Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → PHYSIK

ASTRO/170: Die Kräuselungen der Raumzeit (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - 2.2011
Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft

Die Kräuselungen der Raumzeit

Von Felicitas Mokler


Vor einem Jahrhundert postulierte Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie die Existenz von Gravitationswellen. Doch bisher haben sich diese Verzerrungen der Raumzeit hartnäckig der direkten Beobachtung entzogen. Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover ist Karsten Danzmann mit dem Detektor GEO600 diesem Phänomen auf der Spur.


Auf dem Weg zum Forschungsgelände in Ruthe, etwa 20 Kilometer südlich von Hannover, zwängt sich der Bus mit der Besuchergruppe auf den schmalen Landwirtschaftswegen an Heckenrainen vorbei. Ein letztes Mal heißt es vorsichtig rangieren, um links in den noch etwas engeren Weg einzubiegen, der uns zum Gravitationswellendetektor GEO600 bringt. Rechts in den Boden eingelassen ein Container, von dem aus sich ein breites Stahlrohr neben der Zufahrt entlangzieht.

Zur Linken liegt eine Apfelplantage. Sehr passend. War nicht auch ein Apfel für Sir Isaac Newton die Frucht der Erkenntnis? Ein Apfel nämlich - so will es die Legende - soll dem unter einem Baum dösenden Wissenschaftler eines Tages auf den Kopf gefallen sein. Ein Gedankenblitz schlug ein - und seitdem regierte das newtonsche Gravitationsgesetz die Bewegung der Planeten und hielt die Welt in ihren Angeln.


Gravitationswellen dehnen und stauchen den Raum

So lange, bis Albert Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie vorstellte. Demnach ist Gravitation nicht mehr eine simple Kraft, die zwischen zwei Massen - etwa Erde und Mond - wirkt, welche sich durch den starren Euklidischen Raum bewegen. Vielmehr ist der Raum selbst verformbar und dynamisch. So krümmt eine Masse wie die Sonne den Raum in ihrer Umgebung. Eine zweite (kleinere) Masse wie ein Planet folgt in seiner Bewegung dann dieser Raumkrümmung.

Ändert sich die lokale Raumkrümmung, weil eine Masse - beschleunigt - den Raum durchquert, pflanzt sich diese Änderung als Welle mit Lichtgeschwindigkeit in der Struktur der Raumzeit fort. Auf ihrer Reise durch das Universum dehnen und stauchen diese Gravitationswellen den Raum senkrecht zu ihrer Ausbreitungsrichtung. Die Wechselwirkung von Gravitationswellen mit Materie ist extrem gering. Außerdem sinkt ihre Stärke umgekehrt proportional zur Entfernung von der Quelle. Daher glaubte Einstein selbst nicht daran, dass sich dieses aus seiner Theorie folgende Phänomen jemals würde messen lassen.


Die Quellen der Wellen

Der erste - wenngleich indirekte - Nachweis von Gravitationswellen gelang den Astrophysikern Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor, die dafür im Jahr 1993 den Nobelpreis erhielten. Sie beobachteten bei dem Doppelpulsar-System PSR B1913+16 über mehrere Jahre hinweg eine Veränderung der Bahndaten. Der daraus errechnete Energieverlust des Systems stimmte exakt mit den theoretischen Werten für die Abstrahlung von Gravitationswellen überein. Inzwischen wurde dieser Effekt bei einer ganzen Reihe solcher Doppelsysteme bestätigt.

Bodengebundene Gravitationswellendetektoren, wie sie innerhalb der LIGO-Virgo Science Collaboration (LVC) betrieben werden, eignen sich, um Gravitationswellen im Bereich zwischen einigen zehn Hertz und einigen Kilohertz zu messen. Zu den astrophysikalischen Objekten, die Gravitationswellen bei diesen Frequenzen emittieren, zählen Supernova-Explosionen, enge Binärsysteme mit zwei Neutronensternen oder schwarzen Löchern (Simulation rechts), kurz bevor beide Objekte verschmelzen; aber auch einzelne Neutronensterne, die aufgrund von Unebenheiten auf ihrer Oberfläche etwas ungleichmäßig rotieren, senden Gravitationswellen aus.

So paradox es klingt: Selbst aus nicht nachgewiesenen Gravitationswellen lassen sich Rückschlüsse auf bestimmte Eigenschaften einiger Objekte ziehen. Für eine ganze Reihe von Pulsaren etwa haben die Wissenschaftler berechnet, dass ihre Form um weniger als ein Millionstel von der Gestalt einer perfekten Kugel abweicht. Andernfalls hätte man mit der aktuellen Messempfindlichkeit der Detektoren innerhalb der LVC-Kollaboration Gravitationswellen längst direkt messen müssen.  FM


Schwere Sterne explodieren extrem selten

Anders Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) und Leiter des Instituts für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover: "Inzwischen sind unsere Technologien so ausgereift, dass wir mit GEO600 Längendifferenzen messen können, die dem Tausendstel eines Protondurchmessers entsprechen. Oder eben eine entsprechend kleine Änderung der Raumstruktur, hervorgerufen durch eine vorbeiziehende Gravitationswelle." Eine Supernova-Explosion in einer Entfernung von weniger als 28.000 Lichtjahren würde den Raum um ebendiese Strecke verzerren, so die Theorie.

Warum den Physikern dennoch bisher keine Gravitationswelle ins Netz gegangen ist? "Das liegt daran, dass Ereignisse wie Sternexplosionen extrem selten sind", erklärt Danzmann. "Wir rechnen mit einem solchen Ereignis im Schnitt alle 30 Jahre. Die letzte Supernova, die in unserer näheren Umgebung stattgefunden hat, war 1987 in der Magellanschen Wolke." Mit den heute zur Verfügung stehenden Detektoren könnten die Forscher vielleicht ein derartiges Ereignis beobachten, doch damals gab es GEO600 und auch die anderen Detektoren noch nicht.

Die anderen Gravitationswellenobservatorien sind die beiden Interferometer des LIGO-Experiments, die in Livingston und Hanford in den USA stehen, sowie Virgo, der französisch-italienische Detektor in Cascina bei Pisa. Auf dem Gebiet der Gravitationswellenforschung arbeiten Wissenschaftler weltweit zusammen. Denn mit Gravitationswellen aus dem All verhält es sich ähnlich wie mit akustischen Signalen: Zwar lässt sich Schall auch mit einem Ohr wahrnehmen. Doch die Richtung, aus der ein Geräusch kommt, ist nur mit zwei Ohren auszumachen. Um Gravitationswellen richtig orten zu können, braucht man sogar mindestens drei "Ohren".

Aber es gibt noch weitere Gründe, weshalb die Forscher mit mehreren Detektoren in den Weltraum lauschen: Nur wenn alle Messinstrumente unabhängig voneinander dasselbe Signal aufzeichnen, können die Wissenschaftler sicher sein, dass sie eine Gravitationswelle gemessen haben. Zudem lassen sich bestimmte Eigenschaften einer Gravitationswelle wie die räumliche Orientierung ihrer Schwingung, die Polarisation, nur bestimmen, wenn mindestens drei Detektoren, an verschiedenen Positionen über den Erdball verteilt, das Signal eingefangen haben. Deshalb ist GEO600, der von den Hannoveraner Instituten gemeinsam mit britischen Hochschulen wie der University of Glasgow betrieben wird, mit den beiden amerikanischen und dem südeuropäischen Gravitationswellendetektor in der LIGO-Virgo Science Collaboration (LVC) zusammengeschlossen. Wie die übrigen Detektoren auch arbeitet GEO600 nach dem Prinzip eines Michelson-Interferometers (siehe die Abbildung). Er ist dafür ausgelegt, Gravitationswellen im Frequenzbereich von rund 100 Hertz bis einigen Kilohertz zu messen.

Ein Laserstrahl trifft auf einen halbdurchlässigen Spiegel, den Strahlteiler. Von dort aus laufen zwei kohärente Lichtstrahlen senkrecht zueinander die 600 Meter langen Interferometerarme in Vakuumrohren aus gewelltem Edelstahl entlang - der eine am Wegesrand, der andere zwischen zwei Äckern gelegen, in eigens dafür ausgehobenen Gräben. Am Ende der Messstrecken reflektiert ein Spiegel das Licht und schickt es zum Strahlteiler zurück. Dort treffen die beiden Teilstrahlen wieder aufeinander und überlagern sich. Anschließend fällt der Signalstrahl auf eine Photodiode, die seine Intensität misst.

Die Helligkeit des Signalstrahls ergibt sich aus der Wellennatur des Lichts. Treffen von beiden Laserstrahlen zwei Wellenberge aufeinander, interferieren diese positiv, und das Signal ist besonders hell. Begegnen sich hingegen Wellenberg und Wellental, löschen sich die Strahlen gegenseitig aus. Zwischen Berggipfel und Wellental - den Phasen des Laserlichts - existieren sämtliche Abstufungen, deren Aufeinandertreffen von der relativen Lichtlaufstrecke abhängt.


Besser hören mit verteilten Ohren

Die Teleskopohren in Deutschland (GEO600), an zwei Orten in den USA (LIGO) sowie an einem in Italien (Virgo) lauschen in einem Netzwerk nach Gravitationswellen und werten die Daten gemeinsam aus. Die Observatorien in den USA und Italien werden nun für den ersten direkten Nachweis ausgerüstet und sollen vom Jahr 2016 an erneut mit den Messungen beginnen - mit zehnfach verbesserter Empfindlichkeit.

Bisher gingen die Wissenschaftler davon aus, dann jährlich im Durchschnitt 40 verschmelzende Neutronensterne oder schwarze Löcher beobachten zu können. Nun zeigt eine Untersuchung von Bernard F. Schutz, Direktor am Golmer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut), dass bei optimaler Datenanalyse diese Rate theoretisch sogar bei 160 solchen Ereignissen pro Jahr liegt. Mit der derzeitigen räumlichen Anordnung der Detektoren ist das allerdings nicht zu schaffen. Vielmehr wird ein Messinstrument auf der anderen Seite der Erde benötigt - sozusagen ein Ohr am Hinterkopf.

Die Messempfindlichkeit eines Detektorennetzwerks hängt von der Empfindlichkeit der einzelnen Detektoren und deren Position auf der Erde ab. In seiner in der Zeitschrift CLASSICAL AND QUANTUM GRAVITY veröffentlichten Studie zeigt Schutz, wie sich diese Beziehung für jedes beliebige Netzwerk durch drei Zahlen charakterisieren lässt: die Entfernung, aus der die Gravitationswellen-Quelle am Himmel vom einzelnen Detektor wahrgenommen werden kann; das kleinste Signal-Rausch-Verhältnis, bei dem ein Gravitationswellen-Nachweis gerade noch möglich ist; die geometrische Anordnung der Detektoren im Netzwerk.

"Schon die Verlagerung eines der bereits vorhandenen LIGO-Instrumente aus den USA nach Australien würde die Detektionsrate um das Zwei- bis Vierfache steigern", sagt Schutz. Gehen - wie geplant - auch noch in Japan, Australien und Indien Gravitationswellen-Detektoren in Betrieb, so werden die Forscher jährlich etwa 370 astronomische Ereignisse beobachten können, im Routinemessbetrieb sogar 500.  EM / HOR


Detektoren werden reihum laufend aufgerüstet

Dieses Prinzip der Interferenz nutzen die Physiker, um kleinste Längenänderungen zu messen. Wenn durch den Detektor eine Gravitationswelle hindurchläuft, streckt und staucht sich der Raum entlang der beiden Detektorarme unterschiedlich stark. Dadurch ändert sich die Lichtlaufstrecke der beiden Laserstrahlen relativ zueinander, und sie interferieren in einer anderen Phase als im Ruhezustand. Als Folge davon registriert die Photodiode eine veränderte Helligkeit.

Die Empfindlichkeit der Detektoren innerhalb der LVC reicht im Prinzip aus, um Gravitationswellen von Supernovae zu messen, die in unserer näheren Umgebung, innerhalb der Galaxis, explodieren. Verschmelzende Neutronensterne oder schwarze Löcher sollten sogar in anderen Galaxien der lokalen Gruppe sichtbar sein, denn diese Ereignisse erzeugen ein sehr viel stärkeres Signal als eine Sternexplosion. Allerdings kommen sie noch viel seltener vor. Um die Chancen, eine Sternexplosion oder eine Fusion von zwei Neutronensternen direkt zu beobachten, zu erhöhen, wollen die Wissenschaftler noch weiter ins All hinaushorchen. Deshalb werden die Detektoren dieses Netzwerks immer wieder reihum technologisch nachgerüstet.

Dabei kommt GEO600 seit jeher eine Vorreiterrolle zu. Zwar besitzt GEO600 mit einer Armlänge von 600 Metern die kürzeste Messstrecke - LIGO hat vier und Virgo drei Kilometer. Das bedeutet zunächst eine geringere Empfindlichkeit für den Detektor in Ruthe. Um die Einschränkungen der kürzeren Armlänge wettzumachen, haben die Hannoveraner Physiker die Messtechniken weiterentwickelt. So werden die wesentlichen der aus dem Projekt GEO600 hervorgegangenen Detektortechnologien bei der aktuell laufenden Umbauphase zur nächsten Generation berücksichtigt.


Der Laser selbst gerät zum Störfaktor

Mit AdvancedLIGO und AdvancedVirgo soll die Messempfindlichkeit des Netzwerks verzehnfacht werden. "Wenn die Arbeiten in ein paar Jahren abgeschlossen sind, werden wir in der Lage sein, ein tausendmal größeres Volumen des Universums zu beobachten. Gleichzeitig steigt damit die zu erwartende Ereignisrate an", sagt Karsten Danzmann. "Wir gehen davon aus, mindestens einige Dutzend astrophysikalisch relevante Beobachtungen pro Jahr, bestenfalls sogar einige pro Tag, zu machen."

Die Anforderungen für Gravitationswellendetektoren sind so anspruchsvoll, dass bestimmte Eigenschaften des Lasers selbst eine Störquelle darstellen. Das liegt in den quantenmechanischen Eigenschaften des Lichts begründet. Wenn der Signalstrahl auf der Photodiode eintrifft, zeigt das Licht seine Teilchennatur: Die Lichtquanten prasseln in ungleichmäßigen zeitlichen Intervallen Schrotkugeln gleich auf die Photodiode ein. Daher bezeichnen die Fachleute diese Unregelmäßigkeiten im Signal auch als Schrotrauschen. Ruft eine Gravitationswelle vorübergehend eine ähnlich schwache Helligkeitsschwankung hervor, würde sie nur zu leicht übersehen.

Je stärker der Laserstrahl jedoch ist, umso weniger fällt das Schrotrauschen ins Gewicht. Denn bei einer höheren Photonendichte verkürzen sich die zeitlichen Abstände zwischen den nacheinander auf die Diode auftreffenden Lichtteilchen - und die relativen Unregelmäßigkeiten werden geringer. So kann hier zunächst eine stärkere Laserquelle Abhilfe schaffen.

In Hannover entwickelt Benno Willke mit seiner Arbeitsgruppe solche Laser, deren Eigenschaften speziell auf die Anforderungen von Gravitationswellendetektoren zugeschnitten sind. Dafür arbeiten die Max-Planck-Wissenschaftler eng mit dem Laser Zentrum Hannover e.V. (LZH) zusammen. Die hier gefertigten Laser zeichnen sich durch eine hohe Leistungsstabilität bei einer wohldefinierten Frequenz aus. Sie arbeiten mit Nd:YAG-Kristallen im Infraroten bei einer Wellenlänge von 1064 Nanometern (Millionstel Millimeter).


Leistung und Frequenz müssen stabil bleiben

Die Leistung des derzeit in GEO600 eingesetzten Lasers beträgt zwölf Watt, in Kürze soll dort aber ein neuer 35-Watt-Laser eingebaut werden. Zum Vergleich: Ein rot oder grün leuchtender Laserpointer für den Hausgebrauch arbeitet bei einer Leistung von weniger als einem Milliwatt.

Für die Suche nach Gravitationswellen müssen Laserleistung und Laserfrequenz zeitlich konstant und das räumliche Strahlprofil gleichzeitig besonders symmetrisch und stabil sein. Aber je höher die Laserleistung, umso schwieriger lässt sich technisch solch ein Strahlprofil erzeugen. Um das sogenannte Frequenzrauschen zu reduzieren, koppeln die Physiker den weniger stabilen Hochleistungslaser mit einem Laser geringerer Leistung, der aber gleichmäßiger strahlt. Dabei übernimmt der Hochleistungslaser die Stabilität des schwächeren Lasers. Zusätzlich setzen die Wissenschaftler Regelkreise ein, um eine optimale Strahlqualität und ein gutes Leistungsrauschen zu erhalten.

Auf diese Weise haben die Max-Planck-Forscher kürzlich den ersten leistungsstabilisierten 200-Watt-Laser hergestellt. Sie bauen ihn derzeit in dem LIGO-Detektor in Livingston ein; zwei weitere Lichtquellen derselben Bauart sollen im Detektor in Hanford folgen.

Einige der aus der Gravitationswellenforschung hervorgegangenen Lasertechnologien kommen inzwischen, leicht abgeändert, industriell zum Einsatz. Etwa lassen sich die von der Firma neoLASE GmbH abgewandelten Verstärkersysteme zur Materialbearbeitung verwenden. Und aus der Steuerelektronik hat neoLASE gemeinsam mit dem LZH eine Anwendung entwickelt, mit der sich Lasersysteme nun auch von einem iPhone aus steuern lassen.

Doch zehn, 35 oder auch 200 Watt sind den Physikern noch nicht genug. "Um ausreichend Photonen zur Verfügung zu haben, recyceln wir sogar Laserlicht", sagt Hartmut Grote. Der Physiker verbringt einen Großteil seiner Arbeitszeit am Detektor in Ruthe. "Mit einem zusätzlich in das Interferometer eingebauten Spiegel schaffen wir zusammen mit den beiden Endspiegeln einen Resonator für den Laserstrahl. Der auf diese Weise eingefangene Laser läuft mehrfach im Interferometer um und überlagert sich mit dem weiterhin eingespeisten Licht, bis die Lichtleistung auf drei Kilowatt angestiegen ist", sagt Grote.

Das Schrotrauschen steigt dabei zwar ebenfalls an, aber in geringerem Maße als die mittlere Strahlintensität. Der Vorteil bei der Suche etwa nach schwarzen Löchern: Das Gravitationswellensignal hebt sich besser vom Hintergrundrauschen ab. Power-Recycling gehörte von Anfang an zur Grundausstattung aller Gravitationswellendetektoren der LVC.

Einzig am GEO600-Detektor wird ebenfalls der Signalstrahl verstärkt. Ein Signalrecycling-Spiegel am Detektorausgang reflektiert den Interferenzstrahl zurück in das Interferometer. Dabei überlagert sich der Signalstrahl konstruktiv mit dem Anteil des Laserlichts, der das Gravitationswellensignal enthält. Dieser Prozess geschieht so oft, bis das Signal um das Zehnfache verstärkt ist.


ET ebnet den Weg ins Verborgene

Das Einstein-Teleskop (ET) ist ein Gemeinschaftsprojekt von acht europäischen Forschungsinstituten unter Leitung des European Gravitational Observatory (EGO).

ET ist als Gravitationswellendetektor der dritten Generation geplant und soll 100-mal empfindlicher messen als die Instrumente der ersten Generation. Genau wie bei den ersten beiden Detektorgenerationen werden winzige Längenveränderungen - weit weniger als der Durchmesser eines Atomkerns - in zwei miteinander verbundenen, mehrere Kilometer langen Interferometerarmen gemessen.

"Wir haben uns entschlossen, Möglichkeiten für den Bau einer neuen Generation noch empfindlicherer Observatorien zu untersuchen. Nach dreijähriger Arbeit von mehr als 200 Wissenschaftlern aus Europa und aller Welt können wir nun die Entwurfsstudie für das Einstein-Teleskop vorlegen. Wir ebnen so den Weg zur Entdeckung bisher verborgener Bereiche des Universums", sagt Harald Lück, stellvertretender wissenschaftlicher Koordinator der ET-Studie und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Hannover.

Die Studie, die Ende Mai am European Gravitational Observatory (EGO) in Pisa vorgestellt wurde, informiert über die wissenschaftlichen Ziele von ET, die vorgesehene Bauart und Technologie des Detektors sowie die geschätzten Bauzeiten und Kosten. ET wird außerordentlich empfindlich sein, weil es unterirdisch in einer Tiefe von 100 bis 200 Metern gebaut werden soll. So lassen sich durch seismische Bewegungen verursachte Störungen und Messungenauigkeiten deutlich vermindern. ET wird deshalb auch bei niedrigen Frequenzen - zwischen einem und 100 Hertz - sehr empfindlich sein. Mit dem Detektor wollen die Forscher das gesamte Spektrum der auf der Erde messbaren Gravitationswellenfrequenzen beobachten.   MM


Ein Spiegel, der praktisch kein Licht verschluckt

Mit dem bisher verwendeten Signalrecycling-Spiegel ließen sich nur eingegrenzte Frequenzbereiche etwa um 500 Hertz oder ein Kilohertz verstärken, abhängig von der Spiegelposition. Der nun bei GEO600 ausgetauschte Spiegel weist zwar eine niedrigere Reflektivität auf, verstärkt den Signalstrahl aber insgesamt für einen breiteren Frequenzbereich, ohne dass die Spiegelposition angepasst werden muss. "Unter anderem durch diese Technik kann GEO600 trotz der kürzeren Armlänge bei hohen Frequenzen derzeit vergleichbar empfindlich messen wie Virgo", erklärt Hartmut Grote. In der nächsten Generation von Gravitationswellendetektoren sei diese Methode auch bei LIGO und Virgo eingeplant.

Auch beim Spiegelmaterial gilt es, höchste Qualität zu verwenden, um möglichst viele Störquellen auszuschalten. So wurde eigens für die Spiegel in den GEO600- und Virgo-Interferometern ein Glassubstrat namens Suprasil 311SV kreiert. Dieses Quarzglas zeichnet sich durch einen besonders niedrigen Absorptionskoeffizienten aus - eine Eigenschaft, die vor allem für den Strahlteilerspiegel unabdingbar ist. Der Spiegel sollte möglichst kein Licht absorbieren, wenn ein Laserstrahl ihn passiert oder reflektiert wird. Mit dem Substrat der Firma Heraeus gelingt das bis auf weniger als ein ppm (parts per million) pro Zentimeter.

Das ist wichtig, denn absorbiertes Licht erwärmt das Glas an der Durchtrittstelle in Abhängigkeit von seiner Intensität. Die Brechungseigenschaften des Spiegels ändern sich wiederum mit der Temperatur. Da der Laserstrahl in der Mitte stärker ist als am Rand, wärmt sich der Spiegel im Zentrum mehr auf als in den äußeren Regionen. Diese Temperaturdifferenz wirkt wie eine thermische Linse, welche die gesamte Optik verzerrt und die Messung beeinträchtigt.


Gut ausgependelt

Für die Endspiegel des Interferometers können wiederum die Reflexionseigenschaften nicht gut genug sein. Um diese zu optimieren, ist die Quarzglasoberfläche mit einer extra Spiegelschicht versehen. Trifft Sonnenlicht aus der Luft senkrecht auf eine Fensterscheibe, passiert es nicht vollständig das Glas. Ein kleiner Anteil, etwa vier Prozent, wird reflektiert. Hauchdünne, im Wechsel auf den Interferometer-Spiegel aufgetragene Schichten aus Siliziumdioxid (SiO2) und Tantal(V)-oxid (Ta2O5) mit unterschiedlichen Brechungsindizes haben denselben Effekt für einen Laserstrahl. Insgesamt werden zwischen 23 und 28 solcher Doppelschichten benötigt, um eine optimale Reflexion (99,998 Prozent) zu erhalten.

Eine ganze Reihe von störenden Einflüssen, die es noch zu berücksichtigen gilt, sind seismischer Natur. Sie erschweren vor allem die Messungen bei niedrigen Frequenzen unterhalb von 100 Hertz. Um diese auf ein passables Maß zu reduzierten, haben Wissenschaftler der University of Glasgow eine spezielle Pendelaufhängung für GEO600 entwickelt.

Ein einfach aufgehängtes Pendel gerät unterhalb seiner Resonanzfrequenz leicht in Schwingung. Das lässt sich ganz gut selber ausprobieren: ein schwerer Gegenstand - etwa ein Stein - an eine Schnur gebunden, fertig ist das Pendel. Führt man nun dem Pendel Energie zu, indem man das obere Ende der Schnur zunächst langsam hin- und herbewegt, beginnt es, rhythmisch zu wackeln. Am stärksten wird das Pendel ausschlagen, wenn es im Takt seiner Eigenfrequenz angeschubst wird. Liegt die Rate der Energiezufuhr dagegen oberhalb der Resonanzfrequenz, bewegt sich das Pendel nur schwach oder gar nicht. Hängen mehrere Pendel übereinander, lassen sie sich praktisch nur noch bei den Eigenfrequenzen dieser Kombination anregen.

So sind auch die Detektorspiegel als Mehrfachpendel aufgehängt, um seismische Störungen möglichst breitbandig zu minimieren. Die Endspiegel des GEO600-Detektors etwa sind hierzu in einer Dreifach-Aufhängung angeordnet. Durch die mechanische Filterwirkung des Pendels lassen sich störende seismische Einflüsse passiv bis um neun Zehner-Potenzen reduzieren. Direkt dahinter befindet sich noch ein zweites Dreifachpendel, dessen Komponenten die entsprechende Masse der Spiegelaufhängung über elektromagnetische und elektrostatische Kräfte ansteuern. Mit diesen sogenannten Aktuatoren lassen sich restliche, bei Resonanzfrequenzen erzeugte oder auch interne Störungen aktiv dämpfen.

An der obersten Pendelkomponente werden die niedrigsten Frequenzen bis zu einem Hertz unterdrückt, an der mittleren Komponente Frequenzen unterhalb von zehn Hertz und direkt am Spiegel Störungen bis zu 100 Hertz. Der Spiegel wird so in seine Arbeitsposition gebracht und in dieser in Ruhe gehalten. Gegen Erdbeben ab Stärke sechs auf der Richterskala, auf welchem Erdteil auch immer sie sich ereignen, ist der Gravitationswellendetektor dennoch nicht gefeit. Dann gerät er aus dem Takt, und die Spiegel müssen neu feinjustiert werden. Bis GEO600 danach wieder ins All horchen kann, dauert es aber nur wenige Minuten. Insgesamt 260 Regelkreise richten die Spiegel aus, halten sie in Position und dämpfen externe Schwingungen.

Zudem sind die Spiegel im Pendel besonders reibungsfrei aufgehängt. So baumeln Spiegel und mittlere Pendelmasse nicht etwa an einem feinen Stahldraht, sondern an einem dünnen Faden aus Quarzglas. Dieses Material zeichnet sich durch einen sehr viel geringeren Reibungswiderstand als Stahl aus. Außerdem ist die Glasfaser direkt (monolithisch) mit dem Spiegel und der zweiten Pendelmasse verbunden, sodass an diesen beiden Punkten keine Reibungsflächen bestehen. Das ist für die Messungen bei GEO600 von Vorteil, denn geringere Reibung verursacht weniger störende Bewegungen. Und das verfeinert die Messungen.

Entwickelt haben diese Quarzglasfasern Wissenschaftler an der University of Glasgow extra für die Spiegelaufhängung in Gravitationswellendetektoren. Bei GEO600 wird diese Technologie bereits seit zehn Jahren eingesetzt, vor Kurzem wurde sie auch bei Virgo eingebaut.

Die Gravitationswellendetektoren messen mittlerweile so genau, dass gerade bei hochfrequenten Signalen von einigen 100 Hertz das Schrotrauschen besonders stört. Bei diesen Frequenzen reichen auch ein starker leistungsstarker Laser oder das Power-Recycling nicht aus, um ein potenzielles Signal aus dem All aus dem Hintergrundrauschen herauszufiltern. Mit solchen Messungen am Quantenlimit beschäftigt sich Roman Schnabel in Hannover. Er und seine Arbeitsgruppe haben eine Laserquelle entwickelt, die besonders rauscharmes Licht erzeugt.

Mit Photonen aus sogenannten nicht-linearen Kristallen reihen die Quantenphysiker die widerspenstigen Photonen eines Laserstrahls in gleichmäßigeren Abständen aneinander, sie "quetschen" sie in Reih und Glied.

Solche Kristalle besitzen eine besondere optische Eigenschaft: Im angeregten Zustand sind sie in der Lage, Photonen aufzunehmen und zu emittieren, die exakt die halbe Energie der zur Anregung benötigten Lichtquanten besitzen. Aus Gründen der Energieerhaltung absorbiert ein nicht-linearer Kristall aber stets zwei der niederenergetischen Photonen. Um sie "speichern" zu können, wandelt er sie in ein höherenergetisches Photon seiner Anregungsfrequenz um. Für die Emission stehen dann wieder zwei Lichtquanten der längeren Wellenlänge zur Verfügung.

Periodisch gepoltes Kalium-Titanyl-Phosphat (KTP), so lautet die wissenschaftliche Bezeichnung für den Kristall, den Roman Schnabel in seinem Quetschlichtlaser verwendet. Mit grünem Licht der Wellenlänge 532 Nanometer lassen sich die Atome in diesem Kristall anregen. Das abgestrahlte Laserlicht kann aber auch von doppelter Wellenlänge (1064 Nanometer) sein. Und das entspricht genau der Wellenlänge des Lasers, der bei GEO600 im Umlauf ist.


Forscher nivellieren Unregelmässigkeiten

Die niederenergetisch emittierten Photonen treten immer paarweise und quantenmechanisch verschränkt auf. "Wir nutzen hier einen Effekt, den die Quantentheorie vorhersagt, der aber überhaupt nicht anschaulich ist", erklärt Schnabel. "Wir überlagern die Photonenpaare aus unserem Kristall mit dem normalen Laserlicht in GEO600." Diese Interferenz äußert sich so: Immer, wenn aufgrund von Quantenrauschen zu wenige Photonen im Strahl vorhanden sind, kommt es zu konstruktiver Interferenz. Wenn zu viele vorliegen, werden die überschüssigen ausgelöscht. "Erstaunlicherweise funktioniert das, obwohl das Quantenrauschen echt zufällig ist", sagt Schnabel. Auf diese Weise lassen sich die quantenphysikalisch bedingten Unregelmäßigkeiten in einem Laserstrahl nivellieren. Die Messgenauigkeit von Gravitationswellendetektoren ließe sich dadurch in Zukunft verdoppeln.

Sei es, dass die Forscher die Messtechnologien selbst voranbringen, sei es, dass sie es schaffen werden, die Naturgesetze weiter auszutricksen - es bleibt in jedem Fall spannend. Und wenn die Theoretiker richtig gerechnet haben, werden sich Gravitationswellen vielleicht schon bald in den Netzen irdischer Wissenschaftler verfangen.


GLOSSAR

Euklidischer Raum
Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein ging man davon aus, dass der euklidische Raum den "Raum unserer Anschauung" beschreibt und damit den uns umgebenden physikalischen Raum. Nicht zuletzt Albert Einstein (1879 bis 1955) entwickelte in seiner Relativitätstheorie jedoch ein anderes Raumkonzept, das sich hinsichtlich der Mathematik vom euklidischen Raum unterscheidet.

Laser
Laser steht für Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation (Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung). Die Verstärkung in einem Resonator, etwa einem Kristall, wird mit der Zufuhr von Energie erreicht: Dadurch besetzen mehr Elektronen einen energetisch höheren Zustand als einen energetisch niedrigeren (Besetzungsinversion). Durch Stimulation fallen die Elektronen schließlich in das Ausgangsniveau zurück und erzeugen Licht. Die Reflexion im Resonator verstärkt diese Lichtemission kaskadenartig.

Newtonsches Gravitationsgesetz
Dieses von Isaac Newton (1643 bis 1727) in seinem Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica im Jahr 1686 veröffentlichte Gesetz besagt, dass jeder Massepunkt jeden anderen Massepunkt mit einer Kraft anzieht, die entlang der Verbindungslinie gerichtet ist. Der Betrag dieser Gravitationskraft ist proportional zum Produkt der beiden Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands der beiden Massen.


*


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 48-49:
Rätselhafte Rippel: Der Kosmos steckt voller Gravitationswellen - man muss sie nur aufspüren.

Abb. S. 50:
Gekreuzte Pfade: Im Gravitationswellendetektor wird ein Laserstrahl am Strahlteiler aufgespalten, von dort laufen die beiden Teilstrahlen senkrecht zueinander die Interferometerarme entlang. An deren Enden werden die Teilstrahlen reflektiert, zum Strahlteiler zurückgeschickt und überlagern sich dort zum Signalstrahl. Dieser trifft dann auf die Photodiode. Die von der Photodiode gemessene Helligkeitsänderung ist ein Maß für die relative Längenänderung der Lichtlaufstrecken. GEO600 ist der erste Gravitationswellendetektor, bei dem kürzlich ein Quetschlichtlaser eingebaut wurde; eingespeist in den Signalstrahl, lässt sich mit diesem speziell präparierten Licht das störende Schrotrauschen eindämmen.

Abb. S. 51:
Feldforschung: Das Gelände von GEO600 in Ruthe bei Hannover. In den in Containern untergebrachten Büroräumen und Messvorrichtungen (oben) werten Forscher die Daten aus, die sie in den 600 Meter langen Interferometerarmen gewinnen (unten). Unter einer Schutzabdeckung ist das Vakuumrohr aufgehängt, in dem der Laser zwischen Strahlteiler und Endspiegel verläuft (rechts).

Abb. S. 52-53:
In Hannover ist Karsten Danzmann (Mitte) den Gravitationswellen auf den Fersen. In den Laboren arbeiten die Wissenschaftler daran, die Detektortechnologien zu verbessern. Roman Schnabel (links) hat die Quetschlichtlaserquelle entwickelt. Benno Willke (rechts) reinigt gerade eine Laseroptik.

Abb. S. 55:
In den Vakuumtanks (links) sind Laser und Spiegel untergebracht. An den Monitoren überwachen die Physiker (hier Harald Lück) die Detektoreinstellungen und den Signalstrahl.

Abb. S. 56:
Blick in die Zukunft: Harald Lück (links) und Hartmut Grote fiebern der Entdeckung der ersten Gravitationswelle entgegen.


*


Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin
der Max-Planck-Gesellschaft, 2.2011, S. 48 - 56
Hrsg.: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München,
Tel.: 089/2108-1276, Fax: 089/2108-1405
E-Mail: mpf@gv.mpg.de
Das Heft als PDF: www.magazin-dt.mpg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2011