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BERICHT/075: Das unsichtbare Wasser des Lebens (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - September 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Das unsichtbare Wasser des Lebens

Von Julie Van Rossom


Seit sämtliche Regierungen weltweit die bessere Bewirtschaftung der gesamten Wasservorräte unserer Erde zu einem ihrer Hauptziele erklärt haben, ist das Grundwasser noch stärker gefährdet. Die Widersprüche bleiben...


Seit der Antike sind Rutengänger auf der Suche nach dem nassen Element - ein einfacher Holzstab dient dabei als einziges Hilfsmittel. Vergebens, so meinen die meisten Wissenschaftler, da die Verteilung des Grundwassers schließlich durch die Besonderheiten der örtlichen Geologie bedingt ist. Die geologischen Kenntnisse, die zur Gewinnung des kostbaren Nasses erforderlich sind, wurden hauptsächlich im 19. Jahrhundert erlangt. Und erst seit gut 20 Jahren verfügt man in einigen Ländern über 3D-Bilder des Bodens, mit denen man das Wasser lokalisieren und bewirtschaften kann.

Nur in Karstböden bildet das Wasser Flüsse und Seen, während es sich sonst im Allgemeinen in Form unzähliger Tröpfchen in porösen unterirdischen Schichten verteilt. Einige Böden verhalten sich wie riesige Schwämme, die einen Teil des Regenwassers filtern und es in der Sättigungszone lagern, wo sämtliche Zwischenräume mit Wasser durchtränkt sind.


Grundlagen des Grundwassers

Aus diesem Wasser bildet sich freies Grundwasser, das über einen Zeitraum von einigen Tagen bis zu Tausenden von Jahren dort verbleibt und eine wesentliche Komponente des Wasserkreislaufs darstellt. Seine Umlaufgeschwindigkeit hängt vom Aquifer ab, also der geologischen Formation, in der es sich bewegt. Denn mit Ausnahme von fossilem Grundwasser in Wüstenregionen, dessen Vorräte aufgrund der Seltenheit von Niederschlägen begrenzt sind, ist das Grundwasser in ständiger Bewegung und erneuert sich. Ob dies langsam oder rasch geschieht, hängt sowohl von der Art des Bodens, der es einschließt, als auch vom Gefälle der unter dem Aquifer liegenden undurchlässigen Schicht ab.

Da jeder Aquifer aufgrund seiner geologischen Besonderheiten einzigartig ist, lässt sich die Art und Weise charakterisieren, in der sich das Wasser dort aufhält. In einem porösen Aquifer, das aus losem Material wie Sand oder Kies besteht, bewegt sich das Wasser zwischen den Gesteinskörnern. In einem rissigen Aquifer bewegt es sich durch die Risse, die sich durch geologische Schichten wie Granit oder Schiefer ziehen. Karstaquifere, die aus Kreide oder Kalk bestehen, enthalten Risse, Hohlräume und zuweilen auch Poren.

Freies Grundwasser (auch ungespanntes Grundwasser genannt) hat seinen Namen daher, dass es normalerweise in einem Aquifer von geringer Tiefe ungehindert von oben nach unten fließen kann. Auf der anderen Seite gibt es das gespannte Grundwasser, das von einer undurchlässigen Bodenschicht umgeben ist. Dieses befindet sich in größeren Tiefen. Das Wasser steht unter Druck, kann aber teilweise über einen artesischen Brunnen an die Oberfläche gelangen. Beim alluvialen Grundwasser handelt es sich um eine besondere Art des freien Grundwassers, das sich in den großen Sand- und Kiesbetten entlang von Flüssen bildet.


Grundwasserarten

1. Alluviales Grundwasser: Sand und Kies, Höhe 10-50 m, 100-150 l/m³ Gestein, neben Wasserläufen.
2. Gespanntes Grundwasser: Sand, Sandstein, Kalk, undurchlässige Decke, lokalisierte Speisung.
3. Freies Grundwasser: Kreide, Kalkstein, Sandstein, 30-100 l/m³ Gestein, keine undurchlässige Decke.
4. Rissiges Milieu: Granit, Schiefer, 5-30 l/m³ Gestein, Speisung von der Oberfläche aus.


Entscheidendes Wissen

Die meisten Gewässer sind hauptsächlich der natürlichen Regulierung durch das Grundwasser unterworfen. Beispielsweise würden viele Flüsse im Sommer versiegen, wenn sie nicht von dem neben ihren Ufern gelegenen alluvialen Grundwasser gespeist würden. Andererseits würden sie im Winter systematisch über ihre Ufer treten, wenn der Boden die zusätzlichen Niederschläge nicht aufnehmen könnte. Mit Grundwasser wird fast ein Drittel der gesamten Wasserläufe unseres Planeten gespeist, was einer Menge von etwa 12.000 km³ Wasser pro Jahr entspricht.

Diese lebenswichtige Ressource trägt also erheblich zur Strömungsregulierung der Oberflächengewässer bei, sodass die Erforschung ihres Mechanismus für das Verständnis und die Vorhersage von Überschwemmungen von großer Bedeutung ist. Auch in der Bauwirtschaft ist dieses Wissen sehr wichtig, da es nicht nur dazu eingesetzt werden kann, das Eindringen von Grundwasser in Gebäude zu verhindern, sondern auch dazu, die Stabilität des Bodens, auf dem die Gebäude errichtet werden, zu sichern. Die Aquifere sind schließlich ein wesentlicher Bestandteil der Geologie einer Region. In Mexiko beispielsweise hat das durch die Übernutzung der Gewässer bedingte Absinken des Grundwasserspiegels zu Bodensenkungen geführt und zahlreiche Infrastrukturen zerstört. In Riad in Saudi-Arabien verursacht die Zuführung von Trinkwasser aus Entsalzungsanlagen einen Anstieg des Grundwassers, wodurch Keller und das Wasserversorgungsnetz verformt werden.

Von der Industrie wird das Grundwasser aufgrund des einfachen Zugangs, seiner oft hervorragenden Qualität sowie des guten Durchsatzes in großem Maße, - hauptsächlich als Kühlmittel - eingesetzt. Es ist aber vor allem für die Bewässerung lebenswichtig: Die Agrarwirtschaft ist weltweit zu etwa 40 % zumindest teilweise darauf angewiesen.

Das Entscheidende beim Grundwasser ist jedoch, dass es eine wunderbare Trinkwasserreserve darstellt. Abgesehen von der riesigen Menge nicht nutzbaren Süßwassers, das in Gletschern und an den Polkappen gefangen ist, verbergen sich knapp 97 % der zugänglichen Reserven unter der Erde. In Europa stammen etwa 50 % des Trinkwassers aus freiem Grundwasser.


Lebenswichtige Ressource in Gefahr

"Das Grundwasser hat im Allgemeinen eine bessere Qualität als die Oberflächengewässer, da es vorab in der über dem Speicher befindlichen ungesättigten Zone gefiltert wird", erläutert Maciej Klonowski, Hydrogeologe bei EuroGeoSurveys. Wenn die geologischen Bedingungen es erlauben, kann es auch vor Ort heraufgepumpt werden. Dank dieser beiden Vorteile ist seine Gewinnung erschwinglich. Allerdings wird seine lebenswichtige Rolle von Betreibern und Verbrauchern gleichermaßen allzu oft ignoriert. Ein Fehler, für den besonders die Anrainerstaaten des Mittelmeerraums einstehen müssen. In Spanien werden mehr als 50 % der Aquifere übernutzt. Im Einzugsgebiet des Rio Segura war das Verhältnis zwischen der aus dem Grundwasser entnommenen Wassermenge und der Niederschlagsmenge, mit der die Speicher wieder aufgefüllt werden, von weniger als 20 % in den 80er Jahren auf 130 % im Jahre 1995 angestiegen.

"Wenn aus einem Grundwasserspeicher Wasser gepumpt wird, dann muss dabei unbedingt nachhaltig vorgegangen werden", betont Maciej Klonowski. "Die Übernutzung eines Aquifers kann nämlich eine Veränderung der chemischen Zusammensetzung des Wassers verursachen, wie zum Beispiel einen schädigenden Anstieg der Eisen- oder Mangankonzentration. Eine weitere mögliche Folge ist der Aufstieg salzhaltigen Wassers aus tiefer gelegenen Aquiferen oder, in Küstenregionen, das Eindringen von Salzwasser in das Grundwasser. In all diesen Fällen ist das Grundwasser dann nicht mehr genießbar. Und angesichts der Tatsache, dass die Aufbereitung von Grundwasser sehr kostenaufwändig oder überhaupt nicht möglich ist, muss der Aquifer oft genug über Jahre hinweg oder gar für immer stillgelegt werden."

In ariden bzw. semi-ariden Gebieten, wo das Grundwasser noch viel wertvoller ist, wird diese Ressource besonders schlecht bewirtschaftet. "In Spanien wird eine große Menge an Wasser für den vorsaisonalen Anbau von Agrarprodukten, wie beispielsweise Erdbeeren, verwendet. Und durch den Einsatz schlecht eingestellter Bewässerungsmethoden werden die Felder lediglich mit Wasser besprengt, das auf diese Weise wegen der schnellen Verdunstung zum größten Teil einfach nur verschwendet wird. Dieses Beispiel zeigt, wie unerlässlich es ist, die Aktivitäten auf der Erdoberfläche an die verfügbare Wassermenge anzupassen, wenn das Grundwasser dauerhaft erhalten werden soll", mahnt Wilhelm Struckmeier, Generalsekretär der International Association of Hydrogeologists - IAH (Internationale Vereinigung der Hydrogeologen). "Diese Unkenntnis der grundlegenden Funktion des Grundwassers ist nicht nur in den südlichen Ländern zu beobachten. Im Norden findet diese Ressource ebenso wenig Beachtung, aber die Folgen der schlechten Bewirtschaftung sind ganz einfach nicht in dem Maße zu spüren, da auf der Oberfläche genügend Wasser vorhanden ist."


Partielles Wissen

Die Entwicklung der Industrie und die Intensivierung der Landwirtschaft hat die Gewinnung von Grundwasser seit den 1950er Jahren vorangetrieben. "Leider ging es den Geldgebern hydrogeologischer Forschungsprojekte hauptsächlich darum, die Kenntnisse zu dem zu vertiefen, was für die Entwicklung des Bauwesens erforderlich war. So konzentrierte man sich auf die Machbarkeit der Förderung statt auf die Untersuchung der Funktion der Aquifere innerhalb des Wasserkreislaufs oder auf die Wirkungsweise des Grundwassers insgesamt. Inzwischen sind wir in Europa zwar in der Lage, Grundwasser zu gewinnen, aber unser hydrogeologisches Wissen ist für eine nachhaltige Bewirtschaftung noch nicht umfassend genug", bedauert Wilhelm Struckmeier.

Mit der Einführung der ambitionierten Wasserrahmenrichtlinie im Jahre 2000 wurde eine Wende in der Politik der Europäischen Union auf diesem Gebiet eingeleitet. Viele Studien wurden auf den Weg gebracht, um die Bewirtschaftung dieser lebenswichtigen Ressource zu verbessern. Das AquaTerra-Projekt ist ein gutes Beispiel hierfür. Ziel dabei ist, die vielfältigen Wechselwirkungen, die innerhalb des Fluss-Sedimente-Wasser-Boden-Systems von Wassereinzugsgebieten(1) herrschen, besser zu verstehen. "Wir untersuchen die Schadstoffe auf ihrem Weg durch die verschiedenen Zonen, was bisher noch wenig Beachtung gefunden hat. Wir wissen nicht, mittels welcher Prozesse Schadstoffe, wie z. B. PAK(2), über Jahre bis Jahrtausende im Boden gespeichert werden. Zudem bleiben viele weitere Fragen zu den mikrobiologischen Prozessen offen, die beim Abbau einzelner Schadstoffe im Boden und im Wasser zum Tragen kommen", erklärt Johannes Barth, Hydrogeologe an der Universität Tübingen (DE) und wissenschaftlicher Koordinator von AquaTerra.

Der Hauptvorteil bei diesem Projekt liegt im Zusammentreffen der verschiedensten Wissenschaftler und Akteure vor Ort: Geologen, Sozioökonomen, Umwelttechniker, Chemiker, Betreiber, politische Entscheidungsträger. Gemeinsam tragen sie die wissenschaftlichen Grundlagen zusammen, die für die Erarbeitung numerischer Modelle zur Unterstützung der Bewirtschaftung von Wassereinzugsgebieten erforderlich sind. Die im Laborumfeld aufgestellten Theorien werden in den Einzugsgebieten des Ebro, der Donau, der Maas, der Elbe sowie der Brévilles-Quellen überprüft. Hier wurden absichtlich sehr verschiedene Wassersysteme gewählt, um die Hochrechnung der AquaTerra-Ergebnisse auf andere Einzugsgebiete zu erleichtern.

Dank des Projekts konnte inzwischen die Bedeutung von Flussmarschen besser erfasst werden. "Ihnen ist es nicht nur zu verdanken, dass Überschwemmungen verhindert werden, ihre pH-Dynamik und ihre besondere Fähigkeit zur Redoxreaktion weisen ihnen zudem eine entscheidende Rolle im Zyklus der Schadstoffresorption zu", erklärt Johannes Barth.


Den Worten Taten folgen lassen

Weltweite Bevölkerungsexplosion, ungewisse Auswirkungen der globalen Erwärmung und ein ungerechter Zugang der Völker zum Trinkwasser: Aus diesen Teilen setzt sich das Szenario für eine Wasserkrise zusammen, die allgegenwärtig ist und eine weltweit nachhaltige Bewirtschaftung des Grundwassers nötig macht. Dennoch weisen die wissenschaftlichen Kenntnisse in diesem Zusammenhang noch immer riesige Lücken auf. Auch wenn diese Trinkwasservorräte unter der Erde liegen, so sind sie deswegen nicht minder mit dem Boden und dem restlichen Wasserkreislauf verbunden. Ihre Gefährdung durch menschliche Aktivitäten könnte auch mit einer Hinterfragung unserer Konsum- und Produktionsgewohnheiten, besonders in der Landwirtschaft, in Zusammenhang gebracht werden. All diese Aspekte machen deutlich, dass nur mit einem multidisziplinären Ansatz zweckmäßige Antworten zur nachhaltigen Bewirtschaftung des Grundwassers gefunden werden können.

Im Jahre 2004 haben die europäischen Regierungen mit einer Grundwasserrichtlinie die Bedeutung des von der Erde verdeckten Wassers hervorgehoben. Diesen guten Vorsätzen sind aber nur selten Taten gefolgt. "Nur eine einzige Projektausschreibung bezog sich im 7. Rahmenprogramm direkt auf das Grundwasser", bedauert Johannes Barth. "Sich mit einem derartigen Format auf Umweltfragen zu stürzen, steht in keinem Verhältnis zu den geringen Mitteln, die für Forschung zum Wasser zur Verfügung gestellt werden."

Eine Ansicht, die auch Wilhelm Struckmeier teilt: "Es fehlen noch so viele wesentliche wissenschaftliche Grundlagen, um ein wirksames System zum Schutz des Grundwassers entwickeln zu können. So wird in der Europäischen Grundwasserrichtlinie der Ausdruck Grundwasserkörper verwendet, es existiert allerdings keine einschlägige Definition, was genau als ein solcher gelten soll. Darüber hinaus werden zu viele verschiedene Verfahren zur Sammlung von Daten über die Qualität dieses Wassers eingesetzt, und in vielen europäischen Ländern fehlt es zudem an der nötigen Aussagekraft. Die Europäische Union konzentriert die Finanzierung auf diesem Gebiet hauptsächlich auf die Schadstoffresorption oder die Übernutzung von Grundwasser, sodass Projekte, mit denen eine Verbesserung der Bewirtschaftung erreicht werden soll, vernachlässigt werden. Meines Erachtens stellt Europa die Auswirkungen der Probleme zu sehr in den Mittelpunkt und beschäftigt sich zu wenig mit den Ursachen."


Anmerkungen

(1) Ein Wassereinzugsgebiet ist ein durch Kammlinien begrenzter Gebietsteil, dessen Gewässer einen gemeinsamen Ablauf, wie einen Wasserlauf, einen See oder auch ein Meer, speisen.

(2) Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, eine Art der langlebigen organischen Schadstoffe (persistant organic pollutants - POP).

info
Aquaterra
46 Partner - 15 Länder (AT-BE-CH-CZ-DE-DK-ES-FR-IT-NL-PL-RO-RS-SK-UK)
www.attempto-projects.de/aquaterra/5.0.html
Internationale Vereinigung der Hydrogeologen (IAH)
Mehr als 3500 Mitglieder aus etwa 135 Ländern
www.iah.org


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Quelle:
research*eu Sonderausgabe - September 2008, Seite 24 - 26
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2009