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INTERVIEW/019: Die DPG stellt vor - Wissenschafts- und Selbsterkenntnis ...    Prof. Dr. Hardi Peter im Gespräch (SB)




Die gesamte, hell und dunkel strukturierte Sonnenscheibe, von deren Korona Plasmaströme entlang der bogenförmigen Magnetfeldlinien ausgehen - Foto: NASA/SDO

Am 25. Juni 2015 kommt es zu einer Sonneneruption, aufgenommen mit dem Solar Dynamics Observatory der NASA.
Foto: NASA/SDO

Mit dem im Juni 2013 gestarteten Sonnenobservatorium IRIS (Interface Region Imaging Spectrograph) hat die US-Weltraumbehörde NASA der Forschung eine Beobachtungsplattform an die Hand gegeben, die bis dahin unerreichbar genaue Bilder von der Sonne liefert. Genauer gesagt, von dem Bereich zwischen der Sonnenoberfläche und der Korona, der im ultravioletten und extrem ultravioletten Spektrum leuchtet. Einer, der sich die Daten von IRIS genauer angeschaut und diese analysiert hat, ist Prof. Dr. Peter Hardi vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. Er war auch Leitautor einer von mehreren 2014 im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Studien zu einem bis dahin unbekannten Phänomen, den "heißen Explosionen in der kühlen Atmosphäre der Sonne" ("Hot explosions in the cool atmosphere of the Sun") [1], das mit IRIS entdeckt worden war.

Diese Entdeckung hat in der Fachwelt durchaus Aufmerksamkeit erregt - die NASA spricht von "einer der größten Überraschungen" [2], die IRIS geboten hat, da die Explosionen in einer untereren Region der Sonnenatmosphäre auftreten, in der keine so hohen Temperaturen erwartet wurden. Dort, knapp über der Sonnenoberfläche, ist der "Photosphäre" genannte Bereich nämlich nur rund 5000 bis 6000 Kelvin heiß (was an dieser Stelle, um des nicht ganz korrekten, aber vereinfachten Verständnisses wegen, eins zu eins in Celsius umgerechnet werden kann).

Auf der Sonne muß man stets in größeren Dimensionen denken: Wenn also von "knapp" über der Oberfläche die Rede ist, dann ist damit ein Abstand von mehreren tausend Kilometern gemeint. Die "Bomben" genannten Explosionen haben eine Größe von etwa 1000 Kilometern, dauern rund zwei Minuten werden 100.000 Kelvin heiß, eine Temperatur, die erst sehr viel weiter außerhalb, in der sogenannten Korona, auftritt und dort allerdings nochmals sehr deutlich übertroffen wird, denn die Sonnenkorona wird mehrere Millionen Kelvin heiß.

Auf der diesjährigen Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) in Bremen (13. - 17.3.) gab Hardi Peter unter dem Vortragstitel "A New View of the Solar Atmosphere through IRIS" einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten des neuen Weltraumobservatoriums, die Deutung der beobachteten Phänomene durch die Wissenschaft und das Bemühen von Sonnenforscherinnen und -forschern, die Interpretationen in die bestehenden Modelle einzubauen. Dabei wurde deutlich, daß sich durch IRIS nicht zuletzt neue Fragen hinsichtlich der Wechselwirkungen zwischen Sonnenplasma und Magnetfeld bzw. zwischen thermisch und magnetisch induzierten Strömungen in den verschiedenen "Schichten" (Photosphäre, Chromosphäre, Korona) der Sonnenatmosphäre ergeben.

Im Anschluß an den Vortrag war Peter bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu seinen Forschungen sowie zu den möglichen Folgen einer den Klimawandel leugnenden Politik auf die Wissenschaft zu beantworten.


Porträt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Prof. Dr. Hardi Peter
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben heute über Phänomene auf der Sonne berichtet, die mit dem Weltraumteleskop IRIS beobachtet wurden. Trifft es zu, daß einiges davon erstmals in dieser Genauigkeit dargestellt werden konnte, also in dem Sinne "entdeckt" wurde?

Prof. Dr. Hardi Peter (HP): Ja, das trifft zu. Natürlich baut man immer auf dem auf, was man vorher gemacht hat. Ich glaube, es war Einstein, der sagte, daß er auf den Schultern von Giganten steht. Ich will mich nicht mit Einstein vergleichen, um Gottes Willen, nicht das, aber man baut natürlich immer auf frühere Missionen auf. Heute ermöglicht uns IRIS eine deutlich höhere räumliche Auflösung. Das ist das erste, was an den Bildern auffällt. Die Strukturen treten etwa um den Faktor fünf schärfer hervor. Man kann Dinge erkennen, die man vorher entweder nicht gesehen oder falsch interpretiert hat.

Außerdem haben wir eine höhere spektrale Auflösung. Die Zerlegung nach dem Licht ist deutlich feiner als vorher, was uns erlaubt, auch das Spektrum besser zu interpretieren. Weil die Farbe des Lichts, vereinfacht gesagt, Informationen über Strömungen, Temperaturen, Dichten, etc. enthält.

SB: Ist die Farbe des Lichts ein reines Oberflächenphänomen?

HP: Das sichtbare Licht kommt von der sogenannten Oberfläche der Sonne, die aber ein Gasball ist und somit keine feste Oberfläche hat. Da besteht ein kontinuierlicher Übergang. Aber man hat einen sehr scharfen Übergang zum Innern, wo das Licht bzw. die Photonen ständig absorbiert und reemittiert werden. Von dem Punkt an, ab dem Photonen frei werden und ins Weltall entweichen, wird die Oberfläche definiert. Das gilt für den sichtbaren Bereich. Die Beobachtungen, über die ich heute in meinem Vortrag berichtet habe, sind komplett im Ultravioletten und extrem Ultravioletten angesiedelt, das heißt in wesentlich kürzeren Wellenlängen. Dieses Licht stammt nicht von der Oberfläche der Sonne, sondern aus höheren Schichten, der Korona, oder genauer gesagt, vom Temperaturübergang vom Kalten ins Heiße der Korona hinein. Wenn ich in diesem Zusammenhang von "Farbe" spreche, meine ich eben nicht Farben wie rot oder grün, sondern die unterschiedlichen Wellenlängen im ultravioletten Licht, die wesentlich kürzer sind.

SB: Im ultravioletten Bereich können Sie nicht ins Innere der Sonne hineinblicken?

HP: Nein, das geht gar nicht. Im Ultravioletten ist die Sonnenoberfläche selbst praktisch schwarz. Das liegt daran, daß die Sonne in nullter Näherung ein sogenannter Schwarzer Strahler, ein Schwarzer Körper ist und ihr Maximum im sichtbaren Licht hat. Danach hat die Evolution unsere Augen ausgerichtet. Und wenn man zum Kurzwelligen geht, fällt die Intensität der Strahlung sehr schnell und sehr steil ab. Das heißt, wenn man sich die Sonne im ultravioletten Licht anschaut, wäre die Oberfläche faktisch schwarz. Schaut man im Röntgenbereich, um ein extremes Beispiel zu geben, dann erscheint diese Oberfläche der Sonne wirklich schwarz. Dadurch kann ich die ultraviolette, extrem ultraviolette und die Röntgenstrahlung sehen, die aus der oberen, heißen Atmosphäre stammt. Die strahlt dann vor dem Hintergrund des dunklen Schwarzen Körpers der Oberfläche.

SB: Natürlich bestimmt die Sonne das Klima der Erde. Aber gibt es unter den von Ihnen im Vortrag beschriebenen Phänomenen der Sonnenatmosphäre etwas, das Einfluß auf die Erde hat?

HP: Ja. Dazu muß ich jetzt etwas weiter ausholen. Die Wirkungen, die die Sonne auf die Erde hat, sind relativ vielfältig. Das betrifft zum einen die gesamte solare Strahlung, die totale Radianz, wie man das auch nennt. Wenn man über alle Wellenlängen integriert, also vom ultravioletten Licht bis weit ins Infrarote, dann kann man die Strahlung aufintegrieren. Das ergibt die sogenannte Sonnenkonstante oder Solarkonstante. Grob gerechnet sind das ungefähr 1400 Watt pro Quadratmeter. Diese Solarkonstante schwankt mit dem elfjährigen solaren Zyklus.

Wenn man sich die Temperaturaufzeichnungen der Erde anschaut, kann man in den Daten diesen elfjährigen Zyklus erkennen. Wobei man noch ergänzen muß - auch wenn ich heute nicht darüber geredet habe -, daß man den Temperaturanstieg auf der Erde über die letzten 30, 40 Jahre deutlich von der solaren Aktivität trennen kann. Der Temperaturanstieg auf der Erde ist viel stärker, als man das von der solaren Aktivität erwarten würde, was eben im Umkehrschluß heißt, daß die Sonne nicht die Temperaturerhöhung bewirkt.

Aber man erkennt immer noch die Modulation durch den elfjährigen Zyklus. Wenn ich nicht im sichtbaren Licht schaue, sondern ins Ultraviolette gehe, dann kann ich viel stärkere Schwankungen beobachten. Das liegt daran, daß der elfjährige Zyklus der Sonne letztlich ein magnetischer Zyklus ist, in dem das Magnetfeld auf der Sonne stärker und weniger stark wird. Nun hängen jedoch die Prozesse, die zur Heizung der oberen Atmosphäre und damit zur Emissivität im kurzwelligen Bereich führen, sehr stark vom Magnetfeld ab. Deswegen haben wir im extremen ultravioletten Licht eine viel stärkere Variabilität als zum Beispiel im sichtbaren Licht. Dort liegt die Variabilität des elfjährigen Zyklus, grob gesagt, weit unter einem Prozent. Wenn Sie zur sogenannten Lyman-ie gehen, die bei 1200 Ångström bzw. 120 Nanometer liegt, treffen Sie dort schon auf eine Variabilität von Faktor zwei.

Der Sonnenforschung, wie ich sie vorgestellt habe, geht es darum, die grundlegenden Prozesse zu verstehen. Wir wollen herausfinden, wie die verschiedenen Strukturen auf der Sonne, die auch im kurzwelligen Bereich die Strahlung erzeugen, geheizt werden, wie lange jede einzelne Struktur besteht und was die Dynamik bestimmt, et cetera. Erst wenn man diese Grundlagen kennt, kann man auch begreifen, warum die Sonne im kurzwelligen Bereich so stark schwankt.

Während man im sichtbaren Licht im wesentlichen ein Forcing, wie das manche Leute nennen, also ein Antreiben des Erdklimas über den Energie-Input hat, ist es im Ultravioletten ein bißchen mehr wie durch die Brust ins Auge. Weil Ozon ein sehr starkes Treibhausgas ist und die ultraviolette Strahlung das Ozon aufzubrechen vermag, ändert es dessen Konzentration in der Atmosphäre. Dieser indirekte Effekt ist nicht zu vernachlässigen, obwohl die Energiedichte an Strahlung im ultravioletten Bereich weit geringer ist als im Sichtbaren.

Aber wenn wir Sonnenforscher das tun, was wir hier tun, denken wir kaum an diesen weitereichenden Effekt, sondern versuchen zunächst, die Strukturen auf der Sonne zu verstehen, von denen ich gesprochen habe.


Foto: NASA

IRIS-Aufnahmen von Plasmaströmen entlang von Magnetfeldlinien, Ende April 2015
Foto: NASA

SB: In der Klimaforschung kennt man die sogenannten Proxydaten. Gibt es das für die solare Forschung ebenfalls? Gibt es Hinterlassenschaften auf der Erde, von denen man auf Aktivitätsveränderungen der Sonne schließen kann?

HP: Die Aktivität der Sonne hat insofern auch einen indirekten Einfluß auf die Erde, als daß sich im elfjährigen Zyklus das Magnetfeld der Sonne ändert. Dadurch wiederum ändert sich das Magnetfeld global der ganzen Heliosphäre. Und dies wiederum hat einen Effekt auf die sogenannte kosmische Strahlung, die auf die Erde trifft. Das sind energetische Teilchen, vor allen Dingen Protonen, die irgendwoher aus der Galaxis kommen und sozusagen auf uns einprasseln. Je stärker das solare Magnetfeld, um so stärker kann es die kosmische Strahlung von der Erde abschirmen.

Von daher läßt sich eine Modulation der kosmischen Strahlung als Funktion der solaren Aktivität erkennen. Denn wenn die kosmische Strahlung die Erdatmosphäre trifft, lösen die eintreffenden hochenergetischen Protonen unter anderem Spaltreaktionen von schweren Elementen aus. Dann entstehen bestimmte Isotope, zum Beispiel Beryllium-10 und Kohlenstoff-14, die natürlicherseits dort nicht oder in geringerer Konzentration vorkommen. Das heißt, wenn die Abschirmung durch die Sonne geringer wird, werden diese Isotope stärker in der Atmosphäre angereichert. Sie sinken dann langsam herunter, verteilen sich über den Erdball und landen zum Beispiel auf den Eisschilden von Grönland und der Antarktis. Dort sammeln sie sich, werden von Schnee bedeckt, der verfestigt sich im Laufe der Zeit, und so weiter.

Wenn ich dort einen Eisbohrkern ziehe, habe ich im Prinzip ein Archiv für die kosmische Strahlung rückwärts in der Zeit und somit ein Proxy für die solare Aktivität. Über sie kann man für die letzten hunderttausend, zweihunderttausend Jahre durchaus gute Aussagen treffen und aus den Studien über lange Zeiträume einen sehr guten Zusammenhang zwischen Erdklima und Sonnenaktivität finden. Dieser wird jedoch, wie ich vorhin schon sagte, seit Beginn der Industrialisierung vor rund 150 Jahren und ab den letzten 50, 60 Jahren immer stärker werdend, durchbrochen.

SB: Sie analysieren die Daten, die vom US-Weltraumteleskop IRIS erstellt wurden. Die neue US-Regierung hat angekündigt, sich deutlich aus der Klimaforschung zurückzuziehen. Rechnen Sie für Ihren Forschungsbereich ebenfalls mit Mittelkürzungen, anderen Gewichtungen und Fragestellungen oder sonstigen Einflüssen seitens der Politik der USA?

HP: Das ist meines Erachtens sehr schwer zu sagen. Wir haben sozusagen das Glück, daß wir politisch weniger angreifbar sind, weil wir uns mit den Grundlagen beschäftigen. Aber generell, glaube ich, kann man sagen, daß bei einem politischen Klima, in dem bestimmte wissenschaftliche Richtungen nicht gern gesehen werden, dies dann auch auf andere Fachrichtungen ausstrahlt. Ich denke da insbesondere an Behauptungen, daß man angeblich manche Dinge nicht so genau sagen könne und sich die Wissenschaftler gar nicht einig sind und so weiter. Viele der Argumente, die benutzt werden, um seriöse Klimaforschung zu diskreditieren, könnten sich negativ auch auf andere Forschungsbereiche auswirken. Wenn sich erstmal in der breiten Bevölkerung der Eindruck etabliert, "oh, die Forscher kriegen von uns so viel Geld und machen dann nur irgendwelchen Humbug", wenn sich in einem Feld so ein Eindruck durchsetzt, dann ist das natürlich auch schädlich für andere Felder. Das betrifft uns eigentlich alle sehr.

SB: Herr Peter, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://science.sciencemag.org/content/346/6207/1255726

[2] https://www.nasa.gov/content/goddard/iris-helps-explain-heating-of-solar-atmosphere


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT zur DPG-Frühjahrstagung in Bremen erschienen:

BERICHT/004: Die DPG stellt vor - Verantwortung der Wissenschaft ... (SB)
BERICHT/005: Die DPG stellt vor - Endlichkeit nicht vorgesehen ... (SB)
INTERVIEW/009: Die DPG stellt vor - unzureichend treibt voran ...    Prof. Dr. Claus Lämmerzahl im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Die DPG stellt vor - Schwingungen und Perspektiven ...    Prof. Dr. Klaus Fredenhagen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 1) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Die DPG stellt vor - das Mögliche auch nutzen ...    Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Die DPG stellt vor - die Maßstäbe prüfen ...    Martina Gebbe im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Die DPG stellt vor - unbekannten Emissionen auf der Spur ...    Dr. Stefan Schmitt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Die DPG stellt vor - Zusammenschau ...    Dr. Irena Doicescu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Die DPG stellt vor - Vermächtnis der Vergleiche ...    Dipl. Ing. Stefanie Bremer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 2) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/018: Die DPG stellt vor - die Sonne im Blick ...    Prof. Dr. Katja Matthes im Gespräch (SB)


5. April 2017


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