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FORSCHUNG/914: Quanten schmelzen nicht (idw)


Technische Universität Wien - 06.09.2012

Quanten schmelzen nicht



An der TU Wien wird der Übergang von Quantensystemen in ein Temperatur-Gleichgewicht studiert. Dabei wurde zwischen Ordnung und Unordnung ein erstaunlich stabiler Zwischenzustand entdeckt. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal "Science" publiziert.

Das Streben ins thermische Gleichgewicht ist ein ganz alltäglicher Prozess: Ein Eiswürfel im heißen Wassertopf wird niemals stabil bleiben. Die Moleküle des flüssigen und des festen Wassers gleichen ihre Temperatur statistisch an, aus wohlgeordneten Eiskristallen wird ungeordnete Flüssigkeit.

Experimente am Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ) am Atominstitut der TU Wien zeigen nun, dass der Übergang in dieses Gleichgewicht in der Quantenphysik interessanter und komplizierter ist als bisher angenommen.

© TU Wien

Auf einem AtomChip (oben) werden ultrakalte Atomwolken (rot) erzeugt. Die Wolken überlagern sich, wodurch ein geordnetes Materiewellen-Interferenzbild entsteht (unten).
© TU Wien

Zwischen einem geordneten Anfangszustand und einem statistisch gemischten Endzustand kann ein Zwischenzustand [0]auftreten. Dieser Zwischenzustand existiert überraschend lange und zeigt bereits gewisse Eigenschaften des ungeordneten thermischen Gleichgewichtszustandes, doch die spezielle Ordnung des Anfangszustandes bleibt zumindest teilweise noch sichtbar.

Dieses sehr allgemeine Phänomen, das als "Prä-Thermalisierung" bezeichnet wird, könnte in sehr vielen nicht-gleichgewichts Prozessen, die durch Quantenfeldtheorien beschrieben werden, auftreten. Es könnte so zum Beispiel auch helfen, die Zustände im frühen Universum zu verstehen.


Ultrakalte Atom-Wolken

"Unsere Experimente beginnen mit einem Quantengas ultra-kalter Atome, einem sogenannten Bose-Einstein Kondensat, das wir dann mit Hilfe eines AtomChip in zwei Teile teilen", erklärt Prof. Jörg Schmiedmayer vom Atominstitut der TU Wien. Führt man diese beiden Teile wieder zusammen, überlagern sich die beiden Atom-Wolken und bilden ein geordnetes Materiewellen-Interferenz-Muster "Die Form dieses Interferenz-Musters zeigt, dass die beiden Atom-Wolken nach wie vor nicht ?vergessen? haben, dass sie ursprünglich aus ein und der selben Wolke hervorgegangen sind", sagt Jörg Schmiedmayer.


Neuartiger Zwischenzustand statt Temperatur-Gleichgewicht

Mit der Zeit streben die geteilten Atomwolken allerdings in ein thermisches Gleichgewicht und die Ordnung der Interferenz-Muster nimmt ab, je länger man wartet, die beiden Wolken wieder zu vereinen. "Das Erstaunliche daran ist, dass die Ordnung nicht unmittelbar auf ein Minimum zurückgeht. Sie fällt zunächst schnell ab, verweilt dann aber in einem Zwischenstadium - dem sogenannten Prä-thermalisierten Zustand", sagt Michael Gring vom Atominstitut der TU Wien.

Schon seit einigen Jahren arbeitet das Team am VCQ an diesen Experimenten. "Zunächst war nicht klar, wie wir dieses Phänomen interpretieren sollen - die Experimente mussten verbessert werden und die dazu passende Theorie war noch nicht ausreichend ausgearbeitet", erzählt Schmiedmayer. In einer enger Kooperation mit der Theorie-Gruppe von Prof. Eugene Demler an der Harvard University (USA) konnten die überraschenden Ergebnisse nun erklärt werden. "Die beobachtete Unordnung in dem Zwischenzustand hängt nicht von der Temperatur des Anfangszustands ab. Sie wird dem System bei der Aufteilung der Wolke in zwei Teil-Wolken aufgeprägt", erklärt Schmiedmayer.


Quanten im Ungleichgewicht

Der Übergang eines Quantensystems in ein thermisches Gleichgewicht ist in vielen Bereichen wichtig - schließlich kann man Quanten-Experimente niemals beim absoluten Temperatur-Nullpunkt durchführen und man hat somit immer mit den Auswirkungen der Temperatur zu kämpfen. Will man etwa in einem Quanten-Computer rechnen oder Daten speichern, erzeugt man zwangsläufig einen Ungleichgewichts-Zustand, der - ähnlich wie ein Eiswürfel im Heißwasserbad - in ein thermisches Gleichgewicht strebt und damit zerstört wird.

© TU Wien

Um die ultrakalten Atomwolken zu erzeugen, wird ein komplizierter optischer Aufbau benötigt.
© TU Wien


Mit Atom-Wolken zu einem besseren Verständnis des frühen Universums?

Interessant könnte der entdeckte Zwischenzustand auch für die Physik des Quark-Gluon-Plasmas sein. Sekundenbruchteile nach dem Urknall füllte dieser Materiezustand das gesamte Universum aus, heute werden Quark-Gluon-Plasmen künstlich in großen Teilchenbeschleunigern hergestellt. Bei diesen Experimenten fiel auf, dass gewisse Aspekte des Plasmas bereits früher im thermischen Gleichgewicht erschienen als das möglich sein sollte. Um dies zu erklären wurde "Prä-Thermalisierung" von Theoretikern an der Universität Heidelberg vorhergesagt. Nun wird vermutet, dass es sich dabei um eine ähnlichen Zwischenzustand handeln könnte, wie er sich in den Atom-Wolken an der TU Wien gezeigt hat.

Darüber hinaus können uns die Prozesse die beim Zerfall eines Quantensystems in sein thermisches Gleichgewicht auftreten neue Einsicht in die Grenze zwischen Quantenphysik und der klassischen, makroskopischen Welt geben. "Unsere Atom-Wolken liefern uns die Möglichkeit, diesen faszinierenden Übergang von Ungleichgewichts-Zuständen Richtung Gleichgewicht im Detail zu studieren", sagt Jörg Schmiedmayer. "Wir hoffen, dadurch ein tieferes Verständnis von Nicht-Gleichgewichtsprozessen zu gewinnen, die in der Natur allgegenwärtig sind."

Möglich wurde dieses Experiment durch einen speziellen AtomChip, der eigens dafür am Zentrum für Mikro- und Nanostrukturen (ZMNS) der TU Wien hergestellt wurde.

Weblink:
http://zmns.tuwien.ac.at/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution88

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Wien, Dr. Florian Aigner, 06.09.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2012