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FORSCHUNG/576: Der Stoff aus dem der Kosmos ist (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 4/2008

Welt der Quanten
Der Stoff aus dem der Kosmos ist

Von Thomas Bührke


Die Natur vermeidet vollkommene Symmetrie. Wäre dies nicht der Fall, so gäbe es im Universum keine Materie, sondern ausschließlich Strahlung. Seit einem halben Jahrhundert suchen Physiker nach der Ursache dieser kleinen, für uns Menschen aber existenziellen Abweichung von der Vollkommenheit - drei Nobelpreise hat es für Teilerfolge bereits gegeben, den letzten 2008. Am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik gehen Michael Schmelling und Alban Kellerbauer diesem Phänomen nach, indem sie Eigenschaften von Materie- und Antimaterieteilchen studieren.


Als der Philosoph René Descartes über die Existenz des Menschen nachdachte, kam er zu dem Ergebnis: "Ich denke, also bin ich." Physiker grübeln seit Jahrzehnten darüber nach, warum überhaupt etwas existiert. Eine befriedigende Antwort steht noch aus, aber mit neuen Experimenten wollen sie dieser Frage in den kommenden Jahren auf den Grund gehen.

Ursache dieser im wahrsten Sinne des Wortes existenziellen Frage ist das heutige quantenphysikalische Standardmodell der Elementarteilchen. Es besagt, dass es zu jedem Teilchen ein Antiteilchen gibt. Beide Partner besitzen weitgehend dieselben Eigenschaften, wie identische Massen, aber entgegengesetzte elektrische Ladung. So ist etwa das Antiproton genauso schwer wie das positiv geladene Proton, besitzt aber eine genau gleich große, jedoch negative elektrische Ladung - zumindest nach der heutigen Standardtheorie. Kommen beide in Kontakt, so zerstrahlen sie vollständig. Materie und Antimaterie werden dabei komplett in Energie umgewandelt. Aus der Vernichtung von einem Kilogramm Materie ließe sich rein rechnerisch ein Jahr lang der gesamte Energiebedarf einer Stadt mit einer Million Einwohnern decken.

Dieses selbstzerstörerische Verhalten muss bei der Entstehung des Universums eine entscheidende Rolle gespielt haben. In den ersten milliardstel Sekunden nach dem Urknall war das extrem heiße Universum erfüllt von Strahlung und Materie. Ständig vernichteten sich Teilchen-Antiteilchen-Partner gegenseitig. Und umgekehrt formten sich aus Strahlung solche Paare. Eigentlich hätte nach diesem Kampf genauso viel Materie wie Antimaterie existieren müssen. Eine Vielzahl von Beobachtungen haben die Astrophysiker aber davon überzeugt, dass es im beobachtbaren Teil des Universums keine Antimaterie gibt, die vom Urknall stammt.

Hieraus schließen die Forscher, dass in dieser frühen Phase des Universums ein winziges Ungleichgewicht geherrscht haben muss: Beim Zerstrahlen von jeweils mehreren Milliarden Materie-Antimaterie-Paaren muss ein Teilchen übrig geblieben sein. Das ist etwa so, als würden an einem Tag alle auf der Erde lebenden Männer und Frauen heiraten und dabei bliebe ein Mensch übrig. Diese Differenz erscheint sehr gering, lässt sich aber nicht mit einem rein zufälligen Überschuss erklären.

Im Large Hadron Collider (LHC) werden Protonen mit so hoher Energie aufeinandergeschossen, dass hierbei Zustände herrschen wie kurz nach dem Urknall. Ideale Bedingungen, um die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie zu untersuchen.

Abb.: Im Large Hadron Collider (LHC) werden Protonen mit so hoher Energie aufeinandergeschossen, dass hierbei Zustände herrschen wie kurz nach dem Urknall. Ideale Bedingungen, um die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie zu untersuchen.
Foto: Cern



Eine Symmetrie, die nicht perfekt ist

Dieser winzigen Abweichung von der perfekten Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie verdanken wir unsere Existenz. Warum die Natur offenbar die eine Materieart geringfügig bevorzugte, beschäftigt Michael Schmelling und Alban Kellerbauer vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg.

Schmelling begibt sich damit auf die Spur eines Experiments, das die amerikanischen Physiker James Cronin und Val Fitch im Jahr 1964 an einem Teilchenbeschleuniger des Brookhaven National Laboratory ausgeführt haben. Bei den darin stattfindenden Teilchenkollisionen entstanden unter anderem sogenannte neutrale K-Mesonen, die wie fast alle Elementarteilchen nach kurzer Zeit zerfallen.

Von den neutralen K-Mesonen gibt es zwei Arten, die sich vor allem in ihrer Lebensdauer unterscheiden. Beide stellen gebundene Zustände aus Quarks und Antiquarks dar. Die kurzlebige Art zerfällt jedoch bevorzugt in zwei Pionen, die etwas länger lebende in drei Pionen. Diese Zerfälle werden durch die schwache Kernkraft, eine der vier fundamentalen Wechselwirkungen, bestimmt.

In einer dieser fundamentalen Wechselwirkungen muss sich eine Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie manifestieren. Nach allem, was Teilchenphysiker heute wissen, kommt dafür nur die schwache Kernkraft infrage.

Wenn zwischen Teilchen und Antiteilchen perfekte Symmetrie herrschen würde, dann wären Zerfälle der langlebigen Teilchen in zwei Pionen absolut verboten. In der Sprache der Teilchenphysik: Die CP-Quantenzahl müsste erhalten bleiben. Doch zur Überraschung der Physiker war dies nicht der Fall. Cronin und Fitch stellten fest, dass ein kleiner Bruchteil der langlebigen K-Mesonen in zwei Pionen zerfällt. Die CP-Symmetrie ist also nicht exakt, und es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie.

"Das war damals geradezu ein Schock für die Physiker", sagt Schmelling. Doch sie erholten sich schnell davon und integrierten diese sogenannte CP-Verletzung in ihr Standardmodell der Elementarteilchen. Für diese Erweiterung erhielten Toshihide Maskawa, Makoto Kobayashi und Yoichiro Nambu jüngst den Physik-Nobelpreis. Cronin und Fitch wurden bereits 1978 mit ihm geehrt.

Drei Jahre nach dem denkwürdigen Experiment folgte der nächste Paukenschlag. Der berühmte russische Physiker Andrei Sacharow schlug in einer Veröffentlichung vor, dass diese Symmetriebrechung zwischen Materie und Antimaterie die Ursache für den Materieüberschuss im jungen Universum war. Nach Sacharows Theorie muss darüber hinaus weniger als eine milliardstel Sekunde nach dem Urknall das Universum durch einen Zustand thermischen Ungleichgewichts gegangen sein. "Man kann sich das vielleicht wie einen Phasenübergang vorstellen, ähnlich wie beim Gefrieren von Wasser zu Eis", erklärt Michael Schmelling. "Dabei wurde die Asymmetrie gewissermaßen eingefroren und die Übermacht der Materie im Universum festgeschrieben." War damit diese fundamentale Frage endgültig beantwortet?

Nein! Wie Theoretiker bald herausfanden, ist die gemessene Asymmetrie bei den Zerfällen der K-Mesonen viel zu klein. "Sie müsste eine Milliarde mal größer sein, um die Überzahl der Materie über die Antimaterie zu erklären", sagt Schmelling. Dennoch sind viele Physiker davon überzeugt, dass sich des Rätsels Lösung in der CP-Verletzung verbirgt.

Die Theorie sagt voraus, dass der Grad der Asymmetrie von der Teilchensorte abhängt. Besonders interessant erscheinen in diesem Zusammenhang Verwandte der K-Mesonen, die B-Mesonen. Hier erwartet man sehr viel größere Zerfallsasymmetrien als bei den K-Mesonen. Aus diesem Grunde studieren Physiker den Zerfall dieser Teilchen bereits seit Jahren an zwei Beschleunigern in den USA und Japan. Das Problem dabei: B-Mesonen sind viel schwerer als K-Mesonen. Ihre Erzeugung in Teilchenkollisionen erfordert deshalb erheblich mehr Energie und nur ein kleiner Bruchteil aller möglichen Zerfälle ist zur Messung der CP-Verletzung geeignet. Das Feld ist daher noch lange nicht abgegrast.

Unter Reinraumbedingungen wurden am MPI für Kernphysik wichtige Teile des Detektors LHCb gebaut. Foto: MPI für Kernphysik

Abb.: Unter Reinraumbedingungen wurden am MPI für Kernphysik wichtige Teile des Detektors LHCb gebaut.
Foto: MPI für Kernphysik



Neue Teilchen - geboren aus Feuerbällen

Hier kommt der neue Superbeschleuniger des europäischen Teilchenlabors CERN ins Spiel, der Large Hadron Collider (LHC). In dem 27 Kilometer langen Ringbeschleuniger werden Protonen mit extrem hoher Energie aufeinandergeschossen. In den dabei entstehenden "Feuerbällen" bilden sich neue Teilchen, darunter auch die begehrten B-Mesonen.

Die erwartete Produktionsrate des LHC ist für Michael Schmelling und seine Kollegen ein Traum: "Dort entstehen in jeder Sekunde einige tausend Mal mehr B-Mesonen als in derselben Zeit an den anderen Beschleunigern." Schmellings Gruppe gehört zu einer rund 600 Physiker umfassenden internationalen Kollaboration, die einen der vier großen Detektoren gebaut hat: den LHCb. Obwohl die Erzeugungsrate dieser Teilchen sehr hoch sein wird, erwartet die Forscher eine schwere Aufgabe: Die B-Mesonen werden nicht isoliert erzeugt, sondern zusammen mit einigen Dutzend weiteren Teilchen. Unter jeweils etwa zehntausend Zerfällen eines B-Mesons findet sich dann im Mittel nur ein Zerfall, der für die spätere Analyse interessant ist.

Gleichzeitig müssen die Forscher gegen einen Untergrund von etwa zehn Millionen Proton-Proton-Kollisionen pro Sekunde kämpfen, der sie gar nicht interessiert, da hier zwar jede Menge Teilchen erzeugt werden, aber kein einziges B-Meson. Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Selbstverständlich waren Schmelling und seine Mitarbeiter auch enttäuscht, als der Beschleuniger wegen eines technischen Defekts kurz nach dem Start wieder abgeschaltet werden musste. Erst im kommenden Frühjahr kann der bis auf wenige Grad über den absoluten Nullpunkt gekühlte LHC erneut anlaufen. "Wir hätten schon beim Anfahren sehr viele Messdaten sammeln können", sagt der Heidelberger Max-Planck-Physiker. Denn genauso wie bei einem kleinen Laborexperiment müssen die Forscher auch mit dem riesigen und komplexen LHCb ihre Erfahrungen sammeln. Auch hier wird es Detektorbereiche mit Stärken und Schwächen geben. "Das müssen wir bei der Datenauswertung berücksichtigen."

Mit einer Länge von 20 Metern und einem Durchmesser von zehn Metern hat der LHCb die Ausmaße eines dreistöckigen Wohnhauses. In dem Gesamtgewicht von 4500 Tonnen verbergen sich mehrere unterschiedliche Detektoren. Sie haben die Aufgabe, die Eigenschaften der bei den Teilchenkollisionen entstehenden Fragmente zu messen: Impuls, Ladung und Masse sind die bestimmenden Größen. Schmellings Gruppe hat vor zehn Jahren damit begonnen, Silizium-Streifendetektoren und dazu passende Auslesechips für das LHCb-Experiment zu entwickeln.

Mit Computern lassen sich die für die Forscher interessanten Teilchenkollisionen im Voraus simulieren. Foto: MPI für Kernphysik

Abb.: Mit Computern lassen sich die für die Forscher interessanten Teilchenkollisionen im Voraus simulieren.
Foto: MPI für Kernphysik



Siliziumdetektoren mit elf Quadratmetern

Das Labormuster eines Siliziumdetektors besitzt auf einer Fläche entsprechend derjenigen von etwa vier Zigarettenschachteln 384 Streifen und drei Auslesechips. Es vermittelt nur einen schwachen Eindruck von dem im LHCb eingebauten Gesamtsystem. Dort belegt es eine gesamte aktive Fläche von ungefähr elf Quadratmetern und hat mehr als 272.000 Auslesekanäle. Bei einem Streifenabstand von 0,18 Millimetern lässt sich damit der Durchgang eines geladenen Teilchens in 16 Detektorlagen mit einer Genauigkeit von 0,05 Millimeter rekonstruieren.

Bei der Entwicklung der rund 30 Quadratmillimeter großen Auslesechips stießen die Wissenschaftler auf eine Vielzahl von Problemen. Jeder Chip beherbergt 128 extrem empfindliche Vorverstärker, mit denen die schwachen Signale eines Silizium-Streifenzählers innerhalb von 25 milliardstel Sekunden ausgelesen werden können. Innerhalb weniger millionstel Sekunden entscheidet eine unabhängige Logik, ob die Signale zu einer potenziell interessanten Proton-Proton-Kollision gehören. Falls ja, dann wird die Information weitergeleitet. Zudem müssen die Chips die intensive Strahlung beim LHC über lange Zeit aushalten. "Jede normale Elektronik wäre schon nach wenigen Stunden kaputt", sagt Schmelling.

Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten der Heidelberger Gruppe wurden zu etwa gleichen Teilen von erfahrenen Postdocs und Studenten getragen - mit vier Doktorarbeiten, die im Lauf der vergangenen Jahre schon erfolgreich abgeschlossen wurden, und dreien, die derzeit noch andauern.

Wenn der LHC im Frühjahr wieder anläuft, wollen die Heidelberger Physiker die Ernte ihrer zehn Jahre langen Arbeit einfahren. Dann werden sie mit eigens entwickelten Computerprogrammen die Daten nach interessanten Zerfällen der B- und Anti-B-Mesonen durchforsten und die Asymmetrie mit höchstmöglicher Präzision vermessen. Am aufregendsten wäre es, wenn sie dabei auf Abweichungen von der theoretischen Vorhersage stoßen würden.

Das wäre ein deutlicher Hinweis auf eine "neue Physik", also etwa auf die Existenz noch unbekannter Elementarteilchen, die den Zerfall der Mesonen beeinflussen und die möglicherweise im jungen Universum der Materie zum Sieg über die Antimaterie verholfen haben. Der LHC eröffnet den Physikern ganz neue Möglichkeiten, und die Erwartungen an ihn sind sehr hoch. "Wir hoffen, dass wir irgendwann alle Prozesse so gut verstehen, dass wir die Frage beantworten können, warum es im Universum Materie gibt", sagt Michael Schmelling.

Mit den Experimenten am LHCb-Detektor werden die Physiker also Zerfälle beobachten, bei denen eine Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie bekannt ist. Einen anderen, radikaleren Ansatz verfolgt Schmellings Institutskollege Alban Kellerbauer. Er fragt sich, ob Teilchen und Antiteilchen nicht vielleicht doch leicht unterschiedliche Eigenschaften besitzen. So besagt das heutige Standardmodell, dass beispielsweise Protonen und Antiprotonen genau dieselbe Masse und eine genau gleich große, entgegengesetzte Ladung besitzen. Aber ist das wirklich so? Und wenn nicht, wie könnten sich geringe Unterschiede messen lassen?

Die zylindrische Penning-Falle, in der Antiteilchen gespeichert werden. Illustration: Christoph Schneider / Foto: MPI für Kernphysik

Abb.: Die zylindrische Penning-Falle, in der Antiteilchen gespeichert werden.
Illustration: Christoph Schneider / Foto: MPI für Kernphysik


Seit etwa zehn Jahren versuchen Physiker, Antiwasserstoffatome herzustellen und mit den Eigenschaften von Wasserstoffatomen zu vergleichen - eine extrem schwierige Aufgabe. Die Bausteine der Antiatome, Antiprotonen und Antielektronen (Positronen) lassen sich zwar relativ leicht herstellen, aber sie zu einem Atom zu verbinden ist äußerst heikel.

Dieses Ziel erscheint jedoch sehr vielversprechend, denn kaum ein quantenphysikalischer Wert ist so genau vermessen wie ein bestimmter Übergang eines Elektrons im Wasserstoffatom. Den hat die Gruppe um den Physik-Nobelpreisträger Theodor Hänsch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik mit Lasern bis auf 14 Stellen hinter dem Komma genau bestimmt. Was liegt also näher, als denselben Übergang im Antiwasserstoffatom zu messen und mit Hänschs Wert zu vergleichen? So war die Laserspektroskopie von Antiwasserstoff das Ziel der zwei Forschergruppen Atrap und Athena am CERN. Alban Kellerbauer gehörte der Athena-Gruppe an und kennt die Widrigkeiten dieser Experimente nur zu genau.

Zunächst wurden Antiprotonen in einem Beschleuniger erzeugt. Da diese sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegten, wurden sie zunächst in einem Teilchenverzögerer (eigentlich ein umgekehrt gepolter Beschleuniger) abgebremst und anschließend durch eine Metallfolie geschossen, wobei sich ihre Energie noch einmal auf ein Tausendstel verringerte. Nun waren die Antiprotonen langsam genug, um sie in eine sogenannte Penning-Falle einzuleiten. Das ist ein Metallgefäß, in dessen Innern eine Kombination aus einem elektrischen und einem magnetischen Feld die Antiprotonen gefangen hält.

Gleichzeitig wurden Positronen in diese Falle eingeschleust, die beim Zerfall von radioaktivem Natrium-22 entstanden waren. Eine geschickte Form des elektrischen Feldes ermöglichte es, diese winzigen Wölkchen aus Antiprotonen und Positronen gefangen zu halten und zu überlagern. Dabei verbanden sich die Teilchen zu Antiwasserstoffatomen.

In einem Wasserstoff-Atom (ganz links) umkreist ein Elektron den aus einem Proton bestehenden Kern. Im Antiwasserstoff (links) sind die Ladungsverhältnisse genau umgekehrt: Ein Antielektron (Positron) umkreist das Antiproton. Illustration: Christoph Schneider  / Foto: MPI für Kernphysik

Abb.: In einem Wasserstoff-Atom (ganz links) umkreist ein Elektron den aus einem Proton bestehenden Kern. Im Antiwasserstoff (links) sind die Ladungsverhältnisse genau umgekehrt: Ein Antielektron (Positron) umkreist das Antiproton.
Illustration: Christoph Schneider / Foto: MPI für Kernphysik


Dieses Kunststück gelang den beiden Gruppen am CERN im Jahre 2002 zum ersten Mal. In den folgenden zwei Jahren produzierten sie zusammen mehrere Millionen Antiwasserstoffatome, doch das hochgesteckte Ziel der Laseruntersuchung wurde nicht erreicht. Der Grund: Die elektrischen Felder in der Penning-Falle können nur elektrisch geladene Teilchen gefangen halten. Sobald sich aber ein Antiwasserstoffatom gebildet hat, ist dieses neutral und spürt das Feld nicht mehr. Es schießt aus der Falle heraus und zerstrahlt schon nach Sekundenbruchteilen im Gehäusematerial.

Ganz hoffnungslos ist die Lage aber nicht. Man kann nämlich zusätzlich eine Falle aus inhomogenen Magnetfeldern aufbauen, welche die Antiwasserstoffatome halten können. Leider sind die aus der Penning-Falle kommenden Teilchen dafür zu schnell. "Man kann sich die Magnetfalle wie einen Topf vorstellen, in den man die Atome wie Bälle hineinwirft", erläutert Alban Kellerbauer die Technik. "Aber die Bälle sind so schnell, dass sie gleich wieder herausspringen." Da sich die Magnetfeldstärke nicht beliebig erhöhen lässt, stehen die Physiker hier derzeit vor einem echten Problem.

Die Athena- und Atrap-Gruppen entwickeln derzeit ihre Apparaturen weiter. Alban Kellerbauer ist jedoch sehr skeptisch, dass man in absehbarer Zeit wirklich Antiwasserstoff in ausreichender Menge für die Laserspektroskopie wird herstellen können. Er hat deswegen gemeinsam mit Kollegen von mehreren anderen europäischen Universitäten eine eigene Gruppe namens Aegis gebildet, mit der er eine ganz andere Fragestellung angehen will: Fällt Antimaterie im Schwerefeld der Erde genauso schnell wie Materie? Ein Grundpfeiler der heutigen Physik besagt, dass alle Körper unabhängig von ihrer Masse und ihrer chemischen Zusammensetzung gleich schnell fallen. Dies gilt nur für das Vakuum, wo keine Reibung die Bewegung beeinträchtigt. Für Antimaterie konnte dieses Grundgesetz aber noch nie getestet werden.

Mit Laserstrahlen werden Antiteilchen abgebremst, in Laborversuchen wird die Technik erprobt. Illustration: Christoph Schneider  / Foto: MPI für Kernphysik

Abb.: Mit Laserstrahlen werden Antiteilchen abgebremst, in Laborversuchen wird die Technik erprobt.
Illustration: Christoph Schneider / Foto: MPI für Kernphysik



Ende der Allgemeinen Relativitätstheorie?

Im Rahmen moderner Ansätze zu einer neuen Teilchenphysik wie der Stringtheorie erscheint es nicht ausgeschlossen, dass Materie und Antimaterie unterschiedlich schnell fallen. "Eine konkrete Vorhersage macht die String-Theorie jedoch nicht", sagt Kellerbauer. Sollte seine Gruppe einen solchen Unterschied nachweisen, so wäre das die Sensation. "Es wäre das Ende der Allgemeinen Relativitätstheorie", ergänzt Kellerbauer. Doch wie misst man den Fall von Antiwasserstoffatomen?

Anstatt die Antiatome einzufangen, werden sie nach ihrer Bildung parallel zur Erdoberfläche beschleunigt. Dieser Strahl fliegt dann über eine Distanz von etwa einem Meter und biegt dabei um wenige Mikrometer nach unten ab, bevor er auf einen Detektor trifft. Eine trickreiche Messapparatur, ein sogenanntes Interferometer, ermöglicht es, diese Falltiefe genau zu messen. Der so erhaltene experimentelle Wert wird dann mit dem erwarteten Wert verglichen. Landet der Antiwasserstoffstrahl etwas höher oder tiefer auf dem Detektor als erwartet, dann bedeutet dies, dass Antimaterie im Schwerefeld anders fällt als Materie.

Das Aegis-Projekt ist am CERN bereits durch das Wissenschaftskomitee positiv begutachtet worden. Nun hat auch das Research Board grünes Licht gegeben, und so kann Kellerbauers Gruppe die Apparatur aufbauen und in zwei bis drei Jahren mit den Messungen beginnen. Sollten die Forscher einen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie aufspüren, so würden sie damit das Tor zur "neuen Physik" ganz weit aufstoßen. Und sie wären der Frage, warum es heute im Universum Materie gibt, einen entscheidenden Schritt näher gekommen.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 4/2008, S. 20-25
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2009