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ASTRO/182: Körnige Raumzeit - Die Struktur des Allerkleinsten (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 12/11 - Dezember 2011
Zeitschrift für Astronomie

Körnige Raumzeit?
Die Struktur des Allerkleinsten

Von Maximilian Imgrund und Harald Lesch


Wir wissen, dass Materie aus kleinsten Bausteinen, den Elementarteilchen, besteht. Aber auch Raum und Zeit sollten den Theorien zufolge im Bereich des Allerkleinsten aus nicht mehr teilbaren, diskreten Einheiten bestehen. Aktuelle astronomische Beobachtungen sind für diese Skala bereits empfindlich. Doch wo bleibt die körnige Raumzeit?


In Kürze
• Aktuelle Theorien, welche die Schwerkraft quantenmechanisch beschreiben, sagen bei sehr kleinen Längen und Zeiten - auf der Planck-Skala - ein elementares Rauschen voraus.
• Obwohl die vorhergesagten Schwankungen unvorstellbar klein ausfallen, sind sie prinzipiell schon heute astronomischen Beobachtungen zugänglich.
• Solche Beobachtungen setzen allerdings für die körnige Raumzeit noch viel kleinere Grenzen.


Im Grunde ist es ganz einfach: Quantenmechanik und allgemeine Relativitätstheorie sind heute die erfolgreichsten Modelle der physikalischen Welt. Die Quantenmechanik erklärt die Eigenschaften von Licht, die Physik der kleinsten Teilchen und ihre Wechselwirkung mit elektromagnetischer Strahlung, die Stabilität der Materie, die Energiefreisetzung der Sterne durch Kernfusion, die chemischen Eigenschaften von Atomen und Molekülen. Mit ihrer Hilfe lassen sich auch Technologien entwickeln, die unser modernes Leben prägen - man denke nur an digitale Elektronik, Computer, Laser, Kernkraftwerke, Atombomben. Und die allgemeine Relativitätstheorie beschäftigt sich mit der Physik der großen Massen, also der Sterne, Galaxien, Galaxienhaufen, kurz des ganzen Universums. Ihre Gleichungen beschreiben die Wirkung der Gravitation sowie die allgemeine Struktur von Raum und Zeit. Auch mit ihr sind wichtige Entwicklungen der Moderne verbunden, zum Beispiel die satellitengestützten Navigationssysteme. Schließlich bildet die allgemeine Relativitätstheorie das Fundament der Kosmologie, also der Wissenschaft von der Entstehung und Entwicklung des gesamten Universums, je nach seiner energetisch-materiellen Zusammensetzung. Abhängig vom Verhältnis der kinetischen zur potenziellen Energie expandiert ein Universum für immer, oder es fällt wieder in sich zusammen. Kurzum: Die Quantenmechanik ist die erfolgreiche Theorie des Allerkleinsten, die allgemeine Relativitätstheorie ist die erfolgreiche Theorie der großen Objekte bis hin zum Universum als Ganzem.

Nun lautet die Gretchenfrage der modernen Physik: Wie hängen diese beiden Theorien zusammen? Lassen sie sich zu einer Theorie von Allem vereinheitlichen? Die kürzlich in dieser Zeitschrift vorgestellte Loop-Quantengravitation ist ein Versuch, die allgemeine Relativitätstheorie auf mikroskopisch kleinen Längenskalen durch eine Quantentheorie der Gravitation zu ersetzen (siehe SuW 7/2011, S. 30). Daneben gibt es zahlreiche andere Theorieentwürfe mit dem großen Ziel, die vier heute bekannten Grundkräfte (Gravitation, schwache und starke Kernkraft, elektromagnetische Kraft) aus einer einzigen Urkraft abzuleiten, die sich durch die Ausbreitung und Abkühlung des frühen Universums in diese vier Kräfte aufgespalten haben soll.

Aber was wissen wir eigentlich vom Anfang des Universums - und lassen sich hierzu messbare Größen definieren? Können wir Experimente und Beobachtungen durchführen, mit denen sich die theoretischen Vorhersagen überprüfen ließen? Dazu gleich mehr - zuerst stellen wir die Grundsatzfrage der Wissenschaftstheorie: Was kann man mit Hilfe der Physik überhaupt wissen - oder: Wie arbeitet eigentlich die Physik als Wissenschaft?


Physik - die Lehre von der Natur

Physik ist die quantitative Lehre von den natürlichen Phänomenen: Anhand von Messungen und Beobachtungen versucht sie, Zählbares über die Natur herauszufinden. Sie zählt die Teilchen, welche die Materie aufbauen, sie zählt Planeten, Sterne und Galaxien, und sie zählt die Kräfte, welche die natürlichen Prozesse auslösen und bestimmen.

Die Theorien und Hypothesen der Physik unterscheiden sich von allgemeinen Spekulationen durch eine wichtige Eigenschaft: Jede Hypothese muss zumindest im Prinzip anhand von Beobachtungen und Experimenten überprüfbar sein. In einem ständigen Wechselspiel von Hypothesenbildung und Experiment, Messung und Beobachtung ist die Physik einem kontinuierlichen Überprüfungsverfahren unterworfen. Jedes Experiment geht aus einer Theorie hervor; Anlass einer jeden realistischen Theorie sind beobachtete Phänomene und Experimente.

Eine besondere Verpflichtung zur Überprüfung unserer physikalischen Vorstellungen besteht an den Grenzen der erkennbaren materiellen Welt. Auf diese Grenzen stoßen wir in der Kosmologie und beim Aufbau der Materie. Was war der Anfang des Kosmos, und was sind die nicht mehr weiter teilbaren Grundbausteine der Materie? Auch die Frage nach dem Ursprung der Grundkräfte, die sowohl die Entwicklung des ganzen Universums als auch den Aufbau und die Entstehung aller Materie erklären, fällt in diesen Grenzbereich. Seit 50 Jahren versuchen die Physiker, die Bereiche des Allergrößten (das Universum) und des Allerkleinsten (die Elementarteilchen) in einem großen Theoriegebäude zusammenzufassen - der Theorie vom heißen Urknall.


Der heiße Urknall

Seit rund 80 Jahren verdichten sich die Hinweise aus den Beobachtungen, dass unser Universum in einem Entwicklungsprozess entstanden ist und sich auch heute noch weiterentwickelt. Es expandiert und kühlt sich dabei ab. Im expandierenden Kosmos haben sich die Galaxien, Sterne und Planeten durch die Wirkung der Gravitation gebildet. Den tatsächlichen Anfang der Expansion enthält dieses Modell nicht, gedanklich lässt sich der Prozess jedoch nachvollziehen: Wenn der Kosmos expandiert, dann war er früher kleiner, und ganz am Anfang müsste er logischerweise so klein wie ein Elementarteilchen gewesen sein. Folglich sollte sich das ganz junge Universum mittels der Theorien von den Grundbausteinen der Materie beschreiben lassen. Je kleiner das Universum war, umso höher war seine Temperatur; deshalb spricht man vom heißen Urknall, dessen Eigenschaften sich mit Hilfe der experimentellen Kern- und Teilchenphysik untersuchen lassen.

Im ursprünglichen Urknallmodell aus dem Jahre 1948 hat der Kosmos einen heißen Anfang genommen. Daraus wurde sogleich geschlossen, dass die leichten Elemente während der ersten drei Minuten entstanden seien. Ein Kosmos, der am Anfang so heiß gewesen wäre, dass freie Atomkerne wie im Inneren von Sternen miteinander verschmolzen wären, sollte die ersten leichten Elemente Wasserstoff und Helium im Verhältnis 3:1 erbrütet haben. Die Erzeugung weiterer Elemente wäre nicht mehr möglich gewesen, weil sich das Universum durch die Expansion inzwischen zu weit abgekühlt hätte, um eine Synthese schwererer Kerne zu erlauben. Diese Vorhersage wurde durch Beobachtungen vollauf bestätigt.

Eine zweite Vorhersage des heißen Urknallmodells beschrieb die ursprünglich heiße kosmische Hintergrundstrahlung, welche das gesamte Universum fast völlig gleichmäßig durchsetzen sollte. In einem expandierenden und sich dabei auch abkühlenden Kosmos sollte heute eine Temperatur von knapp drei Kelvin herrschen - das Spektrum der entsprechenden Wärmestrahlung sollte dem Spektrum eines schwarzen Körpers dieser Temperatur entsprechen. Auch diese Vorhersage wurde mit hoher Präzision bestätigt.

Die Anwendung der Kern- und Teilchenphysik sowie der Thermodynamik auf die Bedingungen des frühen Kosmos ergab also ein Modell, dessen Vorhersagen sich alle empirisch bestätigten. Damit war die Schnittstelle von Kosmologie und Teilchenphysik gefunden. In den folgenden 50 Jahren hatte praktisch jede neue Erkenntnis der Teilchenphysik zugleich auch eine Relevanz für die frühen Phasen des Kosmos. Vor allem die im Labor gewonnene Bestätigung, dass sich die beiden fundamentalen Grundkräfte der elektromagnetischen und der schwachen Kraft zu einer gemeinsamen Kraft, nämlich der elektroschwachen Kraft vereinigen ließen, öffnete das Tor zu den ganz frühen, nicht mehr direkt beobachtbaren Phasen des Universums. Die beiden Kräfte können sich erst bei einer Temperatur von mehr als 1015 Kelvin (oder bei einem Abstand von weniger als 2·10-18 Metern) zu einer Kraft vereinigen; eine solche Temperatur muss also damals geherrscht haben, als das Universum erst eine Nanosekunde alt war.

Heute sucht man nach der Vereinigung der starken Kraft, welche die Atomkerne zusammenhält, mit der elektroschwachen Kraft - damit käme man dem Anfang des Universums zeitlich noch einmal um einen Faktor 1000 näher. Entsprechende Experimente werden am Large Hadron Collider (LHC) in Genf durchgeführt. So verschafft uns die Erforschung der Struktur der Materie immer tiefere Einblicke in den Anfang des Universums.

Die Vereinigung der vierten Grundkraft, der Gravitation, mit den drei anderen entzieht sich dem Experiment bisher völlig. Gelänge auch dieser Nachweis, dann wäre, nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung, die Grenze des physikalisch zugänglichen Anfangs des Universums erreicht. Alle Theorien, die einen solchen Zusammenschluss bewerkstelligen wollen, verwenden als Grundbausteine der Welt zwei Größen, welche die Struktur der Raumzeit ausmachen - die Planck-Länge und die Planck-Zeit. Das bedeutet: Für die großen Theorien der vereinigten Fundamentalkräfte muss die Raumzeit in Paketform vorliegen; man spricht hier auch von der Körnung der Raumzeit.

Die zentrale Frage lautet nun: Lassen sich diese elementaren Pakete der quantisierten Raumzeit an den Grenzen der physikalisch erfahrbaren Welt experimentell nachweisen?


Die Welt des Allerkleinsten

Der Urknall stellt den physikalischen Anfang des Universums dar. Anfänge definieren Grenzen, sie unterscheiden eindeutig das Danach und Davor. Was war vor dem Urknall? Was war seine Ursache? Diese Fragen quälen uns schon lange - schon Aristoteles beschreibt in seiner »Metaphysik« dieses Problem der Logik. Kann man sich eine Ursache vorstellen, die selbst keine Ursache hat? Muss als Ursache des Urknalls ein höheres Wesen, ein Schöpfer tätig gewesen sein, oder müssen wir uns den Kosmos als eine zufällige Schwankung vorstellen? Und was genau soll da geschwankt haben?

Die moderne Physik bietet hier eine einfache Antwort: Relativitätstheorie und Quantentheorie, zwei durch zahllose Experimente bestätigte Theorien, setzen unserer Erkenntnis Grenzen: Die grundsätzlichen physikalischen Modelle definieren nicht überschreitbare Schranken des empirischen Erfahrungshorizonts.

Andererseits stellt das Urknallmodell zwei unverzichtbare Bedingungen: Am Anfang muss das Universum sehr klein und sehr heiß gewesen sein. Räumliche Kleinheit ist eine wichtige Eigenschaft quantenmechanischer Systeme, und hohe Temperaturen entsprechen hohen Geschwindigkeiten der Teilchen - das Maximum ist die Lichtgeschwindigkeit. Also sollte sich der Anfang des Universums durch eine Theorie beschreiben lassen, die aus der Vereinigung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie hervorgeht. Leider liegt eine solche Theorie noch in weiter Ferne.

Aber wir können die Eigenschaften der kleinsten physikalisch sinnvollen kausalen Strukturen angeben - die Eigenschaften der Planck-Welt. Bereits 1899 definierte Max Planck ein universelles System von Einheiten, das nur aus Kombinationen der Gravitationskonstanten G, der Lichtgeschwindigkeit c und des von Planck selbst eingeführten Wirkungsquantums h besteht. Das folgende Zitat aus seiner Publikation »Über irreversible Strahlungsprozesse« vermittelt einen Eindruck von dem Stellenwert, den Planck diesen Einheiten einräumte: »Diese Einheiten werden ihre Bedeutung für alle Zeiten und für alle, auch außerirdische und außermenschliche, Kulturen nothwendig behalten und können daher als natürliche Maßeinheiten bezeichnet werden.«

Erst später, als Relativitätstheorie und Quantenmechanik zu den wichtigsten Theorien der modernen Naturwissenschaften entwickelt waren, erkannte man die tiefere Bedeutung dieser »Spielerei mit Naturkonstanten«. Eine Zusammenschau der grundsätzlichen Begriffe beider Theorien liefert die gleichen Ergebnisse wie Plancks Dimensionsanalyse, die wir hier nun erläutern wollen.

Die Relativitätstheorie kennt den Begriff des Ereignishorizonts. Alles, was hinter ihm verborgen ist, hat keinerlei kausale Verbindung mit dem Geschehen diesseits des Horizonts. Für einen Körper der Masse M ist der Ereignishorizont eine wohldefinierte Größe, gegeben durch den so genannten Schwarzschildradius Rs=2GM/c². Hierbei ist c die Lichtgeschwindigkeit und G die Gravitationskostante. Der Schwarzschildradius der Sonne beträgt drei Kilometer. Angesichts ihres heutigen Radius von 700.000 Kilometern wird klar, wie dramatisch die Verdichtung der Materie sein muss, damit ein Stern bis zu seinem Ereignishorizont schrumpft. Verantwortlich für einen solchen Kollaps ist die Gravitation als einzige Kraft, die nur anziehend wirkt. Wenn ihr keine Druckkräfte entgegenwirken, kollabiert ein Stern unter seinem eigenen Gewicht. Dieser Prozess ist beobachtbar, bis der Stern seinen Ereignishorizont unterschreitet. Die meisten Sterne erreichen dieses Stadium nicht, sondern werden zuvor durch Druckkräfte stabilisiert.

Nur sehr massereiche Sterne von einigen zehn Sonnenmassen beenden ihr Dasein in einem Gravitationskollaps. Übrig bleibt ein Schwarzes Loch, von dem keinerlei Information mehr in die Umgebung gelangt. Alles, was sich innerhalb eines Schwarzen Lochs abspielt, ist grundsätzlich unbeobachtbar - über den Ereignishorizont hinaus dringt keine Information nach außen.

Während sich diese eine Grenze der empirischen Forschung aus der Relativitätstheorie ergibt, wird eine andere durch die Quantenmechanik definiert. Diese Theorie beschreibt das Verhalten von Licht und Materie im atomaren und subatomaren Bereich. Hier werden alle physikalischen Größen ihrer Eindeutigkeit beraubt und durch statistische Funktionen ersetzt, die eine Bandbreite von der Größenordnung des planckschen Wirkungsquantums aufweisen.

Zum Beispiel wird der Aufenthaltsort eines Teilchens mit definiertem Impuls in der Quantenmechanik durch eine Wellenfunktion seiner Aufenthaltswahrscheinlichkeit ersetzt. Eine Wellenfunktion ist wie ihr analoges Gegenstück, die Welle, nicht punktförmig, sondern ausgedehnt. Das bedeutet: In der Quantenmechanik sind Ort und Impuls eines Teilchens komplementäre Eigenschaften, die nicht gleichzeitig genau bestimmt werden können. Man kann nicht gleichzeitig beide Seiten einer Medaille betrachten. Formal drückt sich die Komplementarität in der Unbestimmtheitsrelation aus, die 1927 von Werner Heisenberg aufgestellt wurde. In Verbindung mit dem Schwarzschildradius liefert sie uns die fundamentalen Größen der Planck-Welt (siehe Kasten).


Schwarzschildradius, Unbestimmtheitsrelation und die Größen der Planck-Welt

Die Unbestimmtheitsrelation besagt, dass für zwei komplementäre Eigenschaften eines Teilchens folgende Ungleichung gilt:


wobei die beiden Ausdrücke auf der linken Seite die Unbestimmtheit von Ort und Impuls und h das plancksche Wirkungsquantum bezeichnen. Der Ort von irgendetwas kann also nur bis auf


bekannt sein. Der maximale Impuls p = m c entspricht der kleinsten Länge


Diese Grenze ist prinzipieller Natur. Kommt ihr die Ortsbestimmung eines Teilchen zu nahe, gilt also


wird sein Impuls unbestimmt. Kann hingegen der Impuls sehr genau bestimmt werden, bleibt der Ort unbestimmt.
Nun können wir die beiden Grenzen empirischer Erkenntnis, Schwarzschildradius Rs = 2G m/c² und kleinste Länge x = h/(2π m c), gleichsetzen und erhalten so die Planck-Masse:


Sie entspricht der Masse eines Staubkorns. Wir setzen diese Masse in die Unschärfelänge oder den Schwarzschildradius ein und erhalten als die kleinste physikalisch sinnvolle Länge die Planck-Länge:


Sie gibt die kleinste Ausdehnung eines physikalischen Systems an, von dem man überhaupt noch irgendeine Information im Sinne einer Beziehung von Ursache und Wirkung erhalten kann. Entsprechend lässt sich eine kleinste physikalisch noch sinnvolle Zeiteinheit definieren - die Planck-Zeit:


Neben den drei Grundgrößen Masse, Länge und Zeit werden auch folgende abgeleitete Größen verwendet:


Diese Werte charakterisieren die elementaren Einheiten, die mit Relativitätstheorie und Quantenmechanik gerade noch vereinbar sind. Die Planck-Welt ist die kleinste kausale Struktur, in der Lichtgeschwindigkeit, Gravitationskonstante und plancksches Wirkungsquantum wohl definierte Naturkonstanten darstellen.


Wie weit die Planck-Welt selbst von den exotischsten Formen der uns bekannten Materie entfernt ist, veranschaulicht schon die Tatsache, dass die Planck-Länge etwa 1020-mal so klein ist wie der Durchmesser des Protons und damit weit jenseits einer direkten experimentellen Zugänglichkeit liegt. Wollte man die Planck-Welt mit einem Teilchenbeschleuniger untersuchen, so müsste die Wellenlänge der Strahlung oder der Teilchen (die so genannte De-Broglie-Wellenlänge) mit der Planck-Länge vergleichbar sein - ihre Energie entspräche etwa der Planck-Energie von 1019 Gigaelektronvolt. Die dieser Energie über E = m·c² zugeordnete Masse ist mehr als 1016-mal so groß wie die Masse des Top-Quarks, des schwersten bekannten Elementarteilchens.

Damit ist die kleinste kausal sinnvolle Raum- und Zeiteinheit definiert. Die Planck-Welt gibt für alle relevanten physikalischen Begriffe die Grenzen an, sowohl für das Allerkleinste als auch für die höchste erreichbare Energie (beziehungsweise Temperatur) und Dichte.

Die Planck-Größen definieren die Grenzen der messbaren physikalischen Wirklichkeit. Die Planck-Welt ist das zentrale Verbindungsstück zwischen der Physik der Materie und dem Anfang des Kosmos. Wie kann man diese Grenzen der physikalisch erkennbaren Wirklichkeit mittels Beobachtungen ausloten? Schließlich ist sie ja das allerkleinste Allerkleinste.


Astronomie im Schnellkurs

Beginnen wir mit unserer Suche nach Überprüfungsmöglichkeiten doch einfach bei den reinen, nackten Zahlen. Die Körnung von Raum und Zeit in Einheiten der Planck-Länge und Planck-Zeit vollzieht sich in den kleinsten kausal möglichen Portionen. Entsprechend klein sind die möglichen Effekte der Raumzeitkörnung pro Planck-Zelle. Direkt messbar ist da gar nichts.

Aber welche indirekten Möglichkeiten bieten sich an? Die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen und hochenergetischer Teilchen wird durch die Körnigkeit der Raumzeit beeinflusst. Zusammen mit der Winzigkeit der zu erwartenden einzelnen Abweichungen und Effekte ergibt sich die Forderung nach langen Lichtwegen, am besten nach einer Ausbreitung über kosmische Entfernungen.

Die Untersuchung des Ursprungs elektromagnetischer Wellen und ihrer Ausbreitung über große Distanzen ist das Kerngeschäft der Astronomie. Einerseits die Physik der Strahlungsquelle zu identifizieren und andererseits eventuelle Beeinflussungen der Ausbreitung der Strahlung durch die kosmische Raumzeit zu bestimmen, ist Aufgabe aller astronomischen Beobachtungen.

Folglich gehen alle empirischen Tests der Körnung der Raumzeit in Planck-Längen und Planck-Zeiten folgendermaßen vor: Entlang möglichst langer Sichtlinien werden mittels astronomischer Messungen die Ausbreitungseigenschaften elektromagnetischer Strahlung oder hochenergetischer Teilchen untersucht und mit Vorhersagen verglichen, die sich aus den theoretischen Modellen der Struktur der Raumzeit ergeben.


Licht als Sonde der Raumzeit

Wie aber prägt die Raumzeit den Abbildern ferner Sterne und Galaxien ihre Signatur auf? Tatsächlich beeinflusst die Struktur der Raumzeit die Geschwindigkeit des Lichts. Dieses Phänomen ist keinesfalls exotisch oder unbekannt, sondern geschieht alltäglich um uns herum - es folgt aus der Tatsache, dass sich Licht in Materie langsamer ausbreitet als im Vakuum und in Luft schneller als zum Beispiel in Wasser; dies wird durch das Brechungsgesetz beschrieben (siehe Kasten unten).


Die Brechung des Lichts

Trifft Licht exakt senkrecht auf ein ebenes Medium, so pflanzt es sich in diesem in der ursprünglichen Richtung fort. Bei jedem anderen Einfallswinkel wird es gebrochen - es ändert seine Richtung. Ein Strohhalm im Wasserglas erscheint durch die langsamere Ausbreitung des Lichts im Wasser geknickt.

Zeichnen wir die ebenen Fronten der Lichtwellen bis zur Wasseroberfläche auf, so schneiden die einzelnen Ebenen verschiedene Punkte der Grenzfläche, nennen wir sie P1, P2 ... Man denke sich die Ebenen gleichen Abstands als Zeitpunkte, zu denen die Wellenfront gerade so weit gekommen ist. Im Wasser ist das Licht langsamer - hier schafft die Wellenfront in derselben Zeit eine kleinere Strecke. Um die neuen Wellenfronten im Wasser zu konstruieren, zeichnen wir nun also Kreise mit einem geringeren Radius und dessen Vielfachen als dem Abstand der einfallenden Ebenen von den Schnittpunkten P1, P2 und so weiter.

Die Kreise markieren die Punkte, die das Licht in einem oder mehreren Zeitschritten erreichen kann. Diese Kreise tangieren also mögliche neue Wellenfronten im Wasser, deren Senkrechte einen größeren Winkel zur Grenzfläche bildet - so wird die Ausbreitung des Lichts durch das Huygens-Prinzip beschrieben. Fassen wir diese Konstruktion in mathematische Formeln, so erhalten wir das Brechungsgesetz. Es verknüpft den Einfallswinkel eines Lichtstrahls an der Grenzfläche zweier Medien mit dem Ausfallswinkel. In dieses Gesetz gehen die Brechzahlen oder Brechungsindizes der beiden Medien - hier Luft und Wasser - ein. Sie beschreiben das Verhältnis zwischen der im Vakuum und der im jeweiligen Medium gemessenen Lichtgeschwindigkeit.

(Grafik der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.)


Die Brechzahl oder der Brechungsindex wird von der Struktur des Mediums bestimmt. Das einfallende Licht wird zwar nicht von dem Medium absorbiert, aber es tritt mit ihm in Wechselwirkung. Dies erklärt die langsamere Ausbreitung des Lichts. Aber was ist das für ein Medium, durch welches sich das Licht fortbewegt, bis es unsere Teleskope erreicht? Die Beobachtungen zeigen, dass das Universum weitgehend leer ist. Seine mittlere Dichte beträgt ein Wasserstoffatom pro Kubikmeter. Zum Vergleich: Auf Meereshöhe enthält ein Kubikmeter irdischer Luft 1026 Atome und Moleküle.

Das Licht der Sterne und Galaxien breitet sich also nahezu im Vakuum aus. Abgesehen von dichten Gas- und Staubwolken, beeinflussen die materiellen Bausteine des Universums die Ausbreitung des Lichts nicht, aber das Licht bewegt sich durch die Raumzeit. Sie ist das Medium, dessen Brechungsindex darüber entscheidet, wie schnell sich Licht ausbreitet, denn, wie sich herausstellt, kann die Struktur der Raumzeit die Lichtgeschwindigkeit positiv oder negativ beeinflussen, das Licht also schneller oder langsamer laufen lassen.

Allerdings ist der erwartete Einfluss des Brechungsindex im Vakuum wesentlich geringer als in einem Medium wie Glas oder Luft. Betrachten wir die Laufzeit von Sternlicht, so ist diese Differenz allein auch nicht von Nutzen, denn wir wissen nicht genau, wann das Licht seine Reise begonnen hat und wie weit es seitdem gekommen ist. Folglich können wir den Brechungsindex auch nicht bestimmen.

Zum Glück hängt der Brechungsindex aber nicht nur von den Eigenschaften des Mediums ab, sondern auch von der Farbe oder Wellenlänge des Lichts. Auch diesen Effekt hat jeder von uns in Form des Regenbogens vor Augen. In der Regel gilt: Je kürzer die Wellenlänge, desto stärker die Brechung.

Generell ist die Lichtbrechung nur der Vorbote einer großen Schar weiterer Effekte, die bei immer kürzeren Wellenlängen eintreten. Das liegt daran, dass die Wellenlänge des Lichts mit der Ausdehnung der Bestandteile des durchschienenen Mediums vergleichbar wird. Bildlich gesprochen: Man kann mit einem Traktor unbehelligt über einen Acker fahren, weil die Reifen des Traktors einen größeren Radius haben als dessen durchschnittliche Unebenheiten. Mit einem Kinderwagen geht dies nicht ohne Holpern und Stolpern, da die wesentlich kleineren Räder (physikalisch gesprochen) stärker mit den Schlaglöchern wechselwirken.

Dieser Zusammenhang lässt sich direkt auf die Ausbreitung des Lichts übertragen. Sie wird umso stärker beeinflusst, je mehr seine Wellenlänge den Abständen der Atome und Moleküle im Medium entspricht. Demnach wäre es für eine physikalische Untersuchung der Planck-Welt am besten, sie im Licht einer Wellenlänge zu betrachten, die der Planck-Länge selbst entspricht. Dies ist aber aus dem folgenden Grund nicht möglich.

Für elektromagnetische Wellen gibt es einen einfachen Zusammenhang zwischen Wellenlänge und Frequenz: Ihr Produkt ergibt die Lichtgeschwindigkeit. Die der Planck-Welt entsprechende Frequenz wäre also die Lichtgeschwindigkeit geteilt durch die Planck-Länge. Man erhält: 1045 Hertz. Nun gilt auch, dass die Energie gleich dem Produkt aus dem planckschem Wirkungsquantum und der Frequenz ist. Demnach entspricht die Frequenz von 1045 Hertz einer Energie von 1028 Elektronvolt. Diese Planck-Energie lässt sich wiederum in eine Temperatur von 1032 Kelvin umrechnen. Solche Energien werden aber niemals zur Verfügung stehen - uns fehlt damit das geeignete »Mikroskop«, mit dem wir die Planck-Länge direkt anschauen könnten.


Frequenzabhängige Lichtgeschwindigkeit?

Ist also der direkte Blick versperrt, so können wir es mit der Messung von Differenzen versuchen. An einem Beispiel sei dieses Verfahren erläutert. Betrachten wir einen Kristall, so sind seine Atome zunächst unsichtbar, weil die elektromagnetische Strahlung, die wir im Mikroskop empfangen, eine größere Wellenlänge hat als die Abstände der Atome im Kristall. Während die Abstände der Atome in einem typischen Kristallgitter einige Nanometer, also milliardstel Meter, betragen, ist die Wellenlänge des sichtbaren Lichts etwa hundert Mal so groß. Aber hin zu kleineren Wellenlängen werden diese beiden Längenskalen vergleichbar, und das Licht tritt stärker mit dem Kristall in Wechselwirkung.

Diese wellenlängenabhängige Stärke der Wechselwirkung führt dazu, dass elektromagnetische Strahlung unterschiedlicher Wellenlänge sich unterschiedlich schnell durch das Medium bewegt. Mit anderen Worten, der Brechungsindex des Mediums ändert sich mit der Wellenlänge der es durchdringenden elektromagnetischen Strahlung.

Fürs Erste genügt uns, dass die Brechung von der Wellenlänge des verwendeten Lichts abhängig ist und mit kleinerer Wellenlänge in der Regel zunimmt und somit dem Spektrum entfernter Quellen eine Signatur aufprägt, die messbar sein sollte.

Den Messungen liegt also die folgende Vorstellung zu Grunde. Wenn sich durch die Körnung der Raumzeit die Brechzahlen zweier Wellenlängen des von derselben in kosmologischer Entfernung befindlichen Quelle emittierten Lichts auch noch so geringfügig unterscheiden, summiert sich über so große Distanzen der kleinste Unterschied in der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Lichtstrahlen zu Laufzeitdifferenzen im dreistelligen Sekundenbereich auf.

Wir kennen das von der Autobahn: Wer vom Nordkap bis nach Kapstadt unterwegs ist, der nutzt jede Gelegenheit, den vorausfahrenden Lastwagen zu überholen, denn über diese Strecke summiert sich die Geschwindigkeitsdifferenz zu immensen Zeitvorteilen auf.

Kurzum, es gilt, eine astronomische Quelle zu finden, deren Licht eine Marathonstrecke durch das Universum zurückgelegt hat. Je weiter die Quelle von uns entfernt liegt und je kurzwelliger die spektrale Zusammensetzung ihrer Strahlung ist, desto besser. Zwar ist die Reichweite des Elektromagnetismus unendlich, aber die Intensität der Strahlung fällt mit dem Quadrat der Entfernung ab. Darum sollte die Quelle möglichst hell sein, um auf der Erde noch ein deutliches Signal zu liefern und von anderen Quellen gut unterscheidbar zu sein. Und schließlich ist zu bedenken, dass wir zwei möglichst weit voneinander entfernte Spektralbereiche auf Laufzeitunterschiede untersuchen möchten.

Die Quelle sollte also ihre Helligkeit innerhalb möglichst kurzer Zeit in beiden Wellenlängenbereichen ändern. Nur dann können wir eine etwaige Verzögerung durch die Raumzeitkörnung bestimmen (siehe Bild). »In kurzer Zeit« bedeutet Millisekunden bis einige Sekunden, anderenfalls übersteigt die natürliche Dauer des Strahlungsausbruchs die erwartete Verzögerung durch die Raumzeit, und eine für den Strahlungsmechanismus normale Verzögerung könnte man dann nicht von dem gesuchten Effekt unterscheiden. Dies ist eine extrem kurze Zeitskala für die erwartete Größe eines so stark strahlenden Objekts, wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit das Licht selbst und damit auch die schnellste Ursache-Wirkungs-Beziehung eine Strecke von nur etwa 0,2 Sonnendurchmessern zurücklegt.


Gammastrahlenblitze

Gammastrahlenblitze haben exakt die zur Sondierung der Raumzeit erforderlichen Eigenschaften. Sie sind deshalb so kurzlebig und so hochgradig variabel, weil sie mit der Entstehung eines kompakten Objekts (eines Schwarzen Lochs) assoziiert sind. Ihre Helligkeit variiert im geforderten Millisekunden- bis Sekundenbereich, und als die hellsten bekannten Strahlungsquellen kann man sie noch bei den höchsten Rotverschiebungen gut von anderen Objekten unterscheiden. Die Ausbrüche der Gammablitze beginnen im Gammabereich, das heißt bei sehr hohen Frequenzen, und durchlaufen das elektromagnetische Spektrum zu tieferen Frequenzen hin. Es folgt ein »Nachglühen« im optischen Bereich, und schließlich leuchten die Quellen im Radiobereich auf, bevor sie ganz abklingen (siehe SuW 4/2011, S. 44-52).

Inzwischen konnten zahlreiche Gammastrahlenblitze beobachtet und für die Messung einer möglichen frequenzabhängigen Laufzeitverzögerung verwendet werden. Ein Eintreffen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ließ sich mit hoher Genauigkeit ausschließen. Der Einfluss der Raumzeitkörnung auf die Lichtausbreitung war also nicht festzustellen; sie steuert zum wellenlängenabhängigen Brechungsindex offenbar einen bei weitem geringeren systematischen Beitrag des Vakuums als erwartet bei.


Das Quantenrauschen

Die Grenzlinie, an welcher der innere Aufbau der Raumzeit wichtig wird, haben wir bereits mit der Planck-Skala ausgelotet. Aber wie können wir uns den Übergang zu einer unsteten Struktur vorstellen - zu einer finalen, kleinsten Ursache-WirkungsEinheit, die uns einen Blick auf noch winzigere Längen verwehrt?

Antworten lassen sich in der Natur finden, durch Beobachtung von Messgrößen und wie sie sich gegenseitig bedingen. Ursache und Wirkung sind spezifische Verhalten von Messgrößen, Abhängigkeiten des Verhaltens einer Messgröße von ihrer Vergangenheit. Hier wird offensichtlich, was passiert, wenn keine Abhängigkeit mehr vorhanden ist, Ursache und Wirkung nicht zu trennen sind: Der Zufall löst die Abhängigkeit auf. In den Messdaten äußert sich dieser Zufall als Rauschen.

Durch unvorhergesehene oder schwer abschirmbare Störungen tritt Rauschen bei Messungen jeder Art auf. Aber im Fall der Raumzeitkörnung handelt es sich um Quantenrauschen. Es wird nicht durch schlechte Apparaturen oder externe Störungen hervorgerufen, vielmehr ist es dem beobachteten Prozess inhärent und wirkt sich unvermeidlich aus. Fachleute sprechen von Raumzeitfluktuationen.

Die in der Raumzeit beschriebenen Objekte erleiden dieselben Fluktuationen wie die Raumzeit selbst. Dies gilt auch für alle Maßstäbe, mit denen wir kürzeste Zeiten und Entfernungen messen wollten: Sie sind wie die Raumzeit, in der sie existieren, statistischen Schwankungen unterworfen, die eine genaue Bestimmung kleinerer Strecken und Zeiten als der Planck-Länge und der Planck-Zeit verhindern - sie werden unscharf (siehe das Bild auf S. 43).

Mit Impuls und Energie oder Geschwindigkeit und Masse der Teilchen verhält es sich ebenso. Damit werden auch deren mögliche Wechselwirkungen miteinander verändert. Ohne Raumzeitfluktuationen betrachtet, verbieten Impuls- und Energieerhaltungssatz eine Vielzahl an Reaktionen oder verlangen Mindestenergien der beteiligten Teilchen. So dürfen die durch eine Teilchenkollision erzeugten Teilchen nicht mehr Masse besitzen, als die kollidierenden Teilchen in Form von Masse und Bewegungsenergie eingebracht haben.

Zum Beispiel kollidieren schnelle Protonen mit den Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung und erzeugen neue Teilchen, die Pionen. Diese Reaktion ist erst ab einer Bewegungsenergie von 5,6·1019 Elektronvolt pro Proton möglich, bei geringeren Energien ist sie durch Energie- und Impulserhaltungssatz verboten. Man spricht von der Greisen-Zatsepin-Kuzmin-oder GZK-Grenze. Diese Energie entspricht der Bewegungsenergie eines laufenden Kleinkinds, vereint auf ein einziges Proton. Im derzeit größten Beschleuniger erreichen Protonen erst die Bewegungsenergie einer Fliege!

Eröffnen die negativen Ergebnisse zur körnigen Raumzeit einen neuen Zugang zur vereinheitlichten Theorie?

Durch die Wechselwirkung mit dem kosmischen Mikrowellenhintergrund und die damit einhergehende Produktion von Pionen werden mit zunehmender Länge ihrer Reise durch das Universum immer mehr Protonen höherer Energie der kosmischen Strahlung abgebremst, ihre Energieverteilung zeigt bei der GZK-Grenze einen immer deutlicheren Knick (siehe Bild links oben). Bei hinreichend großer Entfernung der Quellen können keine Protonen oberhalb der GZK-Grenze die Erde erreichen.

Wenn aber die vorhergesagten Raumzeitfluktuationen tatsächlich existieren, schwanken Impuls und Energie der Protonen ebenso wie diejenigen der stoßenden Photonen. Folglich könnten schon Protonen mit wesentlich geringeren mittleren Energien als 1020 Elektronvolt die Reaktion mit den Photonen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds eingehen, da die scheinbare Energie der Reaktionspartner im Moment der Kollision ausreicht, die Reaktion auszuführen. Die Reaktionsgrenze wäre um etwa vier Größenordnungen auf bis zu 1015 Elektronvolt herabgesetzt. Demzufolge würde auf langen Strecken das kosmische Hochenergiespektrum nicht erst bei der GZK-Grenze von knapp 1020 Elektronvolt, sondern schon bei deutlich geringeren Energien ausklingen.

Diese immer noch immensen Energien waren experimentell lange Zeit nicht nachzuweisen. Inzwischen wurde die Messung durch Observatorien auf der Erde möglich, die diese ultrahochenergetische kosmische Strahlung (Ultra High Energy Cosmic Rays, kurz UHECRs) indirekt nachweisen. Sie vermessen den Schauer von Sekundärteilchen, den der Aufprall der hochenergetischen Partikel auf die Erdatmosphäre verursacht, und können so die Ausgangsenergie der UHECRs bestimmen. Eine solche Anlage ist das nach Pierre Auger benannte Observatorium in der argentinischen Pampa (siehe Bild links unten). Inzwischen wurde hier im Energiespektrum der hochenergetischen Protonen die GZK-Grenze gefunden, und zwar genau bei der ursprünglich ohne Berücksichtigung des Quantenrauschens vorhergesagten Energie von 5,6·1019 Elektronvolt.

Auch diese Daten liefern also keinen Hinweis auf Raumzeitfluktuationen. Zwei mögliche Erklärungen bieten sich dafür an: Entweder es existieren schlichtweg keine Raumzeitfluktuationen, oder die beobachteten Quellen der hochenergetischen Strahlung stehen zu nah an der Erde, um in ihrem Energiespektrum Auswirkungen der Raumzeitkörnung zu tragen. Zwar sind sie weit genug entfernt, dass die Pionenproduktion die Protonen oberhalb der GZK-Grenze reduziert hat (schließlich wurde die GZK-Grenze in den experimentellen Daten nachgewiesen), aber die Quelle müsste so nah sein, dass die Wirkung der Raumzeitfluktuationen noch nicht signifikant zum Tragen gekommen ist und sich im Messfehler der Bestimmung der Abrisskante versteckt.

Die untersuchten Quellen sind aber weit genug entfernt, um diesen Fall auszuschließen: Das durch Raumzeitfluktuationen eventuell noch verursachte Rauschen wäre um Größenordnungen schwächer, als die verschiedenen Modelle es vorhersagen. Die vorliegenden Daten schließen Raumzeitfluktuationen nicht gänzlich aus, da auch die Quellpositionen der UHECRs und deren Originalspektren das beobachtete Spektrum beeinflussen und die Quellen noch nicht genau identifiziert sind. Es wurde aber kein Hinweis auf die Existenz der Fluktuationen gefunden.

Neben astrophysikalischen Experimenten wird auch in der Teilchenphysik und Interferometrie versucht, die Raumzeitkörnung nachzuweisen. Die aktuellen Experimente sind grundsätzlich in der Lage, Fluktuationen in der erwarteten Größenordnung der Planck-Skala festzustellen, aber auch hier gab es noch keinen Erfolg. Wir müssen also ernsthaft damit rechnen, dass die Raumzeitfluktuationen auf der Planck-Skala nicht existieren.

Die Beobachtungen der kommenden Jahre werden tiefe Einblicke in die Natur bieten, gerade dann, wenn die Raumzeitkörnung unentdeckt bleibt. Die heute bereits möglichen Experimente stellen die Grundlagen von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie auf den Prüfstand. Weitere Beobachtungen, zusammen mit dem Versuch, beide Theorien zu vereinen, könnten einen Weg zu einer neuen, vereinheitlichten Theorie von Raum, Zeit und den vier Grundkräften eröffnen. Wieder einmal könnten uns Experimente den Weg weisen, und die Flaute auf den Feldern der Raumzeit könnte frischen Wind in die Gedankengebäude der theoretischen Physik bringen.


Maximilian Imgrund studiert theoretische und mathematische Physik an der Ludwig-Maximilian-Universität in München.

Harald Lesch unterrichtet theoretische Astrophysik an der Ludwig-Maximilian-Universität in München.


Literaturhinweise

Giesel, K.: Loop-Quantengravitation. In: Sterne und Weltraum 7/2011, S. 30-41

Gorbahn, M., Raffelt, G.: Spurensuche in der Welt der Quanten. In: Sterne und Weltraum 10/2010, S. 46-57

Hörandel, J.R.: Astronomie mit geladenen Teilchen - das Pierre-Auger-Observatorium. In: Sterne und Weltraum 1/2008, S. 28-35

Hofmann, W., von Eldik, C.: Gamma-Astronomie, ein neues Fenster zum Kosmos. In: Sterne und Weltraum 3/2009, S. 38-47

Janka, T., Klose, S., Röpke, F.: Supernovae und kosmische Gammablitze, Teil 2. In: Sterne und Weltraum 4/2011, S. 44-52

Niemeyer, J., Schwarz, D. J.: Inflation - der Auftakt zum Urknall. In: Sterne und Weltraum 1/2011, S. 46-56

Nussbaumer, H.: Achtzig Jahre Urknall. In: Sterne und Weltraum 5/2011, S.46-50

Planck, M.: Über irreversible Strahlungsprozesse. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 5, 1899, S. 479

Weitere Literatur und Weblinks zum Thema:
www.astronomie-heute/artikel/1126868


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 37:
Nach heutigem Verständnis erfordert die physikalische Beschreibung des Urknalls eine Vereinigung der Quantentheorie und der allgemeinen Relativitätstheorie. Die Forscher erwarten, dass nach dieser zukünftigen Theorie die Raumzeit aus kleinsten, nicht weiter teilbaren »Körnern« besteht. Zwar sollte der Nachweis dieser körnigen Raumzeit bereits mit den heutigen experimentellen Mitteln gelingen, aber er ist bisher - trotz diverser Versuche - ausgeblieben.

Abb. S. 38:
Der experimentelle Nachweis der Vereinigung von elektromagnetischer und schwacher Kraft gelang erstmals 1983. Die hier gezeigten Messungen am Teilchenbeschleuniger DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) in Hamburg zeigen das Zusammenlaufen der Kräfte bei Teilchenabständen kleiner als 2·10-18 Meter. Nach der Vereinheitlichung mit der starken Kraft wird heute am Large Hadron Collider des CERN in Genf gesucht.

Abb. S. 39:
Max Planck und Albert Einstein, die Väter der Theorien des Allerkleinsten und des Allergrößten: Im heißen Urknall müssen beide zusammenkommen.

Abb. S. 42:
Gammastrahlenausbrüche entstehen beim Kollaps massereicher Objekte. Sie sind kurzzeitig variabel und noch in größten Entfernungen bei allen Frequenzen des elektromagnetischen Spektrums zu beobachten. Wenn wir annehmen, dass markante Schwankungen der Lichtkurve die Quelle bei unterschiedlichen Frequenzen gleichzeitig verlassen, dann führt eine möglicherweise vorhandene Frequenzabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit zu nachweisbar unterschiedlichen Ankunftszeiten dieser Schwankungen am Ort der Erde.

Abb. S. 43:
Raumzeitfluktuationen würden sich über lange Distanzen ähnlich auswirken wie der Nebel in diesem Bild: Eine starke Körnung der Raumzeit würde weit entfernte Objekte unscharf erscheinen lassen. Deren Helligkeit bliebe aber nahezu unbeeinflusst.

Abb. S. 44 oben:
Auf ihrer Reise zur Erde werden die Protonen der kosmischen Teilchenstrahlung mit Energien oberhalb der GZK-Schwelle bei knapp 1020 Elektronvolt auf Grund ihrer Wechselwirkung mit Photonen des Mikrowellenhintergrunds abgebremst und sollten bei hinreichend großer Entfernung der Quellen die Erde nicht mehr erreichen. Falls die Raumzeit gekörnt ist, sollte sich der so erzeugte Knick in der Energieverteilung mit zunehmender Weglänge der Protonen nach immer geringeren Energien hin verschieben. Aber die GZK-Schwelle wurde tatsächlich bei etwa 5,6·1019 Elektronvolt gefunden.

Abb. S. 44 unten:
Das Pierre-Auger-Observatorium fängt in seinen Detektoren nicht direkt die kosmische Strahlung auf, sondern die in der Erdatmosphäre entstehende Sekundärstrahlung aus Teilchen und Photonen. Daraus lassen sich Flugrichtung und Energie der Primärteilchen rekonstruieren.


© 2011 Maximilian Imgrund und Harald Lesch, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 12/11 - Dezember 2011, Seite 36 - 45
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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Internet: www.astronomie-heute.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2011