR zur Bestimmung fraglicher Ereignisse auch Satellitenbilder zu Rate. Hinzu kommen Daten aus Infraschall-Mikrofonen, die die BGR weltumspannend betreibt. Eine weitere nationale Aufgabe der BGR besteht darin, die geologischen Karten in den Maßstäben größer als 1:200.000 zu erstellen bzw. aktuell zu halten. Für die kleineren Maßstäbe sind die geologischen Landesämter zuständig. So war die BGR auch an der neuen Internationalen Karte von Europa und den angrenzenden Gebieten im Maßstab 1:5.000 000 beteiligt. Ein besonderer Kartentyp, den die BGR in Zusammenarbeit mit den geologischen Landesämtern erstellt, ist die Hintergrundgefährdungskarte. Sie gibt Auskunft über das natürlich vorhandene Stoffinventar, manchmal auch Gefährdungspotenzial, von Böden, Tiefengestein und Grundwasser.

LEIBNIZ: Was hat die BGR noch für internationale Aufgaben oder Pflichten?

KÜMPEL: Über das Auswärtige Amt erreichen die BGR viele Bitten aus dem Ausland um Einschätzung und Unterstützung bei geowissenschaftlichen und damit einhergehenden rechtlichen Fragen. Meist sind es Länder, in denen es ähnliche Expertisen oder Kapazitäten nicht gibt. Ich spreche hier von afrikanischen Staaten sowie von Staaten Südostasiens und Lateinamerikas. Die Fragen betreffen oft Grundwasser als Trinkwasserressource, seine Verfügbarkeit, Sauberkeit und Förderbarkeit. Projekte in diesen Ländern werden auf deutscher Seite in der Regel in enger Absprache mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit durchgeführt.

LEIBNIZ: Könnten Sie bitte noch ein Beispiel für ein solches außereuropäisches BGR-Projekt nennen?

KÜMPEL: Ja, gerne. Nach dem Sumatra-Beben vom 26. Dezember 2004 mit anschließendem Tsunami ergab sich eine Reihe Projekte in der indonesischen Provinz Banda Aceh. Durch die weiträumige Überschwemmung mit Meerwasser war das Grundwasser dort vielerorts versalzen. Mit Hilfe eines Spezialhubschraubers der BGR wurden aus der Luft schnell und weiträumig geoelektrische Daten erhoben. Diese wurden durch bodengeophysikalische Messungen im Gebiet ergänzt. So wurden die ansässigen Behörden befähigt, die private und kommunale Wasserversorgung wiederherzustellen.

LEIBNIZ: Die Bundesregierung hat Anfang des Jahres "Zehn Leitlinien einer modernen Ressortforschung" erlassen. Sind diese Leitlinien treffend bzw. hilfreich?

KÜMPEL: Bezüglich der Leitlinien, die Sie zitieren, muss man wissen, dass der Wissenschaftsrat im Zuge der Evaluierung der Ressortforschungseinrichtungen feststellen musste, dass solch umfassende Leitlinien bisher nicht existieren und hat sie - verständlicherweise - angemahnt. Das hat zu einer fruchtbaren Selbstreflexion bei den Bundesministerien und den Ressortforschungseinrichtungen geführt. Vieles, was in den Leitlinien steht, war bis dato so oder sehr ähnlich im Bewusstsein der Ressorts und ihrer Forschungseinrichtungen enthalten, aber eben nicht ausformuliert. Es ist gut, dass sich die Bundesregierung dieses Versäumnisses angenommen hat und nun die Leitlinien ausgearbeitet und dokumentiert sind.

www.ressortforschung.de/res-media/leitlinien_ressortforschung.pdf


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Kompetenzzentrum BGR

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist das geowissenschaftliche Kompetenzzentrum der Bundesregierung und damit Teil ihrer wissenschaftlich-technischen Infrastruktur. Sie ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Sie unterstützt die Ziele der Bundesregierung zur

- Förderung der Wirtschaftsdynamik,
- langfristigen Sicherung und Verbesserung der Lebensbedingungen,
- Erweiterung technisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Ihre Aufgaben sind die rohstoffwirtschaftliche und geowissenschaftliche Beratung der Bundesregierung, Information und Beratung der deutschen Wirtschaft, Rohstoffexploration einschließlich der Meeresforschung, technische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, internationale geowissenschaftliche Zusammenarbeit einschließlich Polarforschung, geowissenschaftliche Forschung und Entwicklung sowie Erstellung geowissenschaftlicher Kartenwerke.

Im Jahr 2006 betrug das Budget der BGR 59,9 Millionen Euro, davon 12,2 Millionen Euro Drittmittel. 2006 arbeiteten insgesamt 739 Personen bei der BGR. Die Bibliothek der BGR, an der übrigens auch das GGA-Institut partizipiert, ist eine der größten geowissenschaftlichen Spezialbibliotheken der Welt.


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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Im Felslabor Mont Terri (Schweiz) ist die BGR an der Erforschung zur Eignung toniger Gesteinsformationen als Endlagerstätte für radioaktive Abfälle beteiligt.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 3/2007, Seite 16-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2007