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FORSCHUNG/451: Wie die Teilchen entstanden (FTE info)


FTE info - Sonderausgabe EIROforum - Februar 2007
Magazin über europäische Forschung

Wie die Teilchen entstanden


Teilchen entstanden zu einem für die Physiker ziemlich unbequemen Zeitpunkt, an dem im Universum dermaßen große Energien wirkten, dass man nicht weiß, wie diese zu beschreiben sind. Und dennoch lässt sich die Entstehung der Grundbausteine der Materie und Energie erklären. Wie? Rolf Landua, Physiker am CERN klärt auf.


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Unter welchen Umständen sind die Elementarteilchen entstanden? Ihre Entstehung geht auf einen Zeitpunkt zurück, an dem das Universum kleiner als ein Stecknadelkopf war. Da noch keine Teilchen vorhanden waren, war es also leer. Leer? Wie kann denn in einem leeren Raum etwas passieren? Ganz einfach, weil für die Physiker die "Leere" nicht die Abwesenheit von allem bedeutet, wie sie normalerweise definiert wird.

"Das Vakuum ist die komplizierteste Struktur in der Physik", erklärt Rolf Landua, Physiker am CERN. In der Natur gibt es nämlich das vollkommene Vakuum gar nicht. Ebenso wie eine Gerade nie vollkommen gerade ist (es handelt sich hierbei lediglich um eine mathematische Definition ohne physikalische Realität), ist die Energie an jedem Punkt im Raum nie ganz genau gleich Null. Genauso wie man eine Fläche, die mit Weizen bedeckt ist, Weizenfeld nennt, spricht man hier von einem Energiefeld. "Das Vakuum wird von verschiedenen Feldarten ausgefüllt, wie z.B. von elektromagnetischen Feldern. Ihre Energie ist nie genau gleich Null, sondern variiert ununterbrochen in der Zeit. Es ist ein bisschen wie bei einem Hyperaktivitätssyndrom." (1)


Von der Energie zur Masse

Wie erhält man nun aus diesen Feldern Teilchen? "Die spezielle Relativitätstheorie besagt, dass die Energie auch Masse ist. Genau das bedeutet die berühmte Einsteinsche Formel E=mc². Energie kann also in Teilchen umgewandelt werden und Teilchen in Energie." Nun glauben die Physiker aber, dass das Vakuum bei der Entstehung des Universums mit unbekannten Energien gefüllt war. Auf diese Weise entstanden durch die Energiefluktuationen im Vakuum spontan Teilchen-Antiteilchenpaare. Diese Dualität war unbedingt notwendig, da ein Antiteilchen eine dem Teilchen entgegengesetzte Ladung besitzt. Die Summe der elektrischen Ladungen der Teilchen, die aus dem Vakuum stammen, bleibt immer gleich Null und entspricht damit dem Gesetz zur Erhaltung der elektrischen Ladung, wie es in der Natur zu beobachten ist.

Dieser erste Prozess war nach sehr kurzer Zeit beendet - die Physiker wissen noch nicht genau warum. Die Teilchenpaare, die in diesem kurzen Moment der Energiefluktuationen im Vakuum entstanden, waren selber sehr energiereich. Durch zahlreiche Prozesse bildeten sich daraus neue Teilchengenerationen. Die Teilchen und Antiteilchen vernichteten sich gegenseitig, wodurch Energieschauer entstanden, die sich wiederum in andere Teilchen umwandelten. In diesem einzigartigen Billardspiel zwischen Materie und Antimaterie wurden die schwereren Teilchen zerstört und es bildeten sich leichtere und stabilere Teilchen. Sie stießen mit enormen Geschwindigkeiten zusammen, wodurch wieder andere Teilchen entstanden, die schwer oder leicht waren.

Gleich nach dem Urknall, d.h. nach 10-35 Sekunden - einem für uns nicht wahrnehmbaren Zeitmaßstab - begann das Universum mit seiner Expansion. Hierdurch wurden Energie und Materie im immer größer werdenden Raum verteilt und verdünnt, wie Sirup in Wasser. Die Wahrscheinlichkeit, dass Teilchen zusammenstießen, wurde immer geringer. Falls es dennoch geschah, wurden ihre Energien immer schwächer und immer leichtere Teilchen entstanden.


Physikalische Altertumsforschung

Nach einer Millionstelsekunde war das Universum von der Materie gefüllt, die wir heute beobachten. Die schwereren Teilchen sind zerstört. Was zuvor passiert ist, lässt sich nur in Beschleunigern untersuchen, in denen Teilchen mit sehr hoher Energie zusammenstoßen. "Teilchenphysiker sind ein bisschen wie Archäologen. Sie versuchen, die nach dem Urknall herrschenden Energiestufen nachzubilden, um die heute nicht mehr vorhandenen massiven Teilchen zu rekonstruieren, wie andere Spezialisten versuchen, die Dinosaurier wieder zu finden." Zu ihnen gehören auch die geheimnisvollen supersymmetrischen Teilchen, deren leichteste Vertreter die dunkle Materie im Universum bilden könnten (siehe nächster Artikel).

Auf diese Weise wären also die Teilchen im Universum aus dem Nichts aufgetaucht wie Gespenster. "Diese Erklärung hinterlässt den Eindruck, dass die Physiker ein Problem gegen ein anderes ausgetauscht hätten: Um den Ursprung der Teilchen zu erklären, berufen sie sich auf die Energie des Vakuums. Woher aber kommt nun diese Energie? Das ist ein weiteres großes Rätsel der modernen Physik..."


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Rolf Landua bei einer von EIROforum und EFDA veranstalteten Videokonferenz über die Kernfusion. Diese Veranstaltung für Studenten fand 2006 im Deutschen Museum in München statt.

(1) Alle Zitate stammen aus Artikeln zum CERN von Rolf Landua.


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Quelle:
FTE info - Sonderausgabe EIROforum, Februar 2007, Seite 7
Magazin über europäische Forschung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2007