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BERICHT/105: Forschungsschiff Polarstern kehrt aus der Antarktis zurück (idw)


Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung - 20.05.2011

Forschungsschiff Polarstern kehrt aus der Antarktis zurück

Untersuchungen der Veränderungen im Lebensraum Weddellmeer


Bremerhaven, den 19. Mai 2011. Am Freitag, den 20. Mai läuft das Forschungsschiff Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft nach knapp siebenmonatiger Reise in seinen Heimathafen Bremerhaven ein. Fast 200 Forscher von Instituten aus 15 Ländern nahmen an der Expedition teil. Die Ozeanographen an Bord haben gemessen, dass sich das Wasser im tiefen Weddellmeer weiter erwärmt. Die Beobachtungen von Biologen zeigten, dass sich Lebewesen in der Antarktis nur langsam an Veränderungen der Umwelt anpassen.

Das Weddellmeer im atlantischen Sektor der Antarktis ist ein bevorzugtes Gebiet der deutschen Polarforschung. So betreiben Ozeanographen hier ein Netz von Verankerungen und Driftkörpern mit sensiblen Sensoren, die Temperatur, Salzgehalt und die Dicke des Meereises bestimmen. Um die Daten auszulesen und die Geräte zu warten, müssen die Verankerungen ausgetauscht werden. Die Driftkörper übertragen ihre Daten mit Hilfe von Satelliten. Der Ausbau dieses Messnetzes war einer der Arbeitsschwerpunkte des Fahrtabschnitts unter der Leitung des Ozeanographen Dr. Eberhard Fahrbach. "Eine erste Auswertung der Messdaten zeigt, dass die Temperatur des Weddellmeeres bis in große Tiefen weiter zunimmt", so Fahrbach, der von Ende November bis Anfang Februar mit FS Polarstern in der Antarktis war.

Die Erhebung von Daten der Verankerungen und von Messungen direkt vom Schiff aus erfolgt im Rahmen internationaler Beobachtungsprogramme. So leisten sie einen wichtigen Beitrag, um die Bedeutung des atlantischen Sektors des Südlichen Ozeans für die großräumigen klimarelevanten Vorgänge besser zu verstehen. Dazu analysieren die Forscher unter anderem die Temperatur- und Salzgehaltsverteilung. Im Weddellmeer werden die weltweiten Bedingungen in der Tiefsee dadurch beeinflusst, dass kaltes, salzreiches Wasser absinkt (thermohaline Zirkulation). Daher ist damit zu rechnen, dass Veränderungen der Eigenschaften dieser kalten Wassermassen in der Antarktis weltweite Auswirkungen haben. In der Tat kann die Temperaturzunahme des Bodenwassers inzwischen über weite Gebiete des Ozeans nördlich der Antarktis nachgewiesen werden. Im Weddellmeer ist die Temperatur laut Fahrbach in den letzten 26 Jahren im Mittel über die gesamte Wassersäule um sechs hundertstel Grad angestiegen.

"Diese Temperaturzunahme erscheint gering", sagt Fahrbach, "doch da sie sich bis in großen Tiefen erstreckt, ist damit eine erhebliche Wärmemenge verbunden, die im Ozean gespeichert wird. Dies trägt dazu bei, dass sich die Atmosphäre weniger erwärmt, als durch die Zunahme des Treibhauseffekts zu erwarten wäre. Entsprechend des Weltklimaberichts (IPCC) werden mehr als 80 Prozent der Wärme, die die Erde bisher durch den veränderten Treibhauseffekt zusätzlich aufgenommen hat, in den oberen Ozeanschichten bis 1.500 Meter Wassertiefe gespeichert. Nun konnten wir zeigen, dass auch der tiefe Ozean mit seinem riesigen Volumen an diesem Prozess beteiligt ist."

Pflanzen und Tiere sind an die extremen antarktischen Bedingungen angepasst. Welche Arten sich wie schnell auf den Klimawandel einstellen können, haben Biologen auf dem folgenden Abschnitt der Expedition untersucht, der unter dem Oberbergriff "CAMBIO" stand (Change in Antarctic Marine Biota - Wechsel in antarktischen Meereslebewesen).

Hierzu steuerten die Forscher um Expeditionsleiter Dr. Rainer Knust vom Alfred-Wegener-Institut küstennahe Ziele im westlichen und im östlichen Weddellmeer an. Sie suchten Stationen auf, die sie von früheren Expeditionen kennen, um zu überprüfen, ob sich die Artenzusammensetzung am Meeresboden verändert hat. Von besonderem Interesse sind die ehemaligen Schelfeisgebiete Larsen A/B an der westantarktischen Halbinsel, die über Jahrtausende von einer dicken Eisschicht bedeckt waren. Durch den Abbruch großer Schelfeisflächen in den Jahren 1995 und 2002 kann nun wieder ein Austausch mit der Meeresoberfläche erfolgen, was die Bedingungen für die Lebewesen am Boden dramatisch geändert hat. Große Wasserflächen und herabstürzendes Schmelzwasser vom verbliebenen Schelfeis deuten an, dass der Rückgang des Eises weiter voran schreitet. Die Lebensgemeinschaften am Meeresboden besiedeln die nun freien Flächen allerdings nur sehr sehr langsam.

Eine weitere Reaktion der Lebewesen auf eine andere Störung ihres Lebensraums fanden die Wissenschaftler im östlichen Weddellmeer, wo sie den Meeresboden vor acht Jahren künstlich aufgewühlt hatten. Hier schrammen wegen der Strömungsverhältnisse öfter Eisberge über den Meeresgrund, so dass die Forscher eigentlich erwartet hätten, dass die Gebiete schneller wiederbesiedelt werden. "Die langsame Wiederbesiedlung zeigt, dass die Ökosysteme im östlichen und westlichen Teil des Weddellmeeres empfindlich auf Störungen reagieren", erläutert Knust.

Warum einige Tierarten besser mit veränderten Bedingungen klarkommen als andere, liegt an ihrer physiologischen Ausstattung. Die Tiere haben sich im Verlauf der Evolution an ihre Umweltbedingungen angepasst, wobei Arten aus der Hochantarktis auf sehr tiefe aber auch sehr konstante Wassertemperaturen optimal eingestellt sind. Die Biologen haben Fische, Krebse und Tintenfische gefangen, um bereits an Bord in Experimenten herauszufinden, welche möglichen Anpassungsmechanismen die Tiere haben, um auf Veränderungen reagieren zu können. Einige Tiere haben die weite Reise an Bord von Polarstern über den Äquator angetreten, damit diese Untersuchungen unter kontrollierten Bedingungen in den Laboren des Alfred-Wegener-Instituts fortgeführt werden können.

An- und Abreise in die Antarktis wurden genutzt, um kontinuierliche Messungen atmosphärischer und ozeanographischer Parameter zur Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre auszuführen. Außerdem wurden weiterentwickelte beziehungsweise neue Geräte im Einsatz auf See erprobt. Weiterhin lief ein Schulungsprogramm für Nachwuchswissenschaftler im Umgang mit den Messgeräten an Bord. Nach den routinemäßigen Werft- und Reparaturarbeiten wird Polarstern am 15. Juni Bremerhaven mit Kurs Arktis wieder verlassen.


Weitere spannende Informationen rund um die jetzt beendete Antarktis-Expedition des Forschungsschiffes Polarstern finden Sie in den Wochenberichten von Bord unter:
www.awi.de/de/infrastruktur/schiffe/polarstern/wochenberichte/


Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 17 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution188


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung,
Dipl.-Ing. Margarete Pauls, 20.05.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2011