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MELDUNG/296: Optimale Populationsgröße bietet maximale Berechenbarkeit der Evolution (idw)


Universität zu Köln - 09.01.2013

Optimale Populationsgröße bietet maximale Berechenbarkeit der Evolution

Optimale Populationsgröße bietet maximale Berechenbarkeit der Evolution Aber die Entstehung von Giraffen mit langen Hälsen war nicht vorhersehbar



In sehr großen Populationen von Pflanzen, Tieren oder Pilzen, ist Evolution weniger berechenbar als oft angenommen wird. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Forschern des Instituts für Theoretische Physik der Universität zu Köln und des Labors für Genetik an der Universität Wageningen in den Niederlanden, die nun in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Science of the United States of America (PNAS 110(2), 571-576) erschienen ist. Für ihre Studie kombinierten die Forscher Informationen aus genetischen Untersuchungen eines Pilzes mit Computermodellen, um den Verlauf der Evolution zu simulieren. Sie beobachteten, dass evolutionäre Prozesse sowohl für kleine als auch für sehr große Populationen äußerst unberechenbar sind, während es dazwischen eine "optimale" Populationsgröße zu geben scheint, für die der Verlauf besonders gut vorhersagbar ist.

Evolution ist ein "spannender"-Prozess: Man weiß nie genau, wohin sie führt. Mutationen, die sich positiv auf die "Fitness" eines Organismus auswirken haben gute Chancen sich auf lange Sicht durchzusetzen. Andererseits haben Mutationen, die zu einem Fitnessnachteil führen kaum Chancen sich längere Zeit in einer Bevölkerung zu halten und somit den Verlauf der Evolution zu beeinflussen. Aber selbst für vorteilhafte Mutationen ist dies durchaus nicht sicher.

Forscher interessieren sich für die Frage, ob und wie vorhersagbar Evolution ist. Man könnte z.B. fragen: "War es im Nachhinein vorhersehbar, dass durch die Evolution auf der Erde Giraffen entstehen würde?" Viele Forscher untersuchen die Frage der Vorhersehbarkeit entweder theoretisch, z.B. mit Hilfe von Computermodellen, oder in der "Praxis" durch Experimente in der Natur oder im Labor. Im Labor kann beispielsweise gemessen werden wie häufig ein sich schnell entwickelnder Mikroorganismus derselben evolutionären "Route" folgt. Je öfter verschiedene Populationen den gleichen Weg beschreiten oder der Prozess zum gleichen "Endresultat" führt, desto vorhersagbarer ist die Entwicklung.

In der deutsch-niederländischen Kollaboration wurden Resultate aus dem Labor mit Computermodellen kombiniert. In Laborexperimenten wurde die "Fitness-Landschaft" eines Schimmelpilzes vermessen. Hierzu konstruierte die Gruppe aus Wageningen sämtliche 256 Kombinationen von 8 Mutationen an verschiedenen Stellen der Pilz-DNA. Für all diese Kombinationen bestimmten sie den Effekt auf die Wachstumsrate des Pilzes. Da das Wachstum ein wichtiger Aspekt der Fitness ist, haben Mutationen, die sich positiv auf die Wachstumsrate auswirken eine größere Chance sich nach einer großen Anzahl von Generationen zu etablieren. Aber die Chance, dass dies geschieht, ist nicht hundert Prozent.

In kleinen Populationen ist es wahrscheinlich, dass durch Zufall in jedem Verlauf des evolutionären Prozesses eine andere vorteilhafte Mutation auftritt und sich durchsetzt. Je größer die Zahl der Individuen, desto mehr Mutanten finden sich in der Population, und desto größer ist die Chance, dass einige Individuen die vorteilhafteste Mutation in sich tragen. Da Individuen mit dieser Mutation die am besten angepassten sind, wird sie sich bei wachsender Bevölkerungszahl immer häufiger durchsetzen. Somit wäre zu erwarten, dass Evolution umso vorhersagbarer wird je größer die Bevölkerung ist. Dies scheint aber nicht immer der Fall zu sein.

In Computersimulationen des evolutionären Prozesses auf Grundlage der experimentellen Daten aus Wageningen beobachteten die Forscher aus Köln, dass für sehr große Populationen die Vorhersagbarkeit wieder abnimmt. Dieses Phänomen beruht darauf, dass bei solchen Populationsgrößen Individuen auftreten, die nicht nur eine, sondern mehrere Mutationen in sich tragen. Je größer die Bevölkerung, desto mehr solcher Mehrfachmutanten werden erzeugt. Da jedoch die Anzahl der möglichen vorteilhaften Kombinationen mehrerer Mutationen viel größer ist als die Anzahl vorteilhafter Einfachmutationen, nimmt die Vorhersagbarkeit der Evolution in sehr großen Populationen wieder ab. Daher ist die Evolution am berechenbarsten für Populationen, die weder zu klein noch zu groß sind.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/de/institution19

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität zu Köln, Gabriele Rutzen, 09.01.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2013