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FORSCHUNG/1290: Der Weg zu besseren Trafos (idw)


Paul Scherrer Institut (PSI) - 07.09.2016

Der Weg zu besseren Trafos

von Jan Berndorff


Dank einer hochmodernen Untersuchungsmethode ist es Forschenden gelungen, in Transformatoren hineinzuschauen und die magnetischen Domänen im Inneren des Trafo-Eisenkerns bei der Arbeit zu beobachten. Transformatoren, kurz Trafos, sind unerlässlich für die Stromversorgung von Industrie und Haushalten. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Untersuchungsmethode sich gewinnbringend zur Entwicklung effizienterer Trafos einsetzen lässt. Über ihre Ergebnisse berichten die Forschenden in zwei Studien der neuesten Ausgabe des Fachjournals Physical Review Applied.


Transformatoren sind ein unverzichtbares Element unserer Stromversorgung: In Umspannwerken erhöhen sie die Spannung, sodass der Strom sich per Hochspannungsleitung und dadurch mit geringerem Verlust über weite Strecken transportieren lässt. Am anderen Ende der Hochspannungsleitungen setzen Trafos die Spannung wieder herab, sodass der Strom schliesslich mit 230 Volt aus der heimischen Steckdose kommt.

Dabei gibt es auch bei den modernen Trafos durchaus noch Optimierungspotenzial. Diesem Problem haben sich Christian Grünzweig, Neutronenforscher am Paul Scherrer Institut PSI, und seine Mitarbeitenden in zwei neuen Studien gewidmet. Dabei haben sie eine hochmoderne Untersuchungsmethode erprobt und gezeigt, wie sich damit während des Trafobetriebs die winzigen magnetischen Strukturen in dessen Inneren abbilden lassen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen helfen beim Verständnis heutiger Trafos und bei der Entwicklung zukünftiger, effizienterer Varianten.


Auf flexible Wände kommt es an

"Der ringförmige, magnetische Eisenkern im Trafo ist ein zentrales Element, das für die Erhöhung oder die Senkung der Spannung sorgt", erklärt Grünzweig. Eine wesentliche Rolle spielen hierbei die darin verborgenen winzigen magnetischen Domänen. Innerhalb jeder Domäne ist die magnetische Ausrichtung einheitlich. Die Grenzen zwischen den Domänen nennen Fachleute Domänenwände. Wird der Eisenkern magnetisiert, bedeutet dies auf mikroskopischer Ebene, dass alle Domänen gleich ausgerichtet werden. Anders gesagt: Die Domänenwände verschwinden.

"Der entscheidende Faktor für effiziente Trafos ist die Mobilität der Domänenwände", sagt Benedikt Betz, Hauptautor der beiden Studien und Doktorand in Grünzweigs Team. Denn durch unsere Stromleitungen fliesst Wechselstrom mit einer Frequenz von 50 Hertz. Das heisst, dass der Eisenkern des Trafos 100 Mal pro Sekunde ummagnetisiert wird - magnetischer Süd- wird zu Nordpol und umgekehrt. Die Domänen werden also hin- und hergeworfen. Je flexibler sie sind, desto besser.


Mit PSI-Technologie lassen sich Trafos durchleuchten

Wie sich die Domänenwände genau verhalten, liess sich mit den bisher etablierten Methoden nur indirekt beobachten. Die Neutronen-Gitterinterferometrie, die Christian Grünzweig vor zehn Jahren im Rahmen seiner Doktorarbeit am PSI entwickelt hat, ermöglicht nun erstmals den direkten Blick auf die Domänenwände. "Die Domänen kann man sich vorstellen wie Grundstücke, die durch Zäune voneinander abgegrenzt sind", sagt Grünzweig. "Was wir nun mit der Neutronen-Gitterinterferometrie sehen können, sind die Zäune, also die Domänenwände, nicht die Grundstücke." Auf den Bildern der Forschenden zeigen sich die Domänenwände als schwarze Striche.

Nun hat Grünzweigs Team in einer Studie unter Federführung von Benedikt Betz untersucht, was passiert, wenn man an einen Trafo Gleichstrom anlegt und diesen einmal hoch- und wieder herunterfährt. Mit steigender Stromstärke verschwanden die schwarzen Striche; der Eisenkern wurde durchgehend magnetisiert. Erst in diesem Zustand überträgt der Eisenkern die Spannung effektiv. Reduzierten die Forschenden den Strom wieder, erschienen auch die Striche und somit die Domänenwände wieder. So lieferte diese erste Studie die Grundlagen für weitere Untersuchungen.

In einer zweiten Studie legten die Forschenden dann wie in der Realität Wechselstrom an und variierten Stromstärke und Frequenz. Wie sich zeigte, gab es bestimmte Schwellen sowohl der Stromstärke als auch der Wechselstromfrequenz, ab der die Domänenwände verschwanden oder zu erstarren schienen.


Zielgerichtet zu effizienteren Trafos

"Mit diesen Einblicken sorgen wir jetzt nicht unmittelbar für bessere Transformatoren", räumt Christian Grünzweig ein. "Aber wir bieten der Wissenschaft und Industrie eine neue Methode an." Und zwar zur rechten Zeit, denn seit vergangenem Jahr ist die Energieindustrie angehalten, im Zuge der EU-Ökodesign-Richtlinie - die auch von der Schweiz übernommen wurde - ihre Transformatoren energetisch zu verbessern. Bislang funktioniert die Weiterentwicklung von Trafos eher nach der Devise Versuch und Irrtum: Warum ein neuer Trafo besser funktioniert als ein alter, ist im Detail gar nicht klar. Mit genauerer Kenntnis der magnetischen Vorgänge im Eisenkern können Hersteller von Transformatoren nun zielgerichteter ihre Produkte optimieren.

Das Potenzial für Verbesserungen ist enorm, da die grossen Verteilertrafos laut Hochrechnungen EU-weit pro Jahr rund 38 Terawattstunden Energie verlieren - das ist mehr als die Hälfte der Menge, die die Schweiz im Jahr produziert. Schon eine Effizienzsteigerung der Trafos um wenige Prozent könnte also die Produktionsmenge mehrerer Kraftwerke einsparen.


Hintergrund 1: Transformatoren

Trafos kommen sowohl in Umspannwerken zum Einsatz als auch bei der Stromversorgung von Haushaltsgeräten. Ein klassischer Trafo besteht aus einem quadratischen Ring aus Eisen, bei dem zwei Seiten mit Kupferdraht umwickelt sind. Die eine Wicklung - die Feldspule - nimmt die Eingangsspannung des Stroms auf, produziert ein Magnetfeld und magnetisiert so den Eisenkern. Die zweite Wicklung - die Induktionsspule - greift diese Spannung wieder ab. Je nachdem wie unterschiedlich dicht die beiden Spulen gewickelt sind, verändert sich dabei die Spannung: Hat die Induktionsspule zum Beispiel zehnmal weniger Windungen als die Feldspule, so reduziert sich die Spannung entsprechend, beispielsweise von 230 auf 23 Volt. Analog kann man die Spannung durch eine dichter gewundene Induktionsspule auch erhöhen.

Das Problem: Bei dieser Umwandlung geht stets Energie verloren. Selbst als Laie bemerkt man dies daran, dass der Trafo von so manchem Haushaltsgerät brummt oder warm wird. Für die Gesamtstromversorgung viel erheblicher sind aber die Verluste an den riesigen Transformatoren der Umspannwerke. Diese Grosstransformatoren haben die Forschenden des PSI im Blick.


Hintergrund 2: Untersuchungsmethode Neutronen-Gitterinterferometrie

Das Neutronen-Gitterinterferometer des PSI, das es inzwischen ähnlich auch an anderen Forschungsinstituten gibt, durchleuchtet Objekte mit Neutronenstrahlen. Die Neutronen schiessen dabei durch den Eisenkern wie Licht durch Wasser. Von den Domänenwänden allerdings werden sie abgelenkt wie das Licht beim Übergang zwischen Luft und Wasser (dadurch erscheint etwa ein Strohhalm, den man ins Wasser hält, als wäre er geknickt). Zwar beträgt die Ablenkung der Neutronenstrahlen nur etwa ein tausendstel Grad, doch das Interferometer kann dies sehen: Die Domänenwände zeigen sich auf den Bildern, die das Interferometer erzeugt, in Form schwarzer Striche.

Vor der Entwicklung der Neutronen-Gitterinterferometrie mussten Forschende bei der Untersuchung von Trafomagneten auf die sogenannte Kerr-Mikroskopie zurückgreifen. Damit lässt sich die Magnetisierungsrichtung an der Oberfläche eines Eisenkerns abbilden und daraus über bestimmte Modelle auf die Domänen im Inneren schliessen. Dazu muss man allerdings zuvor die Isolationsschicht des Eisenkerns entfernen. Allerdings besteht ein solcher Kern nicht aus einem Block Eisen, sondern aus vielen hauchdünnen Blechen, die jeweils mit einer solchen elektrisch isolierenden Schicht aus Magnesiumsilikat ummantelt zu dem Eisenkern gestapelt sind. "So vermeidet man Energieverluste aufgrund von Wirbelströmen innerhalb des Kerns", erläutert PSI-Mitarbeiter Benedikt Betz. Allerdings konnten die PSI-Forscher nachweisen, dass sich ein Kern, dessen Isolierung man zuvor entfernt, anders verhält als einer der Art, wie man sie letztlich in der Industrie verwendet. Das liegt daran, dass die Deckschicht noch einen weiteren Zweck hat: Sie bringt mechanische Zugspannung in das Blech, welche die Domänenstruktur verbessert. Sprich: Wer die Deckschicht entfernt, verändert auch das Domänenmuster. Demnach kann die Kerr-Mikroskopie kein originales Bild der tatsächlichen Vorgänge liefern.


Originalveröffentlichungen

Magnetization Response of the Bulk and Supplementary Magnetic Domain Structure in High-Permeability Steel Laminations Visualized In Situ by Neutron Dark-Field Imaging
B. Betz, P. Rauscher, R.P. Harti, R. Schäfer, A. Irastorza-Landa, H. Van Swygenhoven, A. Kaestner, J. Hovind, E. Pomjakushina, E. Lehmann, and C. Grünzweig
Phys. Rev. Applied 6, 024023 - Published 30 August 2016
DOI: http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevApplied.6.024023

Frequency-Induced Bulk Magnetic Domain-Wall Freezing Visualized by Neutron Dark-Field Imaging
B. Betz, P. Rauscher, R. P. Harti, R. Schäfer, H. Van Swygenhoven, A. Kaestner, J. Hovind, E. Lehmann, and C. Grünzweig
Phys. Rev. Applied 6, 024024 - Published 30 August 2016
DOI: http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevApplied.6.024024


Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2000 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 370 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

Weitere Informationen unter:
https://youtu.be/OvQqDqUeVlQ
- Video: Domänenwände im Eisenkern eines Transformators

http://psi.ch/GBg1
- Darstellung der Mitteilung auf der Webseite des PSI

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution695

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Paul Scherrer Institut (PSI), Dagmar Baroke, 07.09.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2016

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