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FRAGEN/002: "Es gibt Grenzen, die wir nicht überschreiten sollten" (TU berlin intern)


TU berlin intern 5/10
Die Hochschulzeitung der Technischen Universität Berlin

"Es gibt Grenzen, die wir nicht überschreiten sollten"

DPG-Präsident Wolfgang Sandner über Forschung, Ausbildung und moralische Verpflichtungen in der Physik

Das Gespräch führte Patricia Pätzold


TU intern: Herr Professor Sandner, Sie wurden im April zum Präsidenten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, der DPG, gewählt. Sie ist die größte physikalische Fachvereinigung weltweit. Wie kann die Physik heute ihre Erkenntnisse in den Dienst der Gesellschaft stellen?

Wolfgang Sandner: Die DPG betreibt unter anderem intensive Politikberatung. Wir treffen dabei keine politischen Aussagen, sondern machen den Regierenden wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich. In der Vergangenheit hat sich die DPG zu manchen der großen Herausforderungen zu Wort gemeldet: Klima, Energie, Mobilität, Alters- und Gesundheitsforschung, Sicherheitsforschung, Kommunikation. Bei allen diesen Themen spielt die Physik eine wichtige Rolle. Und politisch kluge Entscheidungen können nur auf dem Verständnis der physikalischen Hintergründe basieren.

TU intern: Sie sind Direktor am "Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie". Was darf sich der Laie unter dieser Bezeichnung vorstellen? Was wird hier erforscht?

Wolfgang Sandner: Wir arbeiten mit Laserlicht mit sehr hoher Intensität. Wenn dieses mit Materie wechselwirkt, dann ändert sich die Antwort der Materie manchmal viel stärker als die Variation des ausgesandten Lichts. Es kann dabei vorkommen, dass grünes Licht aus einem Kristall herauskommt, wenn ich rotes hineingeschossen habe. Solche Phänomene nennen wir "nichtlineare Optik". Kurzzeitspektroskopie bedeutet, wir erzeugen diese hohen Intensitäten in sehr kurzen Pulsen, in wenigen Millionsteln einer milliardstel Sekunde. Solche Laser liefern für den winzigen Bruchteil einer Sekunde mehr Leistung als sämtliche Kraftwerke der Welt zusammen.

TU intern: Wir befinden uns im 50. Jahr der Erfindung des Lasers. Warum konnte sich die Lasertechnologie durchsetzen?

Wolfgang Sandner: Lichtwellen werden in der Natur unkoordiniert und chaotisch ausgesandt. Sie sind nicht im Gleichtakt und nicht von gleicher Farbe. Das Geheimnis des Lasers ist die Kontrolle des Gleichtakts der Lichtwellen, die man mit ihm ausüben kann. Das gibt es in der Natur praktisch nicht. Damit kann man Licht neue Eigenschaften aufprägen, zum Beispiel Druck, ultrakurze Impulse, extreme Stabilität. Diese brauchen wir, um zum Beispiel Atomuhren zu betreiben und auszulesen und Gravitationswellen, die aus dem Weltraum kommen, zu detektieren, Autos und Schiffe zu schweißen, Augen zu lasern oder Krebstumore zu behandeln. All diese Anwendungen, auch in der Kommunikationstechnik, würden mit normalem Licht nicht funktionieren.

TU intern: Der Forschungsverbund Berlin, Rechtsträger des Max-Born-Instituts, und die TU Berlin haben Sie gemeinsam berufen. Welche Vorteile hat Ihre Doppelfunktion als Direktor des MBI und Fachgebietsleiter an der TU Berlin?

Wolfgang Sandner: Wir haben in Deutschland ein Wissenschafts- und Forschungssystem, das beide Strukturen, Universitäten wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, unterstützt. Für die Geldmittel, die die außeruniversitäre Forschung erhält, hat sie die Aufgabe, Projekte anzugehen, die auf einer kleineren Skala nicht möglich wären. Universitäten besitzen dafür die absolute Freiheit der Forschung. Das ist der Humus, auf dem die neuen Ideen wachsen. Wenn es uns gelingt, gut zusammenzuarbeiten - und in Berlin klappt das in den letzten Jahren ganz hervorragend -, dann hat man das Beste aus beiden Welten und kann international erfolgreich sein. Gerade auch mit der TU Berlin arbeiten wir äußerst fruchtbar zusammen. Derzeit bauen wir zum Beispiel ein sogenanntes Applikationslabor der Leibniz-Gemeinschaft an der TU Berlin auf, am Lehrstuhl von Birgit Kanngießer, weil dort im Bereich Röntgenanwendungen ein Technologietransfer in die Industrie stattfinden soll. Der Lehrstuhl ist ja von der Technologiestiftung Berlin sowie von kleinen und mittleren Unternehmen gestiftet worden. Wir erhoffen uns in einer solchen industrienäheren Umgebung bessere und direktere Resonanz für unsere Forschungsergebnisse.

Auch haben wir viele Diplomanden und Doktoranden, die wir am MBI betreuen, und wir bereiten derzeit eine weitere gemeinsame Berufung mit der TU Berlin vor. Die Zusammenarbeit ist momentan wirklich erfreulich. Es ist eine Win-win-Situation für beide Seiten.

TU intern: Mit ihren Berufungen hat die TU Berlin auch einen Schwerpunkt in der Röntgenoptik und Röntgenspektroskopie gebildet und zwar mit den Fachgebieten der Professoren Thomas Möller, Stefan Eisebitt und Birgit Kanngießer. Warum ist das so wichtig in diesem Zusammenhang?

Wolfgang Sandner: Der Laser, so erfolgreich er ist, konnte bisher nicht in die winzigen Strukturen vordringen, die heute die Mikro- und Nanotechnologien beherrschen. Die Lichtwellen der Laser sind immer noch viel größer als deren Strukturgrößen. Optische Untersuchungen und Produktion in diesem Bereich funktionieren nur mit Röntgenlicht. Das ist das Licht der Zukunft. Wir müssen Laser dazu bringen, auch im Röntgengebiet zu emittieren. Momentan können wir das nur mit beschleunigerbasierten Röntgenlasern. Das sind Großgeräte, von denen es weltweit bisher nur zwei gibt, in Hamburg und in Stanford. Es ist eine der intensivsten Anstrengungen der Wissenschaft, auch kompakte Geräte zu liefern, die kontrollierten Gleichtakt der Wellen in diesem Röntgenbereich herstellen können. Das wäre von enormem gesellschaftlichem und ökonomischem Wert. Ein Beispiel: Die Mikro- und Nanotechnologien kommen nicht ohne kurzwelliges Licht aus, beispielsweise in der Herstellung von Computerchips.

TU intern: Wo werden künftige Bachelor-, wo Masterabsolventen der Physik eingesetzt werden können?

Wolfgang Sandner: Die DPG hat dazu eine ganz klare Meinung: Der berufsqualifizierende Abschluss ist der Master, wenn man als Physiker oder Physikerin arbeiten will. Wenn man ein anderes Ziel hat und sich nur Physikkenntnisse zusätzlich erwerben will, dann mag auch der Bachelor ausreichend sein. Wir haben mit wirklich großem Bedauern das Diplom aufgegeben, das international einen hervorragenden Ruf hatte. Wir sehen aber keine Chance, wegen der Komplexität der Materie, halbwegs fertige, kompetente Physikerinnen und Physiker ins Berufsleben zu entlassen, wenn sie nicht mindestens den Master haben. Was die Ausbildung betrifft, sind wir in engem Kontakt mit der Konferenz der Fachbereiche Physik (KFP), wo DPG-Vorstände und -Mitglieder in den Ausschüssen sitzen. Wir sehen durchaus die Defizite, die die Umsetzung der Bologna-Reform in der Physik gebracht hat. Das würden wir gern verbessern. Dazu geben wir Empfehlungen und mischen uns ganz aktiv ein.

TU intern: Die Diskussion um eine nuklearwaffenfreie Welt ist neuerdings wieder virulent geworden, die USA und Russland haben ein neues strategisches Abrüstungsabkommen unterzeichnet. Auch die DPG hat eindeutig Stellung zur nuklearen Abrüstung bezogen.

Wolfgang Sandner: Die Abrüstungsfrage ist wie die nach Ab- oder Aufbau von Kernenergie natürlich eine politische, aber es ist auch eine moralische. Zu politischen Fragen liefern wir Wissenschaftler normalerweise die überprüfbaren Fakten, die als Entscheidungsgrundlage dienen, wir äußern uns als DPG aber nicht politisch. Die Abrüstungsfrage ist aber eine der wenigen, wo wir uns klar artikulieren müssen, auch als Wissenschaftler. Die DPG kann hier mit einer Stimme sprechen, wenn Sie sagt: Die Physik hat die Atomenergie, aber auch die destruktive Kraft der Kerne in die Welt gebracht. Es gibt Grenzen, wo auch die Wissenschaftler eine moralische Verpflichtung haben, Einhalt zu gebieten, sofern ihre Ergebnisse zum Schaden der gesamten Menschheit eingesetzt werden.

TU intern: Derzeit findet die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages statt. Kann die DPG hier Einfluss nehmen?

Wolfgang Sandner: Die DPG hat schon verschiedentlich dazu Stellung genommen. Es gibt auch historische Vorbilder, zum Beispiel die "Göttinger Erklärung" der Nobelpreisträger ist ein solches Vorbild. Die DPG wird sich auch wieder zu Wort melden. Die Physik ist zwar sicher bei diesem Thema etwas herausgehoben, aber die Wissenschaft insgesamt spricht hier mit einer Stimme, wenn sie sagt: "Hier gibt es Grenzen, die wir nicht überschreiten sollten."

TU intern: Vielen Dank für das Gespräch.


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Quelle:
TU Berlin intern Nr. 5/Mai 2010, Seite 2
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2010