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INTERVIEW/029: Forschungstechnik neu - Vakuum und mehr ...     Prof. Ralf Röhlsberger im Gespräch (SB)


Recherche-Reise "European XFEL und DESY" der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) am 7. und 8. August 2017 in Hamburg


Es ist erst rund acht Jahre her, daß PETRA III, "die brillanteste Speicherring-Röntgenstrahlungsquelle der Welt" (DESY), ihre Arbeit aufgenommen hat. Doch inzwischen wird bereits über eine Nachfolgemaschine nachgedacht. PETRA IV soll einen noch präziseren Einblick in die Materie liefern, berichtete Prof. Ralf Röhlsberger in seinem Vortrag auf der Recherchereise der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) zum Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg. In dem folgenden Interview, das am Rande des Treffens stattfand, stellte sich der Arbeitsgruppenleiter bei der DESY für einige Fragen zu "seiner" Maschine, den innovativen Möglichkeiten des Nachfolgemodells PETRA IV sowie zu Fragen rund um die Physik, die beim Betrieb eines Teilchenbeschleunigers und bei der Forschung mit ihm angewendet werden, zur Verfügung.


Porträt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Prof. Ralf Röhlsberger
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie werden heute einen Vortrag zur Synchrotronstrahlungsquelle PETRA III und dem Zukunftsprojekt PETRA IV halten. Worin wird für Sie die wichtigste Neuerung von einem Teilchenbeschleuniger zum nächsten bestehen?

Prof. Ralf Röhlsberger (RR): Die wichtigste Neuerung wird sein, daß wir einen wesentlich schärferen Blick in den Nanokosmos erhalten werden, als es derzeit mit PETRA III möglich ist. PETRA III ist zwar eine hervorragende Maschine, aber technisch ist noch eine weitere Verbesserung möglich, um Bereiche im Nanokosmos auszuleuchten, in die wir bislang nicht punktgenau hineinschauen können. Heute müssen wir noch relativ große Strahlen nutzen. Die können wir zwar auch in kleinere Strahlen verwandeln, aber nur durch eine starken Verlust von Intensität, was bedeutet, daß auf diese Weise einige Experimente zur Zeit nicht möglich sind.

SB: Können Sie konkrete Beispiele nennen, was mit PETRA III erforscht oder womöglich sogar entdeckt wurde?

RR: Mit PETRA III wurde zum Beispiel die räumliche Auflösung der Tomographie deutlich verbessert. Man kann sich damit einzelne Kristallite von polykristallinem Material von Werkstoffen genauer anschauen. PETRA III hat die Röntgentomographie, wie wir sie aus der Medizin kennen, hoffähig gemacht für die Materialforschung im Mikrobereich. Damit kann man sich wirklich einzelne Körnchen anschauen. Eine weitere Neuerung ist die sogenannte serielle Kristallographie. Dabei werden einzelne kleine Kristalle von Biomolekülen regelrecht in den Strahl hineingeschossen und einzeln beleuchtet. Das war bei älteren Teilchenbeschleunigern nicht möglich.

SB: Läßt sich beispielhaft eine direkte Linie von der Grundlagenforschung zu einem Produkt aufzeigen, so daß man sagen kann, an der Erfindung dieses Produkts war PETRA III beteiligt?

RR: Ja, direkt aus dem Feld meiner Arbeitsgruppe. Wir sind momentan dabei, neuartige Magnetosensoren zu entwickeln, wie sie unter anderem von der Automobilindustrie gebraucht werden. In Fahrzeugen sind viel mehr Sensoren tätig, als man sich das normalerweise vorstellt. Mit Hilfe der Forschungen an PETRA III haben wir ein neuartiges Verfahren entwickelt, um diese Magnetosensoren mit neuen Funktionalitäten auszustatten, die sie für den Einsatz in der Industrie sehr attraktiv machen. Wir haben da ganz konkret ein Projekt mit einem großen Hamburger Unternehmen laufen, das hochgradig an diesen Sensoren interessiert ist.

Zur Zeit validieren wir den Prozeß, den wir in der Forschung etabliert haben, für die Skalen, die für industrielle Fertigungsmaßstäbe erforderlich sind. Das wäre eine direkte Linie, die sich wahrscheinlich, wenn dieser Validierungsprozeß erfolgreich verläuft, in fünf bis zehn Jahren in Produkten wiederfinden läßt. Die werden insbesondere für die E-Mobilität neue Perspektiven entwickeln, die eine Steuerung von Antrieben noch effizienter zu machen.

SB: Betrifft das auch selbstfahrende Autos?

RR: Das wäre noch eine andere Art von Sensorik. Obwohl natürlich die Kontrolle der Bewegung, die bei selbstfahrenden Autos erforderlich wird, viel schneller sein muß. Somit hätten unsere Sensoren möglicherweise eine indirekte Konsequenz, aber in erster Linie denken wir an Energieeffizienz. Wir wollen den Wirkungsgrad von Antrieben verbessern.

SB: Kommen wir auf die Funktionsweise des Ringbeschleunigers PETRA III zu sprechen, auch im Vergleich zum Röntgenlaser XFEL. Wandeln sich die erzeugten Elektronen in Photonen um oder werden die Photonen von den Elektronen ausgesendet?

RR: Der Mechanismus der Photonenentstehung beim Röntgenlaser ist fundamental anders als bei einer Quelle wie PETRA III. In den Röntgenlasern schafft man es, daß die Elektronen gewissermaßen auf den Lichtwellen "surfen". Wohingegen bei PETRA III das ausgesendete Licht, ich sage es mal ganz salopp, von den Elektronen gar nichts mehr wissen will. Die Elektronen emittieren das Licht und gehen dann ihre eigenen Wege; sie werden anschließend wieder recycelt. Beim Röntgenlaser ist das anders. Da sorgt das elektrische Feld der Photonen, die emittiert werden, mit dafür, daß die Elektronen weiter und stärker emittieren, als sie es ohne das Licht tun würden. Im Grunde ist es so wie ein Surfer, der auf einer Welle reitet und dadurch die Welle sogar noch verstärkt. Als würde er dafür sorgen, daß das, was ihn antreibt, ihn auch weiter antreibt. Beim Röntgenlaser findet also eine Wechselwirkung der lichtabstrahlenden Elektronen mit dem abgestrahlten Licht statt, was den Emissionsprozeß verstärkt, so daß die Strahlung am Ende extrem intensiv wird.

SB: Sie sagten, die Elektronen werden recycelt. Kann die Synchrotronstrahlung beliebig oft von den Elektronen abgegriffen werden? Werden also immer wieder die gleichen Elektronen in die Kreisbahn geschickt oder müssen sie ausgewechselt werden?

RR: Im Laufe der Zeit verlieren die Elektronen durch die Emission von Licht auch Energie. Diese muß ständig "nachgefüttert" werden. Man muß die Elektronen aber nicht wieder ganz von null auf neu beschleunigen, sondern nur immer wieder ein bißchen anschubsen, so daß sie praktisch die gleiche Energie haben, wie sie sie vor der Abstrahlung des Lichts hatten. Aber im Prinzip handelt es sich um die gleichen Elektronen. Es gehen auch unterwegs welche verloren, da das Vakuum nicht perfekt ist. In den Vakuumröhren befinden sich noch Teilchen, wodurch Elektronen gestreut werden. In einem Synchrotron würde der Elektronenstrahl, wenn man ihn sich selbst überließe, langsam schwächer werden.

SB: Wenn Sie schildern, daß Sie den Beschleunigerring mit Elektronen "füttern" müssen, wird das dann mittels elektrischen Stroms gemacht?

RR: Ja, genau. Wir messen einen Strom im Vakuum des Speicherrings.

SB: In welchen Größenordnungen muß man "dazufüttern"?

RR: Bei PETRA III haben wir typischerweise Ströme von 100 Milliampere. Das ist kein besonders exotischer Wert. Das sind typische Ströme, wie sie auch im Haushalt vorkommen. Nur daß die Elektronen keinen Draht brauchen, denn sie bewegen sich alleine im Vakuum und sind fast so schnell wie das Licht. In unseren Drähten im Haushalt dagegen bewegen sich die Elektronen mit Millimetern pro Sekunde. Aber in so einem Draht sind irrsinnig viele Elektronen, so daß wir darin sehr hohe Stromstärken erhalten.

SB: Wir haben gestern häufiger die Bezeichnung "kohärentes Licht" gehört. Es wird versucht, das Laserlicht möglichst kohärent zu machen, was als Qualitätsmerkmal des Laserstrahls ausgewiesen wurde. Auf den gleichen Begriff sind wir auf der Frühjahrstagung der DPG in Bremen gestoßen. Ist das dann so etwas ähnliches wie ein Bose-Einstein-Kondensat [1], bei dem bei ganz tiefen Temperaturen "kohärente" Materiewellen entstehen?

RR: Beim Bose-Einstein-Kondensat nutzt man die Tatsache, daß die Materie selbst - ebenso wie das Licht - Wellen- und Teilcheneigenschaften haben kann. Wenn Photonen auf einen Detektor treffen, erzeugen sie ein Klick. So kann man versinnbildlichen, daß sie auch Teilchencharakter haben. Umgekehrt haben Materieteilchen wie Atome oder Elementarteilchen Welleneigenschaften. Bei einem Bose-Einstein-Kondensat überlagern sich diese Materiewellen kohärent und ergeben jenes Kondensat. Das ist ein makroskopischer Quantenzustand. Beim Licht ist es nicht ganz so spektakulär, da haben wir Kohärenz im Alltag. Beispielsweise bei Laserpointern. Im Laser haben wir im Grunde nicht ganz so etwas wie eine Bose-Einstein-Kondensation von Licht, aber eine kohärente, phasengerechte Überlagerung von vielen Photonen, die durch einen kollektiven Emissionsprozeß in diesem Lasermedium freigesetzt werden. Sie schwingen alle im gleichen Takt, wenn man so will. Und im Bose-Einstein-Kondensat gelingt es, die Materiewellen in einen Takt zu bringen.


Röhlsberger beim Interview - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Diese Möglichkeit von virtuellen Teilchen ist eine ganz handgreifliche Konsequenz der Quantenmechanik: Die Möglichkeit, daß so etwas entsteht, beeinflußt die Wahrscheinlichkeit für real stattfindende Prozesse."
(Prof. Ralf Röhlsberger, 8. August 2017, Hamburg)
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Bei der Vorrecherche zu Ihren Forschungen sind wir auf den Begriff des virtuellen Photons gestoßen. Wer sich mit Computern befaßt, kennt vielleicht ein virtuelles Laufwerk, aber nicht virtuelle Photonen. Wie hat man sie sich vorzustellen?

RR: Virtuelle Prozesse beschreiben die Möglichkeit, daß etwas stattfinden kann. Das kommt in der Quantenmechanik einer gewissen Realität nahe, weil diese virtuellen Prozesse tatsächlich den Ausgang von reellen Prozessen mit beeinflussen können. Quantenmechanisch betrachtet muß man nämlich alle Möglichkeiten, die in einem Prozeß stattfinden könnten, mit in Rechnung stellen. Das sind die sogenannten Quantenamplituden. Wenn man die Wahrscheinlichkeit, daß ein Prozeß stattfinden kann, berechnen will, muß man diese Amplituden einbeziehen. Da kommen die virtuellen Teilchen mit ins Spiel. Es kann zum Beispiel so etwas passieren, daß für ganz kurze Zeit aus dem Vakuum ein virtuelles Teilchenpaar Elektron-Positron entsteht und sofort wieder rekombiniert, wie das in der Physik genannt wird. Ein Elektron und das Antiteilchen - das ist das Positron - sind in ihren Eigenschaften genau entgegengesetzt und würden sich, wenn sie real zusammenkommen, sofort annihilieren, also blitzartig in Energie zerstrahlen.

Aber in der Quantenmechanik gibt es die Wahrscheinlichkeit, daß das Vakuum, das nicht ganz leer ist, in diese Teilchen-Antiteilchen-Paare zerfallen oder sich in sie zerlegen kann. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr gering, aber für bestimmte Prozesse führt es dazu, daß real stattfindende Vorgänge davon beeinflußt werden und sich dafür die Wahrscheinlichkeit dann ändert. Diese Möglichkeit von virtuellen Teilchen ist eine ganz handgreifliche Konsequenz der Quantenmechanik: Die Möglichkeit, daß so etwas entsteht, beeinflußt die Wahrscheinlichkeit für real stattfindende Prozesse.

SB: Geht die Physik davon aus, daß solche virtuellen Teilchen nur in ihren speziellen Laboren oder Experimenten in Erscheinung treten und für kurze Zeit in Wechselwirkung treten, oder geht sie davon aus, daß solche Quantenphänomene auch in unserer Alltagswelt stattfinden, also in Zellen, Körpern, Materie, also einfach allem?

RR: Im Grunde genommen finden sie laufend statt, man kann nur nicht sagen, wo sie Eingang in das finden, was unsere Umwelt bestimmt. Darüber wird viel spekuliert, doch ist es nur in einigen Fällen wie zum Beispiel der Supraleitung möglich, ganz konkret zu sagen, da ist jetzt ein makroskopisches Quantenphänomen.

Auch in der Biologie wird es Quantenphänomene geben, die das Funktionieren von biologischen Prozessen mitbestimmen. Für die Photosynthese wurden schon solche Wahrscheinlichkeitsamplituden oder quantenmechanische Prozesse beschrieben; sie spielen eine große Rolle beim Energietransport von Elektronen in biologischer Materie. Es wurde die Frage aufgeworfen, warum biologische Prozesse so unempfindlich gegen störende Einflüsse sind, und es wird vermutet, daß sie durch solche Quantenprozesse stabilisiert werden. Da schlägt aber sozusagen ein Aspekt zu, der die große Herausforderung für die Zukunft ist: Die Komplexität dieser Wechselwirkungen zu verstehen. Dazu könnte zum Beispiel PETRA IV einen großen Beitrag leisten und uns den erforderlichen scharfen Blick liefern, um die Komplexität unserer Welt und das Funktionieren von komplexen Prozessen und Strukturen zu verstehen, von der atomaren Skala bis hin zu makroskopischen Dimensionen. Da hoffen wir, mit PETRA IV einen großen Durchbruch zu erzielen.

SB: Wenn virtuelle Teilchen aus dem Vakuum, dem sogenannten Nichts, entstehen, gibt es dann schon eine Physik des Nichts?

RR: Ja, die gibt es. Wie ich vorhin sagte, ist das Vakuum nicht leer. Und man kann es in gewisser Weise herausfordern, seine wahre Identität zu zeigen, indem man zum Beispiel extrem intensive Felder erzeugt. Dort wird das Vakuum irgendwann instabil und nimmt Eigenschaften von Materialien an. Das ist eines der Forschungsgebiete, welches am Europäischen Röntgenlaser gemeinsam mit DESY betrieben werden soll. Es ist geplant, die Eigenschaften des Vakuums hinsichtlich der Frage zu untersuchen, wie es sich uns in extrem intensiven Feldern darstellt. Darin wird das Vakuum nämlich Materialeigenschaften annehmen. Zum Beispiel wird es einen Brechungsindex haben, was bedeutet, daß das Vakuum dann auch Einfluß auf das Licht hat, welches sich dort ausbreitet.

Solche Prozesse werden es uns dann auch ermöglichen, zum Beispiel intensive starke Felder oder Prozesse zu verstehen, wie sie bei der Sternentstehung, bei Supernovae und der Entstehung des Universums stattgefunden haben. Wo nicht nur Licht mit Materie, sondern auch Licht mit sich selbst in Wechselwirkung getreten ist. Damit wird hier bei uns im Labor auch das Verständnis von solchen extremen Prozessen ermöglicht werden.

SB: Wenn ich Ihre Beschreibung höre, daß etwas aus dem Nichts oder dem Vakuum entsteht und wieder verschwindet, stellt sich mir die Frage, ob Einstein vielleicht doch recht hatte, der sich zumindest anfänglich gegen die Quantenmechanik gestellt und von "spukhaften" Erscheinungen gesprochen hatte?

RR: Ja, die Quantenmechanik fordert den gesunden Menschenverstand schon extrem stark heraus! Solche Prozesse sind eigentlich nicht Gegenstand unseres Alltagslebens. Deswegen ist es auch so schwer vorstellbar, daß zum Beispiel zwei Teilchen, die aus dem Nichts heraus entstehen können, miteinander verschränkt sind, wie man sagt. Vor der Verschränkung werden Sie vielleicht auch schon gehört haben, das ist sozusagen die spukhafte Fernwirkung, die sich aber mit Prinzipien der Quantenmechanik vollständig verstehen läßt und die heutzutage schon zur sicheren Datenübertragung genutzt wird. Denn jeder, der beispielsweise eine Kommunikation, die mit verschränkten Photonen stattfindet, abhören will, ändert den Zustand eines Teilchens. Man selbst würde dann mitkriegen, daß da jemand zugehört hat. Die Verschränkung spielt auch in Experimenten mit Bose-Einstein-Kondensaten eine Rolle; für viele Kollegen von uns ist das Laboralltag. Insofern haben wir uns quasi schon daran gewöhnt. Ich glaube, es war der berühmte Physiker Richard Feynman, der einmal gesagt hat, Quantenmechanik versteht man nicht, man gewöhnt sich daran. Das sind schon Konzepte, die uns nicht mit in die Wiege gelegt sind.


Beim Interview - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Die Quantenmechanik fordert den gesunden Menschenverstand schon extrem stark heraus!"
(Prof. Ralf Röhlsberger, 8. August 2017, Hamburg)
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: In einem der früheren Experimente haben Physiker Licht verlangsamt. Was würde Einstein zu dieser Behauptung sagen - wäre das mit seinen Vorstellungen noch in Einklang zu bringen?

RR: Ich denke, Einstein wäre davon begeistert. Er hat wahrscheinlich die ersten Schritte in diese Richtung nicht mehr erlebt, aber ich denke, daß er sich daran gewöhnt hätte und auch die Konzepte verstehen würde. Denn man kann die Verlangsamung des Lichtes, obgleich es sich um einen Quanteneffekt handelt, mit klassischen Bildern verstehen. Einstein war nicht abgeneigt, auch die Quantenmechanik zu akzeptieren. Insofern hätte er, wenn er noch weiter hätte arbeiten können, sich diesem Gebiet vielleicht auch zugewandt und seine Ideen dort weiterentwickelt.

SB: Man kann auch Röntgenlicht verlangsamen, haben wir gelesen.

RR: Ja, wir haben ein Experiment gemacht, in dem wir das nachweisen konnten. Wir haben die Geschwindigkeit von Röntgenlicht in einem Wellenleiter, einem sogenannten Resonator, gemessen. Das Röntgenlicht hat sich nicht mehr mit Lichtgeschwindigkeit bewegt - 300.000 Kilometer pro Sekunde -, sondern es waren nur noch 300 Meter pro Sekunde.

SB: Verspricht sich die Physik, abgesehen von Erkenntnissen der Grundlagenforschung, noch mehr davon?

RR: Die Verlangsamung des Lichtes ist eigentlich nur dann zu beobachten, wenn man das Material transparent macht. Wir haben gezeigt, daß wir Materialien für eine bestimmte Wellenlänge im Röntgenbereich durchsichtig machen können und daß das Licht, wenn es sich in solchen Bereichen ausbreitet und die gleiche Wellenlänge hat, in der das Material durchsichtig ist, dann dabei verlangsamt. Uns erlaubt das letztlich zu verstehen, wie sich Röntgenlicht unter solchen Bedingungen ausbreitet. Aus der Quantenoptik, aus dem sichtbaren Bereich, sind solche Prozesse bekannt. Dort erreicht man es, daß man die Eigenschaften von Materialien für das Licht kontrollieren kann. Das ist ja sozusagen das große Ziel, das uns alle irgendwie umtreibt. Wir wollen gezielt die Eigenschaften von Materialien einstellen. Nicht nur in der Materialphysik, sondern auch in der Röntgenoptik können wir damit Röntgenlicht kontrolliert sich ausbreiten lassen und somit optische Eigenschaften nach Belieben einstellen. Wir können Pulse verlangsamen oder auch beschleunigen. Das ist letztlich die Grundlage für neue Kommunikationsmöglichkeiten.

Ich will jetzt nicht über den Quantencomputer spekulieren, davon sind wir vielleicht noch ein bißchen zu weit entfernt, aber wir entwickeln Konzepte, auch wenn sie im Röntgenbereich stattfinden, die sich vielleicht wieder rückübertragen lassen in den optischen Bereich. Das ist schon Grundlagenforschung mit der Möglichkeit von Anwendungen, die sich aber nicht immer unmittelbar materialisieren, sondern uns Erkenntnisse bringen und das Wissen in Bereiche erweitern, die wir bisher noch nicht zu beschreiten im Stande waren. Das ist das, was uns antreibt.

SB: Wir haben gestern beim Besuch des European XFEL festgestellt, daß Physiker sowohl an der Weiterentwicklung des Röntgenlasers arbeiten als auch mit ihm Forschungen betreiben. Sie arbeiten am Teilchenbeschleuniger PETRA III. Wie ist das bei Ihnen, sehen Sie sich eher als Werkzeugbauer oder als Werkzeugnutzer?

RR: Unsere Arbeiten sind schon sehr methodenzentriert. Andererseits haben wir auch Fragestellungen in der Grundlagenforschung, die wir uns selbst stellen. Und wir sind in der glücklichen Lage, selbst Methoden weiterzuentwickeln, um diese Fragen beantworten zu können. Das sind Bereiche, die wir hier zusammenführen.

In vielen Projekten steht die Methodenentwicklung im Vordergrund. Andere Gruppen sind mehr zentriert auf die Beantwortung von Fragen mit diesen neuen Methoden. Zum Teil finden sich solche Aspekte auch in meiner Arbeitsgruppe. Wir erforschen die Eigenschaften von dünnen magnetischen Schichten. Dazu wollen wir wissen, wie sich magnetische Eigenschaften ändern, wenn wir die Schichten ganz dünn machen, wenn wir sie strukturieren, wenn wir sie aufeinanderstapeln, also wenn wir verschiedene magnetische Schichten miteinander kombinieren. Und als Anwendung ist dabei dieses Magnetosensorprojekt herausgekommen, das wir uns haben patentieren lassen, welches in Zusammenarbeit mit einer Firma jetzt auch für Anwendungen vorbereitet wird. Da sind wir ständig daran, uns zu fragen, wie wir die Magnetosensoren noch weiter verbessern können, und nutzen dazu die Methoden, um einen Blick in den Nanokosmos der Grenzflächen und Nanobereiche in diesen Strukturen zu gewinnen, um das Funktionieren zu verstehen und zu verbessern.

SB: Da könnte man vielleicht auch fragen, was zuerst da war, die Henne oder das Ei, also war es erst die Idee, etwas Bestimmtes machen zu wollen, oder das Instrument und die Möglichkeit, das zu verwirklichen.

RR: Ja, das ist ein sehr interessanter Prozeß. Wir sind nicht hergegangen und haben gesagt, wir wollen jetzt neue Magnetosensoren entwickeln, sondern wir haben bei unseren Forschungen den Effekt entdeckt, daß wir hochpräzise Drehungen von Objekten detektieren können. Daraufhin haben wir uns gesagt: "Ah, das könnten wir doch zur Anwendung bringen und dafür einsetzen, Magnetfelder mit noch höherer Präzision zu detektieren, als das zuvor möglich war." Meines Erachtens funktioniert so die Verbindung zwischen Wissenschaft und Anwendungen. Viele nobelpreisgekrönte Entdeckungen, die dann auch in die Anwendung gelangt sind, waren anfangs von reiner Neugier getrieben. Beispielsweise Peter Grünberg, der den GMR-Effekt entdeckt hat. [2] Da war auch irgendwann klar, das würde enorme technische Anwendungen haben.

Ein anderes Beispiel sind Supraleitungen. Die ganze Welt jagt jetzt den Raumtemperatursupraleiter, also den verlustfreien Stromtransport bei Raumtemperatur. Zur Zeit muß man immer noch Materialien abkühlen und benötigt dazu flüssiges Helium oder flüssigen Stickstoff. Raumtemperatursupraleitung wäre ein enormer Durchbruch, aber keiner weiß, in welche Richtung man dazu gehen muß oder ob es überhaupt Materialien gibt, die das ermöglichen. Das wird vielleicht, wenn es sie gibt, eine Zufallsentdeckung sein, weil die Welt so komplex ist und es irrsinnig viele Kombinationsmöglichkeiten gibt, die uns zur Verfügung stehenden chemischen Elemente miteinander zu kombinieren. Außerdem muß man noch die Bedingungen herausfinden, unter denen das dann möglich wird.

Dazu wurden übrigens hier bei der DESY, dem CFEL, und auch an der Uni Hamburg Arbeitsgruppen gebildet, die Grundlagenforschung betreiben. Man verfolgt gewisse Konzepte, um die Bedingungen, unter denen Supraleitung entsteht, zu erforschen. Dabei könnte irgendwann eines Tages zufällig so eine Entdeckung stattfinden. Dann muß man auch in der Lage sein zu erkennen, daß da etwas ist, bei dem es sich lohnt, weiterzumachen.

SB: Herr Röhlsberger, herzlichen Dank für das Gespräch.


Luftbildaufnahme des DESY-Campus, darin sind die Speicherringe und ihre Benennungen eingezeichnet - Foto: © DESY 2015

LINAC II, PIA und DESY II sind sogenannte Vorbeschleuniger vom Speicherring PETRA III, der zusammen mit den beiden Freie-Elektronen-Lasern FLASH und European XFEL laut DESY "als weltweit beste Lichtquelle für die Forschung mit Photonen" dient. In dem langen, bogenförmigen Gebäude am unteren Bildrand wird die Synchrotronstrahlung von PETRA III auf die Experimentierhütten gelenkt. PETRA IV soll am selben Speicherring, jedoch genau auf der gegenüberliegenden Seite, gebaut werden.
Foto: © DESY 2015


Fußnoten:


[1] Der Schattenblick hat die DPG-Frühjahrstagung 2017 in Bremen mit einer Reihe von Berichten und Interviews nachbereitet. Näheres zum Bose-Einstein-Kondensat finden Sie unter anderem in einem zweiteiligen Interview mit dem Theoretischen Physiker Prof. Dr. Domenico Giulini:
http://schattenblick.de/infopool/natur/report/nrin0011.html

[2] Peter Grünberg vom Forschungszentrum Jülich wurde 2007 für die Entdeckung des GMR-Effekts (von englisch "giant magnetoresistance") oder Riesenmagnetowiderstands mit dem Nobelpreis geehrt. Heute beruht die Lesefunktion des Schreib-Lese-Kopfs bei fast jeder Festplatte auf dem GMR-Effekt. Dabei macht man sich zunutze, daß in Strukturen aus abwechselnd magnetischen und nichtmagnetischen nanometerdünnen Schichten der elektrische Widerstand von der gegenseitigen Orientierung der Magnetisierung der magnetischen Schichten abhängig ist.

Bisher zur DPG-Recherchereise 2017 im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT erschienen:

BERICHT/008: Forschungstechnik neu - Rechnung ohne den Wirt? (SB)
BERICHT/009: Forschungstechnik neu - weit in die Zukunft planen ... (SB)
INTERVIEW/030: Forschungstechnik neu - sicher, präzise und verständlich ...     Beschleunigerexperte Dr. Winfried Decking im Gespräch (SB)


16. August 2017


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